Pete Carvill: A Duel of Bulls – Hemingway and Welles in Love and War. Foto: Archiv Dr. Stock.
Eines habe ich bei Amerikanern und Briten immer bewundert: Buchtitel entwerfen können sie wie die Götter. Das hier ist so einer: A Duel of Bulls. Kampf der Bullen, so müsste die deutsche Übersetzung wohl lauten. Die beiden Stiere sind zwei Männer. Es geht um die Rivalität zwischen Ernest Hemingway und Orson Welles. Zwei Jahrhundert-Künstler. Spanien-Liebhaber bis aufs Blut. Das ist die Klammer, davon erzählt diese Neuerscheinung.
In Spanien werden beide oft verwechselt. Statur und Habitus gleichen sich. Groß, kräftig, etwas beleibt, ein dichter Bart. Den irdischen Genüssen zugewandt. Dem Autor gelingt es, die Charakterzüge seiner Protagonisten herauszuarbeiten. Ernest Hemingway, der Spanien-Liebhaber, der die Feigheit verachtet. Orson Welles, immer auf der Suche nach Investoren für seine seltsamen Filmprojekte.
Dennoch sind beide unterschiedlich. Hemingway ist – entgegen seiner Fama – diszipliniert und zielgerichtet. Orson Welles lebt als ein Genie im Chaos. Er hat Kinofilme gedreht, die es nie in die Lichtspielhäuser geschafft haben. Kleine Filme aufgenommen, die große fünf Minuten enthalten. Und drei, vier Meisterwerke entworfen. Der beste Spielfilm aller Zeiten, so Kritiker, zahlt ein auf sein Konto: Citizen Kane.
Carvills Buch kommt daher als lockerer Mix aus facts und fiction. Kein Sachbuch, dazu ist es zu unterhaltsam. Kein Roman, denn dafür bewegt sich das Werk zu sehr an der Wirklichkeit. So begleiten wir Ernest Hemingway in Spanien. Die Themen liegen auf des Amerikaners Seele. Seine Liebschaft mit Martha Gellhorn, der Bruch der Freundschaft mit John Dos Passos, die Querelen zwischen Ernesto und Orson Welles rund um den Film The Spanish Earth. Und auch Orson Welles sieht Spanien als Heimat seines Herzens.
Das Buch schildert diese Passion der beiden. Fürs Schreiben über Spanien bei dem einen, fürs Filmdrehen bei dem anderen. Dazu die Frauen. Beide Männer sind fixiert auf amouröse Leidenschaft und kommen irgendwie doch nicht so richtig ans Ziel. Der Don Quijote, das nie zu Ende gelangte Filmprojekt von Orson Welles, steht symbolisch für dieses Scheitern. Großartiger Stoff, indes der beste Künstler muss sich daran verheben.
Die Unterschiede werden einem klar. „Ich bin ein Mann, der im falschen Jahrhundert lebt“, meint Orson Welles und liegt damit wohl richtig. Er ist ein Renaissance-Mensch, ein Falstaff, aber keiner, der in die Moderne springen mag. Hemingway hingegen geht auf in seiner Zeit, all die Umbrüche, Kriege und Abenteuer fließen ein in seine Erzählungen.
Überhaupt Spanien. Es ist der Dreh- und Angelpunkt in diesem Buch. Das Glück liegt nicht in Spanien, ist in Carvills Buch zu lesen, das Glück ist Spanien. Der fremde Kosmos südlich der Pyrenäen hat beide Amerikaner fasziniert, mehr noch, sie sind der iberischen Kultur mit Haut und Haaren verfallen. Orson Welles drückt es deutlich aus: „Ich bin ein altmodischer Mann in einem altmodischen Land.“ Touché. Dieser Fürst des Hedonismus kann mit der Moderne wenig anfangen.
Mit den letzten Tagen von Hemingway und Welles endet das Buch. Ernesto stirbt in Ketchum, von
The Spanish Earth. Es geht um Freiheit und Gerechtigkeit. Gegen den Faschismus. Das Drehbuch stammt von Ernest Hemingway.
Kurz nach seiner Ankunft in Spanien im März 1937 arbeitet Ernest Hemingway mit dem holländischen Regisseur Joris Ivens an einem Filmprojekt über den Bürgerkrieg. Auf das Resultat sind alle stolz. The Spanish Earth wird am 11. Juli 1937 uraufgeführt. Das Drehbuch schreibt Ernest gemeinsam mit dem Kollegen und guten Freund John Dos Passos. Der Dokumentarfilm von 54 Minuten Länge wird auf der Tonspur von Orson Welles gesprochen, in einer späteren Fassung dann von Hemingway selbst.
Zuvor haben im Dezember 1936 linke Intellektuelle wie Lillian Hellman, Dorothy Parker und Archibald MacLeish die Filmfirma Contemporary Historians, Inc. gegründet, um das Filmprojekt anzustoßen. Der Film soll die Welt wachrütteln und über den Kampf des guten Spanien gegen die brutalen Umstürzler berichten. Ideell und materiell will man die republikanischen Streitkräfte und auch die Amerikaner des Abraham Lincoln Battalion unterstützen, die gegen die Putschisten um den General Franco kämpfen.
Am Skript zu The Spanish Earth lässt sich erkennen, wie Ernest Hemingway seine Texte entwirft. Er nähert sich seinem Thema über einzelne Menschen und individuelle Schicksale. Kurz: Der Mann aus Chicago erzählt eine Geschichte. Hemingway und Ivens lassen die Handlung in dem Dorf Fuentedueña beginnen. Die Bewohner versuchen, aus dem trockenen Boden Wasser zur Bewässerung der Felder zu gewinnen. Um die Ernte einzubringen, die in das umkämpfte Madrid geliefert werden soll.
Die Szene wechselt in die Hauptstadt, die vom Krieg gezeichnet mehr und mehr in Trümmern versinkt. Das Blut auf den Straßen steht als Gegensatz zum Wasser, das sich über die Felder ergießt. Die Handschrift des damals schon gefeierten Schriftstellers ist erkennbar. Why do they stay?, fragt Ernest aus dem Off in einer Sequenz, die verzweifelte Menschen im zerbombten Madrid zeigt. Warum bleiben sie? Because this is their city, gibt er auch gleich die Antwort im typischen Hemingway-Duktus. Weil dies ihre Stadt ist.
Es ist die gleiche Art und Weise, wie der schnauzbärtige Reporter seine Depeschen aus dem Bürgerkrieg anlegt. Am Ende des Films haben die Loyalisten die Angriffe der Putschisten auf eine Brücke abgewehrt und die Verbindungsstraße nach Madrid gegen den Feind verteidigt. Flusswasser ergießt sich per Pumpstation über die Felder von Fuentedueña, die Versorgung der Hauptstadt ist gesichert. Der Sieg in diesem grausamen Krieg scheint für die Regierungstruppen zum Greifen nahe. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus.
Zusammen mit John Dos Passos hat Ernest das Drehbuch zu The Spanish Earth erstellt. Doch haben sich die künstlerischen Meinungsverschiedenheiten von Tag zu Tag vergrößert. Dos möchte Spanien und seine Menschen ins Zentrum des Films rücken, Hemingway will die Dramaturgie stärker auf die Kampfhandlungen lenken. Ernest setzt sich schließlich durch, John Dos Passos verlässt im Mai 1937 voller Verbitterung das Projekt und dann auch sein geliebtes Spanien. Zwischen beiden Autoren kommt es zum Bruch, nicht nur wegen des Films.
Später wird John Dos Passos als Verfasser aus The Spanish Earth herausgestrichen, sein Name taucht im Vorspann gar nicht mehr auf, ganz so, als habe es ihn nie gegeben. Auch kommt die knapp einstündige Dokumentation, durchaus mit künstlerischer Ambition, handwerklich hölzern und klischeebeladen daher. Der Einfluss des sowjetischen Propagandafilms ist an zahlreichen Stellen zu erkennen. The Spanish Earth mag von Ernest mit besten Absichten gedacht sein, doch im Hintergrund lenkt die Komintern, der verlängerte internationale Arm Moskaus, das ganze Filmprojekt in Richtung kommunistische Agitation.
Im Frühsommer 1937 reist der Schriftsteller von seinem Wohnort Key West nach New York zum Schriftstellerkongress der League of American Writers. In der Carnegie Hall werden am 4. Juni vor 3.500 Besuchern erste Ausschnitte von The Spanish Earth gezeigt, noch ohne Tonspur. Und Ernest Hemingway ersteigt das Podium und hält einen siebenminütigen flammenden Appell gegen den Faschismus. Feigheit, Verrat und schlichter Egoismus seien das Schlimmste im Krieg, sagt er. Ein Seitenhieb auf den ehemaligen Freund John Dos Passos.
Einen Monat später, am 8. Juli 1937, wird The Spanish Earth während eines Dinners im Weißen Haus dem Präsidenten Roosevelt und seiner Frau Eleanor vorgeführt. Ernests neue Flamme Martha Gellhorn hat den Termin eingefädelt. In einem Brief an die mit ihrer Familie befreundete First Lady umschreibt sie Hemingway auf sympathische Weise: „Er ist ein seltener und bewundernswerter Vogel, er hat inneres Feuer und erzählt wunderbare Geschichten.“
Ernest und der Regisseur des Films sind bei dem Zusammentreffen in Washington dabei. Joris Ivens sitzt direkt neben dem Präsidenten, um
So kündigt der Verlag Charles Scribner’s Sons aus New York das Debüt seines Autors Ernest Hemingway für den 22. Oktober 1926 an. Es ist ein Freitag.
Es brauchte seine Zeit, bis ich mit diesem Roman so richtig warm wurde. Als ich das erste Mal Fiesta las, da fand ich die Erzählung lau, bisweilen gar langatmig. Bei der nochmaligen Lektüre, Jahre später, da erlebte ich das Sittengemälde aus den 1920ern durchaus anregend. Und wenn ich heute Ernest Hemingways Debüt zur Hand nehme, dann streckt es mich jedes Mal nieder.
Denn Fiesta – im amerikanischen Original heißt das Werk The Sun Also Rises – ist hohe Kunst. Es vergeht kein Wiederlesen, bei dem ich nicht neue Schmucksteine und Kleinode entdecke. Besonders, wenn es gelingt, sich in den historischen Kontext der Geschichte einzufühlen. Es geht um die taumelnde Zeit zwischen den beiden schrecklichen Weltkriegen.
Ernest Hemingways Fiesta fällt im Oktober 1926 in die Welt der Literatur ein wie einst die Jakobiner in die Paläste der Aristokratie. In der Sprache einfach und volksnah, in Botschaft und Wirkung brachial. Der Erste Weltkrieg hat auch die Kultur zerstört. Es braucht etwas Neues, von Tradition gespeist, ein Neustart mit frischen Werten und Idealen. Ebenso sollte das Themen-Panorama sich öffnen und weiten. Und so geht es in Fiesta um die durch den Krieg verlorenen Sicherheiten und um die Sinnsuche in Zeiten der Orientierungslosigkeit.
Allein der neuartige Stil der Erzählung gleicht einer Revolution: kühl, ohne Schnörkel, alles weit weg von jedem viktorianischen Erziehungs-Habitus. Das Geschehen wird vielmehr durch persönliches Erleben des Autors verbrieft, auch deshalb passt das Werk zum Autor. Es ist ein glaubwürdiger Blick durchs Schlüsselloch in die unbekannte Welt hinter den Bergen. Die geschwätzige Blümchen-Prosa der Vätergeneration à la Charles Dickens ist mit einem Schlag passé.
Wie geschickt Ernest Hemingway seine Erzähl-Perspektive anlegt, mag man zu Anfang des 12. Kapitels von Fiesta erkennen. Man liest schnell über diese Passage hinweg und bemerkt dadurch die Finesse des Textes nicht.
So – scheinbar – harmlos fängt das Kapitel 12 von Fiesta an.
Ernesto nimmt uns mit in eine fremde Welt – das wann und wo verrät er hier nicht – und so müssen wir uns selber hineinfinden. Es ist die Zeit nach der Postkutsche und während des Aufkommens der Motorbusse. Wir befinden uns in einem Land am Fuße eines Gebirges, das Ambiente ist bäuerlich, der Ziegenbock springt umher. Der Protagonist steht auf und öffnet das Fenster seines Zimmers, so wie wir nun durch das geöffnete Fenster in die Handlung hinausgeworfen werden. Keine Gefühlsregung wird geäußert, wir müssen uns selber ein Reim auf das Ganze machen.
Unsere Stadt heißt Pamplona. In der nordspanischen Kleinstadt lässt der 27-jährige Hemingway seinen Erstling überwiegend spielen. Mit einem Mal werden die Sanfermines, bis dahin ein lokales Ereignis in einem weitgehend unbekannten Land, mit seinen Stieraufläufen, den Prozessionen und Tänzen ins Bewusstsein der Welt katapultieren. Um die blutige Fiesta herum entwirft der junge Novize ein Kaleidoskop menschlicher Irrungen und Wirrungen.
Die amerikanischen Protagonisten auf Entdeckungsreise in Pamplona lassen kein Laster aus: Abenteuer, Stierkampf, sexuelle Ausschweifungen und vor allem Alkohol. Fiesta ist ein grandioses Epochen-Porträt zwischen zwei schlimmen Kriegen, ein Blick auf die Verlorenheit, die mit viel Schnaps weggetrunken werden möchte. Themen wie Liebe, Sex, Männlichkeit, Exzess und die Suche nach der eigenen Rolle im Leben spielen in dem Roman eine zentrale Rolle.
Durch den Weltkrieg sind die zuversichtlichen Aufbruch-Werte der Belle Époque perdu. Denn die Schlacht ist abscheulich gewesen. Alle Kriege sind grauenhaft, aber dieser war es besonders, wegen seiner Sinnlosigkeit. Wer ist Gegner, wer der Freund? In der Katastrophe zwischen 1914 und 1918 sind die Rollen fließend verteilt, ein Stück ist man in das Inferno hineingeschlittert. Ein Krieg der Schlafwandler, wie es der australische Historiker Christopher Clark treffend umschrieben hat.
Am Ende des Krieges stehen alle als Verlierer da. Deutschland mit Hyperinflation, Reparationen und einer noch größeren Tragödie vor Augen. Aber auch der Gewinner, die USA, sehen einem düsteren Jahrzehnt entgegen, das 1929 in der Weltwirtschaftskrise detonieren wird. Prohibition, Wirtschaftsdepression und die aufkommende Mafia lassen die Zeiten auch in den USA trostlos erscheinen. Die Welt wird in den Abgrund gezogen, es ist eine leidvolle Dekade allerorten.
Und so wird in The Sun Also Rises aka Fiesta nichts ausgelassen, was zwischen erwachsenen Menschen so passieren kann. Liebeleien, Seitensprünge, Obsessionen, Schlägereien, Saufgelage. Hemingway selbst umschreibt seinen Roman als eine verdammt traurige Geschichte, in der aufgezeigt wird, wie Menschen zugrunde gehen. Ich vermute, Ernesto will eigentlich eins draufsetzen und sagen, wie die ‚Menschheit‘ zugrunde gehen kann.
The Sun Also Rises heißt das Original. In Europa wird säkular der Titel Fiesta daraus.
Doch wo bleibt die Hoffnung? Der Autor, der in Paris lebt, deutet sie im biblischen Vor-Zitat gleich zu Beginn seines Buches an. Ein Motto des Predigers Salomo als Denkspruch, es wird zum Leitgedanken von Fiesta. Ein Geschlecht vergeht, das andere kommt; die Erde aber bleibt ewiglich. Dieser Rabauke, der nichts auslässt im Leben, liegt in dieser Hinsicht goldrichtig: Eine Generation geht, eine andere kommt. Das Wesen von Blühen und Vergehen. Hier findet man Trost: Auch das Schlechte wird verblühen, so wie das Gute neu gedeiht.
Das Schöne an Hemingways The Sun Also Rises ist, dass er nicht nur die Orientierungslosigkeit und die Dekadenz des Zeitalters beschreibt, sondern zugleich auch einen Lösungsansatz andeutet. Das Hinauswagen auf unbekanntes Terrain, die Unerschrockenheit und die Entdeckerfreude, die Neugier auf eine neue Kultur. Sich das Andersartige und das Fremde anzuschauen. Andere Menschen und ihre Gepflogenheiten wertzuschätzen.
Und darüber hinaus – wo auch immer – die Stille der Natur zu suchen. Ernest beschreibt, wie er seine äußere und innere Ruhe findet in den Ausläufern der Pyrenäen, an den einsamen Bächen rund um das Kloster Roncesvalles. Durch den Kontrast zur lärmenden Fiesta unten im Pamplona geht der Blick nach oben, in die Berge, in die Ruhe und den Frieden. Möglicherweise ganz in der Höhe.
Abermals bestaunen wir den Zwiespalt, der für Hemingways Werk so typisch ist. Auf der einen Seite das desillusionierte Karussell von Laster und Eitelkeiten, das sich um Saufen, Stierkampf, Krieg und Tod dreht. Auf der anderen Seite die Vergötterung der Natur, die anmutigen Bäche in den Pyrenäen-Tälern, wo Jake Barnes, der Protagonist, angelt und Erdverbundenheit sucht.
The Sun Also Rises. Die Fiesta findet irgendwann ihr Ende. Das Blut des Spektakels ist noch
Die Weltbühne, das halbmonatlich erscheinende Berliner Kulturmagazin, veröffentlicht nach dem Krieg Ernest Hemingways verschollene Rede an das deutsche Volk. Foto: Archiv Dr. Stock.
Im November 1938 lässt Ernest Hemingway über den Deutschen Freiheitssender – eine auf Deutsch sendende Radiostation auf Kurzwelle 29,8 – eine Rede verlesen. Der Sender, von Kommunisten der KPD gegründet und betrieben, sendet von Pozuelo del Rey bei Madrid jeden Tag eine Stunde Programm nach Nazi-Deutschland. Auch Exilanten wie Thomas Mann und Albert Einstein haben über den Sender Botschaften an das deutsche Volk ausgestrahlt.
Bei Hemingways Mitteilung handelt es sich um eine vier Minuten lange Rede aus Spanien an das deutsche Volk. Ich bin aber auch traurig (um offen zu sein), traurig mit deinem Schicksal, deutsches Volk, so kommt Ernest direkt im ersten Abschnitt zur Sache. Der Amerikaner bekennt seine Verbundenheit zu Deutschland. Er erzählt von seinem Urlaub im Schwarzwald, von den Besuchen in Berlin. Der US-Autor preist die Schönheit des Landes und den Humor seiner Bewohner. Und fragt unvermittelt: Und das soll alles zu Ende sein?
Als Kriegsreporter steht er unter dem Eindruck des Kampfes gegen den Putschisten General Franco. Die Völker wollen gleich und gleich nebeneinander leben. Sie wollen sich nicht in Kriegen für Tyrannen zerfleischen. Der damals schon berühmte Schriftsteller spannt sodann den Bogen zur Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland. Und eines Tages wird es [das deutsche Volk] den einzigen Krieg machen, der noch lohnt, den Krieg gegen die Nazi-Tyrannei.
Im Sommer ist der US-Kriegsreporter an der Ebro-Front gewesen und hat die Heinkel– und Junkers-Flugzeuge der Legion Condor über friedliche Dörfer dahinstürmen sehen. Bomben werden auf zivile Ziele abgeworfen. Doch Hemingway lässt seine Zuhörer wissen, dies sei nicht das wahre Deutschland. Ich grüße diese [wahren] Deutschen und verfluche die anderen, die in den Junkers sitzen, samt denen, die die feigen Bombenschmeißer da unten hingeschickt haben.
Auf zwei Seiten druckt Die Weltbühne Ernest Hemingways Rede an das deutsche Volk. Foto: Archiv Dr. Stock.
Hemingways Rede an das deutsche Volk, so zutreffend und forsch ihr Inhalt ist, besitzt eine unüberhörbare Schwachstelle: Sie stammt nicht von Ernest Hemingway. Denn dieser überhöhte Polit-Pathos gehört nicht zu seinem Duktus. Genauso wenig wie ein Amerikaner eine so abgedroschene Phrase nutzen würde, um die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in einer Diktatur zu umschreiben: Keiner soll mehr reden dürfen, wie ihm der Schnabel gewachsen ist? Eine solche Redewendung existiert in der angelsächsischen Sprache nicht, dieser burschikose Zungenschlag entstammt nicht dem Schnabel von Ernesto. Die Feder muss ein anderer geführt haben, aus Propaganda-Gründen ist sie als Opus des berühmten US-Autors verkauft worden.
Am Drehbuch zum Spanien-Film The Spanish Earth lässt sich hingegen erkennen, wie Ernest Hemingway in Wirklichkeit stilistisch vorgeht. Über einzelne Menschen und über individuelle Schicksale. Der Mann aus Chicago erzählt Geschichten und beschreibt, was er zu Augen bekommt. Gefühle und Empfindungen verbirgt er stets unter der Oberfläche. Die doktrinäre Pathetik, die linken Autoren so in Fleisch und Blut liegt, bleibt Ernest ein Leben lang fremd.
Doch wer ist der tatsächliche Autor dieser Rede? Ein Hinweis hält der Text bereit, wo im vorletzten Abschnitt das Bataillon Thälmann der Internationalen Brigaden erwähnt wird. Es wird ein Loblied gesungen auf die tapferen Brigadisten, die aufopferungsvoll kämpfen und nach gewonnener Schlacht die Einheimischen verpflegen. Sie machten gut, was die Junkers schlecht gemacht hatten.
Für Propaganda beim Thälmann-Bataillon ist der Schriftsteller Gustav Regler zuständig. Aus Überzeugung nimmt der Saarländer, wie viele andere republikanisch oder links eingestellte Intellektuelle, am Bürgerkrieg in Spanien teil. Er wird Politischer Kommissar innerhalb der XII Brigade, dort sind im Thälmann Bataillon die deutschen Freiwilligen organisiert.
Während des Krieges freunden sich der Amerikaner und der Saarländer an. Gustav Regler arbeitet Hemingway zu bei dessen Lieblingsprojekt The Spanish Earth, einem internationalen Kinofilm für die Sache der Republik. Ernest erwähnt darin den Deutschen namentlich mit Stolz und Enthusiasmus.
Gustav Regler beteiligt sich – im Gegensatz zu Hemingway – aktiv an den Kampfhandlungen, er schreibt aus nächster Nähe über die Schlachten im spanischen Hinterland. Seine Tagebuchaufzeichnungen fließen ein in seinen Roman über den Bürgerkrieg, der 1940 in der englischen Fassung als The Great Crusade erscheint, mit einem Vorwort seines Freundes Ernest versehen. Der Saarländer besucht den Amerikaner später dann in den USA, in Key West.
Vom Stil her passt die Rede an das deutsche Volk nicht zu Ernest Hemingway, ich tippe auf
Es ist ein in Wahnsinn! Ernest Hemingway und Elon Musk in Südspanien. Ein AI-Foto aus der Grok-Werkstatt.
Eine Testaufgabe für Grok. Das ist die AI – die Artificial Intelligence – von Elon Musks Plattform X. Folgende recht knifflige Frage stelle ich dieser Künstlichen Intelligenz und bin auf das Ergebnis gespannt: Warum hat Ernest Hemingway Andalusien so geliebt?
Hier ist der Text, den Grok in Sekundenschnelle dann abgeliefert hat:
„Ernest Hemingway hatte eine besondere Affinität zu Andalusien aus mehreren Gründen:
Kultur und Lebensstil: Hemingway schätzte den andalusischen Lebensstil, die Leidenschaft für das Leben, die Flamenco-Kultur und die Stierkämpfe. Er besuchte häufig Städte wie Ronda, die bekannt für ihre Corrida de Toros ist, und war fasziniert von der Authentizität und Intensität dieser Traditionen.
Landschaft und Natur: Die atemberaubende Landschaft Andalusien’s, von den Bergen der Sierra Nevada bis zu den Küsten der Costa del Sol, bot Hemingway Inspiration und Erholung. Er liebte die Jagd und das Angeln, Aktivitäten, die er in dieser Region genießen konnte.
Literarische Inspiration: Andalusien war für Hemingway eine Quelle der Inspiration. Die Region hat eine reiche Geschichte und eine tief verwurzelte Kultur, die sich in seinen Werken widerspiegelten. Besonders seine Erfahrungen mit dem Stierkampf beeinflussten seine Erzählungen, wie man in „Death in the Afternoon“ sehen kann.
Freunde und Gesellschaft: Hemingway hatte Freunde in Andalusien und liebte es, unter Einheimischen zu sein. Die Gesellschaft, die Gastfreundschaft und die Gespräche in den Cafés und Bars von Sevilla oder Málaga waren für ihn von großem Wert.
Flucht und Ruhe: In einer Zeit, in der er oft nach Ruhe und Abgeschiedenheit suchte, bot Andalusien ihm eine Fluchtmöglichkeit von der Hektik und den Erwartungen der Öffentlichkeit. Es war ein Ort, an dem er sich zurückziehen konnte, um zu schreiben und zu reflektieren. Diese Faktoren zusammen machten Andalusien zu einem geliebten Rückzugsort für Hemingway, der seine Werke und seinen Lebensstil nachhaltig beeinflusste.“
Grandios! Da ist kein Patzer drin, alle Argumente sind plausibel zusammengetragen. Besonders Punkt 5 ist richtig gut getroffen. Als hätte den Text ein Hemingway-Profi geschrieben.
Und Grok vermag auch Fotos zu produzieren. Dieses Feature ist wiederum ein Klasse für sich. Man mag es an den beiden lebensechten Bildern sehen, die Ernest Hemingway und Elon Musk in Südspanien zeigen.
Ernest Hemingway und Elon Musk. Ein Foto, als sei das Treffen heute passiert. Diese Begegnung hat sich jedoch natürlich nie zugetragen. Nur bei der AI von Grok.
Wow! Alles wie echt, als hätte es sich wirklich zugetragen. Da kommt
Ernest Hemingway macht Rast im Fischerdorf Bermeo und freut sich auf ein Eis. Im Oktober 1959. Foto: Valerie Danby-Smith.
Im Oktober 1959 brechen Ernest Hemingway, sein Freunde Bill Davis und A. E. Hotchner, sowie die neue Sekretärin Valerie mit dem Lancia auf zu einer Rundreise durch Spanien. La Barata nennt er ironisch den Wagen, den Billigen, denn es ist schon anstrengend genug halb Spanien mit seinen schlechten Straßen abzugrasen. Billig ist hier nichts: Das italienische Luxusauto ist der Hingucker, wo immer der Schriftsteller auftaucht.
Der Italiener Mario Casamassima ist der Chauffeur. Auf das Baskenland freut der amerikanische Autor sich besonders. Freunde kommen ihm in den Kopf und Erinnerungen werden wach. Auf dem Weg nach Bilbao macht die Reisegruppe den Schlenker zur baskischen Küste. Nach Mundaka, wo Ernest das Grab seines Vertrauten Padre Andrés Untzaín besucht. Auch im Nachbarort Bermeo machen sie halt.
Bermeo ist ein kleines Fischerdorf, das nicht im Visier der touristischen Planer steht. Der Ort mit den engen Gassen und steilen Wegen hat weitgehend seinen ursprünglichen Reiz bewahrt. Die Bewohner sind nicht gerade wohlhabend, viele sind nach Übersee ausgewandert. Und alle – die Exilanten und die Daheimgebliebenen – geben sich als feurige baskische Nationalisten zu erkennen.
Bermeo ist ein kleiner Fischerhafen, etwas abseits der großen Routen gelegen. Foto: W. Stock, 2024.
An der Hafenpromenade trifft die amerikanische Reisegruppe auf einen Eiswagen. Hemingway lässt anhalten, in Vorfreude auf ein kühlendes Eis nach all den Strapazen. Der Besuch des berühmten Nobelpreisträgers verbreitet sich im Lauffeuer durch den Ort. Ernesto steht derweil neben dem Handwagen der Helados de Pereira und lässt sich das Eis schmecken.
Die junge Sekretärin des Autors, Valerie Danby-Smith, hält die Szene mit ihrer Fotokamera fest. Helados de Pereira steht über dem kleinen Eiswagen. Hier gibt es Eis. Die Helados de Pereira findet man noch heute in Bermeo, fast sieben Jahrzehnte nach Hemingways Besuch. Es ist nun ein beständiger Kiosk im Hafen, wo es nicht nur Eis, sondern auch Süßigkeiten zu kaufen gibt.
Pereira an der Hafenpromenade hat es zum festen Kiosk gebracht. Foto: W. Stock, 2024.
Der Besuch des Nobelpreisträgers ist selbst nach 65 Jahren in den Köpfen der Bewohner präsent. „Die Spanierin auf dem Foto heißt Teodora“, verrät uns eine Frau, der wir den Schnappschuss von damals zeigen. „Ich kannte sie gut, sie lebte in der Nachbarschaft.“
Und auch der Eiswagen von ehedem existiert heute noch. Der Handwagen konnte – Hemingway sei Dank – vor der Müllkippe und dem Vergessen gerettet werden. Liebevoll ist er über die Zeit restauriert worden. Der Wagen befindet sich nach wie vor
Der junge Antonio Ordóñez und ein gealterter Ernest Hemingway freizügig auf La Cónsula, Málaga, im Sommer 1959. Credit Line: Ernest Hemingway Photograph Collection, John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.
Der Nobelpreisträger aus Chicago ist ganz vernarrt in diesen Torero. An dem jungen Matador, er ist vom Jahrgang 1932, bewundert Ernest Hemingway vor allem dessen Draufgängertum, sein Geschick und die Grazie. „Antonio erinnert mich sehr an seinen Vater“, verkündet der Schriftsteller seinem Freund José Luis Castillo-Puche. „Nur, dass er in jeder Hinsicht besser ist als Cayetano: Er ist ein besserer Stierkämpfer und ein besserer Mensch. Und außerdem ist er überaus attraktiv.“
Oh lala. Überaus attraktiv. Die Freundschaft zwischen dem Torero aus Ronda und dem bärtigen Autor aus Übersee gibt hier und da Anlass zu überspannten Gerüchten und pikantem Geflüster. Der Kolumnist einer spanischen Tageszeitung hat Antonio Ordóñez gar als die „Liebe des senilen Hemingway“ bezeichnet. In der Tat wird der Schriftsteller von Antonios Ausstrahlung magisch angezogen.
Ernest besucht ihn während der Temporada im Hotel Yoldi von Pamplona, der Matador ist ausgelaugt nach einem aufreibendem Stierkampf. Antonio lag nackt auf dem Bett; ein Handtuch diente ihm als Feigenblatt. Als erstes fielen mir seine Augen auf, die dunkelsten, glänzendsten, heitersten Augen, in die ich je geblickt hatte.
Kommt da wirklich Homo-Erotik ins Spiel bei Hemingway? José Luis Castillo-Puche, ein enger Gefährte in Spanien, ist sich sicher: Da ist nichts gewesen. Für den Schriftsteller ist der Bezwinger der Bullen keine Liebelei oder das Objekt irgendeiner sinnlichen Begierde. Zuallererst ist der Matador aus Ronda für Ernest eine literarische Ambition. Sein ganzes Leben lang hat der Amerikaner nach dem perfekten Stierkämpfer gesucht und ihn letzten Endes in Südspanien gefunden: Antonio Ordóñez.
Wenn im Gespräch die Toreros verglichen werden, gibt sich Hemingway apodiktisch. „Er ist besser“, antwortet der Schriftsteller kurz. Er, das ist natürlich Antonio Ordóñez. Der junge Andalusier ist eine Person ganz nach Hemingways Gusto. Ein gut aussehender Kerl, jemand, der vor Publikum tapfer dem Tod ins Auge sieht und aus dem Kampf als Sieger hervorgeht.
„Ich werde von der Vorstellung gequält, dass Antonio etwas Schreckliches zustoßen wird“, gesteht Hemingway gegenüber Castillo-Puche. „Ich habe schreckliche Albträume, dämonische Träume, in denen ein Stier ihn in der Stierkampfarena tötet. Aber das kann Antonio doch nicht passieren, oder?“ Und der US-Amerikaner wartet darauf, dass jemand, in diesem Fall Castillo-Puche, ihm zusichert, Antonio werde niemals sterben. Weder im noch außerhalb des Rings.
Im Laufe der Jahre vertieft Ernest Hemingway die Freundschaft mit der Familie Ordóñez. Oft weilt er zu Besuch auf deren Hacienda bei Medina-Sidonia. Andalusien verbirgt für den Nobelpreisträger etwas ganz besonderes. Es ist sein Freund Antonio Ordóñez, der den US-Amerikaner für die Schönheit und Eigenheit Südspaniens sensibilisiert. Als er starb, meint der Stierkämpfer, hat Hemingway etwas von uns mitgenommen.
Castillo-Puche beschreibt Antonio als einen Mann, der durch den Verlust seines Freundes am Boden zerstört ist, zumal der Vater im gleichen Jahr stirbt, nur drei Monate nach dem Schriftsteller. Häufig bricht Antonio in Tränen aus und will das Wort Selbstmord nicht aussprechen. „Ich werde nicht zu seiner Beerdigung gehen“, antwortet der Stierkämpfer im Juli 1961 trotzig. „Die Saison geht weiter, und ich fahre nach Pamplona“. Papa habe dies so gewollt.
Im November 1962, sechzehn Monate nach Hemingways Suizid, zieht sich Antonio Ordóñez von allen Corridas zurück. Obwohl er 1965 als Stierkämpfer zurückkehrt, tritt er erst zwei Jahre später, während der Feria im April, in der Plaza de Toros de la Real Maestranza auf. Über ein halbes Jahrzehnt ist vergangen, seit er in Sevilla letztmalig unter Hemingways wachem und erbaulichem Blick gekämpft hat.
Doch nun ist der Schriftsteller nicht mehr auf seinem Platz an der Barrera. Er fehlt und nichts ist so, wie es einmal gewesen ist. An seinen zwei Nachmittagen in Sevilla liefert Antonio eindrucksvolle Kämpfe ab und darf
Die Sanfermines sind ein wilder Mix aus christlichem Fest und weltlichem Spektakel. Foto: W. Stock, April 2024.
Wenn man sich unter den Bewohnern von Pamplona umhört und den Namen Ernest Hemingway fallen lässt, so bekommt man allerlei zu Ohren. Ich hege gespaltene Gefühle in Bezug auf diesen Herrn, pikiert sich ein Mann. Ein anderer Pamplonese meint, der Amerikaner habe viel für die Stadt getan, nicht immer zum Guten. Dass der Nobelpreisträger von 1954 die Sanfermines weltweit populär gemacht hat, es ist ein Fakt, dieser Umstand stößt allerdings nicht überall auf Begeisterung.
Von Gertrude Stein, seiner Mentorin in Paris, erhält Ernest den Tipp, den Encierro zu besuchen. Die Schriftstellerin aus Pittsburgh und ihre Gefährtin Alice Toklas kennen das Spektakel bereits seit 1915. Zu dem Zeitpunkt ist das Fest in Nordspanien ein lokales Ereignis, ein Geheimtipp für neugierige Weltenbummler. Zum ersten Mal kommt der junge Hemingway im Juli 1923 nach Pamplona, insgesamt wird er die Hauptstadt Navarras zehn Mal besuchen. Der Journalist aus Chicago zeigt sich bei seinem Trip ins Baskenland im Nu elektrisiert von dem mittelalterlichen Schauspiel, so etwas findet man in seiner Heimat nicht.
Sein Erstlingswerk Fiesta, dieses erscheint im Jahr 1926, lässt Ernest Hemingway überwiegend in Pamplona spielen. Im amerikanischen Original heißt der Roman The Sun Also Rises, er wird auf Anhieb zu einem Riesenerfolg. Mit einem Mal werden die Sanfermines mit den Stieraufläufen, den Prozessionen und Tänzen ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit katapultiert. In seiner epischen Erzählung schreibt der Debütant ausführlich über das Großereignis in der nordspanischen Stadt mit damals 35.000 Einwohnern.
Seit fast 600 Jahren wird das Großereignis mit dem religiösen Ursprung aufgeführt. Gefeiert wird zu Ehren des heiligen Fermín, des Schutzpatrons von Navarra. Firminus der Ältere ist der Sohn eines römischen Offiziers, er wird zum Priester geweiht und im 3. Jahrhundert zum Bischof von Amiens ernannt. Fermín stirbt den Märtyrertod, ihm wird die Kehle durchschnitten. Seine Reliquien werden von Frankreich nach Pamplona überführt. Der Pañuelico – ein rotes Halstuch, das in Pamplona zum Fest getragen wird – erinnert an sein unseliges Schicksal.
Beim Encierro werden die Stiere aus den Corrales durch die Altstadt von Pamplona zur Plaza de Toros getrieben. Foto: W. Stock, April 2024.
Die Sanfermines beginnen alljährlich am 6. Juli mit dem Chupinazo, zur Mittagszeit, wenn 12 Feuerwerksraketen vom Rathausbalkon abgeschossen werden. Und endet nach acht Tagen, immer am 14. Juli um Mitternacht, mit dem Klagelied Pobre de mí. Ach, ich arme Seele. Im Laufe der Jahrhunderte hat das Fest zahlreiche Veränderungen durchlaufen. So eine Terminverschiebung von Herbst auf Sommer oder die Hinzunahme des Chupinazo-Rituals, das erst seit 1941 offizieller Bestandteil der Feierlichkeiten ist.
Der bekannteste Teil des Festes bleibt der Encierro. Um acht Uhr morgens findet der Auflauf der schwarzen Kampfstiere mit einem Gewicht von 600 Kilo statt. Der Trubel beginnt in den Stallungen im Norden und endet nach einer Hatz von 826 Metern durch die engen Gassen der Altstadt in der Plaza de Toros. Hunderte von Teufelskerlen – Einheimische wie Touristen – rennen bis zur Arena vor den Bullen her, manche werden von den Stieren zu Fall gebracht oder gar aufgespießt. Jeder Mozo, so werden die tollkühnen Läufer genannt, trägt ein weißes Hemd und eine weiße Hose sowie das rote Halstuch und eine rote Schärpe.
Um die archaische Feier herum entwirft Ernest Hemingway in Fiesta ein Kaleidoskop menschlicher Irrungen und Wirrungen. Die amerikanischen Protagonisten Jake Barnes, Robert Cohn und Lady Brett Ashley auf Entdeckungsreise in Pamplona lassen nichts aus: Abenteuer, Raufereien, Stierkampf, sexuelle Ausschweifungen und vor allem Alkohol. Dem biederen Publikum in der Heimat fährt der Schreck in die Glieder, es ist das Jahrzehnt der Prohibition in den USA. Das ungehemmte Fest muss im Land der erzwungenen Abstinenz und des freudlosen Puritanismus wie ein Schreckensgemälde aus der Vorhölle gewirkt haben.
Blutrot und stierschwarz sind die Farben der Sanfermines. Für die Stiere endet der Encierro bei der Corrida am Abend, derweil so mancher Mozo als Alkoholleiche unterm Tisch einer Kneipe in der Altstadt liegt. Foto: W. Stock, April 2024.
Wie eine Mischung aus christlicher Tradition und überdrehter Volksfeier kommen die Sanfermines daher. Die sommerliche Vorführung in der Kleinstadt wird dank Hemingway und dank Fiesta – als Buch und später als Hollywood-Verfilmung – zu einem kosmopolitischen Radau-Magneten. Wohl als Ventil für die unterdrückten und eingezäunten Bedürfnisse der Feierwütigen, wo auch immer auf diesem Globus. Die unbekümmerte Mischung aus religiöser Wehmut und sakraler Ausgelassenheit faszinieren – pars pro toto – den Mann aus der bigotten Vorstadt wie kaum etwas anderes.
Denn es ist nicht nur das Saufen. Der Autor aus Oak Park entdeckt in Pamplona, beim Fest des Heiligen Firminus, noch etwas. Tief in der Seele des Spektakels werden jene Tugenden gefeiert, die dem Schriftsteller auf seinem Lebensweg wichtig sind: Tapferkeit, Furchtlosigkeit, Stolz und Würde. Und hinter allem Budenzauber erkennt Ernest einen weiteren schwarzen Stier. Den
Der technische Fortschritt der Belle Époque geht einher mit wachsendem Wohlstand. Im Café Iruña findet dieser Aufstieg des Bürgertums seine gute Stube. Foto: W. Stock, 2024.
Hier sitzt Ernest Hemingway mit am Tisch. Die extravagante Ausstattung entspringt der Belle Époque. So nennt man die lange Phase des Friedens und Fortschritts in Europa vor dem Ersten Weltkrieg. Der Esprit dieser goldenen Jahrzehnte wird bewahrt in einem Bistro an der Plaza del Castillo, mitten im Herzen von Pamplona. Mit Fiesta hat der bärtige Amerikaner aus Chicago ein dickes Buch um das Café Iruña herum geschrieben.
Man tritt durch das wuchtige Portal und wird hineingeworfen in eine muntere Pracht aus Kunst und Kultur. Das Interieur des Café Iruña ist bemüht, die Vergangenheit mit Stilanleihen aus Barock und Gotik zu achten, zugleich will es neue Wege gehen mit dem Modernisme, wie der Jugendstil in Spanien bezeichnet wird. Die Einrichtung fällt entsprechend üppig aus. Die ornamentierten Säulen und die riesigen Spiegel vermitteln das Gefühl, in einem Wiener Kaffeehaus zu weilen. Unter feinen Leuchten laden Bistro-Tische und bequeme Lehnstühle ein zum Verweilen und Debattieren.
Als Ende des 19. Jahrhunderts die Elektrifizierung in Pamplona einzieht, da ist das Cafe Iruña das erste Gebäude der Stadt mit elektrischem Licht. Neue Ideen in Kunst, Wissenschaft und Technik kommen aus Paris und New York nach Spanien. Innovationen wie Ozeandampfer, Eisenbahnen, Automobile, Staubsauger und Waschmaschinen werden wie ein Wunder bestaunt. Der rasante Siegeszug der Modernität sollte das Althergebrachte wenn möglich nicht beiseite schieben. Die bewährte Tradition möge vielmehr den Neuerungen als emotionales Fundament dienen. Dies sind die Leitplanken, die dem Café Iruña vorgegeben werden.
Hinter dem Portal zum Café Iruña wartet der Genuß. Unsere Stadt heißt Pamplona. Foto: W. Stock, 2024.
Aus der Mitte des aufstrebenden Bürgertums wird das Café Iruña entworfen. Über 800 Einwohner aus Pamplona erwerben Anteile an der Sociedad Iruña S.A., um das Projekt zu ermöglichen. Treibende Kraft hinter der Aktiengesellschaft wird Serafín Mata y Oneca, ein Geschäftsmann und Stadtrat in Pamplona. Am 2. Juli 1888, wenige Tage vor den Sanfermines eröffnet die Lokalität an der großen Plaza. In kurzer Zeit wird sie zur guten Stube der Stadt. Viel geändert hat sich nichts in den letzten 130 Jahren.
Wenn man heute das Iruña besucht, muss man als Westeuropäer aufpassen, die richtige Zeit zu erwischen. Wer für das Mittagessen zu früh kommt, der darf mit den köstlichen Pintxos, den kleinen Appetithäppchen, vorliebnehmen. Und wer zu spät erscheint, der kriegt knapp zu hören: Die Küche ist geschlossen. Ideal fürs Mittagsmahl ist, wir sind in Spanien, die Zeit zwischen 14 und 15 Uhr. Dann wird das Menu del Dia serviert.
Erst einmal wird Brot, eine Flasche roter Hauswein aus Navarra und Wasser auf den Tisch gestellt. Das Tagesmenü besteht aus drei Gängen mit der Wahl zwischen jeweils 6 bis 8 verschiedenen Speisen. So gibt es eine Crema de Marisco y Merluza oder die Alcachofas de Tudela als Primer Plato. Eine Fischsuppe mit Seehecht oder Artischocken-Salat mit Serrano-Schinken zur Vorspeise. Im Segundo Plato, der Hauptspeise, hat man unter anderem die Auswahl zwischen der Lubina al Horno oder der Paletilla de Cordero Asada, einem gebackenen Wolfsbarsch oder der gegrillten Lammschulter.
Mitten im Norden der zentralen Plaza del Castillo von Pamplona thront das Café Iruña. Breit und stolz, aber ohne jeden Dünkel. Foto: W. Stock, 2024.
Und zum Nachtisch, dem Postre, wird Tarta de Queso con Confitura de Arándanos, ein Käsekuchen mit Blaubeer-Mus, serviert. Oder die göttliche Torrija de Vainilla, eine Tunkschnitte in hausgemachter Vanillesauce. Die erste Güte der deftigen baskischen Küche wird flott und freundlich dargereicht. Überaus frisch in den Zutaten, wie selten erlebt. Und dies zu einem Preis, den man in den besseren Häusern Münchens als Trinkgeld erwartet.
Dem Café Iruña gelingt eine meisterhafte Balance. Es ist selbstbewusst, aber nicht versnobt. Nicht zu gewöhnlich, aber auch nicht abgehoben. Die Lokalität ist nicht zu teuer und nicht zu billig. Das Restaurant kommt vielmehr daher wie der Treffpunkt einer geerdeten Gutbürgerlichkeit, die dem Einheimischen wohltut und den Fremden auf der Stelle annimmt.
Das Café Iruña wird zu einem Ruhepol, bei dem Tradition und Moderne zu neuer Blüte zusammentreffen. Dieser Ort dient als Kraftquelle, an der man sich selbstvergewissert, um den kleinen und großen Herausforderungen des Alltags zu trotzen. Genau so hat Ernest Hemingway seinen Roman Fiesta angelegt. Mit den desperaten Protagonisten Jake Barnes, Robert Cohn und Lady Ashley, die um die großartige Trutzburg Café Iruña herumwuseln.
Ein roter Tempranillo – Príncipe de Viana, Jahrgang 2022 aus Navarra – auf das Leben. Auf das Haus und auf das gute Leben. Im Café Iruña von Pamplona. Foto: W. Stock, 2024.
Ein Platz wie das Café Iruña kitzelt Gaumen und Seele. Die Magie von bald 140 Jahren springt, wenn man alle fünf Sinne noch einigermaßen beisammen hat, im Nu auf den Gast über. Lässt man sich in diesen Zauber fallen, so geschieht wie durch Wunderhand etwas Überraschendes. Der Besucher
Der noble König von Navarra, nicht mehr als Restaurant, aber trotzdem präsent in Pamplona. Foto: W. Stock, 2024.
Während der Sanfermines in Pamplona eilt Ernest Hemingway zum Paseo de Sarasate, einer breiten mit Bäumen gesäumten Allee, dort zur Hausnummer 6, gegenüber vom Monumento a los Fueros. Der US-Autor öffnet die Tür des Las Pocholas, tritt ein und setzt sich im Gasthaus an den gleichen Tisch wie immer, direkt neben dem Eingang, unter die Büste des Namensgebers, des Rey Carlos III El Noble.
In Wirklichkeit heißt das Restaurant an der Prachtstrasse Hostal del Rey Noble, aber jedermann in Pamplona kennt es als Las Pocholas. Seit der Amerikaner aus Chicago das Las Pocholas während seiner zweiten oder den dritten Sanfermines entdeckt hat, ist es neben dem Café Iruña seine Lieblingslokalität in der baskischen Metropole.
Der Schriftsteller setzt sich immer an den Tisch mit der internen Nummerierung 1. Er beobachtete gerne die Leute, die eintraten, erinnern sich die Besitzer Josefina und Conchita Guerendiáin an den berühmten Gast. Ansonsten machte er nicht viel Aufhebens um seine Person, jedenfalls wenn er alleine kam.
Ein anderer Nobler, jener von 1954, fällt in Pamplona noch ein wenig stärker ins Auge als der König. Foto: W. Stock, 2024.
Ein Lokal für besondere Anlässe. Der Schriftsteller und der Stierkämpfer Antonio Ordóñez feiern im Las Pocholas am 10. Juli 1953 bei einem Abendessen einen grandiosen Sieg. Der Torero aus dem andalusischen Ronda hat seinen erlegten Bullen vier Ohren abscheiden dürfen, ein denkwürdiger Tag für einen Matador.
Im Jahr 2000 schließt das Las Pocholas, doch das Luxushotel La Perla schnappt sich kurzerhand die Büste von Carlos III und was sonst nicht niet- und nagelfest ist und lässt es ins Hotel schleppen. Und so darf
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