Alles dreht sich um den Stier in Pamplona. Und ein US-Schriftsteller spielt dabei eine tragende Rolle. Foto: W. Stock, April 2024.

Das Herz des Hemingway’schen Baskenlandes schlägt in Pamplona. Zwischen 1923 und 1959 hat er die Stadt zehnmal besucht, mit einer langen Pause von zwei Jahrzehnten nach dem verlorenen Bürgerkrieg. Ab 1953 ist der Schriftsteller dann wieder regelmäßig in Nordspanien. Der alljährliche Bullenauflauf der Sanfermines Mitte Juli bleibt ein heiliger Termin in seinem Kalender. Rund um die Plaza del Castillo spielt sich die Welt des Ernest Hemingway ab.

Pamplona – in der baskischen Sprache: Iruña ist die Hauptstadt der autonomen Region Navarra. Vieles hat sich in den letzten hundert Jahren zum Besseren verändert, anderes aus Hemingways Zeit ist leise verschwunden. Die Bar Torino, das Café Kutz, das Café Suizo, die Casa Marceliano in der Calle Mercado. Und das Hotel Quintana oder sein Lieblingsrestaurant Las Pocholas im Paseo Sarasate.

Doch das Hotel La Perla und das Café Iruña trotzen den Widrigkeiten der Zeitläufte. Im Gran Hotel La Perla, so heißt es heute, erhält man noch immer einen Logenplatz, um aus dem Zimmer dem Stiertreiben in der Calle Estafeta zuzusehen. Das La Perla und das Iruña sind wie Fixsterne, wenn man seinen Weg ablaufen will. Es kann einen ziehen zur Calle Eslava Nummer 5, zu einer billigen Pension, wo er gewohnt hat als er es nicht so dicke hatte. Oder gleich zur Plaza de Toros, zu der in diesen Tagen ein Paseo Hemingway führt.

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In Pamplona werden die Tage, Stunden, Minuten und Sekunden bis zur Eröffnung des Spektakels im Juli herunter gezählt. Foto: W. Stock, April 2024.

Die Zeit scheint wie angehalten in Pamplona, auf eine merkwürdige Art und Weise retardiert. Die Basken sind ein eigenwilliges Volk, sehr auf Eigenständigkeit und Selbstbestimmung bedacht. Mit großem Stolz auf die eigene Sprache und Kultur. Als Volk, dessen Vorfahren überwiegend aus Fischern und Seefahrern entstammt, besitzen sie einen ausgeprägten Sinn für Unabhängigkeit und Störrigkeit. Charaktereigenschaften, die Ernest Hemingway nicht nur gefallen, sondern auch seinem eigenen Wertesystem entstammen.

Ernest Hemingway wirkt wie ein Magnet. Besonders die Amerikaner werden vernarrt in die Sanfermines. Berühmtheiten kommen. Orson Welles, Arthur Miller, Inge Morath, der Nobel-Kollege Derek Walcott. Und dieser New Yorker James A. Michener, der so schöne dicke Bücher schreiben kann. Tausende Besucher kommen im Juli nach Pamplona, viele aus Übersee. Manche in der Stadt jedoch sehen die Meriten des Amerikaners aus einem Vorort von Chicago kritisch.

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Paseo de Hemingway. Der Amerikaner bekommt in Pamplona seinen Flanierweg, der zur Stierkampf-Arena führt. Foto: W. Stock, April 2024.

Er sei dafür verantwortlich, aus dem Volksfest einen Bullen-Ballermann gemacht zu haben. Aus Jux hat man Ernest Hemingway im Juni 2023, zu seinem Hundertjährigen, den Prozess gemacht. Vor einem fiktiven Gericht, mit Ankläger, Verteidigung, Geschworenen und Richter. Sein Roman Fiesta sei dafür verantwortlich, dass Horden von Touristen einfallen und dem Volk das Volksfest vermiesen. Nein, nein, meint die Verteidigung, Hemingway habe Pamplona und seine Kultur in der Welt bekannt gemacht und die Wirtschaft angekurbelt. Das Votum der Jury fällt knapp aus. Ernesto wird freigesprochen.

Einig sind sich alle, eine bessere Werbefigur wie Hemingway kann es nicht geben. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts ist Spanien Terra incognita gewesen, ein weitgehend unbekanntes Land am Rande Europas hinter den hohen Pyrenäen. Da muss erst ein US-Amerikaner kommen und schreiben über diesen Landstrich. Zum Glück kann er gut beobachten und tief einsteigen in die Kultur und Gepflogenheiten seines Gastlandes.

Solch ein Hemingway-Bummel durch Pamplona endet am besten an der Plaza de Toros, die im Jahr 1920 eingeweiht wurde. Am Ende der Gasse, die heute als Paseo de Hemingway seinen Namen trägt, thront eine Liebeserklärung in Stein. Vor dieser weltweit viertgrößten Stierkampf-Arena weiht der Bürgermeister Ángel Goicoechea in Begleitung von Miss Mary am 6. Juli 1968 den Granitblock ein. Ein Respekt, acht Tonnen schwer. Der Bildhauer heißt Sanguino.

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Wenn man Zuneigung in Kilo messen würde, hätte der Mann aus Chicago haushoch gewonnen. Die gewaltige Hemingway-Statue vor der Plaza de Toros in Pamplona. Foto: W. Stock, April 2024.

Wer es schriftlich braucht, der kann an dem Denkmal in versal lesen: ERNEST HEMINGWAY. PREMIO NOBEL DE LITERATURA, AMIGO DE ESTE PUEBLO Y ADMIRADOR DE SUS FIESTAS QUE SUPO DESCRIBIR Y PROPAGAR. LA CIUDAD DE PAMPLONA. SAN FERMIN 1968. Eine Platte, in Stein gemeißelt, in Wirklichkeit eine tiefe Bewunderung. ERNEST HEMINGWAY, LITERATUR-NOBELPREISTRÄGER, FREUND DIESER STADT UND BEWUNDERER IHRER FESTE, DIE ER ZU BESCHREIBEN UND BEKANNT ZU MACHEN VERSTAND. DIE STADT PAMPLONA. SAN FERMIN 1968

Pamplona ist seine Stadt. Das Fest des heiligen Firminus, diese heitere Mischung aus Andacht und Kitsch, wird zu seinem Hochamt. Seit 1591 laufen die Menschen vor den Stieren, ein Ritual, das im Mittelalter aus dem Hintreiben des Viehs zum Markt durch Metzgerburschen entstanden ist. Tapferkeit, Mut, Eleganz – in Pamplona wird sein Wertekanon als Festakt gefeiert und erhält zwischen Leben und Tod die Strahlkraft der Freude. Daran hat sich nichts geändert. Er würde sich ohne Probleme wohlfühlen im Pamplona von heute.

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