Der alte Mann und das attraktive Mädchen

Irgendwann im Frühjahr des Jahres 1953 ist eine junge deutsche Fotojournalistin bei ihm auf Kuba aufgekreuzt, sie arbeitet für die Hamburger Zeitschrift Constanze. Die junge Frau hat sicherlich ein dutzendmal auf der Finca Vigía angerufen, er hat sie abgewimmelt oder sich verleugnen lassen, bis die Reporterin ihn dann schließlich doch selbst an die Strippe kriegt. „Dann kommen Sie zum Lunch. Ich schicke Ihnen meinen Fahrer. Und bringen Sie einen Badeanzug mit“, gibt Ernest Hemingway ihr mit auf den Weg.

Über zwei Wochen ist die junge Deutsche auf der Finca bei den Hemingways geblieben und sie hat in dieser Zeit erstaunliche Fotos geschossen. Eines zeigt den Schriftsteller mit dem kecken Mädchen im Fischerdorf Cojímar, einen erlegten Marlin von vielleicht 30 Kilo in der Mitte. Auf dem Ursprungsbild ist der Maat Gregorio Fuentes noch drauf, man ist gerade von einer Ausfahrt mit der Pilar zurück und hat allerdings keinen Fang gemacht. Doch in der Eisbox der Kooperative von Cojímars Fischern findet sich noch ein Exemplar, der kleine Marlin liegt dort eisgefroren seit Wochen.

Die Fotografin, die Bildfolge ist per Selbstauslöser aufgenommen, hat einen hautengen trägerlosen Badeanzug an, das sonnengebräunte Dekolleté fällt ins Auge, ebenso die hübschen Beine, das neckische Lachen, und Ernest umgreift mit der linken Hand die phallische Schwertspitze des Marlins. Ein solches Foto ist, noch heute würde man sagen, verdammt sexy, für die damalige Zeit ist es ein Knüller gewesen. Und auch Ernest Hemingway scheint in der Tat ein bisschen besäuselt, vielleicht von ihr, wohl mehr noch allerdings von den Prozenten.

Die junge Journalistin, sie ist in Göttingen aufgewachsen, hat jedoch auch einige Fotos aufgenommen, über die er sich mächtig geärgert hat. Als der amerikanische Autor nach dem Mittagessen bei seiner Siesta auf dem kühlenden Fußboden des Farmhauses heimlich aufgenommen wird oder ein Foto, wie er gekauert auf einer schmuddeligen Matratze im Schlafzimmer einen kleinen Rausch ausschläft. Die junge Fotografin, Inge Schönthal ist ihr Name, hat ihm versprechen müssen, diese unvorteilhaften Bilder nicht zu seinen Lebzeiten zu veröffentlichen. Was sie damit macht, wenn er tot ist, es ist ihm einerlei, dann können ihn alle sowieso kreuzweise.

Und Inge Schönthal, die im späteren Leben Inge Feltrinelli heißen wird, weil sie einen italienischen Verleger ehelicht, hält sich an die Absprache mit Hemingway, die widrigen Fotos erst nach seinem Tod zu veröffentlichen. Die junge Frau, die Ernest Hemingway im Jahr 1953 so frech umgarnt, wird nach einem langen, schönen und aufregenden Leben im September 2018 sterben, in Mailand. Sie ist eine bedeutende Verlegerin und Buchhändlerin in Italien gewesen – und eine erstklassige Fotografin. Und kaum ein Tag sollte vergehen, an dem sie nicht auf Ernest Hemingway angesprochen wird.

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