Das ‚Boadas‘ in Barcelona, am nördlichen Anfang der Rambles, in einer schmalen Seitenstrasse, der Carrer dels Tallers, mit der Nummer 1. Photo by W. Stock

Ernest Hemingway liebt es, auf einem Barhocker zu sitzen, seinen Whiskey zu kippen und zu reden. In der Bar des Ritz in Paris am allerliebsten oder in Harry’s Bar an der Piazza San Marco von Venedig, in der Cortina dort um die Ecke, im El Floridita von Havanna, in der lasterhaften Bar Marsella im Barrio Chino von Barcelona oder die Les Rambles weiter aufwärts im gepflegten Boadas.

Das Boadas mag er sehr, weil hier gleich drei seiner Vorlieben unter einem Dach zu finden sind. Die Bar hat Miguel Boadas gegründet, der im Jahr 1933 von Kuba, wo er im El Floridita gemixt hat, nach Barcelona gekommen ist. Das Boadas in Barcelona ist eng und klein, es besteht nur aus einem Raum, und wirkt mit seinem angejahrten dunklen Interieur möglicherweise auch ein wenig aus der Zeit gefallen, aber man spürt die Seele Kubas in der großen Stadt. Wenig Wunder, das Boadas befindet sich noch immer im Besitz der Familie.

An den Wänden des Boadas erspäht man die Fotos aus Vortagen, nicht nur von ihm, sondern auch von den vielen anderen, die den geselligen Müßiggang lieben. Und wenn man den fein livrierten Barkeeper fragt, so kriegt man wie selbstverständlich die entsprechenden Geschichten. Das ist die Welt des Ernest Hemingway, in Barcelona oder sonstwo.

Ernest Hemingway liebt das einfache Leben und mag die einfachen Menschen, meist trinkt er mit Fischern, Boxern, Sportlern, mit ganz normalen Leute. Mit Literaten oder Intellektuellen sieht man ihn so gut nie an einem Bartresen, er mag sich nicht über Politik und Literatur unterhalten. In den Bars erschafft sich Ernest Hemingway seine kleine Theaterkulisse, eine Aufführung vor Publikum, und er gibt den Autor und Hauptdarsteller in einer Person.

Es sind Ein-Mann-Stücke, die aufgeführt werden, kein Thema eines aufregenden Lebens wird ausgelassen. Für den Schriftsteller wirken diese Bars wie Oasen des Innehaltens, in diesen zwei, drei Stunden, schaut er zurück auf sein Leben und versucht, die Zeit ein wenig zum Stillstand zu bringen.

In den Bars sitzt er mit Freunden, vor sich ein Glas Amarone oder Veronese-Wein, wenn er in Italien weilt, anderswo eher ein Glas Gin oder Scotch, auf Kuba meist den Daiquirí und Ernest Hemingway lässt seinem Gedankenfluss freien Lauf. Oft gibt er kleinere und größere Aufschneidereien zum Besten, verquirlt diese mit tatsächlichen Abenteuern, er kommt ins Fabulieren und erzählt von Gott und der Welt und von sich.

Ernest Hemingway an der Bar träumt und flunkert und mischt Erlebnisse, Wünsche und bunte Phantastereien wild durcheinander. Wie andere sich auf die Couch legen, so hört der Schriftsteller an den Bars in sich hinein, indem er gräbt und plaudert. Der Alkohol und die weinselige Atmosphäre lösen die Zunge, er redet über seine Träume und Sehnsüchte, über Leid und Misslichkeiten.

Ernest Hemingway konturiert an der Bar seinen eigenen Kosmos, von Krieg bis Koitus, er breitet auf dem Tresen gleichsam sein Leben aus. Oft dienen diese Sprechstunden als Vorstufe seines Schreibens. Er bohrt tief mit dem hochprozentigen Schmiermittel und manchmal erinnert er sich am nächsten Morgen noch an die Seelenklempnerei an der Bartheke. Und wenn man seine Bücher aufmerksam liest, so kann man den Seelen-Striptease an der Bar gut erkennen in der Handlung und den Dialogen.

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