Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Kategorie: Stil & Prosa Seite 1 von 7

Ernest Hemingway: Der Schmetterling und der Panzer

The Butterfly and the Tank. Im Monatsmagazin Esquire aus New York, Dezember 1938.

An diesem Abend ging ich zu Fuß vom Zensurbüro heim zum Hotel Florida, und es regnete. So startet Ernest Hemingway seine Erzählung Der Schmetterling und der Panzer. Diese Short Story von knapp 20 Seiten belegt ein weiteres Mal, die Korrespondenzen und Kurzgeschichten aus dem Spanischen Bürgerkrieg gehören mit zum besten, was Ernesto je geschrieben hat. In den Jahren 1936 bis 1939 befindet er sich auf dem Höhepunkt. Als Mann und als Schreiber.

Man kann die Qualität seiner spanischen Depeschen an dieser wenig bekannten Geschichte gut nachvollziehen. The Butterfly and the Tank hat Hemingway für Esquire geschrieben, in der Dezember-Ausgabe des Jahres 1938 wird sie veröffentlicht. Der Ich-Erzähler – ein Schriftsteller, wohl Ernest himself – beschließt, in der Bar Chicote noch schnell einen Drink zu sich zu nehmen. Das Lokal ist rappelvoll und der namenlose Literat setzt sich zu anderen an einen Tisch. 

Plötzlich betritt ein Zivilist in einem brauen Anzug die Bar und beginnt lachend einen Kellner mit einer Insektenspritze zu besprühen. No hay derecho, antwortet dieser, mit Würde. Das darf man nicht. Der Kerl wird aus der Bar geworfen, kommt aber blutverschmiert zurück und spritzt mit wildem Blick um sich. Eine Gruppe Uniformierter packt den Irren, einer der Soldaten setzt ihm eine Pistole auf die Brust und drückt ab. Der Spritzen-Mann liegt tot auf dem Boden. Die Ordnungshüter rücken wenig später an, doch der Mörder ist bereits über alle Berge.

Als die Polizei eingetroffen war, behielt sie alle stundenlang da. Zuerst rochen sie an allen Pistolen, um jene zu finden, mit der vor kurzem geschossen worden war. Tragisch: In der Insektenspritze befindet sich lediglich Eau de Cologne. Eigentlich für eine Hochzeit bestimmt. Das Ganze ist bloß ein übermütiger Jux gewesen. An dessen Ende eine Leiche am Boden liegt. Im Krieg. Bei den Guten. Der Spritzen-Mann hat mit einer Albernheit den Krieg vergessen lassen wollen.

Daraus könne eine gute Geschichte entstehen, merkt der Schriftsteller an zu seinen Tischgenossen. Energisch widerspricht ein Mädchen, das neben ihm sitzt. Er dürfe das nicht schreiben, es würde der spanischen Sache schaden. Als der Autor am nächsten Tag ins Chicote zurückkommt, erhält er vom Besitzer der Bar die gegenteilige Anregung. Er müsse diesen Vorfall unbedingt zu Papier bringen und schlägt als Titel Der Schmetterling und der Panzer vor.

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist Esquire-Dec1938.jpg

Esquire. Im Dezember 1938 mit einer Story von Ernest Hemingway aus dem Spanischen Bürgerkrieg.

Der Plot ist dicht und aussagekräftig aufgebaut. Es ist die meisterliche Kunst Hemingways über den Krieg zu schreiben, ohne dass im Text Pulverdampf oder Handgranaten für sprachliche Explosionen sorgen. Vielmehr erzählt er eine ungewöhnliche Geschichte aus dem Alltag in der spanischen Hauptstadt, abseits der Kampfhandlungen. Erstaunlich, wie viel lokales Kolorit der spätere Nobelpreisträger in dieser Kurzgeschichte unterbringt. Man merkt, er ist vor Ort.

Wir vernehmen, dass es bei den Republikanern eine Zensurbehörde gibt, dass durchaus unterschiedliche Sichtweisen bei den Loyalisten existieren. Wir erfahren, dass die Bars wegen des Artilleriefeuers früh schließen, dass der Tabak knapp ist und dass in der Sierra heftig gekämpft wird. Nonchalant streut der US-Amerikaner diese Sachverhalte ein, wir bekommen einiges mit über diesen Bürgerkrieg, denn bei Lichte besehen, diese Geschichte könnte in jeder anderen Großstadt stattfinden, auch ohne Krieg.

Zudem leistet sich Hemingway die eine oder andere versteckte Frotzelei gegen den Freund und Rivalen F. Scott Fitzgerald. Ein wenig ist er der Flit Gun Man, der Kerl mit der Insektenspritze. So hat er Kellner oft schlecht behandelt. Eine bodenlose Frechheit! Für Ernesto ist dieser Berufsstand heilig. Boten im Garten Eden, wenn man so will. Ein Kellner, den ich kannte, diese Formulierung findet sich häufig bei Hemingway, so auch hier. Oder, der Kellner war ein Freund von mir.

In Paris – Ein Fest fürs Leben beschreibt er den Rivalen F. Scott Fitzgerald, wie dieser die Farbe von gebrauchtem Kerzenwachs annahm. Mit grauen Wachshänden und seinem grauen Wachsgesicht wird ebenso der Tote bei Chicote umschrieben. Dazu: Schmetterling. Auch so ein Seitenhieb auf den bisexuellen Kollegen. Und dann diese Spritze. Man sollte einen Freudianer an den Text setzen!

Wie auch immer, selbst im Krieg kann Ernest Hemingway von seinen Kindereien nicht lassen. Zugleich zieht er für sich allerdings die Grenzlinien als Reporter: Der Mann aus Chicago taugt nicht zum Propagandisten. Dazu ist er politisch zu freimütig und vom Charakter zu störrisch. Aber er kann die Atmosphäre des Krieges einfangen, jenseits von Analysen und abseits des Dogmas.

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Ernest Hemingway: Liebe – schnörkellos

Ernest Hemingway, 1929: In einem anderen Land.

Wie kein anderer Autor beherrscht Ernest Hemingway die Kunst des einfachen und knappen Satzes. Eine Prosa, die sich kurz und flott liest, die jedoch hinter jeder Zeile mehr meint, als im bloßen Text gesagt wird. Diese zugeknöpfte Kühle der Sprache passt nicht nur zu seinen einsamen Helden, sondern drückt zugleich die Empfindungen vieler Menschen im tagtäglichen Gefühlschaos aus.

– „Und du wirst mich immer lieben?“
– „Ja.“
– „Und der Regen ändert nichts daran?“
– „Nein.“

Für viele Autoren der Lost Generation werden diese Aneinanderreihung kurzer Aussagen und die kargen Dialoge typisch. Sie bauen Sätze, die von der Redefaulheit ihrer Protagonisten geprägt ist, weil die von der Welt und wohl auch von sich selbst enttäuschten Romanhelden ihre Befindlichkeit und Gefühle nur ungern ausbreiten.

Der Leser jedoch weiß Bescheid. Denn aus seiner Lebenserfahrung heraus versteht er, unter die Wasseroberfläche dieses Eisberges – so bezeichnet man Hemingways Stilistik – zu blicken. Ernest Hemingway kultiviert in all seinen Romanen diese nüchterne Linie. Er glaubt an einen literarischen Purismus, der sich von allem Überflüssigen zu befreien hat.  

Von Anfang an bringt der bärtige Amerikaner aus dem Mittleren Westen diesen literarischen Lakonismus zur Entfaltung. Kein Satz-Dompteur beherrscht die klare Prosa so wie Ernest Hemingway, keiner kann die Dialoge so kühl und lapidar halten. Ernest Hemingways trockener Stil huldigt einem literarischen Schweigen bei dem gerade jenes interessant wird, was nicht ausgesprochen wird.

Ernest Hemingway versteht sich als Handwerker, dessen Vorgabe es ist, knapp und nüchtern zu skizzieren. Wenn ich anfing, kompliziert zu schreiben oder wie einer, der etwas bekanntmachen oder vorführen will, erkannte ich, dass ich die Schnörkel oder Ornamente ausmerzen und wegwerfen und mit dem ersten wahren einfachen Aussagesatz anfangen konnte, den ich geschrieben hatte. 

Diese Beschränkung Hemingways auf das Wesentliche bietet dem Leser eine einmalige Chance: mit eigener Imagination seinen Platz in der Handlung zu finden. Show the readers everything, tell them nothing, sag dem Leser nichts, aber zeige ihm alles auf, nach diesem Prinzip funktioniert Hemingways Prosa. Es ist die große Kunstfertigkeit, bloß zarte Striche zu ziehen.

Man soll eben nicht alles

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Den Macho-Schreiber Ernest Hemingway plagen heftige Selbstzweifel

Der Nobelpreisträger Ernest Hemingway im April 1956 in Cabo Blanco. Foto: Modeste von Unruh.

Wunderbar lassen sich die ersten 20 Jahre seines Literaten-Daseins an. Als im Oktober 1926 sein Erstling The Sun Also Rises – zu Deutsch: Fiesta – bei Scribner’s in New York herauskommt, da wird er als ein Wegbereiter gefeiert. Er ist ein Revolutionär, ein Vorkämpfer, der den Charles Dickens-Schnörkeleien endlich den Todesstoß verpasst. Mit neuen Themen und einer klaren Sprache. Ernest Hemingway steht da wie ein literarischer Heilsbringer, auf den Millionen sehnsüchtig gewartet haben.

Der Amerikaner aus Chicago tritt auf als die neue Stimme einer neuen Generation. Die späten 1920er und die 1930er Jahre werden zu einer hochproduktiven Phase seines Schaffens. So ziemlich alles, was er anpackt, wird zum Erfolg. Beim Publikum, bei den Kritikern, auch vor der Literaturgeschichte.  A Farewell to Arms (dt. In einem andern Land, 1929),  die Kurzgeschichten A Clean, Well-Lighted Place (dt. Ein sauberes, gutbeleuchtetes Café, 1927) und vor allem The Snows of Kilimanjaro (dt. Schnee auf dem Kilimandscharo, 1936).

Alles erstaunlich grandios, und noch mehr, alles allseits bewundert. Dieser Schriftsteller prägt nun für Jahre die Sprach-Melodie einer ganzen Literaturepoche. Mit seinem bunten Leben und als umtriebiger Weltenbummler wird er zur öffentlichen Figur, die man an allen Ecken und Enden erkennt und verehrt. Mehr geht eigentlich nicht. Ernest Hemingway blickt vom Thron herab auf die Konkurrenz. 

Doch nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgt der Einbruch. Eine neue Generation übernimmt das Ruder. Mit einem Schlag ist er nur noch ein Schnapsbruder, ein Rabauke, ein Macho-Mann, der die Frauen schlecht behandelt. Jedenfalls, irgendwie ganz schrecklich aus der Zeit gefallen. Das Publikum verlangt in den Jahren des Wirtschaftswunders nun andere Themen und einen anderen Stil. Berufsprobleme, Ehezwist, Emanzipation – alles Großstadt-Stoffe. Damit hat Ernest Hemingway nichts am Hut.

Literarisch hat er tiefe Spuren hinterlassen. Ernest Hemingway hat einer bedrückten Generation nach einer schrecklichen Katastrophe und den fatalen Wirtschaftskrisen der 1920er Jahre eine Stimme gegeben und sie für die Beschwernis, aber ebenso für die Schönheit dieser Welt sensibilisiert. Er schreibt innovativ und stilbildend zugleich. Seine Satz-Melodie und sein Sprach-Rhythmus haben sich fest in den Köpfen verankert und stehen für Freiheit und Individualität. Soll das alles nicht mehr zählen?

Die Welt um ihn herum hat sich verändert, er allerdings ist der Gleiche geblieben. Mit einem Mal sind lange Sätze und vielschichtige Charaktere angesagt – Hemingway weiß, dass er mit einem weiteren Roman über den Stierkampf da nicht mithalten kann. Zum Glück hat der Schriftsteller sich in den Jahren der literarischen Durststrecke nach dem Zweiten Weltkrieg abgekapselt in seinem behaglichen Refugium Finca Vigía auf Kuba. Doch im Umgang wird er zunehmend unleidlich und depressiv.  

Im Oktober 1954 erfolgt dann der Befreiungsschlag, Ernest Hemingway erhält den Nobelpreis für Literatur. Die Trophäe holt ihn aus seinem Tief. Er sei ein Innovator, so die Laudatio, er habe eine neue Erzähltechnik entwickelt. „Für seine kraftvolle und stilbildende Beherrschung der modernen Erzählkunst, wie zuletzt in Der alte Mann und das Meer“, schwärmt die schwedische Akademie in ihrer Begründung. Ernest Hemingway ist tief gerührt. 

Dieser Nobelpreis kommt für ihn zur rechten Zeit. Denn als Autor durchleidet der Mann aus Chicago eine düstere Phase. Sein vorletztes Buch Über den Fluss und in die Wälder, das Werk ist im Jahr 1950 erschienen, wird ein Misserfolg. Die Kritiker lassen kein gutes Haar an der Liebesgeschichte um den alten Colonel Richard Cantwell und die junge venezianische Contessa Renata. Unübersehbar ist diese Erzählung zu fahrig im Aufbau und arg hölzern in den Dialogen. Das Publikum jedenfalls hat mehr von ihm erwartet und er selbst spürt, sein Roman ist Durchschnittsware.

Einen weiteren Schlag ins Wasser hätte ein Autor mit solch einem Ego wie Hemingway nur schwer verkraftet. Doch sein nächstes Manuskript – Der alte Mann und das Meer – wird im Herbst 1952 zum Riesenerfolg. Diese Erzählung über den kubanischen Fischer Santiago und dessen Kampf auf dem Meer donnert in sein Leben wie eine urplötzliche Erlösung. Das schwedische Ding befreit den bärtigen Autor mit einem Mal von seinen heftigen Selbstzweifeln.

Dabei ist Der alte Mann und das Meer ein merkwürdiger

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Ernest Hemingway: Weg mit dem Unnutz!

Wo geht es hier zum Hemingway? Art by C. Stock. Foto: W. Stock.

Pablo Picasso meinte: „Kunst ist, das Unnützige wegzulassen.“

Genauso

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Ernest Hemingway: Schnee auf dem Kilimandscharo. Drei Übersetzungen

Ernest Hemingway: The Snows of Kilimanjaro (Schnee auf dem Kilimandscharo).

Wohl die schönste Prosa aus der Feder von Ernest Hemingway. The Snows of Kilimanjaro. Zu Deutsch: Schnee auf dem Kilimandscharo. Eine eher lange Kurzgeschichte von etwa 40 Seiten.

Im August 1936 wird diese Short Story in der Zeitschrift Esquire erstveröffentlicht und im Jahr 1938 in die Sammlung The Fifth Column and the First Forty-nine Stories aufgenommen. 
Der Schriftsteller Harry, auf Safari in Ostafrika, liegt im Sterben, der schneebedeckte Gipfel des Kilimandscharo in Sichtweite. Nachstehend eine meiner Lieblingsstellen.

All he could see, as wide as all the world, great, high, and unbelievably white in the sun, was the square top of Kilimanjaro. And he knew that there was where he was going.
Ernest Hemingway, 1936

  • Dort vor ihnen, so weit er sehen konnte, so weit wie die ganze Welt, groß, hoch und unvorstellbar weiß in der Sonne war der flache Gipfel des Kilimandscharo. Und dann wußte er, dorthin war es, wohin er ging. 
    Annemarie Horschitz-Horst, 1961
  • Und er sah, weit wie die ganze Welt, riesenhaft und hoch und unglaublich weiß in der Sonne, den breiten Gipfel des Kilimandscharo. Und dann wusste er, das war der Ort, an den er ging.
    Werner Schmitz, 2015
  • Dort vor ihnen, so weit das Auge reichte, so fern wie die ganze Welt, großartig, gewaltig und unvorstellbar weiß in der Sonne war der kantige Gipfel des Kilimandscharo. Und dann wusste er, dorthin war es, wohin er ging. 
    Wolfgang Stock, 2023

Man kann die Prosa des Ernest Hemingway verschieden übersetzen. Man muss sich nur tief einfühlen in seine Welt. Übersetzungen von Hemingway sind fast

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So hoffnungslos ist die ‚verlorene Generation‘ in Ernest Hemingways ‚Fiesta‘

Ernest Hemingway
Fiesta
Fiesta von Ernest Hemingway. So heißt der Roman in Europa. The Sun Also Rises lautet der Titel im amerikanischen Original aus dem Jahr 1926.

„Alle benehmen sich schlecht“, sagte ich. „Wenn man ihnen die Möglichkeit gibt.“ Und Gelegenheit gibt es reichlich nach dem schrecklichen Ersten Weltkrieg. Eigentlich sollten Zuversicht und Aufbruch herrschen. Die zerstörten Länder müssen wieder aufgebaut werden und das Zusammenleben neu auf den Weg gebracht werden. Stattdessen Zerfall, Defätismus und allerorts eine wabernde Untergangsstimmung. Der Erste Weltkrieg führt zum Einschnitt in der Menschheitsgeschichte.

Die guten traditionellen Werte sind weg. Übrig bleibt eine bedrückte, gottverlassene und verlorene Generation. Du bist heimatlos. Du hast die Bodenhaftung verloren. Du bist unecht. Falsche europäische Vorbilder haben dich kaputtgemacht. Du säufst dich zu Tode. Du bist vom Sex besessen. Statt zu arbeiten, redest du immer nur. Du bist heimatlos.

Als Verlorene Generation wird literaturhistorisch eine Gruppe US-amerikanischer Schriftsteller bezeichnet, die während des Ersten Weltkriegs aufwächst, und in den 1920er Jahren in Paris als Auslands-Amerikaner leben. Die Aussage You are a lost generation geht zurück auf Gertrude Stein. Die einflussreiche Mäzenin aus Pittsburgh subsumiert darunter all die Orientierungslosigkeit und all den Zynismus ihrer Zeitgenossen, hervorgerufen durch den Zivilisationsbruch in den Jahren von 1914 bis 1918.

Ein Jahrhundert der Katastrophen mit zwei Weltkriegen, Bürgerkriegen und Wirtschaftsdepressionen ist eingeläutet. Die Aufgabe der Verlorenen Generation wäre eigentlich gewesen, nach vorne zu blicken und ein neues Wertesystem aufzubauen. Doch fehlt dieser kleinmütigen Generation die Kraft dazu. In seinem grandiosen Roman The Sun Also Rises fängt Ernest Hemingway 1926 die gallige Stimmung der Verlorenen Generation – am Beispiel von Expats in Paris und Pamplona – treffend ein.

– Ist das nicht schrecklich? Es hat überhaupt keinen Sinn, dir zu sagen,            dass ich dich liebe.
– Du weißt, dass ich dich liebe.
– Lassen wir das. Reden bringt nichts.

Ernest Hemingway, der selber sieben Jahre in Europa gelebt hat und sich innerhalb dieser Kreise getummelt hat, vermag messerscharf zu beobachten und in seinen Dialogen die ätzende Stimmung jener Tage auf den Punkt wiederzugeben.

Fiesta kommt leicht daher als grandioses Epochen-Porträt zwischen zwei schlimmen Kriegen, als Blick auf eine Verlorenheit, die mit Alkohol, Sex und Oberflächlichkeiten weggetrunken werden möchte. Ein offener Türspalt ins Fegefeuer, in die Vorstufe zur Hölle. Immer dicht an der Apokalypse vorbei schrammend.

– Was bedeutet das für deine Werte?
– Auch das hat seinen Platz in meinen Werten.
– Du hast gar keine Werte. Du bist tot, sonst gar nichts.

Genau hier liegt das Problem. Alle Werte sind perdu. Vor allem durch diesen schlimmen Krieg. Alle Kriege sind schlimm, aber dieser war besonders schlimm, weil er so nutzlos gewesen ist. Beim Spanischen Bürgerkrieg oder dem Zweiten Weltkrieg ist klar, worum es geht. Doch in dem Ersten Weltkrieg sind die Rollen fließend verteilt, ein Stück weit ist man in ihn hineingeschlittert. Ein Krieg der Schlafwandler, wie ein britischer Historiker treffend umschrieben hat.

Am Ende des Krieges stehen alle als Verlierer da. Deutschland mit Elend, Hyperinflation und einer noch größeren Katastrophe vor Augen. Aber auch der Gewinner, die USA, mit einem freudlosen Jahrzehnt, das 1929 in der Weltwirtschaftskrise münden wird.

Das Schöne an The Sun Also Rises ist, dass Ernest Hemingway nicht

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Übersetzer Werner Schmitz: Wie Ernest Hemingway dem Leser auf die Sprünge hilft, das ist große Kunst

Werner Schmitz. Der Rheinländer ist seit 40 Jahren der deutsche Übersetzer von Ernest Hemingway. © W. Schmitz

Werner Schmitz ist die deutsche Stimme des Ernest Hemingway. Der gebürtige Kölner vom Jahrgang 1953 hat Glücklich wie die Könige (Ausgewählte Briefe) (1984), Gefährlicher Sommer (1986), Der Garten Eden (1987), Reportagen 1920-1924 (1990), Neues vom Festland (1992), Die Wahrheit im Morgenlicht (1999), Paris – Ein Fest fürs Leben (2011), Der alte Mann und das Meer (2012), Fiesta (2013), Schnee auf dem Kilimandscharo und andere Kurzgeschichten (2015), In einem anderen Land (2018) und Wem die Stunde schlägt (2022) übersetzt oder neu übersetzt.

Neben Ernest Hemingway hat Werner Schmitz sich einen Namen als Übersetzer von Paul Auster, Malcolm Lowry, Philip Roth, John le Carré und anderen gemacht. Er hat ursprünglich Volkswirtschaftslehre studiert, bevor er Übersetzer wurde. Werner Schmitz lebt in Celle.

Mit Hemingways Welt spricht Werner Schmitz über seine Tätigkeit als Übersetzer von Ernest Hemingway.

Wenn man ein Dutzend Werke eines Schriftstellers übersetzt, rückt dieser einem mit der Zeit emotional näher?
Ich hatte fast seit Beginn meiner Übersetzertätigkeit mit Hemingway zu tun. Gleich als erstes hat man mir als noch relativ unerfahrenem Übersetzer die Briefe Hemingways anvertraut, und dort ist er mir schon sehr nahe gekommen, noch näher in der psychoanalytischen Hemingway-Biographie von Kenneth Lynn, die ich ebenfalls übersetzen durfte. Seine Romane und Erzählungen, die ich dann in den folgenden Jahrzehnten übersetzt habe, sind ja nicht wirklich autobiographisch, auch wenn sie natürlich viel über ihn aussagen. In meiner Jugend hatte ich einiges von ihm gelesen und einen eher zwiespältigen Eindruck von ihm als Menschen gewonnen. Mittlerweile glaube ich ihn ganz gut zu verstehen und kann manches nachvollziehen, worüber ich vor vier Jahrzehnten noch den Kopf geschüttelt hätte.

Bleibt eine professionelle Distanz?
Die professionelle Distanz, die ich grundsätzlich bei allen Autoren zu wahren versuche, die ich übersetze, ist mir über die 40 Jahre, die ich mich mittlerweile mit Hemingway befasse, ein wenig verloren gegangen. Was ich nicht unbedingt als nachteilig empfinde, weil persönliche Nähe natürlich dabei hilft, schwierigere oder dunklere Stellen zu verstehen, die mir sonst vielleicht unverständlich geblieben wären.

Als Mensch war er ja ein ziemlicher Kotzbrocken. Ein Schnapsbruder, ein Frauenheld, ein Wüterich. Mögen Sie ihn trotzdem?
Doch, ich mag ihn trotzdem. Menschliche Schwächen sind ja nichts Unsympathisches, erst recht bei denen, die so viel aus ihrem Leben machen und so großartige Kunstwerke erschaffen, und wenn man dazu nimmt, wie dramatisch und traurig sein Leben geendet hat …

Warum ist er heute noch so populär? Was hat er als Autor richtig gemacht?
Dass er heute noch so populär ist wie vor 50 oder 80 Jahren, wage ich zu bezweifeln. Seine frühere Popularität erwarb er sich schließlich mit Eigenarten und Verhaltensweisen, die dem jetzt herrschenden Zeitgeist diametral entgegengesetzt sind. Ich vermute, heute wird er eher heimlich bewundert.

Wer Ernest Hemingway übersetzt, muss sich in Macho-Disziplinen auskennen. Fischen, Jagen, Boxen, Baseball, Stierkampf. Dazu kubanisches Spanisch. Wie meistert ein Übersetzer diese Herausforderungen?
Möglichst durch Lernen. Alles selbst nachmachen wäre sicher hilfreich, ist aber mir jedenfalls nicht möglich. Aber ich habe mir zum Beispiel von Anglern oder Sportfachleuten das nötige Vokabular erklären lassen, und ich kenne Spanisch-Übersetzer, die sehr auskunftsfreudig sind.

Ihrer Vorgängerin Annemarie Horschitz-Horst wird häufig vorgeworfen, es mit einzelnen Begriffen nicht so genau genommen zu haben. Auf der anderen Seite hat sie den Hemingway-Sound im Deutschen geprägt. Wie geht man mit so einem Erbe um?
Schwierige Frage. Im Grunde bin ich mit dem Erbe gar nicht umgegangen, sondern habe Hemingway ohne genauere Kenntnis der alten Übersetzungen übersetzt, was insbesondere bei den Erst-Übersetzungen aus dem Nachlass naturgemäß sowieso nicht möglich gewesen wäre. Und was den Umgang mit einzelnen schwierigen Begriffen angeht, muss ich meine Vorgängerin in Schutz nehmen: Heute findet man im Internet so ziemlich alles, nicht nur ausführlichste Interpretationen fast aller Texte Hemingways, sondern auch unzählige Glossare zu Themen wie Fliegenfischen, Hochseeangeln, Stierkampf und so weiter. Da hat man es schon leichter, einzelne Begriffe genauer wiederzugeben.

Wie schafft man es, die für Ernest Hemingway so typische Sprachmelodie im Deutschen hinzubekommen?
Ich hatte bei der Lektüre Hemingways im Original ziemlich von Anfang an einen deutschen „Sound“ im Kopf und mir überlegt, wie ich diese scheinbar „einfache“ Sprache übersetzen könnte, ohne ins Einfältige abzurutschen. Sehr geholfen hat mir die Bemerkung Hemingways, er strebe danach, so zu schreiben wie Cézanne malt. Das heißt, die Wirklichkeit – er selbst spricht oft von „Wahrheit“ – ohne jedes Beiwerk abbilden, reduziert und schnörkellos, etwa nach dem Motto: „Die Straße war weiß, die Bäume grün, die Berge braun.“ Ähnlich wie das Gehirn des Betrachters die von Cézanne nur grob gemalten Szenen zu einer „realen“ Landschaft ergänzt, so dass man etwas viel Detailreicheres wahrnimmt als tatsächlich auf der Leinwand vorhanden ist.

Was wir ja auch bei seinen Dialogen bemerken…
So ist es. Hemingway lässt seine Protagonisten in den Dialogen gerade so viel sagen, dass die Vorstellungskraft des Lesers gefordert ist, sich den Rest selbst zu denken – und mit welchen Mitteln Hemingway dem Leser dabei auf die Sprünge hilft, das ist große Kunst, die ich immer wieder bewundere.

But a man is not made for defeat. Ein Mann oder ein Mensch? Er darf nicht aufgeben. Oder: Er darf sich nicht besiegen lassen. Wie weit sollte ein Übersetzer die Schraube ins Interpretatorische drehen?
Ich denke, Hemingway, der alte Macho, spricht hier

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Mark Twain und Ernest Hemingway werfen zerschlissenen Ballast ab

Nur scheinbar ein Kinderbuch. Mark Twain: The Adventures of Huckleberry Finn.

Während der Boston Tea Party, als Zeichen der Auflehnung gegenüber dem Kolonialherrn Großbritannien, warfen 1773 erboste US-Bürger Ladungen Tee in das Hafenbecken der ostamerikanischen Küstenmetropole. Man wollte sich nicht länger von der Muttermacht gängeln und bevormunden lassen. Wesentlich friedfertiger ging es hundert Jahre später zu.

Denn auch literarisch will man nun auf eigenen Beinen stehen. Es ist Mark Twain, der die amerikanische Literatur von diesem dünkelhaften englischen Versformat befreit und hin zu einer vitalen Modernität führt. Mark Twain, der eigentlich Samuel Langhorne Clemens heißt, ist noch keine 50 Jahre alt, als er im Dezember 1884 The Adventures of Huckleberry Finn veröffentlicht. Dieses Buch, fälschlicherweise oft als Kinderbuch betrachtet, sollte die amerikanische Literatur verändern.

Er ist der Erfolgreichste, der die Manierismen der britischen Literatur hinter sich lässt und  – oh shocking! – sich offen und ehrlich an nicht privilegierte Männer und Frauen wendet. Auf einmal schreibt da jemand über die Welt der einfachen Menschen, artikuliert ihre Hoffnungen, Träume und Ambitionen. Da geht es nicht mehr nur um hartherzige Adelige in schottischen Manor Houses, um das snobistische Geschehen im viktorianischen London oder um die feinen Jamben des William S.

Vielmehr erzählt der Mann aus Missouri in Huckleberry Finn die Geschichte eines Streuners vom Lande. In einer einfachen Sprache lässt Mark Twain in der Ich-Perspektive einen jugendlichen Außenseiter zu Wort kommen, der jenseits aller Gutbürgerlichkeit seine Abenteuer am Mississippi erlebt und dabei eine wunderbare Erkenntnis ans Licht bringt: den Wert von Kameradschaft, von Menschlichkeit und von Charakterstärke. Der ungebildete Huck steht wie selbstverständlich auf der Seite des Sklaven Jim, als es darauf ankommt. Amerikanität wird nicht mehr definiert aus imperialer Sicht, sondern über Humanität und Aufrichtigkeit. 

Mark Twains Werke sind weniger Kinderbücher, vielmehr bissige Satiren gegen religiöse Heuchelei, korrupte Politiker und geldgierige Kleinbürger. In den kurzweiligen Lausbuben-Geschichten von Huckleberry Finn und Tom Sawyer entlarvt der scharfzüngige Twain mit genauer Beobachtungsgabe den alltäglichen Rassismus und die vernagelte Bigotterie der weißen Mittelschicht im Süden der USA.

Dass sich ein weißer Junge, der in einem Sklavengebiet geboren und aufgewachsen ist, so nachdrücklich und ehrlich für die Menschenrechte der Schwarzen einsetzt, gründet eine der Schönheiten dieses Romans. Auch in anderen Ländern finden wir Autoren, die scheinbar Kinderbücher verfasst haben, Antoine de Saint-Exupéry in Frankreich oder Erich Kästner in Deutschland. Doch es ist ein wunderbarer Trick: Denn all die kindlichen Figuren leben den Erwachsenen die Werte von humaner Gesinnung und sozialem Miteinander vor. 

Für viele Autoren der folgenden Generation wird Mark Twain, er ist vom Jahrgang 1835, zu Vorbild und Vaterfigur. Für Jack London oder John Steinbeck beispielsweise. Vor allem jedoch für Ernest Hemingway. Hemingway und Twain sind von

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Ernest Hemingway: Es war alles nada, natürlich nada, nichts als nada

Ernest Hemingway Scribner's
Das New Yorker Scribner’s Magazine, Nummer 3/1933. Mit Ernest Hemingways Short Story A Clean, Well-Lighted Place

It all was nada y pues nada y nada y pues nada. Our nada who art in nada, nada be thy name thy kingdom nada thy will be nada in nada as it is in nada. Give us this nada our daily nada and nada us our nada as we nada our nadas and nada us not into nada but deliver us from nada; pues nada. Hail nothing full of nothing, nothing is with thee. 

Das ist starker Tobak. Eine verstörende Passage in der Erzählkunst des Ernest Hemingway. Aus der Kurzgeschichte Ein sauberes, gutbeleuchtetes Café (im Original: A Clean, Well-Lighted Place), einer vierseitigen Short Story, die erstmals im März 1933 im Scribner’s Magazine veröffentlicht worden ist, ebenso wie später in seiner Sammlung von Kurzgeschichten Winner Take Nothing aus dem Oktober desselben Jahres.

In einem kleinen spanischen Straßencafé sitzt, wie fast jeden Abend, weit nach Mitternacht nur noch ein einziger Gast, ein alter tauber Mann vor einem Glas Brandy. Er ist ein einsamer Mensch, den Tod vor Augen, und ohne jede Hoffnung. Ein junger und ein alter Kellner warten, dass der greise Mann das Café verlässt, um endlich Feierabend zu machen. Der alte Kellner hat, im Gegensatz zu seinem jüngeren Kollegen, Verständnis für den alten Mann, der sich letzte Woche gerade hat umbringen wollen.

Aber er wusste, es war alles nada y pues nada y pues nada. Nada unser, der du bist im nada, nada sei Dein Name, Dein Reich nada, Dein Wille nada, wie im nada also auch auf nada. Unser täglich nada gib uns nada, und nada uns unsere nada, wie wir nadan unsern nadan. Nada uns nicht in nada, sondern erlöse uns von dem nada; pues nada. Heil dem Nichts, voll von Nichts, Nichts ist mit dir. 

Nada, spanisch, nichts. Nichts. Alles ist nichts. Nada de nada. Überhaupt nichts. In dem Nada-Selbstgespräch des älteren Kellners wird deutlich, dass die Angst vor dem Nichts das menschliche Leben überschattet. Erlöse uns vor dem Nada.

Offenkundig parodiert Ernest Hemingway das Vater unser des Christentums. Dem Autor bietet die Religion wenig Trost, der Katholizismus endet auf dem Spottplatz. Das Vaterunser, das heilige Gebet als Fürbitte, reicht keinen Balsam. Der Versuch eines Gesprächs mit Gott, so Hemingway, dämlich und zwecklos. Es bringe nichts. Nada.

Philosophisch wird Hemingways Passage von Existenzialismus und Dadaismus geprägt. Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose. So lautet die Dada-Wortschöpfung seiner Mentorin Gertrude Stein. Seine Pariser Zeit schlägt durch. Die Absurdität des Daseins, die Existenzangst und die Vereinsamung des Menschen, Sartre und Camus haben es 30 Jahre später ähnlich erklärt wie Hemingway in seiner Kurzgeschichte.

Religion bietet keine Linderung, denn die Existenz Gottes wird verneint. Der Menschen definiert sich als biologisches Wesen, als Vernunftwesen, fast gottähnlich. Letztlich führt der Existentialismus zu einem übersteigerten Nihilismus, für den alles Bestehende null und nichtig erscheinen muss. Und das Schlimmste: Nirgends findet sich Hoffnung.

Nada ist Hemingways stilistischer Kniff. Er wusste, es war alles verfluchte Scheiße, schreibt Hemingway in anderem Zusammenhang in der Kurzgeschichte So, wie du niemals sein wirst. Dieser Begriff Scheiße würde in der Café-Haus-Szene nicht funktionieren. Nada ist besser. Existentialismus, Blasphemie, eine Abrechnung, eine Parodie – man kann alles hineinlegen in das Nada. Literarisch gesehen ist die Passage durch und durch

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Die 10 besten Kurzgeschichten von Ernest Hemingway

Platz 10 – Up in Michigan
Oben in Michigan. Ernest Hemingways erste Kurzgeschichte aus dem Jahr 1921. Der Schmied Jim Gilmore trifft auf seine Flamme Liz Coates – es fliegen die Funken. Und endet schlimm.
« von 10 »

Wie schreibt man eine gute Kurzgeschichte? Keinen Absatz mit mehr als 25 Wörtern, meint dieser Schriftsteller. Das sei der beste Tipp, den er in der Redaktion des Kansas City Star als Anfänger bekommen habe. Und Ernest Hemingway erzählt von seinen ersten Schritten als Journalist. Wie er direkt nach der Oak Park High School im Jahr 1917 als Achtzehnjähriger auf Vermittlung eines Onkels eine Laufbahn als Lokalreporter bei der Tageszeitung in Kansas City begonnen hat, wo er dann sechs Monate geblieben ist.

Kurze Sätze, Leute, kurze Sätze. Nur in der Genauigkeit liegt die Wahrheit. Geht achtsam mit der Sprache um, verkneift euch all die Schlenker und Abstecher. Beim Kansas City Star hat man den Novizen am ersten Arbeitstag ein Style Book in die Hand gedrückt. Dies sei kein Stil-Buch gewesen, sondern ein bedrucktes Blatt Papier, auf dem die eisernen Regeln gestanden haben, wie man bei der Tageszeitung die Texte zu formulieren hat.

Im ersten Abschnitt ist zu lesen: Schreibe ein kräftiges Englisch! Dann: Sei positiv, nicht negativ! Und: Lasse alles Überflüssige weg! Das war keine schlechte Schule für meine Geschichten, erklärt der Nobelpreisträger, es sei eine ausgezeichnete Anleitung gewesen, um sich einen guten Schreibstil anzueignen. Sprachliche Knappheit, das ist wie eine blutige Revolution, denn das Unnütze muss abgesäbelt werden. Die Wahrheit liegt genau dort. Kurze Sätze und auf den Punkt. 

Die einfachen Regeln, die dem unerfahrenen Reporter beim Kansas City Star eingebläut werden, dienen fortan als Grundierung von Hemingways Texten. Im Dezember 1921 siedelt Ernest mit Ehefrau Hadley nach Paris über, für sechs Jahre. Hier kommt der US-Amerikaner mit französischen Literaten in Berührung, die bei ihm einen tiefen Eindruck hinterlassen.

Vor allem fasziniert ihn Charles Baudelaires Les Fleurs du Mal und Marcel Prousts Großroman À la recherche du temps perdu. Die filigrane Kunstfertigkeit der französischen Prosa und Lyrik bestärkt ihn in der Wichtigkeit des le mot juste, des richtigen und treffenden Wortes. 

In dem literarischen Salon von Gertrude Stein in der Rue de Fleurus 27 perfektioniert der wissbegierige Kerl aus den Vereinigten Staaten seinen journalistischen Romanstil. Vor allen Dingen vervollkommnet er in Paris den hochraffinierten Effekt seiner Handwerkskunst: Ernest Hemingways Wörter und Sätze klingen eingängig und nahezu harmlos, die tiefere Bedeutung hinter dem Geschriebenen erweist sich jedoch als komplex und vielschichtig.

Ab Mitte der 1920er Jahre ist Ernest Hemingway nicht nur ein guter Autor mit eigenem Stil, sondern auch ein sprachlicher Erneuerer. Seine Art zu schreiben, ist unverbraucht. Seine Sätze klingen frisch, ebenso wie seine Themen nicht gedrechselt wirken. Ernest Hemingway besteigt die Bühne der Literatur wie ein sehnlichst herbeigewünschter Revolutionär, er wird zum Schrittmacher, der einer verunsicherten Generation eine neue Sprache und ein neues Selbstbewusstsein gibt.

Der Stil seiner Geschichten wird wegweisend: Kühl reiht der US-Amerikaner Beobachtung an Beobachtung und Dialog an Dialog. Bisweilen wirkt seine Beschreibung der Details arg

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