Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Kategorie: Frankreich Seite 2 von 5

Ernest Hemingways bittersüße Lebensbeichte: Pariser Schurkereien

Ernest Hemingway: Paris – Ein Fest fürs Leben.

Ab Herbst 1957 beginnt der Schriftsteller auf Kuba seine Arbeit an den Pariser Skizzen, wie er das Manuskript zunächst nennt. Nach der Übersiedlung in die USA im Jahr 1959 befasst der Nobelpreisträger sich in seinem neuen Wohnort Ketchum weiter mit den Fragmenten aus Paris und aus Schruns. Es ist das einzige Manuskript an dem der hinfällige Autor arbeitet, er will die schönen 1920er Jahre festhalten, denn er ahnt, was da kommen wird.

In den letzten Lebenswochen schreibt er sich den Kummer von der Seele, er versetzt sich zurück in die heitere Welt seiner sechs Pariser Jahre, in die Winterurlaube im Vorarlberg und ein letztes Mal huldigt der schwerkranke Ernest seiner großen Liebe. Der Unmut über den eigenen Fehltritt brodelt in ihm.

Das Werk wird erst nach seinem Ableben veröffentlicht, redigiert von seinem engen Freund A. E. Hotchner. Im Jahr 1964 erscheinen, gegen den erbitterten Widerstand seiner letzten Frau Mary, die Erinnerungen unter dem Titel Paris – Ein Fest fürs Leben. Von einem alternden Mann geschrieben, die eigene Endlichkeit vor Augen, erinnert die gemütvolle Erzählung mit Melancholie an die unbekümmerten Monate in Europa.

Trotz allen Frohmuts kann man das Buch zugleich als eine Art bittere Lebensbeichte des sterbenskranken Ernest Hemingway lesen. In Paris – Ein Fest fürs Leben breitet er seine Seele aus, wie in keinem anderen Werk. Die Erzähl-Fragmente lesen sich wie eine Liebeserklärung an Paris, an die mitreißende Zeit, von Ende 1921 bis Frühjahr 1928 wohnt er mit Hadley in der quirligen Metropole an der Seine.

Es sind zugleich seine Anfänge als Schriftsteller, das kreative Aufbegehren der verlorene Generation, ein Umsturz in Literatur, Malerei und Architektur, der in der Moderne münden wird. Man spürt in Paris – Ein Fest fürs Leben die beglückende Atmosphäre, die Paris in jenen Jahren so auszeichnete. In allererster Linie jedoch sind die Episoden aus Paris und aus dem Montafon eine Liebeserklärung an seine Hash.

An Hadley, jene Frau, für die er wohl das tiefste Gefühl empfunden hat und jene, die ihn bedingungslos geliebt hat. Sein erstes großes Werk The Sun Also Rises widmet er seiner ersten Ehefrau und dem Sohn. Hadley und John Hadley Nicanor zugeeignet. In Europa heißt der Roman Fiesta, es wird 1926 sein Durchbruch. Mit einem Mal ist er ein Popstar.

Wie kein anderer Mensch hat Hadley an ihn geglaubt, damals, als er noch ein kleines Licht gewesen ist in der bescheidenen Wohnung in der Rue Cardinal-Lemoine. Und sie hat ihn aufgebaut, wenn von den amerikanischen Verlagen eine Ablehnung nach der anderen in Paris eintrudelte. Diese wunderbare Liebe schlägt Ernest Hemingway im winterlichen Vorarlberg eigenhändig tot, mausetot.

Von seiner Seite ist es eine kaltschnäuzige Schurkerei, die ihn selbst bis zu seiner letzten Stunde als seelische Verwundung umtreiben sollte. Und er weiß, dass er das Desaster ganz alleine verbockt hat. Ich war es, der die Schuld daran auf sich nehmen und besitzen und verstehen musste. Hadley, die Einzige, die keinerlei Schuld daran trug, kam am Ende gut aus der Sache heraus und heiratete einen viel besseren Mann, als ich je gewesen war oder jemals zu sein hoffen konnte…

Doch der übermütige Ernest, berauscht vom sich andeutenden Erfolg als Buchautor, kann die

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Ernest Hemingway in Paris – Abschied aus dem Paradies

Ernest Hemingway Paris
Der Mann geht, sein Mythos bleibt. Im Le Pré aux Clercs, seinem Lieblingslokal in den ersten Wochen, erhalten die Bücher eine Ehrenreihe oberhalb der Schanktheke. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

In den Vereinigten Staaten zeigen sich die Leser verstört, als sie sich 1926 durch die Seiten seines in Paris geschriebenen Romans The Sun Also Rises arbeiten. Ernest Hemingways unverhohlene Schilderung der sexuellen Laxheit in den französischen Künstlerkreisen und die Zechtouren in Paris und Spanien wirken Mitte der 1920er Jahre auf das biedere Publikum – es ist das Jahrzehnt der Prohibition in den USA – wie ein Horrortrip durch das Reich des Satans.

Der beschwingte Alltag in Paris inspiriert den jungen Amerikaner, ebenso wie die zahlreichen Museen und Galerien seinen Horizont erweitern. Auch das freie Leben weiß er, der in der freudlosen Bigotterie der Vorstadt aufgewachsen ist, zu schätzen. Die Leidtragende ist Hadley. Denn mit der ehelichen Treue hält er es von Beginn an locker bis oberlocker.

Mit der acht Jahre älteren Hadley Richardson hat er einen mütterlichen Frauentyp geheiratet. Ernest ist glücklich, auch weil er geliebt wird, ebenso wie die Geburt des Sohnes John im Oktober 1923 ihn erfreut. Aber es reicht ihm nicht, sein Nachholbedarf scheint enorm. Es ist fast so, als sei er von der Obsession befallen, etwas zu verpassen im Leben.

Auf ein Experiment lässt Ernest sich mit der androgyn auftretenden Pauline Pfeiffer ein. Die Modejournalistin ist klein, dünn, flachbrüstig, ganz und gar nicht sein Beuteschema, doch irgendetwas zieht ihn an. Die lebhafte Pauline tritt so ganz anders auf als die fürsorgliche Hadley. Pauline passt in die damalige Zeit und sie passt zu Paris. Aber passt sie auch zu dem Schriftsteller?

Ernest Hemingway hängt einem traditionellen Rollenverständnis zwischen Mann und Frau nach, er bewundert Hadley als verständnisvolle Ehefrau und aufopfernde Mutter. Einerseits braucht er dieses althergebrachte Muster als Fundament für seinen Alltag, doch andererseits verliert er schnell die Lust am konventionellen Idyll. Ernest will in Paris ausprobieren, er will sich heraus trauen aus der heilen Welt der Kirchgänge und Hauskonzerte in Oak Park.

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Verneigung vor einer Stadt, die aus einem alten Bahnhof ein wunderbares Museum machen kann. Musée d’Orsay. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Bei seiner Abnabelung in Paris stellt sich heraus: Er ist ein lausiger Ehepartner. Dabei überraschen weniger seine Seitensprünge, schlimm genug, vielmehr verstört die Rücksichtslosigkeit mit der Ernest Hemingway die Partnerschaft mit seiner großen Liebe abhakt. Ohne mit der Wimper zu zucken und ohne jedes Schuldgefühl wendet er sich von Hadley ab. Freundschaften kann er hegen und pflegen, doch seine wunderbare Ehefrau hintergeht er auf charakterlose Art und Weise.

Diese emotionale Skrupellosigkeit wird man zukünftig als Schablone auf sein Verhalten gegenüber Frauen und Partnerinnen legen können. Die Bewunderung anderer Frauen tut ihm gut, die sexuellen Eroberungen plustern sein Selbstwertgefühl auf. Sein Durchbruch als Schriftsteller Mitte der 1920er Jahre setzt ihn zusätzlich unter Strom. Quasi parallel zum Erfolg als Autor läuft seine Karriere nun auch als Schürzenjäger peu à peu zu Hochtouren.

Doch je mehr die Kerben in seinem Revolver zunehmen, desto dünnhäutiger wird er. Weil er in seinem Wertegerüst nicht stabil ist und auch, weil seine Persönlichkeit in Sachen Liebe emotional nicht mitwächst. Wenn er das Gefühl hat, von einem Menschen gekränkt zu werden oder in seinen Empfindungen verletzt zu sein, dann reagiert er wie ein angeschossenes Raubtier. Er kontert dann mit offener Aggression, mit kaum verborgenem Hass, er verhöhnt die betreffende Person lang und breit in seinen Werken.

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Im Panthéon, der Ruhmeshalle der Nation, sind von Voltaire über Émile Zola bis André Malraux die großen Schriftsteller Frankreichs bestattet. Mit Josephine Baker wird auch eine US-Amerikanerin geehrt. Wenn er nicht falsch abgebogen wäre, möglicherweise wäre noch Platz für einen weiteren Amerikaner gewesen. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Am schlimmsten ist es, wenn er nicht genug beachtet wird. Dann entlädt sich umgehend seine Wut. Gerade auf Frauen. Wenn er sich wieder einigermaßen beruhigt hat, dann merkt er schon, dass eine abermalige Niederlage dazu gekommen ist. Und er selbst es gewesen ist, der sich eine weitere Narbe in seine Seele eingeritzt hat. Und bittere Niederlagen gibt es zuhauf.

Warum vermag Ernest nicht, die rückhaltlose Liebe seiner Ehefrau wertzuschätzen? Am Ende steht die bittere Scheidung. Wer eine solch wunderbare Frau wie Hadley ablegen kann, der wird auch Paris ablegen. Ernest reitet sich immer tiefer ins Desaster. Denn Paris kann man nicht ablegen, so wie man eine alte Jacke in die Kleidersammlung gibt. Und auch Hadley zu verlassen, ist ein schwerer Fehler. Er wird seine Riesendummheit einsehen, spät, sehr spät. 

In seinen letzten Lebenstagen in den Bergen Idahos kreisen seine Gedanken oft um Hadley und Paris. Er telefoniert mit ihr, es erinnert ihn an die schöne Zeit in der Stadt an der Seine. Wenn Du das Glück hattest, als junger Mensch in Paris zu leben, dann bleibt die Stadt bei Dir, einerlei wohin Du in Deinen Leben noch gehen wirst, denn Paris ist ein Fest fürs Leben.

Wie kein anderer Ort hat Paris, nur drei Buchstaben vom Paradies entfernt, diesen garstigen Romantiker aus dem Norden Amerikas geprägt. Hemingway und Paris – es hat wunderbar gepasst. Er lebt in der lässigen Ungezwungenheit von Paris, weiß im Grunde aber nicht,

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Des Autors Schlaraffenland: Ernest Hemingway in den Cafés und Brasserien von Paris

Im Les Deux Magots trafen sich in den 1920er Jahren vor allem die Maler und Schriftsteller der Stadt. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Ein beschwingtes Panorama tut sich auf vor Ernest Hemingway. Gaumenfreude in allen Variationen, Bier und Wein, ein nie gekanntes Schlaraffenland. Kneipen, Cafés, Bistros, Brasserien, Restaurants. Dazu Pâtisserien und  Boulangerien. Speisen und Getränke – besser geht es nicht auf dieser Welt. Insbesondere wenn man sich vor Augen hält, dass in seiner Heimat in jenen Jahren eine freudlose Prohibition herrscht. Zu zahlreich sind die kulinarischen Versuchungen, denen ein Amerikaner in Paris ausgesetzt wird.

Literarisch bleibt bemerkenswert, wie Ernest Hemingway all den Pariser Kolorit in seine Erzählungen einfließen lässt. So baut er nicht nur die Lokalitäten auf als Szenerie, vielmehr fügt er sie in aller Selbstverständlichkeit ein in seinen Alltag. All die wunderbaren Orte und Plätze der Metropole an der Seine werden somit zu Akteuren seiner Erzählungen.

Beispielsweise entwickeln die Kellner in seinen Erzählungen ein Eigenleben, sie werden von diesem Schriftsteller behandelt wie antike Götterboten. In der Kurzgeschichte Ein sauberes, gutbeleuchtetes Café – die Geschichte spielt zwar etwas später in Spanien, ist von der Machart für Hemingway allerdings schlechthin stilbildend – rücken sie mit einem Mal zu Hauptakteuren auf.

Ernest entwickelt ein gutes Gespür für die Feinheiten seiner Wahlheimat. Andernorts ein Job für Aushilfen, verfügt ein Garçon in den eleganten Pariser Restaurants und Brasserien über eine Stellung, die von Kultiviertheit und Tradition geprägt ist. Er kleidet sich auch nicht wie vom Flohmarkt, sondern umhegt den Gast in einem weißen Hemd mit Binder, einer Weste und einer Schürze. Diese Gepflogenheit mag auf die moderne Welt altmodisch wirken, signalisiert dem Gast freilich, in behaglicher und fachkundiger Obhut zu weilen.

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Die deftigen Speisen der Brasserie Lipp werden auf edlem Geschirr serviert: So das Blanquette de veau, ein Kalbsragout, und das Gigot d’Agneau rôti, ein Lammbraten. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Neben dem magischen Dreieck am Boulevard Saint-Germain – dem Café de Flore, dem Les Deux Magots und der famosen Brasserie Lipp – ist ganz Paris ein Garten Eden für jeden Genießer. Ernest Hemingway, kein Kind von Traurigkeit, nutzt die Offerten weidlich aus. Weil es in den Wohnungen der Künstler eng oder kalt ist, oder gleich beides, trifft man den Reporter des Toronto Star häufig in den Cafés und in den Brasserien rive gauche.

Mit dem Rücken zur Wand sitzt Ernest Hemingway dann meist alleine an einem der kleinen Bistro-Tische, stundenlang, ganz so, als gehöre er zum Inventar. Ich konnte immer in ein Café gehen und schreiben und konnte den ganzen Vormittag bei einem Café Crème arbeiten, während die Kellner das Café säuberten und ausfegten und es nach und nach wärmer wurde.

Der Schriftsteller aus Chicago beobachtet, was er am allerliebsten tut, und er notiert Seite um Seite in sein Notizbuch. Die Fragmente seiner Kurzgeschichten, mit der Hand vorgeschrieben, erblicken in diesen Cafés das Licht der Welt. In Paris – Ein Fest fürs Leben nimmt uns der junge Autor mit auf eine Spritztour durch die Pariser Brasserien und Bistros der 1920er Jahre.

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Le Dôme, ein feines Restaurant mit feiner Speisekarte, erhält von Ernest Hemingway sogar ein eigenes Kapitel. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Le Dôme am Boulevard du Montparnasse 108 wird gar in der Überschrift einer Kurzgeschichte geadelt. Mit Pascin im Dôme heißt die launige Erzählung. In dem Lokal trifft Ernest Hemingway auf den bulgarischen Maler Jules Pascin, einen Expressionisten vom Jahrgang 1885, der zumeist nackte Frauen malt. Pascin bittet den Amerikaner an seinen Tisch, wo der betrunkene Maler mit zwei sehr aufreizenden Models sitzt. Es entspannt sich eine – nun ja – anregende Konversation. Auch in unseren Tagen bleibt Le Dôme, nun vor allem ein elegantes Fischrestaurant, einen Besuch wert.

La Rôtonde, Boulevard du Montparnasse 105, ist besondern bei den Malern beliebt. Und bei den Politikern. Lenin und Trotzki heckten hier ihre Revolutionspläne aus. Über Jahrzehnte diente es Pablo Picasso als zweites Wohnzimmer. Noch heute ist das stilvolle Restaurant populär. Emmanuel Macron feierte in der Rôtonde seinen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen im Mai 2017.

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An der Fassade erinnert eine Plakette an den prominenten Besucher der Dingo Bar. Obwohl es diese heute gar nicht mehr gibt. Sie heißt nun L’Auberge de Venise. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

In der Dingo Bar, in der Rue Delambre 10, einer Seitenstrasse des Boulevard du Montparnasse, treffen sich Ende April 1925 der noch unbekannte Ernest Hemingway und F. Scott Fitzgerald zum ersten Cocktail von vielen. Fitzgerald hat wenige Tage zuvor mit seiner Neuerscheinung The Great Gatsby für Aufsehen gesorgt. Der Name Dingo Bar ist schon lange Geschichte, seit 1989 residiert hier ein italienisches Gourmet-Restaurant mit Namen L’Auberge de Venise. Ein Messingschild klebt noch an der Fassade und erinnert an den berühmten Gast.

La Coupole ebenfalls am Boulevard du Montparnasse, die Nummer 102, ist eine elegante Brasserie im Art-Déco-Stil. Die Lokalität ist jung, erst im Jahr 1927 eröffnet. Die kunstfertigen Innensäulen der La Coupole – zu Deutsch: Die Kuppel – werden zur Einweihung von 27 Pariser Malern dekoriert. Ernest Hemingway besuchte die noble Coupole am liebsten in Begleitung schöner Frauen, so mit Marlene Dietrich und Ava Gardner in den 1950er Jahren.

Le Falstaff in der Rue du Montparnasse 42 ist – ebenso wie das ehemalige Dingo – Hemingways Lieblingsplatz, um zu trinken. Es sind einfache Bars gewesen, ohne jeden modischen Schnickschnack und nicht so herausgeputzt wie die anderen Lokalitäten in Montparnasse. Hier konnte man sich ein, zwei Bier genehmigen, ohne schief angeschaut zu werden.

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Le Select am Boulevard du Montparnasse. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Das Le Select, 1923 gegründet, ist eine Brasserie mit traditioneller französischer Küche und Cocktails am Boulevard du Montparnasse 99. Vornehm und schön, eine Stilikone der 1920er Jahre, mit Holztischen und Bänken. Das preiswerte Menu Select – bestehend aus dem Plat du Jour, einem Getränk und einem Café zum Ausklang – ist keine schlechte Wahl für den schnellen Mittagshunger.

Der kulinarische Streifzug kann nur ein Ausschnitt des Kneipen-Rundblicks bleiben, der sich Ernest Hemingway in der französischen Hauptstadt eröffnet. Paris, als Schriftsteller braucht er die Stadt, so wie ein Mensch die Luft zum Atmen braucht. Die imposante

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Ernest Hemingway in Paris: Schreiben wie Gott in Frankreich

Seit 1889 steht der Eiffelturm an der Seine in Paris. Zu Anfang umstritten, ist er seit Jahrzehnten das Wahrzeichen der Stadt. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Als Korrespondent des Toronto Star wird Ernest Hemingway im Dezember 1921 hineingeworfen in diese quirlige Stadt. Er taucht ein, er lernt schnell und genießt die Unbeschwertheit und das Wohlbehagen an der Seine. Der junge Mann aus einem Vorort von Chicago merkt, wie dieses Flair von Paris ihn als Schreiber ermutigt. Da stehe ich und blicke über die Dächer von Paris und denke: Mach dir keine Sorgen. Du hast immer geschrieben und du wirst auch jetzt schreiben.

Der ehrgeizige US-Amerikaner vom Jahrgang 1899 ist genau jener Typus, der wunderbar zu dieser Stadt passt: bullig von der Figur, breitschultrig, ein kantiges Gesicht, im Kontrast dazu mit sanften braunen Augen und mit einer einfühlsamen Stimme. In den Künstlerkreisen von Paris macht der gut aussehende Journalist in kurzer Zeit mit seiner Persönlichkeit und seiner schreiberischen Begabung auf sich aufmerksam.

Am liebsten sitzt der Mann aus Oak Park alleine an einem Tisch, mit freiem Blick auf die Besucher und geht seiner Lieblingsbeschäftigung nach. Er beobachtet. Einem neugierigen Schreiber wie Ernest Hemingway fliegen in den Pariser Bistros die Themen nur so zu. Wenn er in den Cafés sitzt und seine Eindrücke in seinem Notizbuch festhält, dann wirkt er tief in sich versunken. Als ein Nachbar, Monsieur Lavigne, ihn eines Vormittags auf der Terrasse der Closerie erblickt, traut sich der Franzose nicht, den Autor anzusprechen.

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Das grün umrankte Gartenrestaurant der La Closerie des Lilas am Boulevard du Montparnasse wird seine Schreibstube. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

„Sie sahen aus wie ein Mann, der alleine im Dschungel ist“, sagte er.
„Ich bin wie ein blindes Schwein, wenn ich arbeite.“
„Aber Sie waren nicht im Dschungel, Monsieur?“
„Im Busch“, sagte ich.

Nicht wenige Kollegen bewundern seine literarische Begabung, Hemingways lakonische Art zu schreiben, wirkt unverbraucht, seine Sätze klingen frisch und voller Laune. Gertrude Stein, seine einflußreiche Mentorin, erkennt die innovative Qualität von Ernests Schreibweise auf Anhieb. Er könne vielleicht irgendeine neue Art von Schriftsteller werden, meint die Autorin, als sie im Frühjahr 1922 seine ersten Texte liest.

Trotz mancher Reiberei entpuppt sich Gertrude Stein als eine kluge Lehrmeisterin. Sie liest seine Entwürfe, korrigiert, regt Verbesserungen an. Sie hält vor allem Hemingways Schauplätze für passé, das meiste spielt sich im Hinterland um den heimatlichen Michigan-See ab. Er möge doch nicht über Themen schreiben, die keiner lesen will. Vielmehr solle er sich mit dem Neuen befassen, mit all dem Faszinierenden und dem Verstörenden, das er im lebhaften Paris und im wankenden Europa vorfinde.

Klar und deutlich erkennt die scharfsinnige Gertrude Stein das Potential von Ernest Hemingway als Romancier und als Schreiber von Kurzgeschichten. Einen Zeitungsreporter sieht sie in ihm nicht, verschwendetes Talent. Als der Mittzwanziger, die nicht einfache Entscheidung treffen muss, mit dem Journalismus aufzuhören und seinen auskömmlichen Vertrag als Korrespondent der kanadischen Zeitung zu kündigen, bestärkt sie ihn. 

Die Schriftstellerin und Kunstsammlerin aus Pittsburgh wird über die Monate zur akribischen Ausbilderin des späteren Nobelpreisträgers: Vor allem erläutert Gertrude Stein dem jungen Autor das Konzept des le mot juste und erklärt ihm die Wichtigkeit des treffenden Wortes. Sie zeigt ihm die Wirkung von Wortwiederholungen und sensibilisiert ihn für den Rhythmus der Sätze. Als Sohn einer Opernsängerin versteht Ernest die Wichtigkeit der Sprachmelodie.

Es ist Gertrude Stein, die Hemingway zu einer minimalistischen Erzählweise ermuntert, die Nüchternheit seiner Sätze zeigen ihren Einfluss. Der angehende Schriftsteller, gerade mal Anfang 20, akzeptiert Gertrude Stein als Ratgeberin. Ernest erweist sich als ein aufmerksamer Zuhörer und eifriger Schüler. Der junge Schreiber lernt so schnell, dass er ab 1924 nicht mehr auf die Ratschläge der Frau Stein angewiesen ist. Hemingways Sicht der Dinge, seine Themenkreise und sein Schreibstil beginnen

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In ‚La Closerie des Lilas‘ findet Ernest Hemingway seinen Garten Eden

Der Marschall Ney auf seinem Sockel zieht das Schwert, auf dass niemand der Closerie des Lilas auch nur ein Härchen krümmt. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

La Closerie des Lilas am Boulevard du Montparnasse Nummer 171 hält am besten das Gedenken an Ernest Hemingway wach. Kein Wunder, die Closerie liegt gleich um die Ecke seiner Wohnung in der Rue Notre-Dame-des-Champs. Ernest tritt aus der Haustüre und ist in zwei Minuten zu Fuß am Boulevard du Montparnasse. Die Closerie des Lilas – zu Deutsch: der kleine Fliedergarten – wird sein zweites Wohnzimmer.

Es war eines der besten Cafés in Paris. Im Winter war es drinnen warm, um im Frühling und Herbst war es draußen angenehm an den Tischen im Schatten der Bäume auf der Seite, wo das Denkmal des Marschalls Ney stand, und an den viereckigen Tischen unter den großen Markisen am Boulevard. Zwei der Kellner waren gute Freunde von uns.

Die Brasserie erhält 1883 den Namen La Closerie des Lilas, schnell wird die Lokalität ein Treffpunkt der Intellektuellen und Künstler in Paris. Ein illustres Historienbuch lässt sich mit den Namen der Gäste füllen. So spielte der spätere russische Revolutionär Wladimir Iljitsch Uljanow – genannt Lenin – hier mit Freunden seine Schachpartien.

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Der Barraum der La Closerie des Lilas. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Ein heftiger Streit zwischen Tristan Tzara und André Breton findet im Jahr 1922 in der Closerie statt, es ist die Auseinandersetzung von Dadaismus und Surrealismus. Maler, Architekten, Komponisten und Autoren – all die Männer und Frauen mit ihren neuartigen Ideen treffen sich in der Closerie des Lilas. Auch Schauspieler, Musiker und Sänger kommen gerne hierher, bis in unsere Tage.

Besonders die Lost Generation lässt sich oft in der Closerie blicken. F. Scott Fitzgerald, Ezra Pound, Gertrude Stein. Und Ernest Hemingway an vorderster Stelle. Diese Lokalität ist so ganz anders, als all das, was man aus der nüchternen Heimat bisher kannte. Die Closerie des Lilas zeigt sich elegant und doch bodenständig, als intellektuell und ebenso den Genüssen zugetan.

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Am Tresen der Bar wird ein Platz freigehalten für Ernest Hemingway, falls er sich doch entschließt, einmal wiederzukommen in die Closerie. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

An der Bar trägt ein Platz das goldene Schild mit seinem Namen. E. Hemingway. Links hinter der Anrichte hängt eingerahmt ein Foto mit ihm. Der US-Amerikaner hat im Jahr 1925 an einem dieser Tische teilweise die Urfassung zu seinem ersten großen Roman The Sun Also Rises entworfen. Bei der Arbeit schaut er aus dem Fenster auf den angrenzenden Platz mit dem Denkmal des napoleonischen Marschalls Michel Ney.

In Paris – Ein Fest fürs Leben, seinen biografischen Skizzen, hat er die Szene festgehalten. Während ich mich der Closerie des Lilas näherte, mit dem Licht auf meinem alten Freund, der Statue des Marschalls Ney mit seinem gezogenen Säbel und dem Schatten der Bäume auf der Bronze (…) und ich machte in der Closerie halt, um der Statue Gesellschaft zu leisten, und trank ein kaltes Bier, ehe ich nach Hause ging in die Wohnung über der Sägemühle.

Das Dekor der Closerie des Lilas ist mehr oder weniger wie jenes aus den 1920er Jahren. Alles sympathisch eng auf eng, in Jugendstil und mit feinen Lederpolster. Heute wird die Closerie in ein edles Restaurant und in eine nicht minder edle Brasserie unterteilt. Dazwischen gibt es noch die Bar mit den harten Prozenten. Die feine Küche serviert vor allem Fischspezialitäten und auch der Nachtisch erstrahlt und schmeckt so, wie man sich im Himmelreich eine Süßspeise vorstellen würde.

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Wer in der Closerie zum krönenden Abschluss ein Dessert du Moment ordert, macht auf jeden Fall nichts verkehrt. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Geschmack hat Hemingway, man muss es diesem markigen Burschen vom Michigan See lassen. Er treibt sich nur an den besten Orten und Plätzen herum. Ich würde der Closerie fünf Sterne verleihen, ach, was sag ich, acht oder zehn Sterne. Denn die Closerie steht wie gemalt für Paris. Für das Leben, für das richtig gute Leben. Auch Ernest wusste zu genießen und schätzte ein köstliches Essen. Fast jeden Morgen konnte man den Amerikaner hier antreffen und André, einer seiner Lieblingskellner, servierte ihm

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Ernest Hemingway in Paris: Eine neue Wohnung in der Rue Notre-Dame-des-Champs 113

Die Rue Norte-Dame-des-Champs läuft teils parallel zum munteren Boulevard du Montparnasse. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Eine schöne Nachricht für das Ehepaar Hemingway: Der Sohn John Hadley Nicanor, kurz Bumby genannt, kommt am 10. Oktober 1923 bei einem mehrmonatigen Aufenthalt im kanadischen Toronto zur Welt. Hadley Richardson, sie ist 31 Jahre alt, freut sich auf ihre neue Rolle als Mutter. Auch der 24-jährige Ernest ist angetan, fürchtet zugleich, der Nachwuchs könne seine Freiheit als Schreiber und Mann einschränken.  

Die Sehnsucht nach der Stadt an der Seine ist zu stark. Im Dezember 1923 kündigt der umtriebige Journalist seinen Interims-Job als staff writer beim Toronto Daily Star, er hat es vier Monate in der Metropole am Lake Ontario ausgehalten. Den jungen Hemingway zieht es wieder ins quirlige Paris. Mit Ehefrau Hadley und dem Baby Bumby reist der angehende Schriftsteller im Januar 1924 zurück nach Frankreich.

Nach ihrer Ankunft in Paris leben sie zunächst für ein paar Tage in dem geräumigen Apartment des Kollegen Ezra Pound und seiner Frau Dorothy in der Rue Notre-Dame-des-Champs 70. Doch Hadley gefällt es überhaupt nicht in der Erdgeschoss-Wohnung der Pounds, die Wohnung kommt ihr dunkel vor und sie fühlt sich eingeengt.

Anfang Februar 1924 bezieht die dreiköpfige Familie eine eigene Unterkunft in der selben Strasse, in der Rue Notre-Dame-des-Champs Nummer 113. Die neue Wohnstätte im zweiten Stock ist größer und moderner als ihre alte in der Rue Cardinal-Lemoine. Das Viertel mit seinen breiten Strassen und den klassizistischen Bauten im 6. Arrondissement ist teuer, in diesem Teil der Stadt residiert das wohlhabende Bürgertum von Paris. 

Berühmte Maler und Schriftsteller haben in der eleganten wie diskreten Rue Notre-Dame-des-Champs gewohnt. Victor Hugo, ein Monument in Frankreich, mit ähnlicher Bedeutung wie Goethe in Deutschland. Auguste Renoir hatte in der Strasse sein Atelier, ebenso wie Fernand Léger, Paul Cézanne bewohnte hier ein Apartment, auch die Bildhauerin und Malerin Camille Claudel. Die Gegend entwickelte sich zur Künstlermeile, jedenfalls von Künstlern, die es bereits nach ganz oben geschafft hatten.

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Großbürgerliche Fassaden bestimmen das Straßenbild der Rue Notre-Dame-des-Champs. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Der Mietpreis der Hemingway’schen Wohnung beträgt 650 Francs im Monat, fast das Dreifache ihrer alten Bleibe im Quartier Latin. Die hohe Miete ist dennoch vergleichsweise günstig für dieses vornehme Viertel. Die Wohnung ist allerdings nur deshalb bezahlbar, weil sie einen wahrnehmbaren Nachteil aufweist: Sie liegt über einer Sägerei und ist tagsüber sehr laut.

Die Rue Notre-Dame-des-Champs läuft ein Stück parallel zum Boulevard du Montparnasse und befindet sich inmitten der Pariser Lebhaftigkeit. Auch sind es nur wenige Schritte zum Jardin du Luxembourg und zu Gertrude Steins Literarischem Salon in der Rue de Fleurus. Und das beste: Von der neuen Wohnung sind es keine zwei Minuten zur La Closerie des Lilas, wo der Schriftsteller aus Chicago stundenlang sitzt und schreibt. 

Es war ein wunderschöner Abend, und ich hatte den ganzen Tag schwer gearbeitet und verließ die Wohnung über der Sägemühle und ging hinaus über den Hof mit dem aufgestapelten Bauholz, schloß die Tür, überquerte die Straße und ging durch die Hintertür in die Bäckerei, die auf den Boulevard Montparnasse hinausging.

Das Haus Nummer 113, in dem das Ehepaar Hemingway mit Sohn John gewohnt hat, existiert nicht mehr. Es musste dem Neubau einer Privatschule weichen, nun residiert hier die Kaderschmiede École Alsacienne. Wenn man in die benachbarte Nummer 117 hineingeht, mag man einen Eindruck gewinnen, welche Kultiviertheit bereits vor hundert Jahren hier geherrscht haben mag.

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Hemingways Haus in der Rue Notre-Dame-des-Champs Nummer 113 musste einem Neubau weichen. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Beruflich geht Ernest voll ins Risiko. Seinen Vertrag als Europa-Korrespondent beim Toronto Star hat er gekündigt, um sich ganz und gar der Schriftstellerei zu widmen. Ohne das Honorar der kanadischen Zeitung wird es nun eng bei den Hemingways, zumal Hadleys geerbter Treuhandfonds in jenen Monaten nur spärliche Renditen abwirft.

Trotz Wirtschaftskrisen und sozialer Konflikte in aller Welt lässt der Tausendsassa sich nicht beirren, ohne einen Verleger schreibt Ernest fleißig an seinen Kurzgeschichten und an seinem ersten großen Roman, der in Frankreich und Spanien spielt. Nebenbei verdient der stämmige Autor sich ein paar Francs beim Boxen als Sparringspartner von Schwergewichtlern. 

Zweieinhalb Jahre, bis August 1926, lebt das Ehepaar mit Sohn John in dem Apartment in der Rue Notre-Dame-des-Champs. Im Winter zuvor hat Ernest seine Ehefrau rotzfrech mit der gemeinsamen Freundin Pauline Pfeiffer betrogen, einen anderen Seitensprung zuvor hatte die tapfere Hadley ihm bereits verziehen. Nun erfährt Hadley im April 1926 von der neuen Affäre, der Schriftsteller springt da schon zwischen seiner Ehefrau und seiner Geliebten.

Nach Wochen mit Hoffnung

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Ernest Hemingway in Paris: Arm, aber glücklich in der Rue Cardinal-Lemoine

Ein Steinwurf von der neuen Wohnung entfernt liegt die kleine Place de la Contrescarpe.
Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Nach drei Wochen im Hôtel Jacob et d’Angleterre in Saint-Germain hat der Freund Lewis Galantière eine preiswerte Wohnung für die Hemingways gefunden. Das schmucklose Appartement in der Rue du Cardinal-Lemoine 74 liegt im Arbeiterdistrikt des 5. Arrondissement und kostet nur 250 Francs im Monat. Am 9. Januar 1922 zieht das Ehepaar in diese einfache Wohnung des Quartier Latin.

Die neue Unterkunft des Ehepaares, man erreicht sie über enge Stufen aus Holz, ist in die Tage gekommen und riecht muffig. Die zwei winzigen Zimmer verfügen über keine Heizung und kein Warmwasser. Die Toilette für jedes Stockwerk, eine Latrine mit zwei Fußabtritten, befindet sich außerhalb im Treppenhaus. Besonders in den Sommermonaten stinkt das gesamte Haus nach Kloake, denn erst nachts werden die Sickergruben von Fäkalien-Kutschern entleert. 

Das Portemonnaie sitzt nicht gerade locker bei dem Ehepaar, die beiden leben von seinem Korrespondentenvertrag und den Erträgen einer kleinen Erbschaft von ihr. Doch die jungen Amerikaner haben kein Problem damit, ihre Ansprüche im teuren Paris herunterzuschrauben. Im Gegenteil, sie finden Gefallen an dem spartanischen und unverwöhnten Leben in dem teils studentisch geprägten Viertel.

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In der Rue Cardinal Lemoine 74, auf der dritten Etage, wohnen Ernest und Hadley Hemingway anderthalb Jahre. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Unser Zuhause in der Rue Cardinal-Lemoine war eine Zwei-Zimmer-Wohnung, die kein Warmwasser hatte und kein Wasserklosett; wir hatten nur einen antiseptischen Behälter, eigentlich ganz komfortabel für jemanden, der in Michigan an einen Abort im Freien gewöhnt war.

Direkt vor der Haustür, keine 50 Meter entfernt, liegt die Place de la Contrescarpe. Auch das Café des Amateurs befindet sich dort, seit längerem heißt es Café Delmas. Der Arztsohn aus Chicago meidet diese Lokalität, denn im Amateurs treffen sich die Arbeiter, die Säufer und die leichten Mädchen der Marktstrasse Rue Mouffetard, die an der Place vorbei führt.

Vor dem Haus ist heute Asphalt statt Pflasterstein ausgelegt, eine Metro an der Ecke zur Rue Monge, 200 Meter östlich, bindet das Viertel an die Innenstadt. In diesen Tagen gilt die Rue du Cardinal-Lemoine als etwas salopper Distrikt für die Künstler, Studenten und Intellektuellen der Stadt, etwas heruntergekommen, aber mit dem typischen Pariser Esprit.

Heute besteht die Wohnung auf dem dritten Stockwerk, sie hat die Nummer 3 im Haus, aus zwei Zimmern und einer winzigen Küche. Es gibt Elektrizität, fließend Wasser, Heizung und eine Innentoilette. Alles Annehmlichkeiten, die das frisch vermählte Ehepaar Hemingway Anfang der 1920er Jahre nicht gekannt hat. 

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Eine Marmorplatte links neben dem Hauseingang erinnert an den bekannten Bewohner. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Eine Plakette aus Marmor an der Hauswand erinnert in diesen Tagen an den berühmten Mieter aus den USA. Von Januar 1922 bis August 1923 hat der amerikanische Schriftsteller und seine Ehefrau Hadley auf der dritten Etage dieses Gebäudes gelebt. Und die Tafelinschrift endet mit einem Zitat aus Paris – Ein Fest fürs Leben: So war das Paris unserer Jugend, als wir sehr arm und sehr glücklich waren.

Weil die Wohnung recht klein ausfällt, mietet Ernest im Frühjahr 1923 in der Nähe in einem alten Hotel in der Rue Descartes 39 ein Einzelzimmer, das ihm fortan als Schreibstube dient. Die Kammer im obersten, sechsten Stockwerk besitzt eine dramatische literarische Vorgeschichte. In dem Raum ist der Poet Paul Verlaine 25 Jahre zuvor verstorben.

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In einem Hotel mietet sich Ernest ein Arbeitszimmer. Es ist jener Raum, in dem der Dichter Paul Verlaine gestorben ist. Beide Jahresdaten der Inschrift sind falsch. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Die Wohnung und das Arbeitszimmer gehen ins Geld. Obwohl Paris für dollarschwere Amerikaner billig ist, muss das junge Ehepaar rechnen. Jede Ausgabe wird genau überlegt. Ich könnte das Zimmer aufgeben im Hotel, wo ich schrieb, und dann war nur die Miete für die Rue Cardinal-Lemoine 74 zu bezahlen, die geringfügig war.

Neben dem Journalismus versucht sich der Mann aus Chicago nun auch an Kurzgeschichten und Gedichten. Früh am Morgen, meist schläft Hadley noch, macht er sich auf zu seiner Arbeitskammer. Es waren sechs oder acht Treppen hinauf bis zum obersten Stockwerk, und es war sehr kalt, und ich wußte, wieviel ein kleines Bündel Reisig kosten würde. Den ganzen Vormittag brütet Ernest über den Manuskripten und kommt erst zum Mittagessen in die gemeinsame Wohnung.

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Ernest Hemingways kulinarisches Dreieck: Die ‚Brasserie Lipp‘, das ‚Café de Flore‘ und ‚Les Deux Magots‘

Brasserie Lipp
Viel hat sich seit Hemingways Zeiten nicht verändert, auch das Essen in der Brasserie Lipp bleibt eine Offenbarung. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Wie von Geisterhand verwandeln sich die Literaten und Intellektuellen aus aller Welt in der Stadt an der Seine zu anderen Menschen. Sie alle lassen sich von der Lebenslust und der Frivolität anstecken, die Paris so auszeichnet. Besonders die Amerikaner gefallen sich als Flaneure des Müßiggangs, alle Schriftsteller von Rang schauen in den 1920er Jahre an rive gauche vorbei.

Sie werden zu jungen Frauen und Männern, die anregend in den übervollen Buchläden stöbern, die ohne Ziel durch den Jardin du Luxembourg bummeln oder die als verkannte Dichter stundenlang in den Cafés sitzen und den Erfolg herbei trinken wollen. Alle eint das gleiche Bedürfnis: Sie wollen jene Inspiration an sich herankommen lassen, die sie in ihrer kalten Heimat so vermissen.

Drei von Hemingways Lieblingslokalitäten liegen keine 50 Meter auseinander. Am Boulevard Saint-Germain bilden sie ein magisches Dreieck der Kulinarik: die Brasserie Lipp, das Café de Flore und das Les Deux Magots.

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Die Brasserie Lipp, Hemingways Liebling für ein Mittagessen. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

In der Brasserie Lipp hat Ernest Hemingway mit Vorliebe zu Mittag gegessen. Eine Brasserie entspricht in etwa einem deutschen Brauhaus mit deftiger Küche und viel Bier. Diese Tradition merkt man der Speisekarte des Lipp noch heute an, auch wenn über die Jahrzehnte jene herzhafte französische Landküche mit Pariser Raffinesse verfeinert wurde. Das Lieblingsgericht des Nobelpreisträgers wird im Lipp noch heute angeboten: Pommes à l’huile. Am liebsten mit einem guten Stück Fleisch oder einer fetten Wurst.

Zu Lipp’s war es nicht weit. (..) Es waren nur wenige Leute in der Brasserie, und als ich mich auf die Bank setzte, gegen die Wand, mit dem Spiegel im Rücken und dem Tisch vor mir, und der Kellner fragte, ob ich Bier haben wolle, bestellte ich Kartoffelsalat und ein distingué, den großen Glaskrug, der einen Liter fasst. Das Bier war sehr kalt und trank sich wunderbar. Die Pommes à l’huile waren fest und gut mariniert und das Olivenöl köstlich.

Ernest Hemingways Kurzgeschichte Hunger war eine gute Disziplin spielt überwiegend in der Brasserie Lipp. Das Lipp, 1880 eröffnet, hat seit jeher zahlreiche Literaten und Poeten angezogen. Paul Verlaine und Guillaume Apollinaire sind am Boulevard Saint-Germain 151 ein und ausgegangen. Noch heute sind die Speisen im Lipp, kunstvoll serviert auf eigenen Tellern, ein Geschenk des Himmels.

Wie in so vielen Cafés und Restaurants hat sich auch in der Brasserie Lipp wenig verändert in den letzten hundert Jahren, warum sollte es auch? Es macht gerade den Reiz von Paris aus, jene Lokalitäten aus Hemingways Feder echt und unverfälscht bis auf den heutigen Tag an ihrem angestammten Platz anzutreffen. Es scheint fast so, als wären sie für die Ewigkeit gedacht. 

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Im Café de Flore ist richtig, wer eine gute Süßspeise und einen starken Kaffee möchte. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Das Café de Flore befindet sich am Boulevard Saint-Germain 172, genau gegenüber von der Brasserie Lipp. Das Flore, 1887 gegründet, ist eines der ältesten Pariser Kaffeehäuser. Es ist ein Künstler-Café in reinster Form, mit braunem Jugendstil-Mobiliar und Fin de Siècle-Deckenleuchtern. Die Kellner tragen weiße Schürzen und schwarze Westen, dazu eine dunkle Fliege.

Jeder Künstler, der etwas auf sich hält, ist hier gewesen. Simone de Beauvoir, Jean-Paul Sartre, Jean Cocteau, Boris Vian und Romain Gary. Ernest Hemingway klebt in einer Vitrine am Aufgang zum oberen Stockwerk. Neben einem Foto der Schauspielerin Simone Signoret. Die Liste der berühmten Gäste ist unendlich lang. Der Mann aus Chicago ist da gewesen, natürlich, aber sein Favorit ist das wuselige Café de Flore nicht gewesen.

Im Les Deux Magots, direkt neben dem Café de Flore, treffen sich besonders die fortschrittlichen Schriftsteller und Künstler des 20. Jahrhunderts. Die zwei Händler bedeutet das 1873 eröffnete Lokal übersetzt, im Inneren erinnern daran die chinesische Holz-Skulpturen zweier Händler aus Übersee. Die köstlichen Güter und Gewürze aus Asien und Afrika sorgten für das Wohlergehen der ehemaligen Kolonialmacht.

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Neben dem Flore findet sich das feine Les Deux Magots. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Das Les Deux Magots ist eine elegante Mischung aus Kantine, Büro und Treffpunkt gewesen für die innovativen Intellektuellen der Stadt. Surrealisten und Dadaisten geben sich die Klinke in die Hand, später sieht man die Existentialisten häufig. Avant la lettre, seiner Zeit voraus, im Les Deux Magots werden neue Stilformen und Ansätze entworfen, diskutiert und wieder verworfen.

Und Ernest aus Chicago mitten drin. Dieses Entwickeln und Entstehen andersartiger Kunstformen in Paris prägen seine Schreibweise, eine neue Satzmelodie und ein neuer Sprachrhythmus werden durch Hemingway in die Literatur eingeführt. Der erste große Roman des US-Amerikaners – The Sun Also Rises von 1926 – wird teils an einem der Tische in der oberen Etage des Les Deux Magots zu Papier gebracht.

Welch ein magisches Dreieck! Lipp, Flore, Deux Magots. Man kann auf der Welt lange suchen, um eine

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Ernest Hemingway in Paris – Ein Wahnsinn namens Leben

Das Le Pré aux Clercs, schräg gegenüber von ihrem Hotel, wird zur Küche und zum Esszimmer der Hemingways. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

In der Rue Bonaparte, direkt an der Ecke vom Hôtel Jacob et d’Angleterre entdecken Ernest und Hadley ein neues Lieblingsrestaurant. Das Paradies der Hemingways ist erschwinglich: Im Le Pré aux Clercs bekommt das Ehepaar ein Abendessen für 12 Francs und eine Flasche guten Pinard-Wein für nur 60 Centimes. Hadley entpuppt sich als Naschkatze, die das französische Gebäck und den köstlichen Kuchen nur so verschlingt.

Auch Ernest wirkt, als sei er in den siebten Himmel aufgestiegen. Für einen jungen Mann, der dieser nüchternen Enge des amerikanischen Mittelwestens entflohen ist, gleicht das Paris der 1920er Jahre in der Tat einem Himmelreich. Der Journalist begegnet in der Stadt an der Seine anregenden Frauen und Männern, er steht direkt neben der Wiege neuartiger Ideen und kühner Anschauungen in Literatur, Musik und Malerei.

Mit dem Surrealismus, dem Dadaismus und dem Kubismus versuchen die Künstler jener Tage in Paris, althergebrachte Wege zu verlassen. Bei der Familie Hemingway in Oak Park, einem Vorort von Chicago, wird die traditionelle Kultur geschätzt, der Vater ist Arzt, die Mutter Opernsängerin. Es herrschen zudem die rigiden Vorgaben einer calvinistischen Freudlosigkeit. Strebsamkeit, Arbeitseifer und ein tiefer Gottesglaube prägen das strenge Elternhaus.

In Frankreich wird der junge Hemingway in einen Kontrastkosmos hinein geschleudert. Schon nach den ersten Tagen in Saint-Germain-des-Prés verwandelt sich Ernest in einen Bonvivant, er genießt die angenehmen Seiten seines Lebens als Reporter und Mann. Während in der Heimat Wirtschaftskrisen, Mafia und Prohibition die gute Laune verderben, hocken die aus dem Land Vertriebenen im Café de Flore vor einem café noir und palavern.

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Im Café de Flore am Boulevard Saint-Germain finden Genießer ihr Paradies. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Paris, es ist ganz und gar seine Stadt. Weil sie seinen intellektuellen und emotionalen Horizont erweitert und auch weil die Stadt jene dunklen Winkel des Lebens ausleuchtet, die in der biederen Welt der Hauskonzerte und Kirchgänge im heimatlichen Illinois nicht vorkommen. Gerade das Verbotene und das bisher Ausgegrenzte locken den jungen Mann.

Solch ein freizügiges Denken und das offene Experimentieren mit neuen Lebensformen kennt Ernest aus seiner Heimat nicht, ein neuer Horizont an Selbstverwirklichung und Lebensfreude eröffnet sich ihm in Paris. Gerade auch in Sachen Sexualität. Das Spektrum erweitert sich in der französischen Metropole. Hetero, homo, bi, in allen Ausprägungen und Zwischenstufen, offen und freizügig.

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Als Clarence Hemingway 1923 das Debüt seines Sohnes – Three Stories & Ten Poems – durchgelesen hat, schickt er das Buch erbost zurück nach Paris.

Die braven Eltern, die seinen Erzählungen lauschen, fallen vor Schreck vom Stuhl. Der junge Hemingway erzählt von Saufgelagen und Müßiggang, von Lesben und freier Liebe, extremely shocking. Für die bigotten Mittelstandsbürger vom Michigan See muss Paris wie das nachtschwarze Hinterzimmer einer Opiumhöhle erscheinen. Ernest amüsiert sich köstlich.

Der junge Mann, in der Schlafmützigkeit der dörflichen Vorstadt aufgewachsen, genießt die Aufbruchstimmung in den Pariser Künstlerkreisen. Der kernige Bursche birst vor Tatendrang, er tritt hungrig und viril auf, er saugt das Unbekannte nur so auf. Als Schreiber beflügeln ihn die neuen Ideen und Anregungen, die er bei den Kollegen und Freunden kennenlernt. Persönlich und als Ehemann jedoch ist der 22-Jährige in dieser ausgelassenen Welt überfordert.

Denn in Paris sieht sich der junge Hemingway einem breiten Panorama sexueller Verlockungen ausgesetzt. Er zieht Frauen an und Frauen ziehen ihn an. Er spielt mit den Reizen, fühlt sich zu lesbischen und bisexuellen Frauen hingezogen. Zu Sylvia Beach, der Buchhändlerin, zu seiner Mentorin Gertrude Stein, die mit ihrer Gefährtin Alice Toklas in der Rue de Fleurus lebt, auch Virginia Pfeiffer, Paulines Schwester, ist lesbisch.

Das alles ist neu und spannend für ihn, er scheint wie aufgedreht. Seine Ehefrau wirkt

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Ernest Hemingway in Paris: Ankunft im Hôtel Jacob et d’Angleterre

Das Hotel d’Angleterre befindet sich in der quirligen Rue Jacob, im Stadtteil Saint-Germain-des-Prés. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Am 21. Dezember 1921 erreichen Ernest Hemingway und Hadley Richardson auf dem französischen Atlantikdampfer Leopoldina die europäische Küste. Nach zwei Wochen auf See, sie kommen aus Hoboken bei New York, freuen sie sich auf neue Herausforderungen. In Cherbourg nimmt das Ehepaar den Nachtzug nach Paris. Wenige Monate zuvor, Anfang September, haben der 22-jährige Ernest und die acht Jahre ältere Elizabeth Hadley Richardson in Horton Bay, in Michigan, im Familienkreis geheiratet.

Das junge Paar plant, sich für längere Zeit in Paris niederzulassen. Am liebsten gleich für mehrere Jahre. Zunächst steigen sie im Hôtel Jacob et d’Angleterre in der Rue Jacob 44 ab, im Stadtteil Saint-Germain-des-Prés. Der Kollege Sherwood Anderson, er ist Monate zuvor hier Gast gewesen, hat es den Hemingways empfohlen. Knapp drei Wochen werden die Hemingways im Hotel bleiben, in dem Zimmer auf der 2. Etage mit der Nummer 14.

Ihre Unterkunft in Paris, im späten 18. Jahrhundert erbaut, ist ein kleines Hotel an rive gauche, dem linken Ufer südlich der Seine. Früher ist in dem Gebäude die britische Botschaft untergebracht gewesen, daher der Name. Das Hotel d’Angleterre, wie das Gasthaus heute verkürzt heißt, befindet sich ganz in Nähe der belebten Boulevards und der bekannten Sehenswürdigkeiten.

Tritt man aus dem Torbogen des Hotels auf die Rue Jacob, so wird man sogleich in die Lebensfreude der französischen Hauptstadt geworfen. Ernest Hemingway hat es nur 250 Meter bis zu den bekannten Restaurants und Bistros am Boulevard Saint-Germain. Im Les Deux Magots oder in der Brasserie Lipp wird der Amerikaner vom Michigan See stundenlang an einem der kleinen Tische sitzen, das rege Treiben beobachten, und er wird schreiben.

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Der Patio des Hotels d’Angleterre. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Heute ist das Hotel d’Angleterre ein kleines Privathotel mit drei Sternen. Die 26 Zimmer und Suiten gehen entweder zur Strasse oder zum grün bepflanzten Patio hin. Es sind keine Standardzimmer wie im Gewerbe heutzutage üblich, sondern Zimmer mit Charme und Persönlichkeit. Mit Marmorbädern und Himmelbetten, mit Holzböden und hohen Decken, mit offenen Kaminen und Kronleuchtern im Stile von Louis XV.

Künstler und Prominente haben im Hôtel Jacob et d’Angleterre genächtigt. Benjamin Franklin, der die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten mit formulierte, die Schriftstellerin Djuna Barnes war hier, Charles Lindbergh hat in diesem Hotel übernachtet, im Mai 1927 nach seiner Atlantiküberquerung von New York nach Paris.

Eine Glasvitrine in der Lobby neben der Rezeption erinnert an den berühmtesten Besucher. Den Charme alter Tage hat das Hotel d’Angleterre glücklicherweise bewahren können. Hemingways Unterkunft liegt im Herzen von Paris. Man durchquert das Künstlerviertel mit den Galerien und Akademien, geht weiter über die Seine zum Louvre. Das D’Angleterre ist kein schlechter Ort, in Paris anzukommen. Nicht nur für Ernest Hemingway.

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Eine Glasvitrine in der Lobby des Hotels erinnert an die illustren Gäste. Ernest Hemingway vorne dran. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Der 22-Jährige aus gutem Haus ist unbedarft und weiß noch nicht viel vom Leben, er wird aber aufgewühlt vom Abenteuerdurst und der Lust nach dem Neuen. Vom ersten Moment an empfindet Ernest eine tiefe Verbundenheit mit seiner Wahlheimat – und zugleich eine große Dankbarkeit. Er wird den Protagonisten seines ersten großen Romans – The Sun Also Rises aus dem Jahr 1926 – in Anlehnung an den Hotelnamen Jacob nennen, Jacob Barnes, Spitzname Jake.

Als Korrespondent der kanadischen Tageszeitung Toronto Star kommt der junge Ernest Hemingway nach Übersee, mit dem Auftrag, sich in Europa umzuschauen. Die Alte Welt ist in jenen Jahren ein Kontinent im Umbruch, mit Ländern, die nach dem schlimmen Ersten Weltkrieg durchgerüttelt werden von politischen Konflikten und sozialen Erschütterungen.

Frisch verliebt und voller Träume leben Ernest und Hadley von wenig Geld in der Hauptstadt Frankreichs. Als freier Korrespondent verdient er nicht gerade üppig, die Erträge einer kleinen Erbschaft von ihr lassen sie jedoch unbeschwert leben. Das Liebespaar verbringt sorglose Monate in der so quirligen Metropole an der Seine, sie sind arm, aber glücklich, wie Ernest in seinen Erinnerungen ein wenig dick aufträgt.

In der Stadt des Lichtes finden amerikanische Intellektuelle den Glanz und Glamour, jenen joie de vivre, den sie in der heimatlichen Tristesse aus Wirtschaftsdepression und Prohibition so schrecklich vermissen. Ernest Hemingway und Paris – es

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