Die Brille von Hemingway

Die Brille von Hemingway; Photo by W. Stock

Vor ein paar Tagen auf ebay ein Brillenetui von Ernest Hemingway ersteigert. Für 8,99 Dollar. Also, nicht eine Brillenbox von ihm, sondern ein Brillenetui mit seinem Namen oben drauf.

Normalerweise kommt ein solches spectacle case mit einer Brille, die ebenfalls Hemingways Namen trägt. Man sieht den elegant geschwungenen Schriftzug Ernest Hemingway auf einer Messinggravur befestigt über der braunen Box.

Ein Brillenetui mit Ernest Hemingway. Eine seltsame Blüte der Heldenverehrung oder trivialer Firlefanz? Zunächst: Wäre ähnliches vorstellbar bei anderen Schriftstellern? Eine Brille, die an Heinrich Böll erinnert? Ein Etui von oder mit Alice Munro, sie hat letztes Jahr den Nobelpreis für Literatur erhalten?

Oder eine Brille von Halldór Laxness, das ist jener isländische Schriftsteller, der ein Jahr nach Hemingway – im schönen 1955 – den Literatur-Nobelpreis bekommen hat? Weder Brille, noch Buch. Der Mann ist vergessen. Aber Hemingway?

Bei anderen ist dieses ganze Getrommel irgendwie schwer vorstellbar, mehr oder weniger komisch. Doch bei diesem Ernest Hemingway scheint alles möglich. Schuhe, Möbel, Uhren, Brillen. Und wohlgemerkt, wir reden von einem Mann, der seit über 50 Jahre unter der Erde liegt.

Warum nur? Das ist die 100-Dollar-Frage. Hier der ausführliche Versuch einer Antwort: Weil dieser Ernest Hemingway ein ziemlicher Pfundskerl ist, eine Persönlichkeit, die mitten ins Leben springt, ein Mann, dem nichts Alltägliches fremd ist. In order to write about life first you must live it. Wenn du das Leben nicht kennst, brauchst du gar nicht anfangen, zu schreiben.

Ein Schriftsteller, der nicht im Elfenbeinturm lebt und schreibt, sondern sich am liebsten mitten unter uns tummelt, ein Kerl mit Stärken und Schwächen. Einer, der die Frauen liebt, den Whiskey und auch den Stierkampf. Ein Individuum, ein Charakter, eine Persönlichkeit, ein Typ zum Pferdestehlen.

Warum also funktioniert das, ein Brillenetui von Ernest Hemingway, auch heute noch? Hier die kurze Antwort: Weil Hemingway einer ist von uns.

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