Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Schlagwort: Finca Vigía Seite 1 von 2

Heinz Helfgen – Auf dem Fahrrad zu den Hemingways

Heinz Helfgen: Ich radle um die Welt – Der Klassiker der Radtourer-Literatur, Verlag Rad und Soziales, 2014

Vor 70 Jahren lässt ein deutscher Journalist eine Schnapsidee Wirklichkeit werden: Mit seinem Patria-Fahrrad plus Camping-Ausrüstung radelt der Mann um die Welt. Von September 1951 bis Herbst 1953 hat Heinz Helfgen mit seinem Drahtesel den halben Globus umrundet, von Osteuropa, Türkei, durch den Orient, Persien, Indien, Vietnam, Thailand, Japan, USA, bis nach Venezuela und Brasilien.

Die Leser in der Heimat, sechs Jahre nach Kriegsende, nehmen gebannt teil an der abenteuerlichen Exkursion, zweimal pro Woche erscheint eine Kolumne in der Frankfurter Boulevard-Zeitung Abendpost über die Erlebnisse des Heinz Helfgen in der Ferne. Es ist noch nicht die Zeit des Massentourismus, das Ausland liegt nicht um die Ecke, sondern weit weg, noch bestaunt man das Fremde und die Exotik von Übersee. Helfgen, ein Mann vom Jahrgang 1910, kommt auf insgesamt 157 Folgen in seiner Zeitung, ein Millionenpublikum hängt an seinen Zeilen, später kommt das Radio hinzu.

In Havanna erblickt der Radler den Schriftsteller Ernest Hemingway in dessen Stammkneipe El Floridita. Helfgen ist entzückt und notiert, der berühmte Autor sehe aus wie ein normannischer Fischer. Der Reporter aus dem Saarland stellt sich ihm vor, erzählt von seiner Weltumrundung, der bärtige Amerikaner findet Gefallen an dem kauzigen Typ. Nach zwei Daiquirís steckt Papa ihm einen Zettel zu, Ernest Hemingway Tel. 154 – Finca Vigía, San Francisco de Paula.

Zwei Tage später macht Heinz Helfgen sich mit seinem Fahrrad auf zum Landgut des US-Autors. Nach den undatierten Aufzeichnungen des Journalisten kann man seinen Besuch bei den Hemingways eingrenzen zwischen Anfang Mai 1953 (Helfgen erwähnt die Verleihung des Pulitzer-Preises, der Hemingway am 4. Mai verliehen wurde) und Mitte Juni 1953 (da ging es für die Hemingways für mehrere Monate nach Europa). 

Launig wird der Radpionier von Ernest Hemingway auf der Finca Vigía empfangen. Ritter Ernst von und zu Hemingstein, stellt der Amerikaner sich blödelnd auf Deutsch vor. Ehefrau Mary zeigt sich ein wenig reserviert. Nach einem langen feuchtfröhlichem Beisammensein am Nachmittag mit

Loading

Ernest Hemingway und die klassische Musik

Auf der tropischen Finca Vigía besitzen die Hemingways einen Bell Phonographen, den modernsten Plattenspieler seiner Zeit. Die Musik ist dem Ehepaar wichtig, zur Muße und zur Inspiration auf ihrer entlegenen Farm nahe von Havanna.

Der Phonograph steht im weiten Wohnzimmer, zusammen mit zwei großen Lautsprecherboxen. Zwei weitere Boxen sind in der benachbarten kleineren Bibliothek untergebracht, die mit einem offenen Torbogen vom living room getrennt ist.

Es fällt auf, dass neben vielen Jazz-Platten in der Collection auf der Finca Vigía noch zahlreicher die klassische Musikrichtung vertreten ist. Dazu auch Folklore-Aufnahmen aus Russland, Ungarn, den USA und Spanien.

Nachstehend ein Ausschnitt aus dem Katalog der Hemingway’schen Schallplattensammlung, die in deckenhohen Schränken auf ihrem kubanischen Anwesen in San Francisco de Paula untergebracht ist:

Russian Folk Songs
Rossini, William Tell
Puccini, La Bohème
Tschaikowsky, Symphony No. 4
Tschaikowsky, Symphony No. 6
Rachmaninoff, Concerto No. 2
Rachmaninoff, Song for Piano
Russian Liturgical Music
Prokofieff, Peter and the Wolf
Debussy, Piano Music
Strawinski, Petrouchka
Bach, Sonata in E Major for Violin and Piano
Bach, Double Concerto
J.S. Bach, Two Part and Three Part Inventions
Bach, The Well-Tempered Clavier Book I 
Bach, The Well-Tempered Clavier Book II
Bach, Prelude and Fugue in E Flat Major
Mozart, Eine kleine Nachtmusik
Mozart, Sonatas Nos. 10 and 15 in B Flat Major
Mozart, Piano
Mozart, Concerto in E Flat Major
Ravel, Bolero
Borodin
Richard Wagner
Brahms, Variations on a Theme by Haydn
Brahms, Double Concerto in A Minor
Manuel De Falla, Nights in the Gardens of Spain
Debussy, Preludes
Strawinsky, Petrouchka Ballet
Schubert, Symphony No. 8 in B Major
Rimsky-Korsakov, Scheherazade
Piano Music of Chopin
Verdi, La Forza del Destino
Beethoven, Symphony No. 9 in D Minor
Vivaldi, The Seasons
Vivaldi, Concerto in C
Ludwig van Beethoven, Sonata in A Major
Beethoven, Trio in D Major
Beethoven, Symphony No. 5
Beethoven, Sonata in A Major
Händel, Trio Sonata No. 2

Oft finden sich Wolfgang Amadeus Mozart und Johann Sebastian Bach in den Tropen, es sind die Favoriten des Schriftstellers. Dazu Ludwig van Beethoven und Johannes Brahms. Es ist vor allem der klassische Musikkanon, der ihn anspricht. Es sind, wenn man so will, die Hits der Klassikabteilung.

Ernest Hemingways Musikgeschmack konzentriert sich auf die populäre Klassik, dazu kommen amerikanische Folklore und die Volksmusik anderer Länder. Die Familie in Oak Park bei Chicago hat Kammermusik gespielt, die Mutter ist Opernsängerin gewesen. Im Elternhaus hat man viel musiziert, gerade die Klassiker, dem kleinen Ernest wird als Instrument das Cello zugewiesen. Er besitzt seit Kindesbeinen an ein gutes Ohr und die Kennerschaft für diese Musik.

Nun weiß man, dass der Schriftsteller gerne über klassische Musik gesprochen hat, dass er von ihr auch eine Menge fürs Schreiben gelernt hat. Nicht nur andere Literaten sind seine Vorbilder, sondern ebenso die modernen Maler und die guten Komponisten. Aus einem klugen Arrangement lernt er, wie man auch in der Literatur die Harmonielehre verwenden kann und an welchen Stellen man in einem Text Stimme und Gegenstimme, den Kontrapunkt, setzen kann.

Ganz vernarrt ist der bärtige Autor in die Toccata und Fuge in d-Moll von Johann Sebastian Bach an, am liebsten auf einer guten sakralen Orgel gespielt. Hier erhält dieser Schriftsteller eine Ahnung davon, wie man schreiben muss. Und wie hoch die Messlatte für einen Künstler wie ihn liegt.

Loading

Hemingways Turm für das Schreiben und für die Liebe

Ein lockerer Ernest Hemingway auf der obersten Etage seines Schreib- und Liebesturms. Die Aussicht reicht bis nach Havanna. Foto: George Leavens

Hinter dem Haupthaus der Finca Vigía findet sich, neben der großen Garage für die Autos, ein kleines Gästehaus, dort kommen Gäste unter, Freunde aus Übersee oder die Söhne, wenn sie in den Schulferien den Vater auf Kuba besuchen. Blickfang des gesamten Anwesens ist schon vom weitem ein rechteckiger Turmbau, etwas versetzt vom Haus. Der Autor hat diesen im Jahr 1947 anbauen lassen, um hier in aller Abgeschiedenheit schreiben zu können.

Hoch oben im dritten Stockwerk des weißen Turms hat Ernest Hemingway sich ein Schreibstudio eingerichtet, hier sitzt er meist den Vormittag über an seinen Manuskripten. Der Ausblick ist atemberaubend, von dort oben hat er einen weiten Blick nach Havanna und bis zum Meer, das etwa zehn Kilometer im Norden liegt.

In diesem weißen Turm hat er sein Meisterwerk Der alte Mann und das Meer geschrieben. Bei seiner Arbeit setzt er sich hinter den Schreibtisch oder er steht vor einem Pult, meist barfuß auf dem abgeschabten Fell einer von ihm erlegten Kudu-Antilope. Auf dem Anwesen läuft Ernest Hemingway am liebsten mit nackten Füßen herum, mit einer kurzen Shorts und mit freiem Oberkörper.

Doch in diesem Turm wird nicht nur hohe Literatur erzeugt, der abgetrennte hohe Bau dient zudem als sein Liebesnest. Hierhin zieht Ernest Hemingway sich zurück, um, wie er den Bediensteten zu verstehen gibt, „zu arbeiten“. Dass er zu dieser Arbeit ab und an eine Frau mitnimmt, die nicht seine eigene ist, darüber schauen die Angestellten der Farm diskret hinweg.

Ernest Hemingway ist in dieser Hinsicht ein schlimmer Finger. Die Ehefrau im Haus, eine feste Geliebte in Havanna, dazu ein Techtelmechtel, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Und Verlockungen laufen einem kraftstrotzenden Mannskerl wie ihm tagtäglich über den Weg. Er braucht nur

Loading

Ein Miró für Mrs. Hemingway

Ernest Hemingway, Ehefrau Miss Mary und Verwalter Roberto Herrera Sotolongo im Esszimmer der Finca Vigía. An der Wand: Der Bauernhof von Joan Miró. Foto: George Leavens.

Schon in frühen Jahren beginnt Ernest Hemingway, moderne Kunst zu sammeln. Anfang der 1920er Jahre lebt er mit seiner ersten Ehefrau Hadley in Paris, dort, wo junge Frauen und Männer mit neuen, wilden Ideen von sich reden machen. Die amerikanischen Expatriates in der französischen Metropole scharen sich in jenen Jahren um Gertrude Stein, eine wohlhabende Autorin und Kunstsammlerin. Die Frau aus Pittsburgh führt den Neuankömmling Ernest Hemingway in ihren avantgardistischen Zirkel ein und fördert den talentierten Autor.

In ihrem literarischen Salon in der Rue de Fleurus 27 sammelt Frau Stein die experimentierfreudigen Künstler jener Zeitepoche um sich, nicht nur Autoren und Komponisten, sondern auch zahlreiche Maler, so Pablo Picasso, Henri Matisse, Georges Braque und Juan Gris. Der junge Ernest Hemingway, ein Bauch- und Augen-Mensch, besitzt von früh an ein Gespür für gute Kunst. Ein Gemälde hat es ihm besonders angetan. Der Bauernhof, gemalt von dem Katalanen Joan Miró, der abwechselnd in seiner Heimat und in Paris lebt.

Der Maler aus Barcelona, Jahrgang 1893, er ist sechs Jahre älter als Hemingway, steht am holprigen Anfang seines Erfolgsweges. Der Bauernhof, auf Katalanisch La Masía, wurde von ihm 1921 und 1922 in neunmonatiger Fleißarbeit erstellt. Der 28-jährige Miró ist noch auf der Suche nach seinem eigenen Stil und mischt realistische, naive, phantastische und kubistische Elemente. Auf dem Bild ist der Bauernhof seiner Eltern in Mont-roig del Camp abgebildet, der im Landesinneren westlich von Tarragona liegt.

Das großformatige Bild wird von einem Eukalyptus-Baum beherrscht, der aus einem schwarzen Kreis ragt und im Abendhimmel vom Mondlicht erleuchtet wird. Die Tiere des Hofes – ein Hahn, ein Esel, eine Ziege, ein Hund, eine Taube – verteilen sich wild über das ganze Bild. Unter dem Baum befindet sich ein umgestürzter Blecheimer vor einer Gießkanne, rechts davon die französische Zeitung L’INTRANSIGEANT. Wegen der Faltung kann man nur L’INTR (hinein!) lesen, was der gesamten Komposition eine sexuelle Andeutung verleiht.

Nach diesem Schema versteckt Joan Miró in seinem Gemälde eine Vielzahl kleiner Anspielungen. Jedes Detail erzählt seine Botschaft, wie in Trance vereinen sich viele an sich realistische Eindrücke mit dezenter Kraft zu einem verrückten Traum. Man kann stundenlang vor diesem Gemälde weilen und stets etwas Neues entdecken. Eigentlich markiert dieses Schlüsselwerk Mirós den Beginn des Surrealismus in der Malerei. Man kann wunderbar beobachten, wie in diesem Bild die realistische Darstellung des Landlebens übergeht in abstrakte und dadaistische Motive.

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist MiróFarm.jpg

La Masía, von Joan Miró. Zu Deutsch: Der Bauernhof.

Ernest Hemingway, damals noch ein mehr oder weniger unbekannter amerikanischer Autor in Paris, kauft Mirós Gemälde im Herbst 1925 über den Kunsthändler Léonce Rosenberg. Er möchte das Bild seiner Frau Hadley zum Geburtstag schenken. Der 26-jährige Journalist aus Chicago, in den Anfangsjahren meist klamm, leiht sich den Kaufpreis von 5.000 Franc bei seinem wohlhabenden Freund und Kollegen John Dos Passos.

Als Ernest Hemingway – mit der zweiten Ehefrau Pauline – im Jahr 1928 nach Key West zurück in die USA übersiedelt, kommt Joan Mirós Bild mit. Nach einem weiteren Jahrzehnt und einer weiteren Ehefrau hängt das Gemälde seit 1939 im

Loading

Mary Welsh räumt auf, Ernest Hemingway inklusive

Die forsche Mary Welsh kommt Mitte 1945 nach Kuba auf die Finca Vigía und räumt im Leben des Ernest Hemingway erstmal kräftig auf. Foto: George Leavens.

Der Kriegsreporter, von der Brutalität der Kämpfe im Hürtgenwald schwer erschüttert, seine Ehe mit Martha Gellhorn in Trümmern, steht im Winter 1944 hilflos wie ein Kind an den Kriegsgräben Europas. Fernab von seiner Finca Vigía sehnt er sich zurück in sein warmes kubanisches Refugium. Noch vor der Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 verlässt Ernest Hemingway den alten Kontinent.

Im März 1945 fliegt ein ernüchterter Kriegsberichterstatter von Paris über London nach New York, und beeilt sich, nach Havanna zu gelangen. Ernest Hemingway kehrt alleine zurück in sein kleines privates Paradies, wie er sein tropisches Heim in der Karibik bezeichnet. Der Schriftsteller, krank und desillusioniert, fällt auf Kuba in ein tiefes Loch. 

Auf Finca Vigía plagt den gefeierten Schriftsteller alsbald eine schwere Depression, vor allem der Einsamkeit wegen. Er fühlt sich verloren und von Gott und der Welt im Stich gelassen. Der Autor vernachlässigt sich, er ist außer Stande zu Schreiben, er streunt durch Havanna, säuft sich bis zum Morgengrauen durch die Kneipen, alles um seine innere Vereinsamung wegzutrinken.

Jeden Tag schreibt er seiner neuen Liebe Mary Welsh einen Brief nach London und fleht sie an, zu ihm auf die Insel zu kommen. Ich bin nicht ungeduldig, offenbart er sich kleinmütig, ich bin nur verzweifelt. Nach drei gescheiterten Ehen findet der Weltautor sich einsam und verlassen in seinem Tropengarten wieder, es ist niemand da, der ihn trösten und aufbauen kann.

Anfang Mai 1945 erscheint dann endlich Mary Welsh auf der Finca Vigía und findet nicht nur das Anwesen durch den Hurrikan des vergangenen Herbstes heftig geschädigt vor. Noch mehr fällt ihr der verwahrloste Zustand von Ernest auf. Die resolute Mary bringt zunächst Ordnung in die Finca Vigía, ebenso wie in den Alltag des Schriftstellers. Sie sorgt für

Loading

Ernest Hemingway verschlingt alles Gedruckte

In den Buchhandlungen, wie dem La Bohemia Bookstore von Havanna, kennt man Ernest Hemingway als guten Kunden. Credit Line: Ernest Hemingway Papers Collection, Museum Ernest Hemingway, Finca Vigia, San Francisco de Paula, Cuba.

Ernest Hemingway ist nicht nur ein fleißiger Schreiber, sondern auch ein Vielleser. Er kann an keiner Buchhandlung und an keinem Zeitschriftenladen vorbei gehen. Aufmerksam schaut der Amerikaner sich die Auslage an und nicht selten kauft der Autor auf ein Mal zwanzig oder mehr Bücher und Magazine, die er dann auf der Farm gründlich durcharbeitet.

Auf Finca Vigía hat der Schriftsteller zwei Dutzend Zeitschriften aus aller Welt abonniert, von Harper’s Bazaar über Field & Stream bis hin zu Cancha, einem mexikanischen Hahnenkampf-Blättchen. Oft kommt der Postbote von San Francisco de Paula zweimal am Tag auf der Farm vorbei und bringt die Post. Mit einem guten Trinkgeld geht er zurück zu seiner Poststation. 

Juan Pastor, der Chauffeur, fährt jeden Tag nach Havanna, um dort die aktuellen Zeitungen zu kaufen, immer die New York Times, aber auch lokale Blätter wie La Prensa Libre oder den kubanischen El País. Ernest Hemingway kann sich dann auf der Finca Vigía stundenlang aufs Sofa oder in sein Bett legen und ausführlich in der New York Times schmökern.

Wenn Ernest Hemingway nicht schreibt, dann

Loading

Mary Hemingway schenkt die Finca Vigía dem kubanischen Volk

Das Dokument, in dem die Witwe Mary Hemingway die Besitztümer ihres verstorbenen Mannes auf Kuba dem kubanischen Volk überschreibt. The Pueblo of Cuba schreibt Mary etwas verschachtelt.

Die Stimmung im Kuba des Fidel Castro heizt sich Ende der 1950er Jahre auf, die Situation für die Hemingways auf der Finca Vigía verkompliziert sich. Mich persönlich berührt es nicht. Ich bin für die Herrschaften eine gute Reklame, deshalb werden sie mich wahrscheinlich nicht belästigen. Doch mehr und mehr droht die revoltierende Aufwallung außer Kontrolle zu geraten, die US-Botschaft rät dem prominenten Ehepaar zur endgültigen Ausreise.

Es ist vor allem Mary Welsh, die nach dem Sieg der Castro-Revolution im Januar 1959 den Wegzug aus Kuba vorantreibt. Er hätte wohl bleiben wollen in seinem versteckten Refugium unter der Sonne, sein Traum war, neben dem Ceiba-Baum hinter der Veranda begraben zu werden. Doch Mary dringt darauf, dass ihr Ehemann, der gesundheitlich zusehends abbaut, sich in den USA einer erstklassigen medizinischen Behandlung unterzieht. 

Seit der Machtübernahme der Revolutionäre weilen Ernest und Mary nur noch selten auf Kuba. Als Zweitwohnsitz halten sie an ihrer malerischen Finca Vigía in der Nähe von Havanna noch eine Weile fest, erst am 25. Juli 1960, vier Tage nach seinem 61. Geburtstag, verlässt Ernest Hemingway sein geliebtes Kuba und siedelt zusammen mit Ehefrau Mary nach Ketchum über, in die Bergwelt Idahos am Rande der Rocky Mountains.

Es wird ein schmerzhafter und tränenreicher Abschied aus Kuba. Die Finca Vigía, seine Bücher und die Manuskripte, die Angestellten, alle Freunde, die Katzen und die Hunde muss er zurücklassen, das Lebewohl bricht ihm das Herz. Es gab keinen Ort auf der Welt, Paris ausgenommen, wo er sich so wohl gefühlt hat. Ernest Hemingway verlässt sein Paradies. Für immer.

„Wir wissen nicht, was mit unserem Zeug dort passieren wird“, klagt Mary ihrer Freundin Tillie Arnold aus Ketchum im August 1960, „in Wirklichkeit sind es ja die Schätze unseres ganzen Lebens.“ An George Brown schreibt Mary im Februar 1961, dass Ernest und sie Kuba schrecklich vermissen, die Wärme, den Golfstrom, die Bücher und die Fotos, die Tiere.

Aber man möchte es nicht an die große Glocke hängen, man fürchte

Loading

Trato de comprender la mar – ich versuche, das Meer zu verstehen

Kurz nach Verkündung der Verleihung des Literatur-Nobelpreises an Ernest Hemingway kreuzt Ende Oktober 1954 das kubanische Fernsehen auf Finca Vigía auf. Der Reporter Juan Manuel Martínez, der sich etwas windig hinter einer dunklen Sonnenbrille versteckt, fragt im gestelzten Duktus recht umständlich nach dem Befinden des Schriftstellers ob der guten Neuigkeit aus Stockholm.

Und Ernest Hemingway stimmt im Sender CMQ, in den 1950er Jahren eine große Radio- und TV-Station auf der Insel, einen Lobgesang auf sein Gastland Kuba an. Seit 1939 lebt er auf Kuba, die Finca Vigía ist sein tropisches Paradies. Auf der Insel, in der Altstadt von Havanna, in San Francisco de Paula oder in Cojímar ist der bärtige Autor aus Amerika bekannt wie ein bunter Hund. Wenn der hochgewachsene Ernest Hemingway irgendwo auftaucht, wird er rasch von einer Menschentraube umringt.

Der amerikanische Autor überrascht im kubanischen TV mit einem gebrummelten Statement in einem nicht ganz fehlerfreien Spanisch. Ein Spanisch, das gar Begriffe aus dem kubanischen Spanisch verwendet. Er sei ein cubano sato, sagt er, er sei ein kubanischer Straßenköter, eine Promenadenmischung aus USA und Kuba, bunt und wild.

Und das Fischerdorf Cojímar, wo sein Roman Der alte Mann und das Meer spielt, sei más o menos sein Pueblo. Dieser armselige Ort sei mehr oder weniger sein Dorf, sein Volk, seine Heimat, wie der wohl situierte Ernest Hemingway sagt, der Begriff Pueblo kann im Spanischen weit ausgelegt werden.

Darüber hinaus erweckt der US-amerikanische Schriftsteller den Eindruck, hier habe nicht ein Mann aus Chicago, sondern eigentlich ein waschechter Kubaner diesen Nobelpreis erhalten. Und so sagt Ernest Hemingway wortwörtlich: Soy muy contento de ser el primer cubano sato de ganar este Premio. Ich bin sehr glücklich, der erste Kubaner zu sein, der diesen Nobelpreis gewinnt.

Und weil er den Literaturpreis ausdrücklich für Der alte Mann und das Meer bekommen hat, äußert sich der frisch gebackene Preisträger nun zum Meer. Denn sein Leben erschließt sich über das Meer. Das Meer hat mein Schreiben beeinflusst wie nichts anderes, sagt er. La Mar es la gran influencia en mi vida. Das Meer habe einen großen Einfluss auf sein Leben, mehr noch, es sei der große Einfluss auf sein Leben.

Fast beiläufig sagt der bärtige Autor dem kubanischen Fernsehreporter Juan Manuel Martínez, auf Finca Vigía, einen ganz entscheidenden Satz ins Mikrophon.

Loading

Fico kocht für Ernest Hemingway

Die Finca Vigía, für Ernest Hemingway das Paradies auf Erden, dient als Idyll des Rückzugs und der Tollheit zugleich, ein tropischer Garten Eden, der alles bietet, was ein Mann zum Glücklichwerden so braucht. Ernest Hemingway liebt die Hitze Kubas, Klimaanlagen oder Ventilatoren bleiben bei ihm meist ausgeschaltet.

Die glutheißen Tropen sind seine Sonnen-Tankstelle für die kühle Welt da draußen. Für seine Reisen in die USA, nach Italien und Spanien, für seine Abenteuer und Eskapaden. Aber auch gegen die Kälte und gegen die Querelen braucht er seinen tropischen Garten Eden, weil die Verletzungen innerlich in ihm brodeln, seelische Verwundungen, vor denen kein Menschenleben verschont bleibt.

Die Finca Vigía ist wohl Luxus, allerdings kein Protz, eher gediegener tropischer Komfort, der den Alltag angenehm und leicht fließen lässt. Die Finca Vigía funktioniert fast wie ein kleines Unternehmen, stolze 4.000 Dollar verschlingt ihr Unterhalt jeden Monat, ein kleines Vermögen für die damalige Zeit.

Die zahlreichen Angestellten, dazu Ernest Hemingways Großzügigkeit, der gut gefüllte Weinkeller, die exquisiten Lebensmittel, die in großen Mengen aus dem Warenhaus Casa Galarreta in Havanna oder dem amerikanischen Lebensmittelladen El Morro Castle herbei gebracht werden. Ob französische Clairets oder iranischen Kaviar – die Hemingways lassen sich ihren mondänen Lebensstil einiges kosten.

Es fehlt den Hemingways auf ihrer kubanischen Finca an nichts und für jeden Handgriff findet sich ein dienstbarer Geist, insgesamt neun an der Zahl. René Villarreal, der junge schwarze Majordomus, Marta und Clara, die Hausmädchen, die Wäscherin Ana Tsar, der Zimmermann Pancho, der Chauffeur Juan Pastor López oder José Pichilo, der Gärtner. Fünfmal in der Woche kommt der Masseur Mario Sánchez auf die Finca, wegen Ernests Rückenleiden. 

Die Küche ist das Revier des chinesischen Kochs Ramón Wong und des Küchenhelfers Alberto Ramos, genannt Fico. Dieser Fico ist aus dem Dorf, seine arme Familie lebt in San Francisco de Paula unweit der Finca an der Landstrasse in einer bescheidenen Hütte aus Holz. Er findet bei den Hemingways

Loading

Ernest Hemingways Monstermann

Mary Welsh, N.N., Roberto Herrera Sotolongo

Mary Welsh, N.N., Roberto Herrera Sotolongo. Foto: Archiv Dr. Stock.

Roberto Herrera Sotolongo ist der Mensch, Gregorio Fuentes vielleicht ausgenommen, der Ernest und Mary Welsh auf Kuba am nähesten steht. Seit Anfang der 40er Jahre arbeitet Roberto Herrera für das amerikanische Ehepaar, zunächst als Ernests Privatsekretär, schließlich auch als Verwalter der Finca Vigía.

Im Grunde genommen aber ist Roberto Herrera Sotolongo Mädchen für alles, insbesondere, wenn es darum geht, den Kontakt zu kubanischen Autoritäten zu halten. So absolviert Roberto die Behördengänge, erledigt den Papierkram, kümmert sich um Ernests Korrespondenz, besorgt Bescheinigungen und erstellt Hemingways Steuererklärung. Roberto wirkt als Papas verlängerter Arm auf Kuba.

Ernest Hemingway nennt seinen Freund Don Monstruo, was nun ziemlich ironisch gemeint ist, denn der dürre Mann mit den großen Ohren ist alles andere als monstruös. Merry Christmas, Don Monstruo, schreibt der Schriftsteller ihm zu Weihnachten. Frohe Weihnacht, mein Monstermann. Der berühmte Autor unterschreibt einfach mit Mister Papa. Und vergisst auch einen kleinen Scheck der First Boston nicht.

Roberto kommt aus Spanien, nach der Niederlage der Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg hat es ihn nach Kuba verschlagen. Wegen des Spanischen Bürgerkrieges hat Roberto Herrera Sotolongo sein Medizinstudium abbrechen müssen. Später, im Kuba des Fidel Castro, wird er das Studium fortsetzen und 1966 die Approbation erhalten und bis zu seinem Tod 1970 als Arzt im Calixto García Hospital von Havanna praktizieren. Der kleine, schlanke Mann mit der Glatze ist jedenfalls einer der wenigen Menschen, denen die Hemingways ohne zu Zögern vertrauen.

Roberto Herrera ist zudem

Loading

Seite 1 von 2

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén

Neuerscheinung:
364 Seiten, BoD-Verlag
12,99 € (Paperback),
8,99 € (E-Book)
ISBN: 9783751972567
zu beziehen über jede Buchhandlung
oder online bei
amazon (hier klicken)