Die Penitentes, die barfüssigen Büßer im anonymen Kapuzengewand mit Spitzhaube über dem Kopf und einer Kerze in der Hand, gehören zum selbstverständlichen Bild in den andalusischen Karprozessionen der Semana Santa.
Foto by W. Stock, 2019

Jetzt wird es interessant. All thinking men are atheists. Alle denkenden Menschen sind Atheisten. So hat es Ernest Hemingway beiläufig geschrieben, in seinem Frühwerk A Farewell to Arms, im zweiten Kapitel. Im Jahr 1929 ist dieser Roman erschienen, auf Deutsch heißt er In einem andern Land. Jeder, der denken kann, ist Atheist. Das ist mal ein Aufschlag. Merkwürdig nur: Ernest Hemingway selbst war ja kein denkender Mensch, kein Intellektueller oder Räsonierer. Sondern ein Gefühlsmensch, jemand, der aus dem Bauch heraus lebte.

Und merkwürdig auch: Sein bestes Werk – Der alte Mann und das Meer – ist eine Erzählung von alttestamentarischer Kraft. Eigentlich ist diese Novelle der Versuch einer Zwiesprache mit Gott. All dies scheint merkwürdig für einen Atheisten. Auch hat Hemingway immer abgestritten, an Gott zu glauben, er hat sich vielmehr lustig gemacht über ihn. Aber irgendwie, je länger man seine Zeilen liest, kommen sie einem vor, wie ein Hilferuf an eine höhere Macht und wie eine Sehnsucht nach Behütung durch diese höhere Macht. Ernest Hemingway lebte merkwürdigerweise auch gerne in erzkatholischen Ländern. Auf Kuba und in Südspanien.

Die strengen Gebräuche in Andalusien übten eine Faszination auf ihn aus. So die Penitentes – jene Kapuzenmänner, die in der Karwoche als namenlose Büßer auftreten, weil ein Papst im 14. Jahrhundert die öffentliche Buße untersagt hatte. Oder denken wir an die übersteigerte Marienverehrung oder den blutigen Stierkampf. Ernest fühlte sich von solch archaischen Riten angezogen. Auch wenn er eine andere Begrifflichkeit verwendet, katholische Rituale wie Buße, Sünde, Selbstkasteiung, Vergebung, Sakrament oder Pilgertum bleiben ihm nicht fremd.

Über die Grenzen des Individuums hat er viel geschrieben. Ein Mystiker würde nun vielleicht versuchen, das Mysterium des Lebens und Ablebens mit Hilfe des Glaubens oder der Existenz eines allmächtigen Gottes zu enträtseln. Und möglicherweise ist so etwas wie Gott ja der Schlüssel für all dies, was sich dem Verstand nicht erschließt. Doch diesen letzten Schritt wollte – oder konnte – Ernest Hemingway nicht gehen.

Obwohl, möglicherweise benutzt dieser Ernest Hemingway für Gott ja bloß einen anderen Begriff. Erstaunlicherweise glaubt Ernest Hemingway zwar nicht an Gott, aber er himmelt in seinem Werk fortwährend Gottesbilder an, wie die blühende Natur, die kräftige Sonne, die emporragenden Bäume und vor allem das unendlich weite blaue Meer.

Ernest Hemingway vermag sein Bedürfnis nach dem Absoluten in der amtlichen Religion nicht wiederfinden und hilft sich deshalb mit dem Substitut La Mar, mit dem imposanten Meer als das Bild für das Göttliche. Dieser Nobelpreisträger gefällt sich im Leben als ein religiöser Dissident, der jedoch dem spirituellen Kern der Schöpfung näher kommt als so manch Gottesfürchtige.

Gleichwohl kann Ernest Hemingway in diesem Leben mit Gott wenig anfangen, ihm fehlen dafür einfach der Glaube und vor allem die Demut. Und deshalb muss er auf weltliche Irrwege ausweichen: das Saufen, das Herumhuren, das Großtun, der Selbsthass. Jedoch halten diese Trugbilder nicht für ewig und in der letzten Stunde bieten sie keinen Trost. Doch möglicherweise plustert Ernest Hemingway sich immer so schrecklich auf, um diese unergründliche höhere Ordnung herauszufordern oder um zumindest in Verbindung mit ihr treten zu können. 

Er bezeichnet sich mehr als einmal als Atheisten, doch genau genommen ist er als Atheist auch nur ein Mensch, der glaubt, nicht an Gott zu glauben. Karl Popper hat uns vor den vermeintlichen Wahrheiten gewarnt, der Glaube fängt da an, wo die Gewissheit aufhört. Der Literat weiß natürlich um diese Begrenztheit des Denkens, denn er schreibt darüber. In diesem Sinn kann Ernest Hemingway für einen Ungläubigen erstaunlich viel mit dem Glauben anfangen. Wie auch immer, sein Verhältnis zur offiziellen Religion bleibt frostig, aber für einen Atheisten redet Ernest Hemingway verdammt oft über Gott.

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