Ein aufstrebender Autor, zunächst ohne Fortüne. Ernest Hemingway, auf einem Passfoto aus dem Jahr 1923.

Seit Dezember 1921 lebt der 22-jährige Ernest Hemingway in Paris, es sind mühevolle Lehrjahre. Die Stadt an der Seine ist in jener Zeit eine Metropole im Aufbruch. Autoren, Maler und Komponisten auf der Suche nach neuen Ideen zieht es in die Quartiers der Intellektuellen, zudem inspiriert die Lebenslust der Franzosen einen mit den puritanischen Werten des Mittleren Westens aufgewachsenen Amerikaner.

Materiell reiht sich der junge Mann aus einem Vorort von Chicago ein in das Heer mittelloser Schriftsteller aus aller Welt, oft verkrachte Existenzen, die nicht wissen, woher sie das Geld für die nächste Miete nehmen sollen. Erst vor kurzem hat der freie Korrespondent des Toronto Star in Michigan seine Liebe Hadley Richardson geheiratet, mit einer kleinen Erbschaft von ihr kommt das junge Ehepaar mehr schlecht als recht über die Runden. Ernest und Hadley wohnen in einer bescheidenen Unterkunft an der Rue du Cardinal-Lemoine, am Place de Contrescarpe in Montparnasse. Es ist ein graues Appartement im dritten Stock, ohne warmes Wasser und mit Abort im Treppenhaus.

Zwar hat der Autor mit dem frischen Stil, Eisberg wird man seine lakonische Art zu schreiben nennen, bereits in zwei Pariser Kleinstverlagen veröffentlicht. Doch diese Schriften sind wenig mehr als Privatdrucke seiner Expat-Freunde Robert McAlmon und Bill Bird. Von seinem Erstling Three Stories and Ten Poems befinden sich im Jahr 1923 gerade einmal 300 Exemplare in Umlauf. Der Reporter, der von einer Zukunft als Schriftsteller träumt, schaut sich um nach einem zahlungskräftigen Verlag. Doch der bleibt weit und breit nicht auszumachen.

Der junge Familienvater, Sohn John wird im Oktober 1923 geboren, erhält von Verlagshäusern aus den USA eine Absage nach der anderen. Damit hat er nicht gerechnet, den Kerl mit dem riesigen Ego übermannen in Paris Selbstzweifel und Depressionsschübe. Seine Frau versucht, ihn wieder aufzurichten. Hadley glaubt an mich und das ist mehr als genug, um den Schmerz der Absagen zu überbrücken. Das Schreiben der Stories ist schon schwer genug gewesen, aber noch schwerer war, dass sie abgelehnt wurden. Voller Unsicherheit beginnt er, sich als Autor in Frage zu stellen.

Noch Monaten später hat Ernest Hemingway in seinem Heimatland kein Periodikum gefunden, das seine Kurzgeschichten und die ungewöhnlichen Stories über Spanien drucken will. Jede angesehene Zeitschrift und auch die verrufenen Magazine haben die Stierkampf-Story abgelehnt. Es sei eine großartige Geschichte, aber sie können sie nicht veröffentlichen, erklärt der Newcomer resigniert in einem Brief an seinen Kollegen Ernest Walsh. Die Story sei zu hart für die Leser.

Seine Entscheidung, den freien Korrespondentenvertrag mit der kanadischen Tageszeitung aus Toronto zu kündigen, um sich ganz und gar als Buchautor zu versuchen, bringt die dreiköpfige Familie mehr und mehr in Bedrängnis. Seit ich mit dem Journalismus Schluss gemacht habe, kommt kein Geld mehr rein.

Doch die Rettung naht, wenn auch von unerwarteter Seite. Ein Chefredakteur in Berlin druckt ihn, ebenso wie die Frankfurter Zeitung. Ernest Hemingway zeigt sich verblüfft. Es ist verdammt seltsam, dass Deutschland das einzige Land ist, wo ich was verkaufen kann. An ihn und an die ‚Frankfurter Zeitung‘. So erinnert sich der Nobelpreisträger von 1954 dankbar in seinen biografischen Skizzen Paris – Ein Fest fürs Leben.

In der Tat verkauft Ernest Hemingway nach Deutschland drei Kurzgeschichten, die in der Frankfurter Zeitung veröffentlicht werden: Indianisches Lager (10. April 1927), Der Boxer (17. April 1927) und Das Ende von etwas (22. Mai 1927). Es sind die deutschen Übersetzungen seiner Short Stories mit den Originaltiteln Indian Camp, The Battler und The End of Something.

Besonders sticht die Kurzgeschichte Indian Camp hervor. Die Erzählung ist ein frühes Meisterwerk, das bereits die Grundmotive der Hemingway’schen Weltsicht behandelt. Geburt, Tod, Selbstmord, Kampf und Geborgenheit – in der atmosphärisch dichten Geschichte um den Landarzt Doktor Adams und seinen Sohn Nick kann man deutliche semi-biografische Eigenheiten ausmachen.

Die Frankfurter Zeitung, ein Vorläufer der heutigen Frankfurter Allgemeinen Zeitung, galt schon damals als eine der führenden Tageszeitungen Deutschlands. Das Journal wurde 1856 als Handelszeitung gegründet und hatte sich über die Jahrzehnte zu einem bedeutenden freiheitlich-bürgerlichen Forum entwickelt. In der Weimarer Republik blieb die Frankfurter Zeitung eine der wenigen liberalen Stimmen. Vor allem ihr Feuilleton, für das fast alle Geistesgrößen der Zeit schreiben, gründete ihren guten Ruf.

Der Berliner Korrespondent der Chicago Daily News, Edgar Mowrer, hat den Kontakt zwischen Hemingway und der Frankfurter Zeitung hergestellt. Der emsige Geschichtenschreiber Ernest hat ihn gebeten, jemanden zu suchen, to take over the whole mess, der das ganze Kuddelmuddel übernimmt. Edgar Mowrer ist der jüngere Bruder von Paul Mowrer, der das Pariser Büro der Chicago Daily News leitet, und der ein Freund des Schriftstellers ist. Paul sollte 1933 Hadley heiraten, die erste Mrs. Hemingway lässt sich nach sechs Ehejahren 1927 von Ernest scheiden. Aus gutem Grund. Denn die Rasanz von Hemingways Aufstieg als Buchautor steht seiner Karriere als Schürzenjäger in nichts nach.

In der Frankfurter Zeitung wird zudem Ernest Hemingways Anti-Kriegsroman A Farewell to Arms zwischen dem 8. Mai und dem 16. Juli 1930 als Fortsetzung veröffentlicht, in der Übersetzung von Annemarie Horschitz. Unter dem ungewöhnlichen Titel Schluss damit. Adieu Krieg! Als Buch bei seinem Verleger Ernest Rowohlt wird das Werk den Titel In einem andern Land tragen, später winzig verändert zu In einem anderen Land.

A Farewell to Arms ist nach The Sun Also Rises von 1926 der zweite große Roman des US-Amerikaners, er wird 1929 bei Scribner’s in New York erstveröffentlicht. In diese Erzählung lässt der Mann aus Oak Park seine Erlebnisse als Sanitätsfahrer an der Piave-Front des Ersten Weltkriegs einfließen. Der schreckliche Krieg wird eingebettet in eine schöne Liebesgeschichte, die allerdings ein tragisches Ende findet.

Zwei deutsche Medien verhelfen dem ehrgeizigen Autor zum Durchbruch, obwohl er ansonsten wenig Sympathie mit den Krauts verspürt. Im Gegenteil. Er hat sie als Kriegsgegner erlebt, auf die harte Tour. Ernest Hemingway, als junger Ambulanzfahrer beim American Red Cross, wird im Juli 1918 beim italienischen Dorf Fossalta di Piave von den Splittern einer österreichischen Mörsergranate schwer getroffen. Ein halbes Jahr muss er in einem Mailänder Lazarett wieder zusammengeflickt werden.

Der Frankfurter Zeitung ist es zu verdanken, dass Hemingways Name auch in Deutschland an Kontur gewinnt. Doch ein anderes deutsches Medium, die Berliner Zeitschrift Der Querschnitt, ist noch etwas schneller gewesen. Im Sommerheft des Jahres 1925 hat das avantgardistische Kulturmagazin die angeblich zu harte Stierkampf-Story abgedruckt.

Die Kulturzeitschrift mit dem ausgefallenen Namen erscheint seit 1921 in der deutschen Hauptstadt. Gegründet hat Der Querschnitt der Kunsthändler Alfred Flechtheim, zunächst als Mitteilungsblatt seiner Galerie. Mitte der 1920er Jahre reiht der Verleger Hermann Ullstein das Magazin in seinen etablierten Propyläen Verlag ein, die Erscheinungsweise wird auf Monatsrhythmus erhöht, die Auflage steigt auf 20.000 Exemplare.

Ernest Hemingways Hang zur Großsprecherei prägt sich schon damals aus. In Deutschland, so tönt er, bin ich als der junge amerikanische Heine bekannt. Seine wachsende Selbstsicherheit verdankt der hochgewachsene Mann nicht zuletzt zwei deutschen Medien. Durch die Frankfurter Zeitung und Der Querschnitt erfährt der US-Amerikaner eine emotionale Bindung zu Deutschland und darüber hinaus einen Zugang zur deutschen Literatur. Ernest Hemingway ist ein offener und neugieriger Mensch, als Nicht-Studierter muss er sich vieles abschauen.

Nur drei Jahre nach Veröffentlichung in der Frankfurter Zeitung schlägt die dunkle Seite Deutschlands zu. Ernest Hemingways Roman findet sich auf jener Bücherliste, die von der NSDAP, der Hitlerjugend und der Deutschen Studentenschaft in einer „Aktion wider den undeutschen Geist“ verfemt werden. In einem andern Land wird im Mai 1933 bei den Bücherverbrennungen in Berlin, München und in anderen Städten unter dem Gejohle völkisch-nationalistischer Studenten in die Flammen geschleudert.

Sein Lebtag wird Ernest Hemingway nicht vergessen, wer seine erste Spanien-Geschichte, die frechen Poeme und die ersten Kurzgeschichten veröffentlicht hat. Ein deutsches Magazin und eine Frankfurter Tageszeitung haben an ihn, den Naturburschen mit der harten Schale und dem sensiblen Kern, geglaubt. Dieser Umstand wird Ernest Hemingway vor einem Denkfehler bewahren, der gemeinhin schnell gemacht ist. Deutschland ist nicht nur das Land der Bücherverbrenner und des Naziterrors. Deutschland, das ist auch das Land mit Verlegern, die einem weitgehend unbekannten und bisweilen vorlauten Kerl aus Chicago eine Chance einräumen.

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