Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Schlagwort: Peru Seite 4 von 9

Cabo Blanco – Ernest Hemingway in Peru

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Frei sein, wie ein kleiner Vogel

Auf der ‚Miss Texas‘: Ein barfüßiger Ernest Hemingway bereitet sich für den Angelstuhl und die Jagd auf den schwarzen Marlin vor. Cabo Blanco, im April 1956.

Am dritten Tag kommen die Filmleute aus Hollywood abermals mit auf den Pazifik. Aufnahmeleiter Allen Miner, die Kameramänner und Tontechniker Joe Barry, John Dany, William Classen und Stuart Higgs verteilen sich wiederum auf die Miss Texas und die Pescadores Dos. Aller guten Dinge sind drei, merkt Ernest Hemingway am Morgen voller Zuversicht in die Runde an.

Die Männer wollen sich auf der Jagd nach dem Schwarzmarlin, ebenso wie bei den Dreharbeiten, nicht ablenken lassen und deshalb hat der Schriftsteller auch an diesem Tag die Anordnung erlassen, dass keine Presse mit an Bord darf. Dabei wäre genau dies so sehr sein Wunsch gewesen, doch Manuel Jesús Orbegozo von der Tageszeitung La Crónica erhält nicht die Erlaubnis, mit auf Ernest Hemingways Boot zu kommen, auf die Miss Texas.

Der Mann aus der Hochlandregion von La Libertad jedoch lässt sich so schnell nicht abwimmeln, er ist ein gewiefter Reporter, der den Knaller seines Berufslebens nicht vermasseln will. Und so versucht der Journalist, es wenigstens auf das Schiff von Mrs. Hemingway zu schaffen, die an diesem Tag mit drei Filmleuten hinausfährt.

Am frühen Morgen des 18. April 1956 schleicht sich Manuel Jesús Orbegozo zur Landungsbrücke im Hafen. Dort schnappt er sich von der Tochter eines Fischers kurzerhand zwei Kühltaschen mit Vorräten und klettert frech an Bord der Pescadores Dos, so als sei er Teil des Teams. Auf dem Boot versteckt der La Crónica-Reporter sich dann in der winzigen Toilette. Eine halbe Stunde nach Auslaufen kommt Orbegozo aus dem WC und der urplötzliche Auftritt des blinden Passagiers löst auf dem kleinen Schiff sogleich eine gehörige Unruhe aus.

Kleinlaut erklärt der Journalist, zu Mary Welsh gewandt, dass er nichts Böses im Schilde führe. „Was würden Sie machen, gnädige Frau, wenn Ihr Vorgesetzter Ihnen die Anweisung gibt, einen Tag mit Ernest Hemingway auf dem Meer zu verbringen?“, versucht der Zeitungsmann ein paar Mitleidspunkte zu machen.

Miss Mary zeigt sich gnädig gestimmt. Ernest Hemingways Ehefrau, an Deck mit einem breiten sombrero aus Catacaos gegen die gleißende Sonne geschützt, erkennt Manuel Jesús Orbegozo als einen der Redakteure vom Flughafen. Mary Welsh hat selber lange als Journalistin gearbeitet, sie kennt den Druck, und so darf der Reporter zumindest an diesem Tag an Bord verbleiben.

Gegen 10 Uhr 30 gibt Ernest Hemingway von der Miss Texas aus ein Zeichen, dass endlich ein Fisch angebissen hat. Die Pescadores Dos nähert sich Hemingways Boot und die Kameramänner Joe Barry, William Classen und Stu Higgs bringen ihre schweren Handapparate in Stellung. Doch Fehlalarm. Als Gregorio Fuentes die Angelschnur zieht, kommt lediglich ein Tintenfisch zum Vorschein. Eine Stunde später gibt es erneut blinden Alarm. Und von Neuem ist die Enttäuschung riesengroß.

Der Journalist Manuel Jesús Orbegozo auf der Pescadores Dos nutzt die Gelegenheit, einige Sätze mit Mrs. Hemingway auf Englisch zu wechseln. Wie sich das Paar kennengelernt habe, fragt der Reporter neugierig. In London, bekommt er zur Antwort, als Ernest und ich Korrespondenten im Krieg gewesen sind. Es sei Liebe auf den ersten Blick gewesen. Aber, fügt Mary schnell an, weil sie ahnt, welche Nachfrage jetzt kommen wird, ich habe einen Mann geheiratet, den ich liebe, und nicht einen Schriftsteller, den ich bewundere.

„Schön ist das Meer hier“, meint Mary Welsh ausgelassen zu Orbegozo. Und Miss Mary, einmal in Fahrt, plaudert munter drauf los aus dem Alltag des Ehepaares. Sie erzählt von London, von Kuba und der Finca Vigía, von Afrika, von den beiden Unfällen, die Ernest um Haaresbreite das Leben gekostet hätten. Die Folgeerscheinungen der Flugzeugunglücke, so sagt sie, machen ihrem Ehemann noch immer zu schaffen.

Der Nobelpreis? Mary Welsh wirkt bei diesem Stichwort leicht verschnupft. Ernest, meint sie spitz, ist stets so großzügig. Von den 36.000 Dollar hat er unserem Chauffeur Juan und den anderen Bediensteten auf der Finca Vigía zehn Monatsgehälter als Gratifikation gezahlt. Und mir wollte er ein Jagdgewehr in Paris kaufen, nun ja, aber dann hat er mir einen Scheck über zweitausend Dollar ausgestellt. (Anfang von Kapitel 13 der Neuerscheinung Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru. Eine weitere Leseprobe: hier klicken)

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Leserstimmen zu ‚Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru‘

Eine Auswahl von Leserstimmen:

eine Recherche-Fleißarbeit.
Jo Romer über amazon.

Sehr schön zu lesen, kurzweilig, detailreich, wortgewandt.
Sebastian Schumacher über amazon.

Ich kann Ihnen versichern, dass mich das Thema sehr interessiert, denn ich bin ein alter Leser von Hemingway. Ich bin überzeugt, dass dies eine ernsthafte Abhandlung ist, die ein überaus lebhaftes Zeugnis ablegt von den Tagen Ernest Hemingways in Peru auf der Suche nach diesem mächtigen Marlin.
Mario Vargas Llosa, peruanischer Schriftsteller und Träger des Nobelpreises für Literatur 2010

Der Autor läßt den kleinen Fischerort und die Zeit wieder lebendig werden, trifft Zeitzeugen, und er begegnet im Rückblick immer wieder dem großen Schriftsteller und Weltenbummler, dem Dichter mit seiner Liebe zur Natur, seinem Wissen um die Vergänglichkeit und seiner Hingabe an seine Kunst. Ein lesenswertes Buch.
Rüdiger Preuss über amazon

Ich bin von der Gründlichkeit der Recherche beeindruckt, von der Genauigkeit mit der die Details erforscht wurden.
Juan Carlos Fahsbender, Piura

Wolfgang Stock hat eine reichhaltige und minutiöse Feldforschung in Peru getätigt, als dessen Resultat ein voluminöses Buch steht, das die letzten Jahre im Leben dieses weltbekannten Autors ausleuchtet.
Omar Zevallos, Lima

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Mit der Hand den Himmel berühren

An der Bar des ‚Fishing Clubs‘ plaudert Ernest Hemingway, ein Glas Whiskey in der Hand, über Gott und die Welt. In der Hauptsache über seine Welt. Cabo Blanco, im April 1956.

Nach dem Abendessen kommt für Ernest Hemingway die Zeit, in der er sich mit Freunden an die kleine Bartheke des Cabo Blanco Fishing Clubs zurückzieht. Der berühmte Schriftsteller, diesmal sind die drei Reporter aus Lima dabei, trinkt fröhlich in die Nacht hinein und plaudert über alles, was einem Mann so auf der Seele liegt. Mario Saavedra, der Redakteur des braven El Comercio, versucht, beim Saufgelage an der Bar einigermaßen mitzuhalten. Gegen Ernesto jedoch scheint in dieser Disziplin kein Ankommen. Nach dem dritten Whiskey sieht der schlanke Peruaner zischende Sternchen und schlingert auf den Beinen, während der bärtige Amerikaner neben der Theke steht wie ein Eichenbaum.

Der junge Redakteur aus Lima hört dem Nobelpreisträger aufmerksam zu. Denn er möchte herausfinden, nicht nur für seine Leser, sondern auch für sich, was einen erstklassigen Schreiber ausmacht. Wisst ihr, sagt Ernest Hemingway, ich glaube nicht an eine Zauberkraft des Schreibens oder so ein Zeugs. Entweder hast du es drin in dir oder du hast es nicht. Einmal war ich in Madrid da drin so voll – und der Autor schlägt zweimal kräftig mit geballter Faust auf seinen Brustkorb -, da schrieb ich The Killers und zwei andere Kurzgeschichten an nur einem Tag.

Die Runde an der Bar fabuliert über den Journalismus. Als Erster erhält Manuel Jesús Orbegozo, der Redakteur von La Crónica, einen stilistischen Ratschlag: Schreib keinen Absatz mit mehr als 25 Wörtern, meint der Schriftsteller. Das sei der beste Tipp, den er in der Redaktion des Kansas City Star als Anfänger bekommen habe. Und Ernest Hemingway erzählt von seinen ersten Schritten als Journalist.

Wie er direkt nach der Oak Park High School im Jahr 1917 als Achtzehnjähriger auf Vermittlung eines Onkels eine Laufbahn als Lokalreporter bei der Tageszeitung in Kansas City begonnen hat, wo er dann sechs Monate geblieben ist. Kurze Sätze, Leute, kurze Sätze. Nur in der Genauigkeit liegt die Wahrheit. Geht achtsam mit der Sprache um, verkneift euch all die Schlenker und Abstecher.

Beim Kansas City Star hat man den Novizen am ersten Arbeitstag ein Style Book in die Hand gedrückt. Dies sei kein Stil-Buch gewesen, sondern ein bedrucktes Blatt Papier, auf dem die eisernen Regeln gestanden haben, wie man bei der Tageszeitung die Texte zu formulieren hat. Im ersten Abschnitt ist zu lesen: Schreibe ein kräftiges Englisch! Dann: Sei positiv, nicht negativ! Und: Lasse alles Überflüssige weg! Das war keine schlechte Schule, erklärt der Nobelpreisträger, es sei eine ausgezeichnete Anleitung gewesen, um sich einen guten Schreibstil anzueignen.

Sprachliche Knappheit, das ist wie eine blutige Revolution, sagt er zu den peruanischen Journalisten, denn das Unnütze muss abgesäbelt werden. Schreibt Sätze, als ob man sie Euch auf den Arsch tätowieren würde. Die Redakteure in Cabo Blanco schauen sich ungläubig an bei diesem deftigen Vergleich. Dann, ergänzt Hemingway, werden die Sätze kurz und kommen auf den Punkt.

Die einfachen Regeln, die dem unerfahrenen Reporter beim Kansas City Star eingebläut werden, dienen fortan als Grundierung von Hemingways Texten. Im Dezember 1921 siedelt Ernest mit Ehefrau Hadley nach Paris über, für sechs Jahre. Hier kommt der US-Amerikaner mit französischen Literaten in Berührung, die bei ihm einen tiefen Eindruck hinterlassen. Vor allem fasziniert ihn Charles Baudelaires Les Fleurs du Mal und Marcel Prousts mit seinem Großroman À la recherche du temps perdu. Die filigrane Kunstfertigkeit der französischen Prosa und Lyrik bestärkt ihn in der Wichtigkeit des le mot juste, des richtigen und treffenden Wortes.

In dem literarischen Salon von Gertrude Stein in der Rue de Fleurus 27 und unter dem Einfluss besonders von Sherwood Anderson und des britischen Romanciers Ford Madox Ford perfektioniert der wissbegierige Kerl aus den Vereinigten Staaten seinen journalistischen Romanstil. Vor allen Dingen vervollkommnet er in Paris den hochraffinierten Effekt seiner Handwerkskunst: Ernest Hemingways Wörter und Sätze klingen eingängig und nahezu harmlos, die tiefere Bedeutung hinter dem Geschriebenen erweist sich jedoch als komplex und vielschichtig. (Anfang von Kapitel 12 der Neuerscheinung Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru. Eine weitere Leseprobe: hier klicken)

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Para el frio, gegen die Kälte

Der peruanische Maat Máximo Jacinto Fiestas präpariert für Ernest Hemingway den Köder. Cabo Blanco, im April 1956.

Hola Chico, begrüßt ein bestens gelaunter Ernest Hemingway den Kapitän der Miss Texas. Und Jesús Ruiz More aus Cabo Blanco antwortet: Buenos dias, Don Ernesto. Der capitán de barco sagt Don Ernesto, denn er traut sich nicht, ihn nur mit Ernesto anzusprechen, da ist zu viel Respekt. Ernest Hemingway mag diese Titulierung, wie er durchweg angetan ist von der spanischen Sprache mit ihren höflichen Anreden. So wie bei Don und Doña, eine Annäherung mit feinen Nuancen und zarten Unterschieden. Mein verehrter Herr Ernest, solch eine stilvolle Respektbekundung wie Don Ernesto lässt sich in anderen Sprachen nicht so recht abbilden.

Der Nobelpreisträger platzt vor Zuversicht an diesem Morgen. Heute werden wir unseren Marlin fangen, sagt der Schriftsteller selbstbewusst, koste es, was es wolle. Sicher, Don Ernesto, erwidert der Kapitän Ruiz More, ganz sicher werden wir ihn heute fangen. Jesús Ruiz More ist ein untersetzter, dicklicher Mann mit einem weißen Hemd und einer viel zu weiten Hose. Mitten in seinem Gesicht klebt die breiteste Ray Ban-Sonnenbrille von ganz Peru. Sein lautes Lachen ist weithin zu hören, die Fröhlichkeit des Peruaners wirkt ansteckend auf seine Umgebung. Während die meisten Männer auf der Miss Texas eine Baumwollkappe als Schutz vor den beißenden Sonnenstrahlen tragen, erkennt man Jesús Ruiz More auf Anhieb an seiner überdimensionierten Kapitänsmütze.

Como están ustedes?, begrüßt der aufgekratzte Nobelpreisträger die Crew in gutem Spanisch. Wie geht es Euch? Die gesamte peruanische Bordmannschaft erhält vom berühmten Schriftsteller einen Handshake oder zumindest einen aufmunternden Klaps auf die Schulter. Die Besatzung der Miss Texas besteht neben dem Kapitän Jesús Ruiz More aus den beiden Einheimischen Máximo Jacinto Fiestas und Miguel Custodio, einem Fischer mit ausgeleiertem Strohhut.

An Ernest Hemingways zweitem Tag in Cabo Blanco, der Kalender zeigt den 17. April 1956, legt die Miss Texas morgens um neun Uhr im Hafen ab. Die robusten Boote des Fishing Clubs erweisen sich als schnell und bringen die Truppe flott hinaus auf hohe See. Der Nobelpreisträger ist von der Schroffheit des Pazifiks überrascht, frische Winde und zahlreiche Wasserverwirbelungen sorgen für erheblichen Wellengang und unruhiges Fahrwasser. Der Große Ozean vor Cabo Blanco hat so nichts gemein mit dem Meer, das er auf der Pilar vor Kuba gewöhnt ist. Im warmen Golfstrom bleibt das Wasser meist ruhig und die Ausfahrten sind beschaulich.

Während Ernest Hemingway und seine Freunde auf der Miss Texas hinaus fahren, weilt Mary Welsh auf der Pescadores Dos, einem Klubboot, das unter dem Kommando des einheimischen Schiffsführers Rufino Tume steht. Die Pescadores Dos ist ein neues Motorboot des Cabo Blanco Fishing Clubs, es wird weniger für das Sportangeln genutzt, sondern dient mehr dem Sightseeing und für Exkursionen zur Beobachtung von Walen oder Delphinen. Die Pescadores Dos besitzt eine geräumige Kabine mit sechs Bullaugen, eine Kombüse, draußen einen breiten Sonnenschutz, der das Heck vollständig abdeckt. Der lange Vordermast, den man ohne Anstrengung auf halbe Höhe hochklettern kann, ermöglicht eine meilenweite Sicht über das Wasser. Die ganz Verwegenen hangeln sich auf der modernen Yacht bis an die Spitze des Mastbaumes.

Die Miss Texas und die Pescadores Dos fahren stets gemeinsam aufs offene Meer, meist in einem Abstand von wenigen hundert Metern und die Kapitäne beider Yachten sind bemüht, einander in Sichtweite zu halten. Denn das Filmmaterial soll abstimmt werden, auch wenn es aus unterschiedlicher Perspektive aufgenommen wird. Allzu weit fahren die zwei Fischerboote nicht hinaus, selbst unter normalen Wetterbedingungen und bei stillem Seegang bewegt man sich nicht mehr als zwanzig Meilen von der Küste weg.

Rufino Tume aus Cabo Blanco ist ein ausgelassener und immer zu einem Scherz aufgelegter Zeitgenosse, der sich in jungen Jahren zum Bootskapitän emporgearbeitet hat. Der 25-jährige Peruaner genießt die Ausfahrt mit Miss Mary und kann nur Positives berichten. Eine höfliche Person, urteilt Rufino Tume über die Ehefrau des Schriftstellers, sie hat sich überaus freundlich um die Crew gekümmert und um den Proviant. „Manchmal hat sie für uns in der Kombüse gekocht.“  (Anfang von Kapitel 11 der Neuerscheinung Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru. Eine weitere Leseprobe: hier klicken)

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Ich werde Eure Tränen trinken

Ernest Hemingway schärft an Bord der ‚Miss Texas‘ seinen Blick für die Jagd nach dem schwarzen Marlin. Cabo Blanco, im April 1956.

An seinem zweiten Tag in Cabo Blanco erwacht Ernest Hemingway nach einer kurzen Nacht mit dem ersten Morgenlicht. Im Gemeinschaftsraum des Fishing Clubs trifft er auf Gregorio Fuentes, den kubanischen Kapitän seiner Yacht Pilar, der wie eh und je als Allererster auf den Beinen steht. Noch vor dem Frühstück zündet sich der hagere Skipper aus Cojímar eine lange Gloria Cubana an. Der Autor, der dem Rauchen wegen seiner empfindlichen Geschmacksnerven nichts abgewinnen kann, schaut dem Tagesauftakt seines Freundes amüsiert zu.

Nachdem auch Miss Mary aufgestanden ist, frühstückt das Ehepaar gut und kräftig, jeder zwei Spiegeleier, Toast mit Butter, dazu viel schwarzer Kaffee. Ohne Zucker, darauf achtet Mary, denn ihr Ehemann plagt sich seit Jahren mit einem leichten, aber hartnäckigen Diabetes herum. Der Schriftsteller wirft während des Frühstücks einen Blick in die Tageszeitungen, die im abgelegenen Klub nur vom Vortag ausliegen. Zuerst schnappt der Amerikaner sich El Comercio aus Lima und überfliegt die Seiten. Aus Miami werden ab und an mit der Panagra die New York Times und der Miami Herald mitgebracht.

Mittlerweile hat sich Ernest Hemingway im Cabo Blanco Fishing Club umsehen können. Ihm gefällt das entlegene Klubhotel, das durch und durch auf die Großfisch-Jagd ausgerichtet ist. Sicherlich fehlt der in den USA gewohnte Luxus, doch der Nobelpreisträger steht nicht auf stilistische Schaumschlägerei, sondern zieht – wie auf Finca Vigía – die karibische Ungezwungenheit vor. Von Prunk und Protz ist im Klubhaus am peruanischen Meer in der Tat wenig zu spüren. Das einzig Luxuriöse im Fishing Club sei die Bar gewesen, witzelt Mario Saavedra über das riesige Anwesen, und die ausgezeichnete Küche sollte man ebenfalls nicht vergessen.

Im Gemeinschaftsraum des Cabo Blanco Fishing Clubs betrachtet der Schriftsteller nach dem Frühstück die Stecktafel mit den Angelrekorden. Thousand Pound Club, der Klub der 1.000 Pfünder, steht dort als Überschrift in Englisch. Hinter einer dünnen Glasscheibe werden mit gesteckten weißen Lettern auf der schwarzen Pinnwand die Namen und die Rekorde chronologisch nach Jahren vermerkt. 1.000 Pfund Gewicht – so hoch liegt die Hürde des Ruhms. Auf dieser Tafel lässt sich die Liste jener Angler nachlesen, denen es in der Geschichte des Fishing Clubs gelungen ist, einen Marlin von mindestens 1.000 Pfund Gewicht zu fangen.

Unter dem Datum 4. April 1952 wird die erste Notiz auf der Siegertabelle geführt. Zu diesem Zeitpunkt ist die Unternehmung auf dem Papier durch Enrique Pardo Heeren frisch begründet. Einen Monat zuvor, im März 1952, ist die Cabo Blanco Fishing Club S. A. als Aktiengesellschaft im Registro Mercantil de Lima, im peruanischen Handelsregister, eingetragen worden, mit einem Grundkapital von 100.000 Dollar. Firmenzweck: Dedicarse a fomentar la pesca amateur en todos sus aspectos. Tätigkeit zur Förderung des Amateur-Angelns in all seinen Ausprägungen.

Anfangs musste man die Sportangler in einem Hotel in Talara oder bei der International Petroleum unterbringen und jeden Tag die 45 Kilometer nach Cabo Blanco hin und her transportieren. Ab Januar 1953 existierte dann eine provisorische Unterkunft am jetzigen Standort, ein bescheidener Behelfsbau mit fünf Zimmern und zehn Betten. Erst als das glanzvolle Klubhaus im März 1954 fertiggestellt wird, können alle Sportangler unmittelbar sich in Cabo Blanco aufhalten.

Es ist der Texaner Alfred C. Glassell, der auf der Rekordtafel ganz oben steht, 1.025 libras. 1.025 Pfund. Gefangen am 4. April 1952. Auch Kip Farrington findet man auf der schwarzen Tafel, ebenso wie Enrique Pardo Heeren, Ted Bates oder den legendären H. L. Woodward. Pro Jahr werden etwa zwei Dutzend Rekordfänge verbucht. Die zahlreichen Männer und die vier Frauen auf der Liste des Thousand Pound Clubs zählen in Cabo Blanco als die Besten der Besten. Von der Leitung des Fishing Clubs erhalten diese Champions einen Anstecker in 14-karätigem Perugold mit der Gravur 1.000 LB – Black Marlin Club, mit einem silbernen Marlin vor goldenem Hintergrund.

Das angebrochene Jahr 1956 verzeichnet bereits 33 erlegte Marline und fügt die stolzen Bezwinger zur Liste des Thousand Pound Clubs hinzu. Ernest Hemingway steht neben der Stecktafel, begutachtet sie neugierig, sein Blick geht die Rekordzahlen rauf und runter. Und prompt wird der Ehrgeiz dieses Naturburschen geweckt, die Messlatte ist gelegt für ihn. Sein Wunsch ist, ebenfalls auf dieser Tafel verewigt zu werden.  (Anfang von Kapitel 10 der Neuerscheinung Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru. Eine weitere Leseprobe: hier klicken)

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Es stinkt gewaltig im Cabo Blanco Fishing Club

‚The Place is costly to reach‘ meckert ‚Sports Illustrated‘. Am 19. März 1956 erscheint die Ausgabe mit Alfred Glassell und seinem Fang auf dem Cover.

Anfang des Jahres 1956 schickt das auflagenstarke nordamerikanische Wochenmagazin Sports Illustrated ein Reporter-Duo nach Nordperu, es soll eine Titelgeschichte über den Cabo Blanco Fishing Club recherchieren und schreiben. Das Resultat kann man Mitte März an den Kiosken in den USA erwerben. Auf dem farbigen Cover der New Yorker Zeitschrift sieht man einen stolzen Alfred Glassell jr. auf dem Landungssteg, neben einem bulligen Schwertfisch, der als Beute vom Kran herab hängt. Im Hintergrund erkennt man die grauen Wüstenhügel vor Cabo Blanco, rötlich koloriert. Die Ankündigung der Story auf Titelseite macht neugierig. IN THIS ISSUE: THE FABULOUS CABO BLANCO CLUB IN COLOR. Was hat es mit diesem sagenhaften Cabo Blanco Fishing Club auf sich?

Sports Illustrated ist zwei Jahre zuvor von dem legendären Verleger Henry Luce als Wochenmagazin gegründet worden. Mit TIME verlegt Luce, der sich in persona als Chefredakteur von Sports Illustrated ausweisen lässt, bereits das einflussreichste Nachrichtenmagazin der Welt. Und nun widmet sich seine neue Zeitschrift dem Fishing Club in Cabo Blanco auf ganzen neun Seiten. George Weller and Cornell Capa visit it in words and pictures, ist im Inhaltsverzeichnis zu lesen, ein Besuch in Wort und Bild.

Dieser Cornell Capa gilt schon damals als Star seiner Zunft. Der Fotograf ist der jüngere Bruder des Meisterfotografen Robert Capa, weshalb er unter Kollegen le petit Capa genannt wird. Cornell Capa, ein gedrungener Enddreißiger ungarischer Abstammung, arbeitet seit 1954 als Magnum-Fotoreporter, er hat in LIFE veröffentlicht und macht sich als Reportagefotograf in Mittel- und Südamerika einen Namen. Wie klein die Welt ist! Cornells Bruder Robert Capa hat Ernest Hemingway, beide sind gute Freunde, häufig fotografiert. Vor knapp zwanzig Jahren, in Spanien, im Bürgerkrieg oder im Sun Valley, in den Bergen Idahos.

Der Schreiber George Weller ist ebenfalls nicht irgendwer. Als Journalist für die Chicago Daily News hat er aus dem Zweiten Weltkrieg in Europa berichtet, später aus Afrika und Asien reportiert, im Jahr 1943 erhält er für seine Arbeit den Pulitzer-Preis. Weller ist der erste amerikanische Reporter, der das japanische Nagasaki nach dem Atombomben-Abwurf besucht hat, sein Artikel darüber wird indes vom US-Militär zensiert und nicht zur Veröffentlichung freigegeben.

Enrique Pardo Heeren, Kip Farrington und Cloyce Tippett, der damalige Geschäftsführer des Fishing Clubs, schwant bei der Visite der beiden Journalisten nichts Böses. Zumal Sports Illustrated weltweit als hoch renommierte Zeitschrift gilt und Kip Farrington höchstselbst ab und an für das Wochenblatt schreibt. Mit offenen Armen werden die Reporter empfangen, bestens gelaunt zeigt man ihnen den Cabo Blanco Fishing Club in voller Schönheit. Umso größer ist bei allen Klubverantwortlichen der Schreck, als sie einige Wochen später den gedruckten Artikel in Händen halten.

Denn sie und die Hunderttausenden Käufer der Sports Illustrated lesen ein befremdliches Portrait des Fishing Clubs. Zeilen voller dunkler Andeutungen wechseln sich ab mit scharfzüngigen Attacken. Neben allerlei Fachsimpelei setzt die Reportage einige schmerzhafte Tiefschläge in die Magengrube. Reporter George Weller lässt kaum ein gutes Haar an dem Klub und macht sich besonders über dessen Exklusivitätsanspruch lustig. The Place is costly to reach and still costlier to fish. Hier könne man eine Menge Geld versenken, so die spöttelnde Botschaft, wenn man denn nur dämlich genug sei.

Zunächst lobt Reporter Weller die einheimischen Angestellten, für die US-amerikanischen Mitglieder hingegen findet er ausschließlich sarkastische Umschreibungen. Dieser ganze Fishing Club sei artifical, künstlich, ein Plastikprodukt. Dass man die toten Marline nach Miami fliegen lasse, zum Ausstopfen, das sage schon alles über diese Herrschaften. In Cabo Blanco seien jedenfalls keine geradlinigen Sportfischer am Werk. (Anfang von Kapitel 9 der Neuerscheinung Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru. Eine weitere Leseprobe: hier klicken)

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An einer Bar trinken und auf die Welt schauen

Ernest Hemingway in Shorts an der Bar des ‚Fishing Clubs‘. Hinter dem Tresen: Barkeeper Pablo Córdova. Cabo Blanco, im April 1956.

An seinem ersten Abend im Cabo Blanco Fishing Club geht Ernest Hemingway an die Bar der Hotelanlage. Der Bar-Bereich befindet sich in Parterre, in dem weitläufigen Gemeinschaftsraum, in dem auch gegessen und am Morgen das Frühstück eingenommen wird. In einer dem Meer zugewandten Nische haben die Betreiber des Klubs eine kleine Ecktheke aus Holz einbauen lassen. Der mit Bambusrohr geschmückte, in Rotbraun gehaltene kurze Tresen bietet Platz für vier oder fünf Personen.

Links neben dem Bartresen hängt unter Glas die Stecktafel mit den Rekordhaltern des Fishing Clubs. Daneben sieht man über dem Kamin in Kopfhöhe eine Siegestrophäe, die verkleinerte Holz-Replik des 1.560 Pound schweren schwarzen Marlins, jenes Rekordfangs, der von Alfred C. Glassell jr. im August 1953 aufgestellt wurde. Der offene Kamin unter dem Holzfisch taucht an kühlen Abenden den Raum in eine angenehme Wärme. Denn im Juli oder August, dem meteorologischen Winter in Peru, kann in Cabo Blanco das Klima verrückt spielen. Tagsüber beißt die Sonne wie in der Sahara und mit der Dunkelheit wird es dann Knall auf Fall so bitterkalt, als befinde man sich inmitten der sibirischen Steppe.

Ernest Hemingway setzt sich auf einen der schlichten, mit braunem Leder gepolsterten Barhocker und fragt als erstes den Barkeeper, wie er heiße. Pablo Córdova Ramírez, entgegnet der überraschte 22-jährige Peruaner förmlich. Pablo stammt aus dem Hochland von Alto Piura im Osten, aus dem Landstrich, wo der Rio Piura den Ausläufern der Anden entspringt. Vor kurzem ist er an die Küste nach Cabo Blanco gezogen, weil hier bessere Arbeitsmöglichkeiten bestehen. Pablo Córdova ist es nicht gewohnt, sich mit den Gästen zu unterhalten, denn meist wollen die Besucher des Klubs unter sich bleiben.

Der junge Barkeeper hat in der kurzen Zeit schon einige Berühmtheiten aus dem Ausland im Fishing Club erlebt. Er entsinnt sich an James Stewart, das war so ein schlaksiger Langer. Anglerglück allerdings hat der Schauspieler keines gehabt, erinnert sich Pablo, keinen einzigen Fisch hat er gefangen. Mit dem Mann aus Hollywood hat er damals kein Wort gewechselt. Aber dieser Señor Hemingway verhält sich so ganz anders als die gringos, die sich sonst in Cabo Blanco blicken lassen.

Ein müder Ernest Hemingway starrt hinaus in die Dunkelheit. Rechts von der Bar geben sechs fast bis zum Boden reichende Fensterflügel den direkten Blick auf die Terrasse und auf das dahinter liegende Meer frei. Zu dieser späten Stunde sieht man nur das Schwarz der Nacht, die in den Tropen früh beginnt und den Tag von einem Moment auf den anderen beendet. Der Einbruch der Dunkelheit vollzieht sich am Pazifik so rasch, als ob jemand einen Lichtschalter umlegen würde.

Der vollbärtige Amerikaner liebt es, auf einem Barschemel zu hocken, seinen Whiskey zu trinken und zu reden. In der Bar des Ritz in Paris oder in Harry’s Bar an der Piazza San Marco von Venedig, in der Cortina dort um die Ecke fühlt er sich zuhause. Oder im Sloppy Joe’s von Key West, in der feinen El Floridita von Havanna, in der lasterhaften Bar Marsella im Barrio Chino von Barcelona oder die Ramblas weiter aufwärts in der gepflegten Boadas.

Der Nobelpreisträger mag das einfache Leben, und er mag die einfachen Menschen. Am liebsten trinkt er mit Fischern, Boxern, Wirten, mit ganz normalen Leuten, Literaten und Intellektuelle sieht man in seinem Dunstkreis eher selten. Am Tresen einer Bar erschafft sich Ernest Hemingway seine private Theaterkulisse, eine Aufführung vor Publikum, und er gibt den Autor und Hauptdarsteller in einer Person. Es sind Ein-Mann-Stücke, die aufgeführt werden, kein Thema einer aufregenden Lebensreise wird ausgespart.

Die Bars muten an wie Oasen des Innehaltens, in zwei, drei Stunden, schaut Ernest Hemingway zurück auf sein Leben und versucht, die Zeit ein wenig zum Stillstand zu bringen. Am Tresen sitzt er oft mit Freunden, häufig auch mit wildfremden Menschen, vor sich ein Glas Amarone oder Veronese-Wein, wenn er in Italien weilt. Anderswo eher ein Gin oder Scotch, auf Kuba meist den Daiquirí. (Anfang von Kapitel 8 der Neuerscheinung Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru. Eine weitere Leseprobe: hier klicken)

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Der große Fisch, der das kleine Cabo Blanco berühmt macht

Das Fischerdorf Cabo Blanco am peruanischen Pazifik, genügsam und arg verschlafen, ein vergessenes Kaff so ziemlich am Arsch der Welt. Ein kleines Paradies also.

Wenn man dieses abgeschiedene Fleckchen zu Ende der Serpentinenstraße zum ersten Mal erblickt, so kommt Cabo Blanco dem Betrachter ein wenig verloren und vergessen vor. Das ärmliche Dorf erweckt den Eindruck, als sei jede Betriebsamkeit an ihm vorbei gezogen. Die Modernität fängt, mit etwas Wohlwollen, sechs Kilometer weiter oben an, auf dem Plateau bei El Alto, wo auf der Panamericana die Busse und Lastwagen in Richtung Ecuador vorbeidonnern.

Hinter dem blauen Ortsschild Playa Cabo Blanco hat sich der Alltag über die Jahrzehnte hinweg auf eine gemächliche Taktung eingestellt, mit kleinem Handel, kleinen Dienstleistungen und mit dem Fang kleiner Fische. Die Möglichkeiten scheinen begrenzt, die costeños sind gewohnt in bescheidener Größenordnung zu denken. Die meisten Bewohner Cabo Blancos sind arm, leben jedoch nicht im Elend. Denn solch ein kärgliches Fischerdorf kann sich zur Not vom Fischfang selber ernähren und hat möglicherweise aus diesem Grund mit der Hektik da draußen nicht allzu viel am Hut.

Der Fischfang ermöglicht dem Städtchen eine spartanische Autarkie, es braucht nicht viel, um an der Pazifikküste Perus über die Runden zu kommen. Die bauernschlauen Einwohner des Ortes wissen sich aller Unbill, die ihnen die störrische Natur, korrupte Provinzbeamte oder sonstige Schurken eingebrockt haben, standhaft zu erwehren. Man findet im Dorf viele großartige Menschen, tüchtige Indios und Mestizen, die stolz sind auf ihren Fischerberuf und die Meisterung des beschwerlichen Alltags.

Als Eigentümer eines schlichten Häuschens mit kleinem Garten mag man sich hier alles in allem wohlfühlen und geschützt sein vor der fieberhaften Rastlosigkeit in der Provinzstadt. Die schmucklose Kapelle, drei uneitle Restaurants und die grellbunten Häuser leuchten keck und widerspenstig unter dem azurblauen Himmel, auch wenn hier und da der Lack und der Putz ein wenig zerbröseln wollen.

Cabo Blanco ist ein Dorf ohne echten Dorfkern. Ein schmaler länglicher Streifen die Küste entlang, mit schlichten Gebäuden aus Lehm, Stein oder Holz. Unmittelbar hinter der Häuserzeile geht es fast senkrecht den schlammigen Bergrücken empor, auf der anderen Seite der staubbedeckten Straße liegt das große Meer. Fast scheint es so, als drohe Cabo Blanco zwischen Wasser und Bergmassiv zerdrückt zu werden.

Zu Fuß hat man den Ort von Norden nach Süden in zehn Minuten abgeklappert, 500 Bewohner leben hier, und möglicherweise ist diese Zahl noch ein wenig geschönt. Heute bestimmen die Alten und die Rentner das Bild des Dorfes, viele, hauptsächlich die Jungen und die Kräftigen, sind gegangen, in die Großstadt, weil der Ort für sie kein Auskommen bereithält. So mag denn Cabo Blanco aussehen wie ein vergessenes Nest mit ein paar Bretterbuden an der Küstenlinie unterhalb der Panamericana. Doch wenn der Besucher genauer hinschaut, Stunden und Tage im Dorf verbringt, dann beginnt er über kurz oder lang die behagliche Unberührtheit zu schätzen, die diesen Ort kennzeichnet.

Die wohltuende Zurückgelassenheit des Fleckchens und die aus der Zeit gefallene Lebensweise entfalten nach und nach ihren Charme und irgendwann möchte man sich nur noch treiben lassen von der Unbeschwertheit dieses einfachen Lebens. Wer die Ruhe, die Abgeschiedenheit und das Ursprüngliche mag, wer Abstand sucht zu dem neumodischen Firlefanz, der wird dieses Cabo Blanco am Pazifik rasch in sein Herz schließen. So bedarf es keiner großen Phantasie, um sich vorzustellen, wie das Dorf vor sechzig Jahren ausgesehen haben mag, denn viel wird sich über die Jahrzehnte nicht verändert haben.

Man darf sich Cabo Blanco nicht als hochsommerlichen Wundergarten vorstellen, mit sprießenden Mangrovenwäldern und leuchtenden Palmbäumen, mit feinkörnigen Sandstränden, die in einem türkisen Wassertraum enden. Solch ein grünes Tropenparadies wird man in der rauen Topographie des peruanischen Nordens vergeblich suchen. Vielmehr rückt die staubtrockene Wüstenlandschaft unmittelbar bis kurz an den Pazifischen Ozean. Schroff fallen die grauen Hügel direkt ins Meer, vom Berg bis zum Wasser bleiben oft keine fünfzig Meter. (Anfang von Kapitel 7 der Neuerscheinung Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru. Eine weitere Leseprobe: hier klicken)

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Ernesto, sag einfach Ernesto

Mit diesem Schnappschuss macht ‚El Comercio‘ das Interview mit Ernest Hemingway über drei Seiten auf: der Nobelpreisträger mit Mario Saavedra im ‚Fishing Club‘. Cabo Blanco, am 16. April 1956.

Besonders pfiffig hat sich Mario Saavedra-Pinón angestellt. Der ehrgeizige Redakteur aus Lima hat die Berichterstattung über den Besuch von Ernest Hemingway in Peru akribisch und wohl auch mit einer guten Portion Reporterlist vorbereitet. Von seinem Chef Luis Miró Quesada, dem Direktor des El Comercio, hat er zunächst lediglich den Auftrag erhalten, über die Ankunft des Nobelpreisträgers in Talara zu berichten. Doch der schlaue Mario wittert einen Coup.

Bereits drei Tage vor Hemingways Eintreffen ist der Journalist nach Talara geflogen. Vorab hat er den Cabo Blanco Fishing Club aufgesucht und sich ein wenig bei Verwalter Zygmunt Plater eingeschmeichelt. Einen Tag vor der Ankunft des Schriftstellers hat der Reporter in seiner renommierten Zeitung dann einen Vorbericht über den Fishing Club veröffentlicht mit einer leicht wahrnehmbaren Schleimspur. Inklusive eines großformatigen Fotos, auf dem der Klubverwalter Plater in seiner ganzen Wichtigkeit zur Geltung kommt.

Mario Saavedra gelingt es, für einige Tage im Fishing Club unterzukommen. Der rührige Redakteur kann ob seiner Bauchpinselei vom Verwalter ein Zimmer auf der unteren Etage des Klubhauses ergattern, ein paar Türen von den Hemingways entfernt. Jorge Donayre und Manuel Jesús Orbegozo, die beide eh einem tiefenentspannten Lebensbild zuneigen, müssen hingegen mit einem Hotel im abgelegenen Talara vorliebnehmen und gehen dort zum Ausgleich erst einmal in den Puff.

Trotz seiner jungen Jahre hat es Mario Saavedra weit gebracht als Journalist in seinem Heimatland. Angefangen hat er in Ecuador bei El Telégrafo de Guayaquil, einer Tageszeitung, die sein Großvater mütterlicherseits, José Abel Castillo, begründet hat. Dort steigt der Enkel rasch zum Director del suplemento semanal auf, er ist damit für die wöchentliche Beilage verantwortlich. Später schreibt Saavedra für die US-amerikanische Nachrichtenagentur Associated Press. Und nun El Comercio, das Blatt aus Lima gilt als eine der bedeutenden Zeitungen des Kontinents. Independencia y veracidad steht in ihrer Kopfzeile, Unabhängigkeit und Wahrhaftigkeit, seit dem Jahr 1839 erscheint das feine Blatt in der peruanischen Hauptstadt.

Als das Ehepaar Hemingway vom Flughafen in Talara nach Cabo Blanco fährt, ist Mario flugs in eines der Begleitfahrzeuge des Fishing Clubs gesprungen. Der eifrige Reporter des El Comercio wird in den nächsten Tagen an Ernest Hemingways Schuhsohle kleben, er kommt dem Nobelpreisträger so nahe wie kaum ein anderer Journalist. Nur der letzte Ritterschlag, mit hinausfahren zu dürfen auf der Miss Texas, zur Jagd auf den schwarzen Marlin, dies wird dem Redakteur nicht vergönnt sein. Doch auch so lässt es sich nicht vermeiden, dass Ernest Hemingway und Mario Saavedra sich im Klubhaus des Öfteren über den Weg laufen. Von dem berühmten Schriftsteller kommt dann ein freundliches Hola Mario, meist verbunden mit der Einladung auf einen Whiskey.

Eigentlich mag Klubmanager Zygmunt Plater keine Journalisten im Haus, weil Diskretion zur Gepflogenheit des Klubs gehört und der Verwalter zudem stets um Muße für die illustren Gäste bemüht bleibt. Deshalb hat er zunächst angeordnet, dass keine weiteren Reporter in den Cabo Blanco Fishing Club hinein gelassen werden. Diese Kerle müssen draußen bleiben, hat Plater als Anweisung allen Angestellten eingetrichtert, wir brauchen hier kein Theater.

Als Ernest Hemingway von der Aussperrung der Journalisten erfährt, setzt er sich für die Kollegen ein. So werden schließlich auch Jorge Donayre und Manuel Jesús Orbegozo eingelassen und dürfen sich auf dem exklusiven Gelände frei bewegen. Während Donayre und Orbegozo nach zwei, drei Tagen dann wieder nach Lima zurückkehren, bleibt Mario Saavedra acht Tage im Fishing Club, rechnet man sein frühes Eintreffen am 13. April mit ein, dann werden es elf Tage.

In El Comercio erscheinen in jenen fünf Wochen insgesamt knapp 30 Berichte über Ernest Hemingway in Cabo Blanco. Interviews, Reportagen, längere und kürzere Meldungen, allesamt aus der Feder von Mario Saavedra. Die letzten Rapporte über den bärtigen Nobelpreisträger in Nordperu schreibt er, zurück in der Redaktionszentrale, von seinem Schreibtisch in Lima aus. (Anfang von Kapitel 6 der Neuerscheinung Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru. Eine weitere Leseprobe: hier klicken)

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