Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Schlagwort: Andalusien

‚Hermandad‘ – Hemingways andalusische Brüderlichkeit

Auf der Feria de Abril in Sevilla zeigen sich die lokalen Hermandades mit ihren casetas, mit nur Mitgliedern und eingeladenen Gästen vorbehaltenen Festzelten. Foto: W. Stock, April 2023.

Wenn in Andalusien ein Fest gefeiert wird, dann kommen die lokalen Bruderschaften zum Zuge. Ob bei der Semana Santa oder den Ferias, ohne die Hermandades sind die Festivitäten im katholischsten Winkel Spaniens nicht denkbar. Hermandad oder zu Deutsch Bruderschaft. Brüderlichkeit ist für viele Ohren ein sehr antiquierter Begriff. Sein Inhalt jedoch bleibt aktuell: Bruderschaft bezeichnet das soziale und solidarische Verhalten in einem Zusammenschluss, der nicht auf Verwandtschaft gründet, sondern auf Gemeinsinn.

Das Konzept der Bruderschaft wurde zu Hemingways Lebzeiten in zahllosen Hermandades in Spanien und auf Kuba gelebt. In jeder spanischen Großstadt sind sie noch heute zu finden. Wie in Sevilla bei der Feria de Abril, wo man die Bruderschaften im Dutzend findet, von der Hermandad de los Gitanos bis zur Hermandad del Museo. Ernest Hemingway hat sich zeit seines Lebens stark von Spanien angezogen gefühlt. Beigetragen haben dazu auch die tradierten Werte und Riten, die dort wie sonst nirgends gelebt werden, vom Stierkampf über die Büßer-Prozessionen bis zu den Hermandades.

Die Brüderlichkeit in Spanien wird mit der Abstammung von einem Vater begründet, der Vaterschaft des christlichen Gottes beispielsweise. Brüderlichkeit als Fraternité ist – neben Freiheit und Gleichheit – eines der drei Prinzipien der Französischen Revolution gewesen. Auch die Arbeiterbewegung hat ihre Solidarität inhaltlich von der Brüderlichkeit abgeleitet. Mit der Reformation des Christentums und der Säkularisierung wird das Wirken der Bruderschaften weltweit in den Hintergrund gedrängt. Doch in Andalusien, an der historischen Schnittkante von Katholizismus und Maurentum, bleiben die Hermandades lebendig.

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Dutzende Hermandades aus Sevilla finden sich im Ausstellerverzeichnis der Feria de Abril. Foto: W. Stock, 2023.

Freunde, Vertraute, wie Brüder. In Männergesellschaft fühlt sich Ernest Hemingway am wohlsten. Unter Männern redet man ungeschminkt, und auch auf Manieren braucht man weniger zu achten. Everyone behaves badly, given the chance, lässt er Jake Barnes in The Sun Also Rises kundtun. Jedermann benimmt sich daneben, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt. Erst die Gemeinschaft verleiht Stärke und Sicherheit.

In fast allen Kulturen der Welt ist das Ideal der Brüderlichkeit bekannt. Die Idee der Brüderlichkeit gründet auf

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Ernest Hemingway tut sich schwer in Sevilla

Hotel Alfonso XIII Sevilla
Außer an den Übernachtungspreisen lässt sich wenig meckern am Alfonso XIII. Ernest Hemingway jedoch ist nicht zufrieden zu stellen in dem Luxushotel von Sevilla. Foto: W. Stock, April 2023.

Andalusien ist sein Land. Die Provinz im Süden fasziniert den Mann aus Oak Park, einem Vorort von Chicago. Málaga, Ronda, Medina-Sidonia, Conil. Mit Sevilla, der Metropole im Landesinneren, fremdelt er hingegen. In Tod am Nachmittag deutet er an, es gäbe nicht genug tapfere Matadores in Südspanien. Wie er zu diesem Urteil kommt, schleierhaft. Befinden sich doch die großen Rinderfarmen in Andalusien und die Torero-Dynastie der Familie Ordóñez aus Ronda gehörte zu seinem Freundeskreis.

In einem Brief an F. Scott Fitzgerald aus dem Jahr 1926 schildert er einen Matador aus Sevilla, der sich wie ein hinterlistiger Metzger aufführe. Doch in Wirklichkeit ist dieser Stierkämpfer – Diego Mazquiarán, alias Fortuna –  ein Baske gewesen. Der bärtige Mann aus Chicago hegt indes seine Vorurteile. Die andalusischen Stiere, nicht so hochgezüchtet wie jene im Norden, seien für den Kampf weniger geeignet.

Eine Abneigung steckt dahinter. Ernest Hemingway kann der Stadt nichts abgewinnen. Die Aufmerksamkeit, die Sevilla dem jungen Journalisten zukommen lässt, mag eine Ursache für seine Antipathie sein. Im Jahr 1923, auf seiner ersten Spanien-Reise, mit seinem Freund und Verleger Robert McAlmon, kommt er auch in Sevilla vorbei. Große Beachtung lässt er der Hauptstadt Andalusiens schon damals nicht teilwerden.

Leider Gottes hat Sevilla den Nobelpreisträger in einer schwachen Stunde erwischt. Er, der doch so ein genialer Beobachter ist, findet keinen Blick für die Schönheiten der Stadt. Die lebensfrohe Metropole, die vor allem von einer christlichen und maurischen Tradition beeinflusst ist, bietet mit ihren engen Gassen und den alten Bauwerken in der Altstadt, zugleich Tausende Winkel und Ecken zum Genuss und zur Entzückung.

Doch die Stadt, in der es schon im Frühling höllisch heiß werden kann, gefällt dem Schriftsteller einfach nicht. In späteren Jahren wird es nicht besser. Er kommt 1954 zurück auf die iberische Halbinsel, nachdem der Bann nach dem Bürgerkrieg gegen ihn aufgehoben ist. Ernest Hemingway, erneut in Spanien, besucht auch Andalusien.

Spanischer Bürgerkrieg

Das Trauma des Bürgerkrieges ist selbst nach fast 90 Jahren noch sichtbar in Sevilla. Foto: W. Stock, April 2023.

Sein Freund José Luis Castillo-Puche schildert eine skurrile Episode von Hemingways Reise. Die Wunden des Bürgerkrieges sind nicht verheilt, die Spanier wissen, dass der Schriftsteller sich sehr für die republikanische Sache eingesetzt hat. “Viva la República”, flüstert auf der Straße in Sevilla ein unbekannter Passant Hemingway zu. Und der Amerikaner antwortet leise mit dem Schlachtruf der Loyalisten: “No pasarán”.

Fünf Jahre später, am 28. Mai 1959, fährt Ernest Hemingway von Málaga nach Sevilla und quartiert sich im Luxushotel Alfonso XIII ein. Er will in der andalusischen Metropole während der Feria einer Corrida von Antonio Ordóñez beiwohnen. Das Alfonso XIII., in Wirklichkeit ein

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Ernest Hemingway im ‚El Pasaje‘ von Conil de la Frontera

Die Hemingway-Ecke im El Pasaje. Conil, im April 2023. Foto: W. Stock.

An einem Sommertag im Jahr 1959 besuchen Ernest Hemingway und der Torero Antonio Ordóñez während eines Aufenthalts im südspanischen Conil de la Frontera das Restaurant El Pasaje. Es ist Juni und der Nobelpreisträger weilt zu Besuch auf der Ranch seines Freundes Antonio in Medina-Sidonia. Von dort fahren sie zur Feria von Algeciras am 15. bis 21. Juni. Und von Medina-Sidonia ist es nur ein Katzensprung zur Küste bei Conil.

An der Eckwand des Restaurants El Pasaje, neben jenem Tisch, wo der Nobelpreisträger und sein Freund aus Ronda gesessen haben, erinnern die Besitzer seit kurzem an den berühmten Gast aus Übersee. Mit einem Zeitungsausschnitt, Fotos und einer Inschrift hat Tomás González diese Erinnerungsecke gestaltet.

Die Inhaberfamilie Sánchez, die das beliebte Restaurant an der Avenida de la Playa seit 1929 Jahren nun bereits in vierter Generation betreibt, zeigt sich stolz auf den prominenten Besucher von einst. Die volkstümliche Gaststätte, die in erster Linie zum Meer liegt, weckt die Erinnerung an den Schriftsteller zu neuem Leben. Erinnerungen, die vorher als Anekdoten von Generation auf Generation mündlich übertragen worden sind.

Die Tageszeitung Diario de Cádiz erinnert am 12. Juli 1961 an den Besucher des El Pasaje. Der Nobelpreisträger hat sich Tage zuvor in Ketchum das Leben genommen. Foto: W. Stock.

Im Jahr 1929 hat Diego Sánchez Moreno einen Ausschank in einer einfachen Hütte am Strand von Los Bateles in Conil de la Frontera eröffnet. Fast hundert Jahre später ist das El Pasaje ein gastronomisches Juwel, das aus Conil nicht wegzudenken ist. Die privilegierte Lage an der breiten Strandpromenade zieht Einheimische ebenso wie Touristen an.

José im Speisesaal und drei Köche im Küchentrakt legen Wert auf genussreiche Speisen und einen guten Service. Das El Pasaje steht für eine bodenständige Qualitätsküche, hochwertig, jedoch ohne abgehoben zu sein. Regionale Produkte werden mit einer innovativen Kulinarik verbunden. Vor allem die populären Fischspeisen aus Andalusien werden gerne bestellt.

Traditionelle Gerichte, ohne Schnickschnack, findet man auf der Speisekarte. Zu den Highlights gehört der

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Ernest Hemingway besucht Conil de la Frontera – den schönsten Ort Spaniens

Der Fischfang prägt das Bild der weißen Stadt Conil de la Frontera in Andalusien. Foto: W. Stock, April 2023.

Am 5. August 1959 verfasst Ernest Hemingway auf dem pompösen Landgut La Cónsula in Málaga einen langen handschriftlichen Brief an seinen Sohn Patrick in Übersee. Dieses Schreiben sprüht nur so vor Heiterkeit, der Nobelpreisträger lebt auf in seinem Traumland Spanien. Mit den Freunden Antonio Ordóñez und Bill Davis ist der Amerikaner häufig unterwegs und erkundet den Süden der iberischen Halbinsel.

Der bärtige Schriftsteller schwärmt von Andalusien, besonders die Region um Cádiz hat es ihm angetan. Das ist eine Gegend, die ich noch nicht gekannt habe, und sie würde Dir sehr gefallen. In diesem Landstrich werden wir uns in einem Küstenort namens Conil etwas Land kaufen. Das ist noch alles so wie in den alten Tagen, bevor alles kaputtgemacht wurde. Ein prächtiger Strand, nette Leute, eine echt arabische Stadt und gute Fischer wie in Cojímar.

Mit dem Torero Antonio Ordóñez ist Ernest Hemingway im Juni 1959 in Conil gewesen. Der Stierkämpfer besitzt eine Farm in Medina-Sidonia, 40 Kilometer im Landesinneren, von dort sind es 40 Autominuten bis ans Meer. Conil de la Frontera, das Städtchen an der Küste, hat es dem Amerikaner, der auf Kuba lebt, besonders angetan. Es erinnert ihn an Cojímar, Ernesto liebt den genügsamen und geerdeten Alltag am großen Wasser.

In Conil de la Frontera am spanischen Atlantik leben heute 23.000 Personen, im Sommer steigt die Zahl an auf über 100.000. Es ist ein pittoreskes Fleckchen südlich von Cádiz, mit engen Gassen und bunten Patios. An der Costa de la Luz endend dieses Pueblo Blanco, eines jener weißen Städtchen, die so typisch sind für Andalusiens. Die Menschen in Conil, sie leben überwiegend vom Tourismus und dem Fischfang, haben sich eine unprätentiöse Gangart bewahrt.

Von den Phöniziern gegründet, erobern im Laufe der Jahrhunderte die Tartessos, die Römer, schließlich die Muslime den Ort am Meer. Jede Kultur hinterlässt in Conil de la Frontera ihre Spuren in der Form von Brunnen, Türmen und Gebetshäusern, manche sind noch heute zu bewundern. Architektonisch merkt man dem Dorf besonders seine arabische Tradition an. Der Stil der Mauren, der sich durch einfache Materialien und eine an die widrige Natur angepasste Bauweise auszeichnet, ist weiterhin präsent.

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Conil de la Frontera – ein zu entdeckendes Juwel. Foto: W. Stock, April 2023.

Die Mauren gründen Schulen und fördern die Wissenschaft. In der Landwirtschaft führen die Araber Bewässerungssysteme ein, um das trockene Land fruchtbar zu machen. Ab dem 9. Jahrhundert entwickelt sich der Islam für 600 Jahre zur einflussreichen Religion in Spanien, doch Juden als auch Katholiken können in der convivencia ihrem Glauben nachgehen. In dieser Zeit des friedlichen Zusammenlebens bereichern sich die Religionen gegenseitig mit Ideen und Neuerungen.

Nach der Reconquista verschreibt sich Andalusien einem

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Warum liebt Ernest Hemingway den Stierkampf?

Ernest Hemingways Original-Eintrittskarte zur Plaza de Toros in Valencia vom 27. Juli 1959. Barrera Número 34, dies sind die vorderen Plätze, direkt vor dem Callejón. Credit Line: Ernest Hemingway Papers Collection, Museum Ernest Hemingway, Finca Vigia, San Francisco de Paula, Cuba

Der Amerikaner Ernest Hemingway hat in Europa immer dem Tod ins Auge gesehen. Im Ersten Weltkrieg, im Spanischen Bürgerkrieg, im Zweiten Weltkrieg. Auch liebt er seither jene Sportarten, bei denen es um Leben und Tod geht oder wo zumindest das Blut in rauen Mengen fließt: den Stierkampf, das Boxen, den Kampf der Hähne, die Entenjagd, das Angeln großer Fische. Um Leben und Tod – es ist sein Thema.

Death in the Afternoon, in der deutschen Ausgabe als Tod am Nachmittag, erscheint im Jahr 1932, dies ist ein Essay über den Stierkampf und dessen Tradition auf der iberischen Halbinsel. In Spanien zeigt man sich überrascht, wie tiefsinnig sich ein Außenstehender in die Philosophie der arte torear à caballo y à pie, in die Kunst des Kampfes gegen den Stier, zu Pferd oder zu Fuß, einzufühlen vermag. Ernests Schilderungen von den Plazas de Toros und aus der Welt des Stierkampfes tragen in Spanien maßgeblich zur Popularität des Mannes aus Chicago bei.

Das Mysterium von Leben und Tod beschäftigt den Schriftsteller Tag und Nacht. Es fasziniert den US-Amerikaner, wie beim Stierkampf in Spanien mit dem Tod gespielt wird, wie der bunte Torero den wilden schwarzen Bullen neckt und vorführt, um ihm am Ende dann unter dem Gejohle der Zuschauer den Todesstoß zu verpassen.

Ernest Hemingway mag ein solches Spektakel, bei dem der Mensch als Todesbote auftritt, die Kollegen Dramatiker haben es allegorisch viele Jahrhunderte auf der Theaterbühne aufführen lassen. Doch Hemingways Tod kommt ohne lang gestrecktes Gewand und ohne dunkle Maske daher, im Stierkampf tritt der richtige Tod in die Arena und am Ende des dritten Tercios wird jemand wirklich tot sein.

Ernest Hemingway selbst tötet die wilden und schönen Tiere mit eigener Hand. Beim Hochseeangeln, auf seinen Safari-Reisen oder beim Schießen der Wildvögel im Sun Valley. Es macht ihm nichts aus, im Gegenteil, er empfindet Freude daran. Dabei liebt der Schriftsteller den Fisch, den er jagt und den er abschlachtet. Doch er kann nicht anders, denn ihn berauscht die Rolle des Jägers, der für einen Moment die Macht über Leben und Tod besitzt.

Das Tier ist sein Freund, doch die Entscheidung über sein Überleben oder über sein Sterben liegt beim Menschen. Darin besteht Hemingways Irrglaube und seine Verblendung: der Mensch als

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All thinking men are…

Die Penitentes, die barfüssigen Büßer im anonymen Kapuzengewand mit Spitzhaube über dem Kopf und einer Kerze in der Hand, gehören zum selbstverständlichen Bild in den andalusischen Karprozessionen der Semana Santa.
Foto by W. Stock, 2019

Jetzt wird es interessant. All thinking men are atheists. Alle denkenden Menschen sind Atheisten. So hat es Ernest Hemingway beiläufig geschrieben, in seinem Frühwerk A Farewell to Arms, im zweiten Kapitel. Im Jahr 1929 ist dieser Roman erschienen, auf Deutsch heißt er In einem andern Land. Jeder, der denken kann, ist Atheist. Das ist mal ein Aufschlag. Merkwürdig nur: Ernest Hemingway selbst war ja kein denkender Mensch, kein Intellektueller oder Räsonierer. Sondern ein Gefühlsmensch, jemand, der aus dem Bauch heraus lebte.

Und merkwürdig auch: Sein bestes Werk – Der alte Mann und das Meer – ist eine Erzählung von alttestamentarischer Kraft. Eigentlich ist diese Novelle der Versuch einer Zwiesprache mit Gott. All dies scheint merkwürdig für einen Atheisten. Auch hat Hemingway immer abgestritten, an Gott zu glauben, er hat sich vielmehr lustig gemacht über ihn. Aber irgendwie, je länger man seine Zeilen liest, kommen sie einem vor, wie ein Hilferuf an eine höhere Macht und wie eine Sehnsucht nach Behütung durch diese höhere Macht. Ernest Hemingway lebte merkwürdigerweise auch gerne in erzkatholischen Ländern. Auf Kuba und in Südspanien.

Die strengen Gebräuche in Andalusien übten eine Faszination auf ihn aus. So die Penitentes – jene Kapuzenmänner, die in der Karwoche als namenlose Büßer auftreten, weil ein Papst im 14. Jahrhundert die öffentliche Buße untersagt hatte. Oder denken wir an die übersteigerte Marienverehrung oder den blutigen Stierkampf. Ernest fühlte sich von solch archaischen Riten angezogen. Auch wenn er eine andere Begrifflichkeit verwendet, katholische Rituale wie Buße, Sünde, Selbstkasteiung, Vergebung, Sakrament oder Pilgertum bleiben ihm nicht fremd.

Über die Grenzen des Individuums hat er viel geschrieben. Ein Mystiker würde nun vielleicht versuchen, das Mysterium des Lebens und Ablebens mit Hilfe des Glaubens oder der Existenz eines allmächtigen Gottes zu enträtseln. Und möglicherweise ist so etwas wie Gott ja der Schlüssel für all dies, was sich dem Verstand nicht erschließt. Doch diesen letzten Schritt wollte – oder konnte – Ernest Hemingway nicht gehen.

Obwohl, möglicherweise benutzt dieser Ernest Hemingway für Gott ja bloß

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Rainer Maria Rilke in Ronda

Hinter dem Hotel Reina Victoria steht der Böhme Rainer Maria Rilke, der wunderbare Gedichte auf Deutsch schreiben konnte, und blickt in die Bergwelt Andalusiens. Foto by W. Stock, 2019

Er ist eigentlich das schiere Gegenbild zum Macho-Mann Ernest Hemingway. Der Amerikaner Hemingway ist einer, der breitbeinig durchs Leben marschiert, an zwei Weltkriegen teilnimmt, der flott einen Nobelpreis kassiert, dem die Bücher und Verfilmungen Millionen aufs Bankkonto spülen und dem die Frauen zu Füssen liegen, er braucht bloß mit den Fingern schnipsen.

Doch Rainer Maria Rilke leidet als Sensibelchen, er ist oft kränklich, von schweren Gedanken gedrückt, mit den Frauen klappt es nicht so recht und zudem ist er meist ziemlich klamm. Das Leben hat den Poeten nicht auf die Sonnenseite geworfen, sein Leben läuft in Hoch und Tiefs. Doch Gedichte kann der Mann schreiben, zum Niederknien.

Eines seiner schönsten heißt Herbsttag:

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Rainer Maria Rilke schreibt Herbsttag im Jahr 1902, es ist ein Gedicht über den heraufziehenden Herbst, eine Zwiesprache mit Gott, und ähnlich zu Hemingways Poemen in Sachen Natur, bleibt der Mensch das Objekt, der Getriebene, der sich den Naturgewalten fügen muss.

Am 4. Dezember 1875 wird Rilke als Sproß eines Militärbeamten in Prag geboren, das damals unter österreichischer Regentschaft steht. Nach dem Abitur studiert er Kunst und Literatur in Prag, München und Berlin. Im Jahr 1900 lässt der Österreicher sich in der norddeutschen Malerkolonie Worpswede nieder und heiratete die Bildhauerin Clara Westhoff, von der er sich 1902 wieder trennt. Im Jahr 1905 wird er für acht Monate der Privatsekretär des Bildhauers Auguste Rodin in Paris. Es folgen Reisen nach Nordafrika und Ägypten. Im Ersten Weltkrieg wird er beim österreichischen Landsturm aus Gesundheitsgründen ausgemustert. Nach Kriegsende halten ihn meist Mäzene über Wasser. Rilke stirbt am 29. Dezember 1926 mit nur 51 Jahren im Sanatorium Val-Mont bei Montreux an Leukämie.

Im Winter 1912 besucht Rainer Maria Rilke die spanischen Städte Toledo, Córdoba und Sevilla. In Andalusien ist Rilke gepackt von der maurischen Architektur und Tradition. Vom 9. Dezember 1912 bis Mitte Februar 1913 verbringt er die Winterwochen in Ronda. Der Fluß in seinem schluchtigen Abgrund spiegelt die zerrissenen Lichter des Himmels, aber auch mein Innerstes wider, schreibt der Poet nach seiner Ankunft in Ronda

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La Cónsula – das andalusische Idyll des Ernest Hemingway

Die Einfahrt zur Finca La Cónsula bei Churriana in der Nähe von Málaga.
Foto by W. Stock, 2019

Anfang Mai 1959 erreichen Mary und Ernest Hemingway, von New York kommend, mit der Constitution Algeciras in Südspanien. Von dort geht es zwei Stunden mit dem Auto Richtung Costa del Sol zur La Cónsula in den Hügeln über Málaga. Die spektakuläre Finca gehört Nathan Davis, den alle Welt Bill ruft und der vom Hemingway Negro genannt wird. Er und Negro haben sich vor langer Zeit Mexiko kennengelernt und rasch Freundschaft geschlossen.

Bill und seine Frau Anne, steinreiche US-Amerikaner, leben mit ihren Kindern Nena und Timothy Teo als überaus gastfreundliche Expatriates auf dem imposanten Anwesen südwestlich der Stadt, nur wenige Kilometer abgelegen vom Meer bei Churriana. Auch der Autor Noel Coward und die Schauspielerin Vivien Leigh gehörten schon zu den prominenten Gästen auf der zwölf Hektar großen andalusischen Hacienda, die von einer tropikalen Landschaft umzäunt wird und auf der zahlreiche Bedienstete um das Wohl der Gäste bemüht sind.

Die abgelegene La Cónsula – gemäß Ernest Hemingway ein bisschen kleiner als der Escorial – ist ein wunderbarer Ort, innezuhalten und zu sich zu kommen. Heute ein Stadtteil von Málaga, befindet sich La Cónsula in Churriana, an der Carretera nach Alhaurin de la Torre. Die andalusische Regionalregierung hat seit 1993 in der weitläufigen Finca die Verwaltung Escuela de Hostelería de Málaga untergebracht, die Hotelerie- und Kochschule, in einem neu erbauten Gebäude schwingen die Lehrlinge des ersten und zweiten Ausbildungsjahres ihre Kochlöffel.

Die Finca, die Anfang des 19. Jahrhunderts im Kolonialstil mit viel Eisen, Holz und Säulen aus weißem Marmor erbaut wurde, besteht aus dem langen rechteckigen Hauptgebäude aus zwei Etagen, einer um das obere Stockwerk laufenden Außenveranda, aus einem Schwimmbassin an dessen Fußseite heute ein Stein- und Muschelmosaik mit einem Abbild Ernest Hemingways prangt. Der hinter dem Herrenhaus liegende Jardin ist riesig wie ein Klostergarten, mit Pinien, Palmen, Bananenbäumen, Zypressen.

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Im Eckzimmer auf der oberen Etage, hin zum Swimmingpool, befindet sich das Zimmer, in dem Ernest Hemingway seine Tage in ‚La Cónsula‘ verbringt. Foto by W. Stock, 2019

Wie ein Idyll aus dem Bilderbuch kommt La Cónsula daher: Der weitläufige botanische Garten lädt ein zum Lustwandeln, am Pool kann man sich vom überhitzten Sommerklima des Mittelmeeres erfrischen, im Haupthaus findet sich großartige Kunst, unter anderem einige Gemälde von Jackson Pollock und Mark Rothko, und – gerade Ernest Hemingway weiß einen solchen Vorteil nicht gering zu schätzen – in der ganzen Anlage hat es damals kein Telefon gegeben.

In Spanien will Ernest Hemingway die Erinnerung an schöne Tage auffrischen und alte Freunde treffen. Die einstmals jungen Gesichter waren jetzt alt wie meins, aber keiner hatte vergessen, wie wir einmal waren. Die Augen hatten sich nicht verändert und keiner war fett geworden. Kein Mund war verbittert, ganz gleich, was die Augen inzwischen alles gesehen hatten. In Spanien findet der Autor wie immer seine heile Welt, sein andernorts versinkendes Wohlfühl-Paradies. Vor allem die sinnenfreudige Lebensart der Südspanier mag er, den Stierkampf, das gute Essen und einen Moscatel oder einen Pedro Ximenez, der süße Málagawein fließt in Andalusien wie im Schlaraffenland.

Nach dem freudigen Aufenthalt im Jahr 1959 kommt Ernest Hemingway in den Sommermonaten des Jahres 1960 zurück, diesmal alleine. Doch alles ist anders. Die Freunde in Andalusien zeigen sich bestürzt, als sie den Schriftsteller zu Gesicht bekommen. Sein einst glanzvolles Antlitz ist aschfahl, die Haare sind schlohweiß, seine Gesichtszüge wirken wie eingefallen und die einst neugierigen Augen blicken nur noch ausdruckslos in die Welt. Seine kräftigen Arme sind dürr geworden wie junge Baumzweige, auch die Beine scheinen nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen. 

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Am frühen Morgen stellt Ernest Hemingway ein Stehpult auf die Veranda vor sein Zimmer und schreibt den Vormittag über an seinem Werk ‚The Dangerous Summer‘. Foto by W. Stock, 2019

Der Nobelpreisträger kann sich in dem weitläufigen Farmhaus bei Málaga nur noch mühsam fortbewegen, seine Schritte gleichen mehr einem behäbigen Tippeln. Innerhalb weniger Monate ist der Schriftsteller um Jahre gealtert. Der Autor wohnt in seinem kleinen Zimmer im oberen Stockwerk, ohne Bad, sein sommerlicher Arbeitsplatz erinnert ihn an

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Ernest Hemingway in Ronda

Oberhalb der Schlucht zum El Tajo liegt der schmale ‚Paseo de E Hemingway‘, der am Parador vorbei führt bis zu den Klippen. Foto by W. Stock, 2019

Man weilt erst seit wenigen Minuten in Ronda und prompt läuft man zwei bekannten Amerikanern in die Arme, beide allerdings schon vor Jahrzehnten verstorben. Die weiße Stadt in den andalusischen Bergen hat den Schriftsteller Ernest Hemingway und den Regisseur Orson Welles sichtbar im Stadtbild verewigt, jeder als Namensgeber einer eigenen Promenade oder in Form von mannshohen Skulpturen. Ein Hotel, gleich das Palacio de Hemingway, vier Sterne, und ein Café sind nach dem Autor benannt, Fotos und Postkarten von beiden finden sich zuhauf in den Andenkenshops.

Manchmal kann man sie leicht verwechseln, US-Amerikaner, ähnliche Physiognomie, stämmiger Körperbau, dichter Bart, selbstbewusstes Auftreten. Und beide eint die Liebe zu dieser einzigartigen Stadt von 30.000 Bewohnern. Zwei Stunden von der Küste entfernt liegt Ronda im Gebirge, auf einem Fels, eingebettet von blühender Vegetation, soweit das Auge reicht, ein Ort wie gemalt für ein pittoreskes Großgemälde.

In der Tat ist dieser Ort ein seltenes Juwel. Umgeben von einem Teppich grüner Olivenhaine, riesigen Farmen mit freilaufenden Rindern und eindrucksvollen Weingütern bleibt die Natur in diesem abgelegenen Landstrich allgewaltig. Ronda liegt abseitig, noch heute etwas abgeschieden von der Welt, die sich so gern modern nennen lässt. Oben in den Bergen stört nicht das Brummen der Laster oder quält der Gestank der Fabrikschlote, man hört vielmehr das Rauschen der Pinien im Wind und das ausgelassene Zwitschern der Vögel – und sonst hört man nichts. Man wird kaum etwas Besseres für den Seelenfrieden finden als Ronda, Ernest Hemingway hat darauf aufmerksam gemacht.

Der bärtige Schriftsteller hat Ronda über alles geliebt. Besuchen Sie Ronda, wenn Sie wieder mal nach Spanien kommen sollten. Für eine Hochzeitsreise oder mit Ihrer Freundin. Die ganze Stadt und ihre Umgebung gleichen einem romantischen Bühnenbild. Die Stadt liegt 720 Meter über El Tajo, einer steilen Schlucht, Ronda wird architektonisch geprägt von der westgotischen, der maurischen und von der christlichen Tradition. Weiße Häuser stehen direkt an der Klippe, die halbe Stadt balanciert am Abgrund.

Im Mai 1923 besucht Ernest  mit seinen Freunden William Bird und seinem Pariser Verleger Robert McAlmon zu ersten Mal Spanien, es geht auch in den Süden, nach Sevilla, Granada, nach Toledo, Aranjuez und eben auch Ronda. Der Stierkämpfe wegen. Ende der 1950er Jahre kommt er zurück nach Andalusien, zum Abschied, zwei Jahre vor seinem Tod in den Rocky Mountains.

In Ronda, in dieser eindrucksvollen Stierkampfarena, einer der ältesten Spaniens, wohnt er oft

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