Studio Europe. John Groths Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg in Europa erscheinen 1945 in den USA.

Im Herbst 1944 stehen die amerikanischen Bodentruppen vor dem Hürtgenwald südöstlich von Aachen, wo der Vormarsch der GIs zum Stehen kommt. Die Alliierten müssen nun die Siegfried-Linie aufbrechen, jenen Wall von Holland bis zur Schweiz mit seinen Bunkern, Stollen und Panzersperren. Erst dann wird es den US-Soldaten möglich sein, bis zum Rhein vorzustoßen und damit dem Nazi-Regime militärisch den Todesstoß zu verpassen. 

Ab September berichtet Ernest Hemingway, er kommt aus dem befreiten Paris, über das Kampfgeschehen in Deutschland. Der Schriftsteller befindet sich zunächst nicht an der Frontlinie im Hürtgenwald, sondern weiter südlich, mitten in der Schnee-Eifel. Die heranrückende US-Armee ist der deutschen Wehrmacht materiell und personell überlegen, doch die dichten Wälder und die zahlreichen Hügel lassen den Einsatz von Panzern nicht zu, es geht deshalb nur schwerfällig voran.

Während Ernest Hemingway in seinen Berichten zu allerlei Überzeichnungen neigt, insbesondere die eigene Person betreffend, berichtet ein anderer Journalist geradeheraus. Nach dem Ende des Krieges wird John Groth im Jahr 1945 seine Erlebnisse in dem Buch Studio: Europe  veröffentlichen. Inklusive seiner Treffen mit Ernest Hemingway. Über Paris und Belgien kommt auch der 36-Jährige Maler John Groth an die Frontlinie in der Schnee-Eifel.

In dem winzigen Eifelort Schweiler, drei Kilometer Luftlinie von der belgischen Grenze entfernt, trifft er Ernest Hemingway zum ersten Mal. Der verlassene Bauernhof der Familie Markgraff am Rande des Dorfes dient Colonel Buck Lanham und den beiden Kriegsreportern als Quartier. Das Haus aus dem Jahr 1732 hat kein fließend Wasser, kein Badezimmer, keinen Strom, keine Heizung. Überstürzt haben es deutsche Soldaten verlassen. 

Have a drink, es sind die ersten Worte des Schriftstellers zu John Groth. Zu jenem Zeitpunkt ist der Autor von Wem die Stunde schlägt und Schnee auf dem Kilimandscharo schon ein berühmter Mann. Schloss Hemingstein wird das heruntergekommene Bauernhaus in Schweiler von Ernest Hemingway großspurig und zugleich spöttisch getauft. Der Erfolgsautor weist den Besitzer Markgraff – einen 73-jährigen Bauern aus Schweiler – an, er möge für Essen sorgen.

Im Schein von Petroleumlampen beugen sich die Amerikaner abends über die Landkarten des unwegsamen Gebietes. Es ist Anfang September 1944 und die Gefahr bleibt groß, dass die deutsche Wehrmacht den Weiler wieder einnimmt. Die Frontlinie verschiebt sich von Tag zu Tag. Hat man morgens ein Dorf erobert, so kann es am Abend wieder an den Gegner zurückfallen.

Als John Groth auf Schloss Hemingstein sich zur Nachtruhe in sein Schlafzimmer im zweiten Stock zurückziehen will, gibt Hemingway ihm zwei Handgranaten mit und meint: Leg sie auf deinen Nachttisch, damit Du schnell an sie kommst. Der verdutzte Groth erwidert, er habe noch nie eine Handgranate in der Hand gehalten. Und der berühmte Schriftsteller zeigt dem Kollegen wie man den Splint zieht, bis zwei zählt, und dann die Granate wirft. Er möge angekleidet im Bett liegen, fügt Hemingway an, aus Vorsicht.

Der Weg an die Kriegsfront ist für John Groth nicht gerade vorgezeichnet. Der Feingeist studiert am Art Institute of Chicago und an der Art Students League in New York, dort unter anderem bei dem exilierten Berliner Maler und Grafiker George Grosz. Schon frisch im Beruf macht sich John Groth als Illustrator einen guten Namen, in den 1930er Jahren wird er der erste Art Director des Magazins Esquire.

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John Groth hält in Skizzen den Krieg fest, und er malt Ernest Hemingway. Aus John Groth, Studio: Europe, 1945.

Seine Skizzen aus dem Krieg in Europa fallen auf, es ist noch nicht das Zeitalter des Fernsehens. John Groth malt an manchen Tagen über hundert Skizzen. Dabei benutzt der Vielzeichner eine spezielle Technik, die er Speedline nennt. Er skizziert seine aktionsgeladenen Motive mit groben, nicht perfekten und unscharfen Linien, die weißen Flächen werden später koloriert.

John Groth, Jahrgang 1908, stammt aus Chicago, ebenso wie Ernest Hemingway. Obwohl eigentlich Grafiker und Maler, schreibt Groth darüber hinaus auch Artikel aus dem Krieg in Europa, für die Chicago Sun in seiner Heimatstadt. Yanks are in Paris! lautet seine Schlagzeile, nachdem die US Army die französische Hauptstadt eingenommen hat. Ernest Hemingway veröffentlicht seine Berichte in der Chicago Tribune, doch die beiden publizistischen Rivalen finden einen guten Draht zueinander.

Am nächsten Tag rücken die US-Truppen inklusive der Kriegsberichterstatter von Schweiler aus langsam vor. Im benachbarten Bleialf stossen die Amerikaner auf deutsche Zivilisten. Auf Eifel-Bewohner, die zurückgeblieben sind, alte Leute und kleine Kinder. Und Groth wundert sich, sein erster Deutscher sieht nicht groß anders aus als sein Großvater, und die Kinder sehen aus, wie Kinder auf der ganzen Welt aussehen. Doch je näher man der Frontlinie rückt, sie befindet sich einen Kilometer weiter östlich, desto mehr Tote bekommen sie zu Gesicht.

Die Erlebnisse im Krieg schweißen zusammen, auf Schloss Hemingstein werden der 36-jährige John August Groth und der neun Jahre ältere Ernest Hemingway zu Freunden. Doch insgesamt erhält der Illustrator ein zwiespältiges Bild über Hemingway. Einer, der viel redet und noch mehr säuft, andererseits hat Groth ihn als schüchternen Mann in Erinnerung. Über Literatur spricht der spätere Nobelpreisträger nie, lieber unterhält er sich über Frauen, Baseball, Boxen, über den Ringkampf, den Krieg und über Waffen.

Es wird viel getrunken hinter der Front. Die meisten GIs in Schweiler kennen Ernest Hemingway nicht. „Wer verdammt ist dieser Hemingway?“, fragt einer. „Keine Ahnung“, antwortet ein anderer, „aber er ist ein prima Kerl.“ Ein dritter Soldat mischt sich ein: „Er muss ein hohes Tier sein. Seit einem Monat bin ich in seiner Nähe, wir trinken häufig einen, aber ich weiß immer noch nicht, was dieser Hemingway beruflich macht.“ 

In einem Vorwort zu Studio: Europe macht sich Ernest Hemingway lustig über diesen merkwürdigen Intellektuellen mit dem Bart und der Tabakspfeife. Er sehe so un-kriegerisch aus wie kein anderer weit und breit. Sogleich entwickle man einen Beschützerinstinkt zu dem Burschen, der, anstatt zu kämpfen, andauernd Zeichnungen von der Schlacht anfertigt. Die meisten von uns dachten, er wäre verrückt. Alle mochten ihn. Alle respektierten ihn. Als wir seine Zeichnungen zu Gesicht bekamen, waren wir erstaunt, wie gut sie gelungen waren. 

Die Freundschaft zwischen den beiden so unterschiedlichen Männern, die in der kalten Eifel begonnen hat, hält ein Leben. John Groth wird nach seinen Monaten in Deutschland weiterhin viel zeichnen, später auch aus den Kriegen in Korea und Vietnam. Danach lässt er es ruhiger angehen und wird sein Wissen als Hochschullehrer an Studentengenerationen weitergeben. Im Juni 1988 stirbt John Groth, mit 80 Jahren, in New York. Seine Werke sind heute im Metropolitan Museum of Art und im Art Institute of Chicago zu finden.

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