Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Jesús Ruiz More ist Ernest Hemingways peruanischer Kapitän

Drei Mann in einem Boot: Der Amerikaner Ernest Hemingway, der peruanische Kapitän Jesús Ruiz More und der Kubaner Elicio Argüelles auf der Miss Texas. Cabo Blanco, im April 1956. Foto: Modeste von Unruh

Hola Chico, begrüßt ein bestens gelaunter Ernest Hemingway den Kapitän Jesús Ruiz More. Hallo, mein Junge. Und der Peruaner Jesús Ruiz More aus Cabo Blanco antwortet: Buenos dias, Don Ernesto. Der Capitán de Barco sagt Don Ernesto, denn er traut sich nicht so recht, ihn nur mit Ernesto anzusprechen, der Respekt. Ernest Hemingway mag diese Titulierung, so wie er im Allgemeinen die spanische Sprache mag, mit ihren höflichen Anreden wie Don und Doña, eine Sprache mit feinen Nuancen und zarten Unterschieden. 

Wir schreiben den April 1956 und man trifft an diesem Morgen den berühmten Schriftsteller in ausgezeichneter Laune an. Immer wenn Ernest Hemingway am Wasser weilt, heitert sich seine Stimmung auf. Und auf dieses ihm unbekannte Meer, auf den Pazifik vor der peruanischen Küste, ist er neugierig. Heute werden wir unseren Marlin fangen, sagt der Schriftsteller, koste es, was es wolle. Sicher, Don Ernesto, erwidert der Kapitän Ruiz More, ganz sicher werden wir ihn heute fangen.

Jesús Ruiz More ist ein kleiner, dicklicher Mann mit einem weißen Hemd und einer viel zu weiten Hose. Mitten im Gesicht sitzt die breiteste Ray Ban-Sonnenbrille von ganz Peru, dazu kommen seine ansteckende Fröhlichkeit und ein lautes Lachen. Während die meisten Männer auf der Miss Texas eine Baumwollkappe als Schutz vor den beißenden Sonnenstrahlen tragen, erkennt man Jesús Ruiz More von weitem an seiner überdimensionierten Kapitänsmütze.

Der Cabo Blanco Fishing Club verfügt über vier Boote: die Miss Perú und die Pescadores Dos, die beide unter der Obhut des Kapitäns Rufino Tume stehen, die Miss Texas mit ihrem Capitán Jesús Ruiz More und die Petrel, ein etwas kleineres und wendiges Boot, für das Luis Virgilio Querevalú verantwortlich zeichnet. Die Zuweisung der verschiedenartigen Boote ergibt sich je nach Arbeitsauftrag, auf der robusten Miss Texas fahren die Männer zum Fang hinaus.

Neben Ernest Hemingway und dem Kapitän Jesús Ruiz More kommen meist fünf Männer mit an Bord der Miss Texas: Gregorio Fuentes, Hemingways kubanischer Schiffsführer aus Cojímar, der Kubaner Elicio Argüelles, der US-Amerikaner Kip Farrington, der einheimische Maat Máximo Jacinto Fiestas und der Fischer Miguel Custodio. Man kann die Personen an Bord leicht unterscheiden, denn die Peruaner und Kubaner tragen alle lange Hose, trotz der mörderischen Hitze, die Amerikaner hingegen bevorzugen Shorts. In Peru gilt es seit jeher für gestandene Männer als unschicklich, in kurzen Hosen wie die Schulbuben herumzulaufen.

Die Besucher aus den USA verstehen sich mit den Einheimischen blendend. Die peruanische Besatzung spricht nur wenige Brocken Englisch und so findet die Konversation auf dem Boot meist mittels Gesten und mit Händen und Füssen statt. Ende April, als die deutsche Fotografin Modeste von Unruh mit an Bord kommt, kriegen die Männer auf der Miss Texas den ersten großen Fisch an den Haken. Ein schwerer Marlin hat angebissen und wird an Bord der Miss Texas gehievt.

Der Schriftsteller und sein Freund Elicio Argüelles strahlen vor Glück. Ernest Hemingway vergisst mit einem Mal seine Rückenschmerzen, die Enttäuschungen der letzten Tage, die Depression. Der Nobelpreisträger umarmt als ersten den peruanischen Kapitän der Miss Texas. Ich danke dir sehr, sagt ein ausgelassener Schriftsteller zu Jesús Ruiz More, du bist ein erstklassiger Schiffsführer.

An letzten Abend, nach fünf Wochen in Cabo Blanco, nimmt Ernest Hemingway den Bootskapitän Jesús Ruiz More kumpelhaft zur Seite. Am liebsten würde ich noch sechs Tage länger bleiben, Jesús, bedeutet der Schriftsteller dem stämmigen Peruaner. Vámonos, Don Ernesto, entgegnet Jesús Ruiz, nur zu, da draußen springen noch so viele Marline im Wasser, die nur auf uns warten.

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  1. Heinz Baumann

    Vielen Dank, dass Sie nicht nur an Ernest Hemingway erinnern, sondern auch an die einfachen Fischer aus Peru. Ihren Namen sagen und ihre Geschichte erzählen.
    Und man erfährt viel in der Erzählung:
    „Man kann die Personen an Bord leicht unterscheiden, denn die Peruaner und Kubaner tragen alle lange Hose, trotz der mörderischen Hitze, die Amerikaner hingegen bevorzugen Shorts. In Peru gilt es seit jeher für gestandene Männer als unschicklich, in kurzen Hosen wie die Schulbuben herumzulaufen.“
    Schön geschrieben, wusste ich so nicht.

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