Auf den Fersen von Ernest Hemingway

La Cónsula – das andalusische Idyll des Ernest Hemingway

Die Einfahrt zur Finca La Cónsula bei Churriana in der Nähe von Málaga.
Foto by W. Stock, 2019

Anfang Mai 1959 erreichen Mary und Ernest Hemingway, von New York kommend, mit der Constitution Algeciras in Südspanien. Von dort geht es zwei Stunden mit dem Auto Richtung Costa del Sol zur La Cónsula in den Hügeln über Málaga. Die spektakuläre Finca gehört Nathan Davis, den alle Welt Bill ruft und der vom Hemingway Negro genannt wird. Er und Negro haben sich vor langer Zeit Mexiko kennengelernt und rasch Freundschaft geschlossen.

Bill und seine Frau Anne, steinreiche US-Amerikaner, leben mit ihren Kindern Nena und Timothy Teo als überaus gastfreundliche Expatriates auf dem imposanten Anwesen südwestlich der Stadt, nur wenige Kilometer abgelegen vom Meer bei Churriana. Auch der Autor Noel Coward und die Schauspielerin Vivien Leigh gehörten schon zu den prominenten Gästen auf der zwölf Hektar großen andalusischen Hacienda, die von einer tropikalen Landschaft umzäunt wird und auf der zahlreiche Bedienstete um das Wohl der Gäste bemüht sind.

Die abgelegene La Cónsula – gemäß Ernest Hemingway ein bisschen kleiner als der Escorial – ist ein wunderbarer Ort, innezuhalten und zu sich zu kommen. Heute ein Stadtteil von Málaga, befindet sich La Cónsula in Churriana, an der Carretera nach Alhaurin de la Torre. Die andalusische Regionalregierung hat seit 1993 in der weitläufigen Finca die Verwaltung Escuela de Hostelería de Málaga untergebracht, die Hotelerie- und Kochschule, in einem neu erbauten Gebäude schwingen die Lehrlinge des ersten und zweiten Ausbildungsjahres ihre Kochlöffel.

Die Finca, die Anfang des 19. Jahrhunderts im Kolonialstil mit viel Eisen, Holz und Säulen aus weißem Marmor erbaut wurde, besteht aus dem langen rechteckigen Hauptgebäude aus zwei Etagen, einer um das obere Stockwerk laufenden Außenveranda, aus einem Schwimmbassin an dessen Fußseite heute ein Stein- und Muschelmosaik mit einem Abbild Ernest Hemingways prangt. Der hinter dem Herrenhaus liegende Jardin ist riesig wie ein Klostergarten, mit Pinien, Palmen, Bananenbäumen, Zypressen.

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Im Eckzimmer auf der oberen Etage, hin zum Swimmingpool, befindet sich das Zimmer, in dem Ernest Hemingway seine Tage in ‚La Cónsula‘ verbringt. Foto by W. Stock, 2019

Wie ein Idyll aus dem Bilderbuch kommt La Cónsula daher: Der weitläufige botanische Garten lädt ein zum Lustwandeln, am Pool kann man sich vom überhitzten Sommerklima des Mittelmeeres erfrischen, im Haupthaus findet sich großartige Kunst, unter anderem einige Gemälde von Jackson Pollock und Mark Rothko, und – gerade Ernest Hemingway weiß einen solchen Vorteil nicht gering zu schätzen – in der ganzen Anlage hat es damals kein Telefon gegeben.

In Spanien will Ernest Hemingway die Erinnerung an schöne Tage auffrischen und alte Freunde treffen. Die einstmals jungen Gesichter waren jetzt alt wie meins, aber keiner hatte vergessen, wie wir einmal waren. Die Augen hatten sich nicht verändert und keiner war fett geworden. Kein Mund war verbittert, ganz gleich, was die Augen inzwischen alles gesehen hatten. In Spanien findet der Autor wie immer seine heile Welt, sein andernorts versinkendes Wohlfühl-Paradies. Vor allem die sinnenfreudige Lebensart der Südspanier mag er, den Stierkampf, das gute Essen und einen Moscatel oder einen Pedro Ximenez, der süße Málagawein fließt in Andalusien wie im Schlaraffenland.

Nach dem freudigen Aufenthalt im Jahr 1959 kommt Ernest Hemingway in den Sommermonaten des Jahres 1960 zurück, diesmal alleine. Doch alles ist anders. Die Freunde in Andalusien zeigen sich bestürzt, als sie den Schriftsteller zu Gesicht bekommen. Sein einst glanzvolles Antlitz ist aschfahl, die Haare sind schlohweiß, seine Gesichtszüge wirken wie eingefallen und die einst neugierigen Augen blicken nur noch ausdruckslos in die Welt. Seine kräftigen Arme sind dürr geworden wie junge Baumzweige, auch die Beine scheinen nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen. 

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Am frühen Morgen stellt Ernest Hemingway ein Stehpult auf die Veranda vor sein Zimmer und schreibt den Vormittag über an seinem Werk ‚The Dangerous Summer‘. Foto by W. Stock, 2019

Der Nobelpreisträger kann sich in dem weitläufigen Farmhaus bei Málaga nur noch mühsam fortbewegen, seine Schritte gleichen mehr einem behäbigen Tippeln. Innerhalb weniger Monate ist der Schriftsteller um Jahre gealtert. Der Autor wohnt in seinem kleinen Zimmer im oberen Stockwerk, ohne Bad, sein sommerlicher Arbeitsplatz erinnert ihn an die Finca Vigía. Ansonsten schwimmt er ausgiebig, geht im Olivenhain spazieren und er entspannt sich so gut es geht. Ernest Hemingway braucht Kraft, denn in diesem Hochsommer mutet sich der alternde Schriftsteller wiederum eine strapaziöse Tour durch die spanischen Stierkampf-Arenen zu.

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Das kleine Eckzimmer des Ernest Hemingway im oberen Stockwerk von ‚La Cónsula‘. Foto by W. Stock, 2019

Auf La Cónsula feilt der Schriftsteller an den letzten Feinheiten seines Werkes The Dangerous Summer, das er in Andalusien im letzten Jahr begonnen hat und das nun in Kürze in der Illustrierten LIFE erscheinen soll. Doch er tut sich schwer mit dieser Erzählung über den Stierkampf, ihm fallen nicht die richtigen Wörter ein, vielen Sätzen fehlen Rhythmus und Melodie, er ist unschlüssig, was er überhaupt sagen möchte. Auch mit den alten Freunden spricht er wenig, Ernest Hemingway reagiert durchweg mit Ablehnung und Verweigerung, wenn die Freunde versuchen, ihn aufzumuntern.

Seit seinem letzten Besuch vor einem Jahr hat sich diesmal nicht sein Spanien verändert, sondern es ist seine Person, die einen unguten Wandel erlitten hat. Im Sommer 1959 hatte Ernest Hemingway noch Dutzende Stierkämpfe genossen, es machte ihm wenig aus, wochenlang von Stadt zu Stadt zu ziehen, er mochte seine Clique um sich haben, er schäkerte mit Frauen, die vierzig Jahre jünger waren als er. Er liebte das üppige spanische Essen und den guten Wein. Spanien war, eigentlich wie immer, das Land seines Herzens.

In Málaga auf Sol spürt der Schriftsteller nun, dass ihm selbst der Stierkampf kein Vergnügen mehr bereitet, er hat seine Schwärmerei und die Verzückung über diese Passion innerhalb eines Jahres ganz und gar verloren. Der Schriftsteller fühlt im Sommer 1960, dass er sich physisch und mental in einem erbärmlichen Zustand befindet. Ernest schreibt an Mary nach New York, dass er einen völligen körperlichen und nervlichen Kollaps befürchte.

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Am Swimmingpool erinnert ein Mosaik aus Steinen und Muscheln an den monatelangen Besuch des prominenten Gastes aus Übersee. Foto by W. Stock, 2019

Der Schriftsteller verfällt in eine manische Antriebslosigkeit. Die Freunde versuchen mehrmals, ihn zur Heimreise zu bewegen. Doch Ernest, stur wie ein Esel, weigert sich, Spanien zu verlassen. Er weilt nun schon seit zwei Monaten in dem Land und wird zunehmend apathisch und verwahrlost immer mehr. Der Schriftsteller lässt niemanden an sich heran. Denn er spürt, wenn er Spanien Adiós sagen muss, dann wohl auch dem Leben.

Mit Tränen in den Augen vertraut er sich schließlich Antonio Ordóñez an. Er fürchte zu sterben, klagt er dem Freund. Der Torero hält dagegen. „Ernesto, 1961 wirst du wieder in Pamplona sein, weil Du die Eier an der richtigen Stelle hast!“ Der Schriftsteller rappelt sich auf und verspricht ihm, dass er nächstes Jahr wiederkommen werde. Doch in Wirklichkeit weiß Ernest Hemingway, mit dieser Reise im Spätsommer 1960 nimmt er endgültig Abschied von seinem geliebten Spanien. Von jenem Land, das er so liebt wie kein anderes.

Erst im Oktober gelingt es den Freunden den Schriftsteller in ein Flugzeug nach Amerika zu setzen. Am 8. Oktober 1960 fliegen Ernest und Hotch, der zur Hilfe gekommen ist, gemeinsam zurück in die USA. Von New York geht es umgehend nach Ketchum in die Rocky Mountains. Ernest Hemingway, von den Strapazen gezeichnet, schleppt sich an das Ende seiner Reise. Zum Abschluss seiner Spanien-Reise ist der Schriftsteller ein verstörter Mann, leer im Kopf und schrecklich verloren im Herzen.

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  1. Loved this article. Thanks for the story and the wonderful, modern pictures of La Consula!

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