Ernest Hemingway auf der Pilar, im Golfstrom vor der Skyline von Havanna, im Jahr 1952. Credit Line: Ernest Hemingway Collection. John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Am Meer erwacht in Ernest Hemingway eine neue Lebenslust. Mit all seinen Sinnen liebt dieser Schriftsteller aus Chicago den Ozean. Er mag den Geruch nach Salz und Algen, er hört die krachenden Laute der Sturzwellen, vor allem jedoch liebt er den blauschimmernden Farbton des Wassers. Am endlosen Meer verspürt Ernest Hemingway Momente der Eintracht, eines inneren Friedens, der brüchig wird, je weiter er sich von der Wasserlinie entfernt.

Er braucht diese seelische Harmonie, denn dieser Mann schleppt seit Kindesbeinen vielerlei Verletzungen mit sich herum. Nur am Meer findet er Linderung für seine Wunden. An den Gewässern und am Meer fühlt Ernest Hemingway sich seinem inneren Kern nahe, er empfindet eine tiefere Emotionalität als in der Stadt. Dass der Mensch zum Meer hin sein angestammtes Terrain verlassen muss, es kitzelt ihn, auf dem Ozean kann man wunderbar seine Energie auf den Prüfstand stellen. 

Das Meer, wo auch immer, bietet einem Bauchmenschen wie Ernest Hemingway emotionalen Halt. Es ist kein Zufall, dass dieser Autor nach seinen Lehrjahren in Paris, die Großstadt meidet. Dieser Naturbursche zieht es hingegen vor, nahe dem Meer zu leben. Wie auf Finca Vigía, eine halbe Stunde südlich von Havanna. Sein tropisches Anwesen liegt nicht weit von Cojímar und dem Golfstrom, es wird über zwei Jahrzehnte sein Paradies auf Erden.

Wenn es eine Vollkommenheit auf Erden zu suchen gilt, dann mag man dieses Ideal am Meer finden. Das Meer ist von einer Weite, die das menschliche Auge nicht einfangen kann. Und das Meer wird mit einer Naturkraft ausgestattet, ohne die sich die Erde nicht drehen könnte. Der Ozean, der keinen richtigen Anfangs- und Endpunkt zu besitzen scheint, hält in höchster Vollendung den Kreislauf der Natur am Laufen.

Zeit seines Lebens wird dieser merkwürdige Rabauke aus Oak Park bei Chicago das Meer über alles verehren und mehr lieben, als alles andere in der Natur. Am Meer wird Ernest Hemingway ein anderer Mensch, vielleicht wird er hier erst so richtig zum Menschen. Die Zeit, die ich auf dem Meer vor den spanischen, afrikanischen und kubanischen Küsten verbracht habe, ist die einzige Zeit, die ich nicht verschwendet habe.

Am Meer erkennt ein Autor wie er das thematische Grundmuster seines Lebens. Die Lust am Leben will dort Oberhand über alle Verzagtheit behalten. Für einen Menschen, der seine fünf Sinne noch einigermaßen beisammen hat und der mit beiden Beinen im Leben steht, für den erweisen sich die Momente am Meer als Sternstunden für die Seele. 

Das Meer empfindet Ernest Hemingway als Gegenentwurf zum Kopfbestimmten. Das unendliche Wasser und die Tropenhitze weisen Ratio und Intellekt in die Schranken, auch deshalb fühlt er sich am Ozean so wohl. Solch ein körperlicher Mann wie Ernest Hemingway erspürt am Meer auch einen erotisierenden Reflex, das wilde Wasser und die Glut der Sonne bringen manch verschüttete Begierde ans Licht.

Dieser US-amerikanische Nobelpreisträger, der im sonnigen Kuba seine Heimat findet, wird eins mit jener so selbstverständlichen Sinnlichkeit, die Orten am Meer innewohnt. Ernest Hemingway hat diese Welt ohne groß nachzudenken begriffen. Der Leichtsinn und der Übermut des Lebens finden am Meer statt, an einem solch prächtigen Meer wie dem Golfstrom vor Havanna. Man kann sich ganz und gar fallen lassen, nahe am Meer.

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