Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Kategorie: Frankreich Seite 1 von 5

Paris prägt Ernest Hemingway wie keine andere Stadt

Die Künstler und Paris – ein Himmelreich auf Erden. Foto: W. Stock, Paris im Oktober 2022.

Im Dezember 1921 erreichen der Amerikaner Ernest Hemingway und seine Frau Hadley Richardson nach zwei Wochen auf dem französischen Atlantikdampfer Leopoldina, aus Hoboken bei New York kommend, die europäische Küste. In Cherbourg nimmt das frisch vermählte Ehepaar dann den Nachtzug nach Paris. Das junge Paar plant, sich dort für längere Zeit niederzulassen, es sollten sieben Jahre werden.

Vom ersten Tag an empfindet Ernest eine intensive Verbundenheit mit seiner neuen Wahlheimat. Als freier Korrespondent der kanadischen Tageszeitung Toronto Star kommt der junge Ernest Hemingway nach Übersee, mit dem Auftrag, sich in Europa umzuschauen. Die Alte Welt ist in jenen Jahren ein Kontinent in Aufruhr, mit Ländern, die einen Weltkrieg hinter sich haben und durchgerüttelt werden von politischen Konflikten, wirtschaftlichen Krisen und sozialen Erschütterungen.

Der junge Journalist wird hineingeworfen in diese brodelnde Region, er ist unbedarft und hungrig nach dem Leben. Der attraktive Journalist aus Oak Park, einem Vorort von Chicago, ist jener Typus, der wunderbar zu dieser Stadt passt: bullig von Figur, breitschultrig, ein kantiges Gesicht, im Kontrast dazu mit sanften braunen Augen und mit einer einfühlsamen Stimme. 

Frisch verliebt und voller Träume leben Ernest und Hadley von wenig Geld in der Hauptstadt Frankreichs. Als Korrespondent verdient er nicht gerade üppig, die Erträge einer kleinen Erbschaft von ihr hält beide über Wasser. Das Liebespaar verbringt unbeschwerte Monate in der so quirligen Metropole an der Seine, sie sind arm, aber glücklich. Es gibt nur zwei Orte auf der Welt, wo der Mensch glücklich sein kann. Die Heimat und Paris.

Der Amerikaner wirkt, als lebe er im siebten Himmel. Für einen jungen Mann, der seiner bigotten Erziehung und der nüchternen Strenge des Mittelwestens der USA entflohen ist, gleicht das Paris der 1920er Jahre einem Himmelreich auf Erden. In der Stadt des Lichtes finden amerikanische Intellektuelle den Glanz und Glamour, jenen joie de vivre, den sie in der heimatlichen Tristesse aus Wirtschaftsdepression und Prohibition so schrecklich vermissen.

Ernest Hemingway und Paris – es passt wunderbar. Ein Bauch- und Augen-Mensch wie Ernest wird hier zum Flaneur, der in den Buchhandlungen stöbert, durch die engen Gassen des Quartier Latin bummelt oder als Müßiggänger im La Closerie des Lilas vor einem Café au Lait sitzt, das bunte Treiben beobachtet und schreibt. Vor allem die Gegend um den Boulevard du Montparnasse wird zu seinem Revier, hier warten Lebenslust und Frivolität an jeder Ecke.

In Paris begegnet Ernest Hemingway anregenden Frauen und Männern, er steht direkt an der Wiege neuartiger Ideen und kühner Anschauungen. Künstlerische Pioniere wie James Joyce und Pablo Picasso gehören zu seinem Freundeskreis. Der junge Ernest merkt, wie dieses kreative Flair ihn als Schreiber ermutigt. Die Harmonie mit seiner Ehefrau wirkt als Ruhepol, die umgängliche Hadley fängt den stürmischen Ehemann mehr als einmal auf. 

Er ist angekommen in seiner Traumwelt. Schöner vermag der 22-Jährige sich das Paradies nicht auszumalen. Wenn Du das Glück hattest, als junger Mensch in Paris zu leben, dann bleibt die Stadt bei Dir, einerlei wohin Du in Deinen Leben noch gehen wirst, denn Paris ist ein Fest fürs Leben.

Diese Metropole der Lebenslust überfällt den Amerikaner wie

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Im Zweiten Weltkrieg fehlen Ernest Hemingway die Worte


Im US-amerikanischen Magazin Collier’s vom 18. November 1944 veröffentlicht Ernest Hemingway über vier großformatige Seiten eine Reportage aus dem Krieg.

Anfang September 1944 sitzt der Schriftsteller in Paris auf gepackten Koffern. Er kann es nicht mehr erwarten, denn zum ersten Mal geht es für Ernest Hemingway an die Front des Zweiten Weltkriegs. Von der französischen Hauptstadt steuert er über Belgien in Richtung deutsche Westgrenze. Ziel der Alliierten ist es dort, die Siegfried-Linie aufzubrechen, jenen Wall von Holland bis zur Schweiz mit seinen Bunkern, Stollen und Panzersperren. Erst dann können die Amerikaner bis zur strategisch wichtigen Rheingrenze vorstoßen.

Die Infanterie durchbrach die Siegfried-Linie. Sie knackte sie an einem kalten, regnerischen Morgen, als nicht einmal die Krähen flogen, geschweige denn die Luftwaffe. Zwei Tage zuvor, am letzten Tag vor dem Einbruch des Schlechtwetters, waren wir am Ziel des Rattenrennens angelangt. Es war eine schöne Rattenjagd von Paris bis nach Le Cateau, mit erbitterten Kämpfen bei Landrecies, die nur wenige gesehen haben und an die sich noch weniger erinnern können. Dann waren die Pässe des Ardennenwaldes bezwungen worden, in einer Landschaft, die den Illustrationen zu Grimms Märchen glich, nur viel grimmiger.

Ernest Hemingway schlägt sein Quartier zunächst nicht hinter der Frontlinie im Hürtgenwald auf, sondern weiter südlich, mitten in der Schnee-Eifel, in kleinen Ortschaften wie Schweiler und Buchet. Die vorrückende US-Army nimmt Dorf für Dorf ein, sie ist den deutschen Truppen materiell und personell überlegen, doch aufgrund des unebenen Geländes geht es nur langsam voran. Der Widerstand der Wehrmacht ist in der ländlichen Eifel heftig, der Diktator hat ein Halten der Linien bis zum letzten Mann befohlen.

Als Kriegsberichterstatter für das Wochenmagazin Collier’s begleitet Hemingway den Vormarsch der Fourth Infantry Division’s 22nd Regiment im Gebiet der belgisch-deutschen Grenze. Der Autor bewegt sich hinter der Kampflinie, auf  luxemburgischem Territorium, in der Schnee-Eifel und schließlich weiter nördlich in der Nähe von Aachen. Der prominente Schriftsteller schließt sich meist den Truppen von Colonel Charles Lanham an, den alle Freunde Buck nennen. Bis Ende 1944 sollte Hemingway mehrmals zwischen Paris und den Frontabschnitten pendeln, im November und Dezember kommt er auf insgesamt 18 Einsatztage.

Ernest Hemingway Collier's

WAR IN THE SIEGFRIED LINE heißt Ernest Hemingways Reportage von der Front des Zweiten Weltkriegs in Collier’s. BY RADIO VIA PARIS.

Im Winter 1944 gelangen die amerikanischen Bodentruppen an den Hürtgenwald im Süden zwischen Aachen und Düren, wo ihr Vormarsch zum Stehen kommt. Das zerklüftete Gebiet erlebt von Oktober 1944 bis Februar 1945 blutige Gemetzel mit hohen Verlusten auf beiden Seiten. Das unebene Gelände mit den dichten Waldungen ist militärisch schwer zu nehmen, die Kämpfe, Mann gegen Mann, sind an Grausamkeit kaum zu überbieten. Ernest Hemingway hätte also einiges zu berichten in die Heimat.

Die Ansätze sind da, wie eine mehrseitige Reportage für die Collier’s-Ausgabe vom 18. November 1944 unter Beweis stellt. Zunächst skizziert Ernest Hemingways Prosa – wie so häufig – ein Landschafts-Panorama aus Bergen, Wäldern und Bächen. Der kleine Mensch in der großen Natur. Das Naturreich begrenzt als Rahmen das gewaltige Gemälde, der winzige Mensch irrt kopflos in der Pracht der Schöpfung umher. Das kann Ernest sehr gut, wie immer, es ist gekonnt.

Wir befanden uns auf einer Anhöhe, außerhalb des Waldes, und all die sanften Hügel und Wälder, die wir vor uns sahen, waren Deutschland. Aus dem Tal eines Baches unter uns ertönte ein schweres, vertrautes Dröhnen, als die Brücke gesprengt wurde. Und hinter der schwarzen Rauch- und Trümmerwolke, die aufstieg, sah man zwei feindliche Halbkettenfahrzeuge, die die weiße Straße hinauffuhren, die in die deutschen Berge führte.

Doch urplötzlich fällt seine Reportage in ein Loch. Ernest Hemingway hört auf,

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Der schönste Hemingway-Satz: Paris lohnt immer

Ernest Hemingway Paris
Paris geht niemals zu Ende, und die Erinnerung an jeden einzelnen Menschen, der dort gelebt hat, unterscheidet sich von der an jeden anderen. Wir sind immer dorthin zurückgekehrt, egal, wer wir waren oder wie es sich verändert hatte oder unter welchen Schwierigkeiten oder mit welcher Bequemlichkeit es zu erreichen war. Es hat sich immer gelohnt, und wir bekamen immer etwas zurück für das, was wir mitgebracht hatten.
Ernest Hemingway: Paris – Ein Fest fürs Leben.

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Machtprobe im großen Krieg: Mr. Hemingway gegen Mrs. Hemingway

Die Collier’s-Ausgabe von 30. September 1944 veröffentlicht einen Artikel von Ernest Hemingway, wie auch einen von seiner Ehefrau Martha Gellhorn.

Sechs Artikel schreibt Ernest Hemingway für das US-Wochenmagazin Collier’s aus dem Zweiten Weltkrieg. Der damals schon berühmte Autor berichtet aus London, von der Landung in der Normandie, aus Paris, von der Front in der Schnee-Eifel. Die Reportagen werden zwischen Juli und November 1944 in der viel gelesenen Zeitschrift veröffentlicht. Cabled from Paris steht über dem Text, die Artikel werden über Funk dem Magazin durchgegeben.

Collier’s, im Jahr 1888 von Peter Fenelon Collier gegründet, ist eine linksliberale Wochenzeitschrift, mit einem guten investigativen Journalismus und Beiträgen von zahlreichen Edelfedern. Auch die Cartoons und Illustrationen gehören mit zum Besten in der damaligen Zeit. Mitte der 1940er Jahre erreicht das Wochenmagazin in den USA eine Auflage von 2,8 Millionen Exemplaren.

Anfang 1944 bietet sich Ernest dem Magazin als Kriegsreporter in Europa an. Sein Verhalten gründet einen Tiefpunkt in der Ehe mit Martha Gellhorn. Die dritte Mrs. Hemingway, eine renommierte Journalistin, hat schon für Collier’s aus dem Spanischen Bürgerkrieg berichtet. Und sie ist nicht bereit, nach der Eheschließung beruflich kürzer zu treten.

Are you a war correspondent or wife in my bed?, faucht Ernest 1943 seine Ehefrau an, als Martha ihm ihre Pläne offenbart. Sie möchte aus Europa über den Zweiten Weltkrieg berichten. Ob seine Frau eine Kriegskorrespondentin oder die Frau in seinem Bett sei, die Antwort bekommt er von der resoluten Martha postwendend. Denn die ehrgeizige Journalistin wird sich gegen seinen Willen aufmachen von ihrem sonnigen Refugium Finca Vigía auf Kuba nach Europa.

Collier's Magazine

Einträchtig steht das Ehepaar Ernest Hemingway und Martha Gellhorn im Impressum von Collier’s untereinander. Doch in Wirklichkeit scheppert es.

Was dann kommt, gleicht einer Seifenoper. Der erzürnte Ernest lässt sich in seiner Wut zu einem hundsgemeinen Winkelzug hinreißen. Auch er geht für Collier’s nach Europa, er schreibt für dasselbe Magazin und will so seine Ehefrau vor den Augen der Leser in den Schatten stellen. Und so kommt es, dass Ernest aus dem Zweiten Weltkrieg berichtet, um seiner Gattin eins auszuwischen.

Battle for Paris nennt Ernest eine Reportage, sie beginnt auf Seite 11 in der Ausgabe vom 30. September 1944. Man erwartet einiges. „Hier ist die erste Depesche des Collier’s-Korrespondenten, der selbst lange in der Stadt des Lichts lebte“, wird der Bericht angekündigt.

Während dieser Zeit wurde ich von den Kämpfern der Résistance als „Herr Hauptmann“ angesprochen. Das ist im Alter von fünfundvierzig Jahren ein sehr niedriger Rang, und so sprachen sie mich in Gegenwart von Fremden gewöhnlich mit „Herr Oberst“ an. Denn sie waren ein wenig aufgebracht und beunruhigt über meinen sehr niedrigen Rang. Und einer von ihnen, dessen Aufgabe es seit einem Jahr war, sich Minen zu schnappen und deutsche Munitionslastwagen und Stabswagen in die Luft zu jagen, fragte mich vertraulich: „Mein Hauptmann, wie kommt es, dass Sie trotz Ihres Alters, Ihrer zweifellos langen Dienstzeit und Ihrer offensichtlichen Verwundungen (verursacht in London durch den Aufprall mit einem stehenden Lastwagen mit Wassertank) immer noch nur Hauptmann sind?“ „Junger Mann“, antwortete ich ihm, „ich konnte im Rang nicht aufsteigen, weil ich weder lesen noch schreiben kann.“

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist ColliersBattle2-1-1-806x1024.jpg

Battle for Paris überschreibt Hemingway seine Reportage.

Es könnte lustig sein, wenn alles nicht so ernst wäre. Als Ungedienter, Ernest ist 1918 durch die Musterung gefallen, plagt ihn mal wieder sein Komplex eines nicht vorhandenen Offiziersrangs. Wenn es nur das wäre! Weil Ernests Gedanken vornehmlich um ihn kreisen, beißt sich Battle for Paris an Äußerlichkeiten fest. Diese selbstverliebte Geschwätzigkeit des Autors stösst mehr als einmal sauer auf. Doch Hemingway in seiner Eigensucht sieht nur sich selbst, dieser Krieg, der die Welt aus dem Fundament reißt, erscheint wie ein Ausflug zum Baseball-Match gegen die Mannschaft aus der Nachbarstadt.

Welch ein Unterschied zu seinen Reportagen aus dem Spanischen Bürgerkrieg! Sechs Jahre zuvor hat er leidenschaftliche Berichte aus Spanien geliefert, detailgenau und anschaulich, die Sprache ist engagiert und packend. Im Spanischen Bürgerkrieg erreicht der Journalist Hemingway wohl den Höhepunkt seiner Kreativität. Doch nun – im Zweiten Weltkrieg – plätschern seine Reports an der Oberfläche, dieser begnadete Stilist und Beobachter bleibt störrisch, er geht nicht in die Tiefe.

Ganz anders Martha Gellhorn, die derweil in Europa auf eigenen Spuren wandelt. In der Collier’s-Ausgabe vom 30. September 1944 kommt es unfreiwillig zu einem Showdown. In diesem Heft wird ein langer Artikel von Ernest, als auch eine dreiseitige Reportage von Martha veröffentlicht. Hemingway gegen Hemingway. Er erzählt

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Der schönste Hemingway-Satz: Hadley, die Glückliche

Hemingway Ernest Hadley Paris
Die Geschichten in diesem Buch sind erfunden. Ich habe viel weggelassen und verändert und herausgestrichen, und ich hoffe, Hadley versteht das. Sie wird sehen, warum ich das hoffe. Sie ist die Heldin und die Einzige, die ein Leben hatte, das gut ausgegangen ist .
Ernest Hemingway: Paris – Ein Fest fürs Leben

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Ernest Hemingway: Schreiben wie ein Maler

Vincent van Goghs Schlafzimmer im Gelben Haus von Arles. Aus dem Jahr 1888.

Sobald er neu in eine europäische Stadt kommt, besucht Ernest Hemingway vor allem Kunstgalerien und Museen, den Prado in Madrid, die Accademia in Venedig, die Galerie Flechtheim in Berlin. In Paris, er hat von 1921 bis 1928 in der Stadt an der Seine gelebt, streunt er stundenlang durch den Louvre. Besonders fasziniert wird der US-Amerikaner von der Kunstfertigkeit der französischen Impressionisten.

Wenn er gefragt wird, welchem Beruf – außer Schriftsteller – seine Leidenschaft gilt, antwortet der junge Autor wie aus der Pistole geschossen: der Malerei. Der Arztsohn aus dem Mittleren Westen ist ein großer Bewunderer der bildenden Kunst. Er verfügt nicht nur eine erstaunlich sichere Urteilskraft zu Gemälden, sondern kennt viele Maler zudem persönlich.

In Paris kommt Hemingway mit den großen Künstlern der Avantgarde zusammen, lange vor deren Weltruhm. Der Autor aus Oak Park schließt Freundschaft mit Pablo Picasso. Joan Miró, Paul Klee, Juan Gris – für viel Geld erwirbt der junge Kerl einige Bilder der aufstrebenden neuen Malergeneration. Der bodenständige Amerikaner Waldo Peirce wird zeit seines Lebens ein enger Kumpel. 

Ernest Hemingways nachgelassener Roman Der Garten Eden versteckt eine aufschlussreiche Hommage an seinen Lieblingsmaler. Die Akteure seiner erotisch knisternden Erzählung reisen nach Südfrankreich, ans Mittelmeer bei Le Grau-du-Roi. Das Zimmer, in dem sie wohnten, sah aus wie das Gemälde von Van Goghs Zimmer in Arles, nur dass es ein Doppelbett und zwei große Fenster hatte und man über das Wasser, den Sumpf und die Wiesen auf die weiße Stadt und den hellen Strand von Palavas blicken konnte.

Vor allem zwei Großmeister haben es ihm angetan. Neben Vincent van Gogh mag er besonders den Franzosen Paul Cézanne. Ich möchte so schreiben können, wie Cézanne malen kann, sagt er des Öfteren. Der Maler aus Aix-en-Provence zeichnet mit Vorliebe Motive aus der Natur, Landschaften und Gärten, Lichtungen und Blumenfelder, farbenfroh und ausdrucksstark mit einem Blick für die zarten Feinheiten. 

Die Malerei hilft ihm, seine Prosa zu entwerfen. Denn auch die Sprache eines guten Schriftstellers braucht visuelle Kraft und Klarheit. Das Ziel, sagt Ernest Hemingway im Gespräch mit Edward Stafford, ist es, dem Leser jede Empfindung, jeden Anblick und jedes Gefühl zu vermitteln. Als Autor müssen Sie mit dem Wort zeichnen, damit der Leser sieht, was Sie gesehen haben, und fühlt, was Sie gefühlt haben.

Seine Annäherung an die Maler und die Erforschung ihrer Werke sind für Ernest Hemingway ein wesentlicher Bestandteil des Lernprozesses als Schreiber. Beobachten und entdecken, fühlen und erspüren – die impressionistischen Gemälde bilden eine seiner Inspirationsquellen. Der spätere Nobelpreisträger nutzt schon in seinen ersten Erzählungen die Visualität, um mit den Landschaftsbeschreibungen den Handlungsrahmen zu setzen. Für die szenische Spannung wiederum ist meist der dramatische Tonfall seiner Dialoge zuständig.

Die Betrachtung der Werke von Cézanne lehrt den Amerikaner, wie er seine modernen Kurzgeschichten mit Hilfe einer einfachen und emotionalen Technik neu aufbauen kann. Jedes Element im künstlerischen Prozess der Entstehung wirkt zweckdienlich und erfindungsreich sogleich. Die stimmige Farbgebung bei Cézanne wie auch die genaue Wortwahl bei Hemingway schaffen innere Struktur und Dichte.

Wie Cézanne setzt der Neuerer Ernest Hemingway vor allem auf die Landschaft, auf das Motiv und auf die Anordnung, um Eleganz und Vorstellungskraft zu erzeugen. Die Flüsse, das Gebirge, die Hügel, der Wald mit den grünen Bäumen, die Inseln und vor allem das Meer blühen nicht nur auf in einer neuen Visualität, sondern führen im Ergebnis zu einer anregenden Vielfalt an Emotionen.

Diese neue Ästhetik des Erzählens, die klassische und moderne Elemente vereint, arbeitet mit Empfindungen und Symbolen. Der Maler und der Schreiber öffnen beide den Raum und den Blickwinkel für die Imagination des Betrachters und Lesers. Ernest Hemingway beschreibt insofern keine Landschaften, er erschafft diese Landschaften. Ganz wie Cézanne. 

Als Liebhaber der Malerei hat Ernest Hemingway immer versucht, das Herzstück eines Gemäldes zu entdecken. Er ist stets auf der Suche gewesen nach dem reinen Gefühl, wie er es nennt. Maler besitzen all diese großartigen Farben, mit denen sie arbeiten können, meint der Nobelpreisträger. Ich muss es auf der Schreibmaschine vollbringen oder mit meinem Bleistift in Schwarz und Weiß.

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Der steinige Weg zu ‚Paris – Ein Fest fürs Leben‘

Paris 
Ein Fest fürs Leben
Ernest Hemingway: A Moveable Feast. Zu Deutsch: Paris – Ein Fest fürs Leben.

Dieses Buch von Ernest Hemingway ist eines der bekanntesten und wohl auch eines der schönsten Werke. A Moveable Feast. In der Übersetzung: Paris – Ein Fest fürs Leben. Der deutsche Titel scheint mir gefühlvoller als das englische Original. Ein beweglicher Festtag. Es hört sich, in beiden Sprachen, dann doch etwas sperrig an.

Was viele Leser nicht ahnen: Dieses Buch ist nicht durchkomponiert von seinem Autor, es wird aus einem Fragment erschaffen. Aus dem Nachlass des 1961 verstorbenen Nobelpreisträgers wird es von den Erben hervorgekramt und dann im Jahr 1964 bei Charles Scribner’s Sons in New York veröffentlicht. Das Werk und vor allem seine Entstehung, es bleibt unter Kennern nicht unumstritten. Über die Qualität hingegen bestehen keine Zweifel.

Zumindest ist der Weg zu diesem Buch überaus steinig und holprig. Im Jahr 1956 macht der Direktor des Pariser Luxushotels Ritz den auf Kuba lebenden Ernest Hemingway darauf aufmerksam, dass noch zwei Reisekoffer auf Abholung warten. Der Schriftsteller hat diese 1928 in den Kellergewölben einlagern lassen, kurz bevor er mit seiner zweiten Frau Pauline Pfeiffer die Metropole an der Seine verlassen hat.

Der Inhalt beider Koffer besteht aus Manuskriptseiten und Notizbüchern mit Material zu Hemingways erstem Roman The Sun Also Rises, aus Büchern, aus Aufzeichnungen und aus Zeitungsausschnitten. Diese Erinnerungsstücke an die schönen Anfangsjahre bilden wohl der endgültige Anlass, sich heranzutrauen an die Pariser Skizzen, wie der Nobelpreisträger seinen Arbeitstitel wählt. Doch Ernest tut sich schwer damit, aus verschiedenen Gründen.

Zwar schreibt er voller Zartheit über die fantastischen Aufbruchsjahre in Paris, von 1921 bis 1928 lebt Hemingway mit Ehefrau in der französischen Hauptstadt. Neben dem Savoir-vivre in den Bistros und Restaurants ist diese Zeit jedoch auch mit schmerzlichen Erinnerungen verbunden. Oft erscheint der Mittzwanziger aus Chicago nicht im besten Licht. Ernest lästert über Freunde und Förderer, er spuckt ziemlich große Töne und er klettert auf ein hohes Roß.

Doch das Allerschlimmste: Mit voller Absicht setzt er seine Ehe mit der wunderbaren Hadley in den Sand. Kein Wunder, dass sich der alternde Autor in seinem letzten Wohnort Ketchum monatelang durch die Entwürfe quält. Bis zu seinem Tod im Juli 1961 sitzt er an dem Manuskript, ohne die Kraft, es zu einem Ende zu bringen.

Er möchte sich an die schöne Zeit in Paris klammern, er will die aufopferungsvolle Liebe von Hadley nochmals spüren, er will jung und kraftvoll in die Welt treten, wie damals. Als Schriftsteller hat er alles erreicht, was es zu erreichen gibt. Als Mensch, nun ja, es pflastern zu viele Niederlagen seinen Weg. Und wenn er ehrlich zu sich ist, in der Liebe, da ist er gescheitert. 

Ernest vermag nicht, die Pariser Skizzen zu vollenden. Es fängt schon beim Titel an. Seine Titelvorschläge hält er auf einer Liste fest, die er im April 1961 an seinen Verleger übermitteln will, doch er

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Der schönste Hemingway-Satz: unverwundbar in Paris

Ernest Hemingway Paris
Paris hat nie ein Ende, aber vielleicht vermittelt Ihnen dieses Buch etwas Wahres über die Menschen und Orte und das Land zu der Zeit, als Hadley und ich uns für unverwundbar hielten. Aber wir waren nicht unverwundbar…
Ernest Hemingway: Paris – Ein Fest fürs Leben.

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Vor genau 100 Jahren: Hemingways verschwundener Koffer

Ein Koffer voller Manuskripte verschwindet. Und taucht nie wieder auf.

Ende November 1922 reist Ernest Hemingway von Paris nach Lausanne, um dort über die Friedenskonferenz zwischen Türken und Griechen zu berichten. Die Türkei unter Kemal Atatürk hat den Krieg gewonnen, und nun stehen unter Schirmherrschaft des Völkerbundes die Verhandlungen über die Gebietsaufteilungen an.

Am 2. Dezember macht sich Ehefrau Hadley auf, um ihren Ehemann in der Schweiz zu besuchen. Im Gepäck auch ein kleiner Wochenend-Koffer voller Manuskripte, inklusive Duplikate. Ernest, der in den USA einen Verleger für seine Erzählungen und Gedichte sucht, will dem befreundeten Journalist Lincoln Steffens seine bisherigen Arbeiten zeigen. Vielleicht kann dieser in der Heimat ein gutes Wort für ihn einlegen. 

Am Gare de Lyon besteigt Hadley den fast leeren Zug. Die Koffer verstaut sie im Gepäckfach, sie nimmt ihren Sitz ein. Durch das Fenster erblickt sie einen Kiosk, der Erfrischungen verkauft. Kurzentschlossen springt Ernests Ehefrau aus dem Zug und kauft eine Flasche Evian als Reiseproviant. Nach wenigen Minuten ist sie zurück in ihrem Zugabteil.

Entsetzt stellt sie fest, dass der Weekender fehlt. Der kleine Koffer mit Ernests Manuskripten ist gestohlen. In Panik sucht sie den Schaffner. Gemeinsam gehen sie durch die Wagons, doch nirgends ist die Reisetasche aufzufinden. Eine Katastrophe! Die Arbeit eines ganzen Jahres verloren. Hadley ist am Boden zerstört.

Am nächsten Morgen erreicht der Zug Lausanne, tränenaufgelöst tritt Hadley ihrem Mann gegenüber. Der Verlust ist

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Ernest Hemingway: Verirrungen im Garten Eden

Ernest Hemingway: Der Garten Eden. Erschienen 1986, posthum.

Auf jeden Fall scheint Ernest Hemingways Liebesleben ein wenig über die gutbürgerliche Ambition hinaus zu gehen. Vier Ehefrauen kreuzen seinen Weg, von den Dutzenden Liebschaften gar nicht zu reden. Der Mann steht von morgens bis abends unter Starkstrom, literarisch, hochprozentig und noch mehr, wenn es um Frauen geht.

Allein sein posthum veröffentlichter Roman Der Garten Eden bietet sich als eine Fundgrube in dieser Hinsicht an. Diese Erzählung ist übervoll an Erotik und Sexualität, er schreibt die letzten 15 Lebensjahre an den Entwürfen, wagt aber nicht, sie seinem Verleger zu übergeben.

Das Werk wird schließlich unter viel Tamtam ein viertel Jahrhundert nach seinem Ableben veröffentlicht. Der Garten Eden erweist sich als ein seltsames Buch, weil der moderne Klassiker Ernest Hemingway versucht, in die Post-Klassik einzutreten. Dieser Versuch misslingt gründlich, vor allem weil der Stoff nicht wie sonst üblich aus dem Selbsterlebten resultiert, sondern der reinen Phantasiewelt entsprungen ist. Sozusagen ein Anti-Hemingway. 

Der Plot von Der Garten Eden bleibt wirr: Zusammen mit seiner Frau Catherine verbringt der trinkfeste US-Amerikaner David Bourne in den 1920er Jahren die Flitterwochen in Südfrankreich. Doch innerlich ist der Hauptdarsteller in der Krise. Als Schriftsteller, als Mann, als Liebhaber. Verzweifelt probiert das Ehepaar Neues aus, seine Frau und die Geliebte Marita kitzeln ihn hin zu allerlei erotischen Abenteuern. 

Sein ganzes Leben lang hat Ernest Hemingway von den Kollegen und der Kritik sich Tausende Vorwürfe anhören müssen. Er zeige keine Empathie für die sozialen Nöte der Arbeiterschaft, werfen ihm die Linken vor. Politisch sei er ein leicht zu beeinflussender Einfaltspinsel, meinen die Rechten. Er habe keinen blassen Schimmer von den Problemen des modernen Großstadtlebens, maulen die Großstadtkritiker. 

Der Nobelpreisträger, er lebt zurückgezogen auf einem tropischen Refugium nahe der kubanischen Hauptstadt Havanna, wurmt besonders der letzte Vorwurf. Der Alte möchte nicht alt dastehen. Deshalb versucht Ernest, ein modernes Buch zu schreiben. Hemingway haut alles raus, was an erotischer Verkrampfung in ihm drin steckt. Rollentausch, Lesbiertum, Homosexualität, ménage à trois. Alles narzisstische Identitäts-Phantasien eines Mannes in der Midlife-Krise, aber eben auch alles nicht persönlich erlebt.

Doch der alternde Autor sucht ein Ventil für seine Ängste und muss sich mal kräftig auskotzen: Wie im Delirium faselt der Meister von Androgynie, von Partnertausch und sonst was. Catherine und David schneiden sich die Haare kurz, das Männliche und das Weibliche verschwimmen. Mr. Scrooby, so nennt er sein bestes Stück, führt ihm diesmal die Feder, wo es sonst seine doch so geniale Beobachtungsgabe gewesen ist.

Tom Jenks, ein Lektor bei Hemingways Hausverlag Scribner’s, hat in New York das Buch aus über 1.500 Manuskript-Seiten zusammen gebastelt. Man merkt dem Werk das schlechte Karma an. Es zeigt die üblichen Schwächen eines nachgelassenen Manuskriptes: Hemingways Vorlagen werden gekürzt, auch erweitert und schließlich wird das Ganze durch den Fleischwolf gedreht.

Die Aficionados erkennen ihren Meister nicht wieder. Inhalt, Stil und vor allem die Seele der Erzählung sind meilenweit entfernt von seinen Meisterwerken wie Schnee auf dem Kilimandscharo oder Der alte Mann und das Meer. Bei einem Blindfold-Test würde der Leser mit Lachkrämpfen sich auf dem Sofa krümmen. Der Verlag und die Erben lassen den Nobelpreisträger auf voller Linie in sein Unglück rennen, nur weil irgendwer ein Geschäft wittert. 

Zum Glück kriegt Ernest Hemingway auf dem Dorffriedhof von Ketchum nichts mit von dem ganzen Fiasko. Denn wirklich alles in Der Garten Eden geht schief. Die Sätze lesen sich wie abgedroschenes Stroh, die einst vortrefflichen Dialoge laufen ins Leere. Die feine stilistische Prägnanz des Maestros plumpst hinab in einen banalen Manierismus. Von der ersten bis zur letzten Seite meint man, die Parodie in Händen zu halten.

Das schöpferische Feuer, das seinen Erstling The Sun Also Rises im Jahr 1926 so ausgezeichnet hat, verpufft 60 Jahre später, weil der prominente Autor nicht

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