Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Schlagwort: Nobelpreis

Den Macho-Schreiber Ernest Hemingway plagen heftige Selbstzweifel

Der Nobelpreisträger Ernest Hemingway im April 1956 in Cabo Blanco. Foto: Modeste von Unruh.

Wunderbar lassen sich die ersten 20 Jahre seines Literaten-Daseins an. Als im Oktober 1926 sein Erstling The Sun Also Rises – zu Deutsch: Fiesta – bei Scribner’s in New York herauskommt, da wird er als ein Wegbereiter gefeiert. Er ist ein Revolutionär, ein Vorkämpfer, der den Charles Dickens-Schnörkeleien endlich den Todesstoß verpasst. Mit neuen Themen und einer klaren Sprache. Ernest Hemingway steht da wie ein literarischer Heilsbringer, auf den Millionen sehnsüchtig gewartet haben.

Der Amerikaner aus Chicago tritt auf als die neue Stimme einer neuen Generation. Die späten 1920er und die 1930er Jahre werden zu einer hochproduktiven Phase seines Schaffens. So ziemlich alles, was er anpackt, wird zum Erfolg. Beim Publikum, bei den Kritikern, auch vor der Literaturgeschichte.  A Farewell to Arms (dt. In einem andern Land, 1929),  die Kurzgeschichten A Clean, Well-Lighted Place (dt. Ein sauberes, gutbeleuchtetes Café, 1927) und vor allem The Snows of Kilimanjaro (dt. Schnee auf dem Kilimandscharo, 1936).

Alles erstaunlich grandios, und noch mehr, alles allseits bewundert. Dieser Schriftsteller prägt nun für Jahre die Sprach-Melodie einer ganzen Literaturepoche. Mit seinem bunten Leben und als umtriebiger Weltenbummler wird er zur öffentlichen Figur, die man an allen Ecken und Enden erkennt und verehrt. Mehr geht eigentlich nicht. Ernest Hemingway blickt vom Thron herab auf die Konkurrenz. 

Doch nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgt der Einbruch. Eine neue Generation übernimmt das Ruder. Mit einem Schlag ist er nur noch ein Schnapsbruder, ein Rabauke, ein Macho-Mann, der die Frauen schlecht behandelt. Jedenfalls, irgendwie ganz schrecklich aus der Zeit gefallen. Das Publikum verlangt in den Jahren des Wirtschaftswunders nun andere Themen und einen anderen Stil. Berufsprobleme, Ehezwist, Emanzipation – alles Großstadt-Stoffe. Damit hat Ernest Hemingway nichts am Hut.

Literarisch hat er tiefe Spuren hinterlassen. Ernest Hemingway hat einer bedrückten Generation nach einer schrecklichen Katastrophe und den fatalen Wirtschaftskrisen der 1920er Jahre eine Stimme gegeben und sie für die Beschwernis, aber ebenso für die Schönheit dieser Welt sensibilisiert. Er schreibt innovativ und stilbildend zugleich. Seine Satz-Melodie und sein Sprach-Rhythmus haben sich fest in den Köpfen verankert und stehen für Freiheit und Individualität. Soll das alles nicht mehr zählen?

Die Welt um ihn herum hat sich verändert, er allerdings ist der Gleiche geblieben. Mit einem Mal sind lange Sätze und vielschichtige Charaktere angesagt – Hemingway weiß, dass er mit einem weiteren Roman über den Stierkampf da nicht mithalten kann. Zum Glück hat der Schriftsteller sich in den Jahren der literarischen Durststrecke nach dem Zweiten Weltkrieg abgekapselt in seinem behaglichen Refugium Finca Vigía auf Kuba. Doch im Umgang wird er zunehmend unleidlich und depressiv.  

Im Oktober 1954 erfolgt dann der Befreiungsschlag, Ernest Hemingway erhält den Nobelpreis für Literatur. Die Trophäe holt ihn aus seinem Tief. Er sei ein Innovator, so die Laudatio, er habe eine neue Erzähltechnik entwickelt. „Für seine kraftvolle und stilbildende Beherrschung der modernen Erzählkunst, wie zuletzt in Der alte Mann und das Meer“, schwärmt die schwedische Akademie in ihrer Begründung. Ernest Hemingway ist tief gerührt. 

Dieser Nobelpreis kommt für ihn zur rechten Zeit. Denn als Autor durchleidet der Mann aus Chicago eine düstere Phase. Sein vorletztes Buch Über den Fluss und in die Wälder, das Werk ist im Jahr 1950 erschienen, wird ein Misserfolg. Die Kritiker lassen kein gutes Haar an der Liebesgeschichte um den alten Colonel Richard Cantwell und die junge venezianische Contessa Renata. Unübersehbar ist diese Erzählung zu fahrig im Aufbau und arg hölzern in den Dialogen. Das Publikum jedenfalls hat mehr von ihm erwartet und er selbst spürt, sein Roman ist Durchschnittsware.

Einen weiteren Schlag ins Wasser hätte ein Autor mit solch einem Ego wie Hemingway nur schwer verkraftet. Doch sein nächstes Manuskript – Der alte Mann und das Meer – wird im Herbst 1952 zum Riesenerfolg. Diese Erzählung über den kubanischen Fischer Santiago und dessen Kampf auf dem Meer donnert in sein Leben wie eine urplötzliche Erlösung. Das schwedische Ding befreit den bärtigen Autor mit einem Mal von seinen heftigen Selbstzweifeln.

Dabei ist Der alte Mann und das Meer ein merkwürdiger

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Ernest Hemingway schenkt die Nobelpreismedaille an Kuba

Gerührt drückt Ernest Hemingway seinem Freund Fernando Campoamor bei einem Fest in Cotorro die Medaille des Nobelpreises in die Hand. Die Auszeichnung soll auf Kuba verbleiben.

Der amerikanische Schriftsteller macht keinen Hehl daraus, wie sehr die kubanische Denkweise seinen Nobelroman Der alte Mann und das Meer geprägt hat. Er vergisst auch nicht, diesen Umstand zu erwähnen, als ein Freund, der Journalist Fernando Campoamor, zu Ehren der Verleihung des Nobelpreises eine Feier im Garten der Cervecería Modelo in Cotorro, einem Vorort von Havanna, in Gang bringt.

Zweihundert Gäste erscheinen im August 1956, um das „schwedische Ding“ zu bejubeln, die gesamte Truppe aus El Floridita mit Angel Martínez an der Spitze, der Bildhauer Juan José Sicre kommt, ebenso der Sänger Bola de Nieve, der Boxer Kid Tunero. Sie alle sind gute Freunde des prominenten Schriftstellers, der nun schon seit 17 Jahren auf Kuba lebt. 

Es wird kräftig getrunken und ausgelassen zur Musik von Los Cumbancheros Cubanos und der Gruppe von Luis Carbonell und der  Sängerin Amelita Frades, La Lupe genannt, getanzt. Über dieses Fest schreibt Guillermo Cabrera Infante unter der Überschrift El viejo y la marca einen fabelhaften Artikel in der Zeitschrift Ciclón.

„So um die Mittagszeit fand gestern eine Ehrung für Ernest Hemingway in der Gartenanlage der Cervecería Modelo in Cotorro statt“, informiert Cabrera Infante, „kubanische Kulturinstitutionen haben diese organisiert für den großen US-Schreiber, Autor von Der alte Mann und das Meer, der seit Jahren auf Kuba residiert. Soviel haben die Zeitungen geschrieben. Aber das ist nicht alles.“

Und dann schildert Guillermo Cabrera Infante, wie ein etwas müder Schriftsteller die ganzen Ehrbekundungen über sich ergehen lassen darf. „Kurz nach eins kam Hemingway und wurde sofort von einem Pulk Menschen umgeben, aus dem auffällig die Fotografen ihre Kameras hoben, wie Schwimmer, die ihre trockene Kleidung hochhalten. Und plötzlich bewegte sich das Denkmal.“

Das Denkmal bewegt sich tatsächlich. Ernest Hemingway geht

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Die Geliebte Adriana Ivancich gratuliert dem noblen Ernest Hemingway mit Kisses

Lola gratuliert Professor Unrat per Telegramm zum Nobelpreis. Glücklich und stolz Deine Freundin zu sein, einst, jetzt und für ewig. Küsse. Credit Line: Ernest Hemingway Papers Collection, Museum Ernest Hemingway, Finca Vigia, San Francisco de Paula, Cuba

Der Schriftsteller, er geht stramm auf die 50 zu, verliebt sich gleich beim ersten Zusammentreffen im Veneto in die schwarzhaarige Adriana Ivancich. Obwohl das Mädchen mit den tiefschwarzen langen Haaren, den grünen Augen, der markanten Nase und den vollen Lippen da gerade erst 18 Jahre alt ist. Doch Ernest Hemingway gibt sich wie sein Oberst Cantwell, seine Romanfigur, die Leidenschaft flammt unlöschbar auf. Einerlei woher man kommt oder welche Jahreszahl in der Geburtsurkunde steht.

Bei einem weiteren Europa-Besuch des Schriftstellers, zusammen mit Ehefrau Miss Mary, weicht Adriana im Frühjahr 1950 wochenlang nicht von seiner Seite, nicht in Venedig und nicht in Paris. Ich liebe Dich aus tiefstem Herzen, eröffnet ihr der liebeskranke Autor, und ich kann nichts dagegen tun. Der alternde Ernest Hemingway blüht auf in der Zweisamkeit mit der jungen Italienerin, er findet wieder Gefallen am Leben und das Schreiben geht ihm leichter von der Hand.

In Paris offenbart der Autor sich ein weiteres Mal der hübschen Venezianerin. „Aber Du hast Mary“, entgegnet Adriana halbherzig. Der unrettbare Romantiker Ernest Hemingway steckt wieder einmal tief im Gefühlssumpf. Ach ja, Mary, erwidert der vernarrte Schriftsteller, sie ist natürlich nett und solide und tapfer. Aber ein Paar kann einen Teil des Weges gemeinsam gehen und dann unterschiedliche Richtungen einschlagen. Das ist mir schon passiert.

Der 50-jährige Schriftsteller ist bereit, für Adriana alles aufzugeben. Ich liebe Dich in meinem Herzen, und ich kann nichts dagegen tun. Er habe nur beste Absichten, beteuert er. Ich weiß, was Du brauchst, um glücklich zu sein. Ich werde fortan leben, um Dich glücklich zu machen, säuselt Ernest Hemingway wie ein verknallter Oberprimaner.

Der Schriftsteller steht unter Testosteron und vermag keinen klaren Gedanken zu fassen. Ich liebe Dich mehr als den Mond und den Himmel und ich werde Dich so lieben, solange ich lebe. Selbst das Schreiben scheint ihm nebensächlich, zum Abschied lädt er sie auf seine Farm Finca Vigía nach Kuba ein und schenkt der jungen Muse seine Royal-Schreibmaschine.

Zum Nobelpreis gratuliert ihm Adriana per Telegramm Ende Oktober 1954 mit Kisses. Die italienische Lola kokettiert heftig mit dem alternden Autor und lässt sich gerne den Hof machen, möglicherweise gibt es sogar ein paar unschuldige Küsse. Mehr wohl nicht. Doch der liebestolle Ernest hört nicht auf und

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Ernest Hemingway erhält den Nobelpreis für Literatur

Per Telegramm erfährt Ernest Hemingway am 28. Oktober 1954 auf seiner kubanischen Farm von der Verleihung des Nobelpreises für Literatur an ihn. Credit Line: Ernest Hemingway Papers Collection, Museum Ernest Hemingway, Finca Vigia, San Francisco de Paula, Cuba

Am späten Vormittag des 28. Oktober 1954 trudelt auf Finca Vigía nahe von Havanna ein Telegramm aus Stockholm ein. Nachdem er die Nachricht gelesen hat, stampft Ernest Hemingway in Marys Schlafzimmer, wo seine Ehefrau noch schläft, der Abend ist lang geworden. Mein Kätzchen, mein Kätzchen, ruft der bärtige Schriftsteller aufgeregt, ich habe das Ding bekommen. Mary reibt sich den Schlaf aus den Augen. Du weißt doch, das schwedische Ding. Mary springt aus ihrem Bett, umarmt ihren Ehemann.

Unter dem Amtszeichen Telégrafo del Estado steht auf dem erdfarbenen Papier des Telegramms mit Datum Octubre 28 de 1954, 11:00 a.m. folgender Wortlaut des Generalsekretärs der schwedischen Wissenschaftsakademie Dr. Anders Österling: At its session today the Swedish Academy decided to award you the 1954 Nobel Prize for literature and I would accordingly request you to notify me if you accept the award. Er möge doch bitte kurz Bescheid geben, ob er die Auszeichnung annehme.

Der Nobelpreis für Literatur. Gibt es auf der Welt eine Trophäe, die dem Leben eines Schriftstellers größeren Glanz verleiht? Er sei ein Wegbereiter, so die Laudatio, er habe eine neue Erzähltechnik entwickelt. Für seine kraftvolle und stilbildende Beherrschung der modernen Erzählkunst, wie zuletzt in ‚Der alte Mann und das Meer‘, schreibt die schwedische Akademie später in der Begründung. 

Schon sein erstes richtiges Buch The Sun Also Rises schlägt im Jahr 1926 ein mit einem Donnerhall. Der frische Stil der Erzählung wird bejubelt, sachlich, lakonisch, durch persönliches Erleben des Autors verbrieft, ein bärenstarker Abenteurer tritt auf, der mit der scheinheiligen Ehrpusseligkeit der ergrauten Vätergeneration bricht. Eigentlich verharrt die angelsächsische Literatur jener Jahre auf Charles Dickens-Niveau, man hegt weiterhin diesen blumigen viktorianischen Schreibstil mit seinen weitschweifigen Verzierungen der Prosa. Sicherlich alles gut gemeint, jedoch erschreckend harmlos und vorgestrig.

Von den Lesern wird Ernest Hemingway mit seinen lebensnahen Themen und dem zeitgemäßen Schreibstil wie eine Lichtgestalt empfangen. Endlich einer, der die ermüdenden Luftblasen des Althergebrachten mit einem Knall zum Platzen bringt. Der Mann aus Chicago wird vor allem deshalb verehrt und geliebt, weil dieser Schriftsteller mit

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Trato de comprender la mar – ich versuche, das Meer zu verstehen

Kurz nach Verkündung der Verleihung des Literatur-Nobelpreises an Ernest Hemingway kreuzt Ende Oktober 1954 das kubanische Fernsehen auf Finca Vigía auf. Der Reporter Juan Manuel Martínez, der sich etwas windig hinter einer dunklen Sonnenbrille versteckt, fragt im gestelzten Duktus recht umständlich nach dem Befinden des Schriftstellers ob der guten Neuigkeit aus Stockholm.

Und Ernest Hemingway stimmt im Sender CMQ, in den 1950er Jahren eine große Radio- und TV-Station auf der Insel, einen Lobgesang auf sein Gastland Kuba an. Seit 1939 lebt er auf Kuba, die Finca Vigía ist sein tropisches Paradies. Auf der Insel, in der Altstadt von Havanna, in San Francisco de Paula oder in Cojímar ist der bärtige Autor aus Amerika bekannt wie ein bunter Hund. Wenn der hochgewachsene Ernest Hemingway irgendwo auftaucht, wird er rasch von einer Menschentraube umringt.

Der amerikanische Autor überrascht im kubanischen TV mit einem gebrummelten Statement in einem nicht ganz fehlerfreien Spanisch. Ein Spanisch, das gar Begriffe aus dem kubanischen Spanisch verwendet. Er sei ein cubano sato, sagt er, er sei ein kubanischer Straßenköter, eine Promenadenmischung aus USA und Kuba, bunt und wild.

Und das Fischerdorf Cojímar, wo sein Roman Der alte Mann und das Meer spielt, sei más o menos sein Pueblo. Dieser armselige Ort sei mehr oder weniger sein Dorf, sein Volk, seine Heimat, wie der wohl situierte Ernest Hemingway sagt, der Begriff Pueblo kann im Spanischen weit ausgelegt werden.

Darüber hinaus erweckt der US-amerikanische Schriftsteller den Eindruck, hier habe nicht ein Mann aus Chicago, sondern eigentlich ein waschechter Kubaner diesen Nobelpreis erhalten. Und so sagt Ernest Hemingway wortwörtlich: Soy muy contento de ser el primer cubano sato de ganar este Premio. Ich bin sehr glücklich, der erste Kubaner zu sein, der diesen Nobelpreis gewinnt.

Und weil er den Literaturpreis ausdrücklich für Der alte Mann und das Meer bekommen hat, äußert sich der frisch gebackene Preisträger nun zum Meer. Denn sein Leben erschließt sich über das Meer. Das Meer hat mein Schreiben beeinflusst wie nichts anderes, sagt er. La Mar es la gran influencia en mi vida. Das Meer habe einen großen Einfluss auf sein Leben, mehr noch, es sei der große Einfluss auf sein Leben.

Fast beiläufig sagt der bärtige Autor dem kubanischen Fernsehreporter Juan Manuel Martínez, auf Finca Vigía, einen ganz entscheidenden Satz ins Mikrophon.

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