Dr. Clarence Hemingway mit seinem Sohn Ernest zu Hause in Oak Park, Chicago, im Jahr 1918.

Dem geliebten Familienoberhaupt will der junge Ernest Hemingway imponieren. Seinem Vater Clarence schreibt er am 9. Juni 1918 aus dem italienischen Mailand eine Postkarte nach Chicago: Alles bestens. Morgen geht es an die Front. Ernest Hemingway ist erst 18 Jahre alt, ein großer Kerl zwar, aber noch ziemlich grün hinter den Ohren.

Am gleichen Tag schreibt der Rotzlöffel eine Postkarte an einen Freund nach Kansas City: Having a wonderful time!!!. Mit drei Ausrufezeichen. Da steht ein unbedarfter Arztsohn aus dem mittleren Westen Amerikas vor den bluttriefenden Schlachtfeldern in Europa und freut sich auf das Kriegsgemetzel. Was ist da schief gelaufen? 

Zur Mutter bleibt das Verhältnis Zeit seines Lebens angespannt, zum Vater jedoch entwickelt Ernest Hemingway eine enge Beziehung. Es ist der Vater, der den Sohn prägt, es ist Clarence, der Ernest ins Leben führt. Der Vater hat ihn früh in die Natur mitgenommen und ihm an den Bächen und Flüssen um den Lake Michigan das Fischen beigebracht. Die Hemingways besitzen das Sommerhaus Windemere am Walloon Lake im Norden Michigans und die Eltern verbringen dort mit den Kindern die Sommermonate.

An Gewässern, an den Bachläufen oder am Meer fühlt Ernest Hemingway sich der Schöpfung nahe, er empfindet dort eine tiefere Aufmunterung als in der Stadt. „Porqué me trajiste, padre, a la ciudad?“ Warum nur, mein Vater, hast du mich in die Stadt gebracht, klagt der große Poet Rafael Alberti in Marinero en tierra im Jahr 1925. Und der Volksbarde aus El Puerto de Santa María, ganz im Süden Spaniens, meint damit im Grunde: Vater, warum hast du mich der Natur entrissen?

Durch den Vater hat Ernest den Respekt vor der Natur erfahren. In der unberührten Natur entdeckt er das Gerinnsel einer Quelle, das Wachsen zu einem Bachlauf, der breiter und breiter wird und schließlich in einem Fluss mündet, der dem Meer zufließt. Der Junge bestaunt die selbstverständliche Beständigkeit dieses Kreislaufes, so als sei sie von einer unsichtbaren Hand gezogen, die sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt.

Doch es ist auch die Natur, die dem Menschen seine Grenzen setzt. Die Natur – das Meer, die Seen, die Berge und die Wälder – zeigt sich launenhaft und folgt ihren eigenen Regeln, sie lässt sich um keinen Preis bändigen. Die Natur ist mächtiger als alles, als wirklich alles, was sie umgibt, mächtiger als der Mensch ohnehin. Die Menschen kommen und gehen, die Natur jedoch bleibt. 

In der Anmut der Natur lauert allerdings ein unsichtbarer Gegner. Denn zum Kreislauf der Natur gehört auch das Vergehen. Tut es weh, zu sterben?, fragt Nick im Indian Camp seinen Vater. Nein, es ist ziemlich einfach, Nick, antwortet der Vater. Es kommt ganz darauf an. Nick lässt seine Hand ins Wasser gleiten. In diesem Morgengrauen auf dem See im Heck des Bootes mit seinem Vater vorne, der rudert, war er sich ziemlich sicher, dass er nie sterben würde.

Ernests Vater Clarence Hemingway arbeitet als Arzt in Chicago, der Tod ist Teil seines Berufes und er gehört zu seinem Leben. Und als es nicht mehr geht, im Dezember 1928, warum auch immer, es bleibt der persönliche Weg des Einzelnen, da fasst der Vater einen Entschluss. Trotz aller Trauer um den Vater, der Sohn hat die Entscheidung des Vaters mutig gefunden und richtig.

Ernest befindet sich mit dem fünfjährigen Sohn John in New York als ihn das Telegramm mit der Todesnachricht erreicht. Am nächsten Tag, dem 7. Dezember 1928, erreicht er das Familienhaus in Oak Park, einem Vorort von Chicago. Der Sohn kümmert sich um die Beerdigungsformalitäten, er ordnet die Papiere und bittet die Mutter, ihm die Pistole des Vaters zu überlassen.

Dr. Clarence Hemingway hat sich umgebracht, als sein Sohn Ernest 29 Jahre alt gewesen ist. Der Vater hat sich erschossen, stumm, ohne Abschied, zu Hause, im Schlafzimmer, mit einer 32er Smith and Wesson, einem alten Revolver aus dem Bürgerkrieg. Der Sohn macht der Mutter noch viele Jahre den Vorwurf, den Vater in den Tod getrieben zu haben.

Der Vater, der ihn gelehrt hat, die Natur zu respektieren, ist nun tot. Wie der Vater, so bewundert auch der Sohn die Schöpfung und ihre Kraft. Und doch hat Ernest Hemingway sie tausendfach getötet, einfach so. Er liebt all die wilden und schönen Tiere, die Stiere und die Antilopen, die Schwertfische und die Tauben am Himmel, sie sind so verletzlich und so einzig wie er.

Doch Ernest Hemingway jagt sie unbarmherzig, auf der ganzen Welt, und er tötet sie. Es bereit ihm Vergnügung, Herr über Leben und Tod der Tiere zu sein und sich über die Natur zu erheben. Vielleicht auch, weil er den Vater so liebt und weil er nicht weiß, wohin mit der Trauer um ihn und mit der Wut. Jedoch ist das Töten der Tiere ein ganz schrecklicher Frevel, denn wo bloß soll das Auslöschen der Schöpfung durch den Menschen halt machen?

Zehn Jahre nach der Selbsttötung des Vaters erhält Ernest Hemingway nach Key West ein Weihnachtspäckchen seiner Mutter Grace. Er öffnet es. Und in der Box liegt – unter einem Schokoladenkuchen – die Smith and Wesson seines Vaters.

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