Der unersättliche Jäger und das zarte Reh: Ernest Hemingway und das Model Jean Patchett. Auf Finca Vigia, im Herbst 1950. Photo: Clifford Coffin.

In Sachen Liebe ist Ernest Hemingway über die Jahre zum Zyniker geworden. Denn die große, die absolute Liebe im Leben hat er nicht finden können. Weder bei seinen vier Ehefrauen, noch bei seinen zahlreichen Liebschaften und schon gar nicht bei den schnellen Nummern. Liebe ist ein Misthaufen, klagt sein Alter Ego Harry in Schnee auf dem Kilimandscharo verbittert, und ich bin der Hahn, der drauf steigt und kräht.

Etliche Frauen schwirren um ihn herum. Ehefrauen, Freundinnen, Verehrerinnen, Musen, Mätressen. Man mag sie seinen zweiten Zirkelkreis nennen, denn sie erfüllen eine andere Aufgabe als der erste Zirkel seiner männlichen Freunde. Frauen sind für ihn Wesen, die erobert werden wollen, die zum Mann gehören, jedoch nicht unbedingt beim Saufen und beim Jagen. Hemingways Frauen sind zarte Rehe auf der Lichtung, sie begründen das Verlangen des Jägers. Der gierige Jäger, das ist er.

Neben seinen Ehefrauen hält sich der Autor ein Bataillon an Liebschaften. In Havanna wartet seine Gespielin Leopoldina jeden Tag auf ihn. Was ihn nicht abhält, jedem Besuch mit blonden Haaren und langen Beinen den Schreibturm – vulgo: sein Liebesnest – auf Finca Vigía zu zeigen. So wie diesem Vogue-Model Jean Patchett, das er im November 1950 als Pascha prompt halbnackt empfängt.

Ernest Hemingway und Jean Patchett sitzen sich im Wohnzimmer der Finca Vigía auf dem Sofa gegenüber. Zu Hemingways Füssen liegt Black Dog und mit der rechten Hand krault er Ecstacy, eine seiner vielen Katzen. In der anderen Hand hält der Schriftsteller ein Glas voll mit Daiquirí. Ernest Hemingway begegnet dem zarten Model mit seinem nackten wuchtigen Oberkörper, mit kurzer Hose und barfuss. Spannung knistert in der Luft.

Natürlich verletzt es Miss Mary, wie angriffslustig ihr Ehemann fremde Frauen bezirzt. Und was er in Havanna so treibt, wenn sie nicht dabei ist, sie will es erst gar nicht wissen. Die Liste seiner Seitensprünge, das weiß Ehefrau Mary nur zu gut, ist ellenlang. Es gibt Tage, da ist er mit seiner Ehefrau zusammen, dann mit der festen Geliebten und hernach kann noch eine Zufallsnummer dazu kommen. Drei Frauen, bei anderen reicht es fürs ganze Leben, Ernest Hemingway braucht einen Tag dafür.

Für viele hören sich seine erotischen Prahlereien an den Kneipentheken nach übertriebenem Maulheldentum an, doch in Sachen Frauen und Sex stapelt Ernest eher tief. In Wahrheit wird dieser Mann stante pede elektrisch, wenn eine Frau in sein Beuteschema passt. Bei manchen Frauen beißt er dann zu als romantischer Träumer, bei anderen Frauen lässt er den triebhaften Macho raushängen. Wobei die überspannte Triebhaftigkeit bei diesem Schriftsteller auch eine übersteigerte Gefühlsaufwallung darstellen kann.

Denn Ernest Hemingway ist ein Gefühlsmensch durch und durch, in gutem Licht betrachtet gar ein hoffnungsloser Romantiker. Dieser selbstgefällig auftretende Mann ist – allem Lautsprechen und allem Macho-Gehabe zum Trotz – tief im Innern eine empfindsame und verletzliche Seele. Deren harte Schale meist nur den inneren weichen Kern schützen will. Doch je mehr sein Ruhm wächst, desto spöttischer wird er in Liebesdingen.

In der hoffnungslosen Lebensbeichte des sterbenden Schriftstellers Harry, unschwer vermag man Züge und Lebensstationen des Ernest Hemingway ausmachen, geht er in seiner Kurzgeschichte Schnee auf dem Kilimandscharo mit der Liebe hart ins Gericht. Als er nicht mehr meinte, was er sagte, hatte er mit seinen Lügen bei Frauen mehr Erfolg als früher, wenn er ihnen die Wahrheit gesagt hatte. 

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