Pete Carvill: A Duel of Bulls – Hemingway and Welles in Love and War. Foto: Archiv Dr. Stock.
Eines habe ich bei Amerikanern und Briten immer bewundert: Buchtitel entwerfen können sie wie die Götter. Das hier ist so einer: A Duel of Bulls. Kampf der Bullen, so müsste die deutsche Übersetzung wohl lauten. Die beiden Stiere sind zwei Männer. Es geht um die Rivalität zwischen Ernest Hemingway und Orson Welles. Zwei Jahrhundert-Künstler. Spanien-Liebhaber bis aufs Blut. Das ist die Klammer, davon erzählt diese Neuerscheinung.
In Spanien werden beide oft verwechselt. Statur und Habitus gleichen sich. Groß, kräftig, etwas beleibt, ein dichter Bart. Den irdischen Genüssen zugewandt. Dem Autor gelingt es, die Charakterzüge seiner Protagonisten herauszuarbeiten. Ernest Hemingway, der Spanien-Liebhaber, der die Feigheit verachtet. Orson Welles, immer auf der Suche nach Investoren für seine seltsamen Filmprojekte.
Dennoch sind beide unterschiedlich. Hemingway ist – entgegen seiner Fama – diszipliniert und zielgerichtet. Orson Welles lebt als ein Genie im Chaos. Er hat Kinofilme gedreht, die es nie in die Lichtspielhäuser geschafft haben. Kleine Filme aufgenommen, die große fünf Minuten enthalten. Und drei, vier Meisterwerke entworfen. Der beste Spielfilm aller Zeiten, so Kritiker, zahlt ein auf sein Konto: Citizen Kane.
Carvills Buch kommt daher als lockerer Mix aus facts und fiction. Kein Sachbuch, dazu ist es zu unterhaltsam. Kein Roman, denn dafür bewegt sich das Werk zu sehr an der Wirklichkeit. So begleiten wir Ernest Hemingway in Spanien. Die Themen liegen auf des Amerikaners Seele. Seine Liebschaft mit Martha Gellhorn, der Bruch der Freundschaft mit John Dos Passos, die Querelen zwischen Ernesto und Orson Welles rund um den Film The Spanish Earth. Und auch Orson Welles sieht Spanien als Heimat seines Herzens.
Das Buch schildert diese Passion der beiden. Fürs Schreiben über Spanien bei dem einen, fürs Filmdrehen bei dem anderen. Dazu die Frauen. Beide Männer sind fixiert auf amouröse Leidenschaft und kommen irgendwie doch nicht so richtig ans Ziel. Der Don Quijote, das nie zu Ende gelangte Filmprojekt von Orson Welles, steht symbolisch für dieses Scheitern. Großartiger Stoff, indes der beste Künstler muss sich daran verheben.
Die Unterschiede werden einem klar. „Ich bin ein Mann, der im falschen Jahrhundert lebt“, meint Orson Welles und liegt damit wohl richtig. Er ist ein Renaissance-Mensch, ein Falstaff, aber keiner, der in die Moderne springen mag. Hemingway hingegen geht auf in seiner Zeit, all die Umbrüche, Kriege und Abenteuer fließen ein in seine Erzählungen.
Überhaupt Spanien. Es ist der Dreh- und Angelpunkt in diesem Buch. Das Glück liegt nicht in Spanien, ist in Carvills Buch zu lesen, das Glück ist Spanien. Der fremde Kosmos südlich der Pyrenäen hat beide Amerikaner fasziniert, mehr noch, sie sind der iberischen Kultur mit Haut und Haaren verfallen. Orson Welles drückt es deutlich aus: „Ich bin ein altmodischer Mann in einem altmodischen Land.“ Touché. Dieser Fürst des Hedonismus kann mit der Moderne wenig anfangen.
Mit den letzten Tagen von Hemingway und Welles endet das Buch. Ernesto stirbt in Ketchum, von
Mario Vargas Llosa im Januar 1986. In seinem Haus am Meer in Lima/Peru. Foto: Norbert Böer.
Mit dem Ableben von Mario Vargas Llosa endet die Epoche der lateinamerikanischen Boom-Generation. Vieles hat der Peruaner sich von seinem Nobel-Kollegen Ernest Hemingway abgeschaut.
Am Malecón Paul Harris wohnte Vargas Llosa in einer gigantischen weißen Villa mit Blick auf den Pazifik. Dort auf der Anhöhe über der Brandung des Meeres in Limas feinem Stadtteil Barranco waren Don Mario und seine Ehefrau Patricia allerdings nur selten anzutreffen. Eher konnte man ihnen in London, Barcelona oder Madrid über den Weg laufen. Die spanische Hauptstadt wurde in den letzten Jahrzehnten das neue Zuhause, 1993 nahm der Schriftsteller zusätzlich die spanische Staatsbürgerschaft an.
Das erste Mal traf ich Mario Vargas Llosa Anfang der 1980er Jahre in Lima. In den Reichenviertel von Perus Hauptstadt, in Miraflores und San Isidro, hingen damals über Nacht Hunde mit den Hinterpfoten an Laternenpfähle und im Maul der toten Viecher steckte eine Stange Dynamit. Die Drohung schickte eine maoistische Terrorgruppe, die sich die Bezeichnung Sendero Luminoso zugelegt hatte. Poetisch war beim Leuchtenden Pfad nur der Name. Am Ende von 10 Jahren Terrorschrecken standen 70.000 Tote.
Geboren wurde Jorge Mario Pedro Vargas Llosa im März 1936 in Arequipa, dem Zentrum im Süden Perus. Der Vater Ernest arbeitete als Telegraphist und Flugplatzfunker in Tacna, die Mutter Dora entstammte dem angesehenen Bildungsbürgertum, ihr Vater wirkte als Präfekt in Piura. Im kolonialen Arequipa, einem großen Dorf, laufen die Uhren gemächlich über den Tag. Mit Lima, dem hektischen Getöse und seinem unsteten Bürgertum, ist Vargas Llosa eigentlich nie richtig warm geworden. Schon in jungen Jahren zog es ihn nach Europa, nach Paris und Barcelona.
Mario Vargas Llosa hat über zwei Dutzend Romane veröffentlicht. Kritiker und Leser loben vor allem sein Frühwerk. Die Stadt und die Hunde (La ciudad y los perros), Gespräch in der Kathedrale (Conversación en La Catedral) und Das grüne Haus führten weltweit zu seinem Durchbruch als Autor. Der Peruaner überzeugte als ein opulenter Geschichtenerzähler und als ein vollendeter Handwerker der Sprache. Dabei orientierte er sich am Konzept des totalen Romans und des komplexen Erzählens. Die Aufgabe dieser Literatur liegt darin, ein umfassendes Abbild der Wirklichkeit in all seinen Facetten zu erfassen.
Tollkühn hat sich Mario Vargas Llosa im Jahre 1990 in ein Abenteuer gestürzt, so bunt und wild wie aus dem Roman. Als haushoher Favorit gestartet, bewarb er sich um das Präsidentenamt seines vom sozialistischen Populisten Alan García gründlich ins Elend herunter gewirtschafteten Landes. Doch Vargas Llosa verlor deutlich gegen einen unbekannten Agraringenieur japanischer Abstammung mit Namen Alberto Fujimori. Diese Niederlage hat Vargas Llosa, den brillantesten Sohn der Nation, schmerzlich getroffen.
Doch die Indios und Mestizen, die Mehrheit der Wähler, hatten ihn einer knappen und harschen Beurteilung unterzogen: zu weiß, zu reich, zu europäisch. Für die Welt der Kultur freilich bleibt es ein Segen, dass Mario Vargas Llosa die Präsidentenwahl im Juni 1990 mit Pauken und Trompeten verloren hat. Sonst hätten die Peruaner einen vorzüglichen Schriftsteller weniger und einen lausigen Präsidenten mehr gehabt.
Unbeschwert fühlte sich MVLL, so wird er in Peru tituliert, vor allem in der frankophonen Welt. Im Februar 2023 wurde er – als erster nicht französisch schreibender Autor – in die ehrwürdige Académie française aufgenommen. Diese Ehre bedeutete ihm viel, den die schwierigen Anfangsjahre hatte er in Paris verbracht. Wie seine Vorbilder Jorge Luis Borges und Ernest Hemingway.
Dieses Foto hätte MVLL gefallen. Zusammen mit Ernest Hemingway in einem Straßencafé von Lima. Solches gelingt nur der KI, hier aus der AI Grok-Fabrik.
Die Parallelen zwischen Hemingway und Vargas Llosa fallen ins Auge. Beide kommen aus gutbürgerlichen Familien und haben blutjung als Journalist angefangen. Ernest Hemingway mit 18 Jahren im Oktober 1917 beim Kansas City Star, Mario Vargas Llosa – noch im Schulalter – in den Sommerferien 1952 bei La Crónica in Lima.
Bei dem bärtigen Kollegen aus Oak Park hat sich Vargas Llosa den Aufbau eines Spannungsbogens abgeschaut, ebenso wie das Anlegen einer Dialogführung. Alles nicht eins zu eins, vielmehr gelingt es dem Peruaner, die Techniken kreativ auf den magischen Realismus Lateinamerikas umzulegen. Mario Saavedra-Pinón, einer der großen Publizisten Perus, meint, Vargas Llosa schreibe als Journalist mindestens ebenso gut wie als Romancier. Gleiches darf auch für Ernest Hemingway gelten.
Guter Journalismus als Lehrklasse für gute Romane. So funktioniert es bei vielen. Das Leben als Abenteuer, auch diese Maxime teilt Mario Vargas Llosa mit dem bärtigen Kollegen aus Oak Park. Der Peruaner ging wie Ernesto hinaus in die Welt, er reiste umher, nicht als Tourist oder zur Erholung, sondern zur Inspiration, als jemand, der
Die legendäre Paris Review. In der Nummer 18, im April 1958, wird ein ausführliches Interview mit Ernest Hemingway veröffentlicht. So grandios, wie sonst nirgends.
Das beste Interview mit Ernest Hemingway findet man in der Paris Review. In diesem US-Magazin verrät ein Autor in heiterer Laune, was ihm für sein Schreiben wichtig und existenziell scheint. Der amerikanische Nobelpreisträger, der auf Kuba lebt, gibt selten Interviews. Das Räsonieren und gelehrt daher reden liegt ihm nicht. Schon gar nicht will er über seine Bücher diskutieren.
Für die Paris Review macht er eine Ausnahme. Das lange Gespräch mit ihm führt Chefredakteur George Plimpton, die Zeitschrift wird es in der Nummer 18, im Frühjahr 1958, veröffentlichen. In dem tief schürfenden Gedankenaustausch, der Anfang März auf Finca Vigía stattfindet, verrät der bärtige Schriftsteller seine Techniken und Angewohnheiten, die Stil und Prosa zu Gute kommen.
Wenn ich an einem Buch oder an einer Geschichte arbeite, dann fange ich jeden Morgen nach Tagesanbruch an, so früh wie möglich. Niemand ist da, der einen stört, und es ist frisch und kühl, und man geht mit Tatkraft ans Werk. Zuerst lese ich, was ich gestern geschrieben habe. Denn ich höre immer dann auf, wenn ich mich noch im Schreibfluss befinde und weiß, wie es weitergehen soll. An das gestrige Pensum knüpfe ich dann an. Ich schreibe solange, wie die Energie reicht und ich den Fortgang der Handlung im Kopf behalte. Sodann schließe ich mein Tagespensum ab mit der Vorfreude auf morgen. Und am nächsten Tag lege ich dann wieder los.
George Plimpton besucht Ernest Hemingways auf Kuba und beschreibt sein Anwesen in San Francisco de Paula, mit scharfem Blick auf die Arbeitsnische im Schlafzimmer. Die vollgestopften Bücherregale, den übervollen Schreibtisch mit Zeitungen, Manuskripten und den Stapeln Papiere.
Le mot juste – die richtigen Worte finden
Plimpton fragt, wie viel er denn umschreiben müsse. Es kommt darauf an, antwortet Ernest Hemingway. Ich habe das Ende von ‚In einem andern Land‘ oft umgeschrieben. Die letzte Seite neununddreißigmal, bevor ich zufrieden gewesen bin. ‚Worin lag das Problem‘, fragt der Interviewer. Die richtigen Worte zu finden, antwortet Hemingway knapp. Le mot juste, so umschreibt die französische Literaturwissenschaft den Anspruch an das treffende Wort. An den millimetergenau passenden Begriff. Und auch Hemingway gibt sich nicht zufrieden, bis er das vollkommene Wort gefunden hat.
Mit offenen Fragen kitzelt George Plimpton einiges aus Ernesto heraus. Der Journalist aus New York ist ein Profi, zumal er als Chefredakteur von 1953 bis zu seinem Tod im September 2003 die Geschicke der Zeitschrift lenkt. Der Nobelpreisträger, in beschwingter Stimmung, redet frei heraus. Wer denn seine Vorbilder seien?
Mark Twain, Flaubert, Stendhal, Bach, Turgenjew, Tolstoi, Dostojewski, Tschechow, Andrew Marvell, John Donne, Maupassant, der gute Kipling, Thoreau, Captain Marryat, Shakespeare, Mozart, Quevedo, Dante, Virgil, Tintoretto, Hieronymus Bosch, Brueghel, Patinir, Goya, Giotto, Cézanne, Van Gogh, Gauguin, San Juan de la Cruz, Góngora – ich bräuchte einen Tag, damit mir jeder in den Sinn kommt.
Bei der Aufzählung überrascht, dass die Liste sich nicht nur auf Literaten beschränkt. Auch Maler und Komponisten befinden sich darunter. Dies bedarf einer Erläuterung.
Ich habe auch Maler genannt, weil ich von den Malern genauso viel über das Schreiben gelernt habe wie von Schriftstellern. Sie werden fragen, in welcher Hinsicht? Das würde einen weiteren Tag der Erklärung erfordern. Ich denke, was man auch von Komponisten und aus dem Studium der Harmonielehre und des Kontrapunkts lernen kann, ist klar und deutlich.
Die Paris Review wird 1953 in der französischen Hauptstadt von einer Gruppe enthusiastischer US-Literaten gegründet. Die Zeitschrift fördert und veröffentlicht etablierte als auch junge Autoren, vorwiegend aus dem angelsächsischen Sprachraum. Die Mission der heute vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift besteht darin, die Entwicklung kreativer Menschen, seien es Schriftsteller oder andere Künstler, zu fördern. In über sieben Jahrzehnten hat das Magazin viel zur öffentlichen Wertschätzung in Literatur und Grafik beigetragen. Als Mäzen des Literaturmagazins wirkte in den Anfangsjahre der steinreiche Aga Khan, der die Finanzierung sicherte. Der Multimillionär übernahm die Rolle des Verlegers für 23 Jahre.
Mit den Augen schreiben
Wie sein Handwerk funktioniere, fragt Plimpton. Ich glaube, es für einen Schriftsteller schwierig, darüber zu sprechen, wie er schreibt. Ich schreibe, um vom Auge gelesen zu werden. Über diesen Sachverhalt sollte keine weitere Erklärung nötig sein. Wenn sie mit den Augen schreiben, können sie sicher sein, dass die Prosa mehr enthält, als man beim ersten Lesen erkennen wird.
Rasch findet die Paris Review Anerkennung in der englischsprachigen Literaturszene. Der Erfolg hängt vor allem mit George Plimpton zusammen. Er macht die Zeitschrift zu seinem Lebenswerk. „I would give up my own writing before I would give up editing The Paris Review“. Der Chefredakteur ist ein Spitzenkönner in der Liga der Literaturkritik. Ob Hemingway andere Autoren als Konkurrenten sehe?
Noch nie. Früher habe ich versucht, besser zu schreiben als der eine oder andere bereits verstorbene Autor, von dessen Prosa ich beeindruckt gewesen bin. Seit geraumer Zeit versuche ich einfach, so gut zu schreiben, wie ich kann. Manchmal habe ich Glück und schreibe besser, als ich es kann.
Seit der ersten Ausgabe wird die Paris Review gerühmt für ihre Art of Fiction-Interviews, in denen zeitgenössische Schriftsteller über ihre Handwerkskunst sprechen. Diese Gespräche mit Autoren werden von den Lesern verschlungen. Von Ersterscheinen im Jahr 1953 bis zum Frühjahr 2025 wurden über alle Ausgaben des Magazins hinweg weit über 450 Autoren interviewt, viele von ihnen gelten heute als moderne Klassiker. „Kommen Ihnen die Buchtitel, während Sie an der Geschichte arbeiten?“, fragt George Plimpton den Nobelpreisträger von 1954.
Nein. Ich erstelle eine Liste mit Titeln, erst nachdem ich die Erzählung oder den Roman fertiggestellt habe. Bisweilen stehen auf der Liste bis zu hundert Vorschläge. Dann fange ich an, zu streichen. Manchmal streiche ich alle.
Das Interview macht Ernest Hemingway sichtlich Freude. Kluge Fragen, kluge Antworten. Hier ist sein Leben und seine Berufung drin. Der Schriftsteller mit dem ergrauten Bart wird in seinem kubanischen Refugium herausgefordert. Nicht zuletzt, auch über sich nachzudenken. Wir schreiben das Jahr 1958, der Korridor bis zu seinem Tod ist nicht arg lang. Er spürt es. Der Gedankenaustausch scheint wie der Rückblick auf ein großes Literatenleben. Möglicherweise redet hier ein Mensch von seinem literarischen Vermächtnis. Auf jeden Fall bietet das Gespräch die eine oder andere Anregung für die nachfolgenden Generationen.
Schreiben wie beim Blick auf einen Eisberg
Für Ernest Hemingway ist das Beobachten die Königsdisziplin eines Autors. Wenn ein Schriftsteller aufhört zu beobachten, ist er am Ende. Er darf jedoch weder einseitig beobachten, noch an das Ergebnis denken. (…) Ich versuche, nach dem Prinzip des Eisbergs zu schreiben. Auf jeden sichtbaren Teil kommen sieben Achtel unter Wasser. All ihr Wissen sollten Sie weglassen, es wird dadurch den Eisberg stärken. Ihre Kenntnis wird zum Anteil, der nicht sichtbar ist.
Plimpton berichtet davon, wie Hemingway seinen täglichen Fortschritt festhält, auf einer großen Tabelle, die er aus der Seite eines Kartons gebastelt hat und an der Wand unter der Trophäe eines Gazellenkopfes aufgehängt hat. Die Zahlen mit dem täglichen Wortausstoß variieren bei 450, 575, 462, 1.250 und 512. Eine höhere Produktivität entlastet das schlechte Gewissen, der kernige Naturbursche kann den nächsten Tag unbeschwert mit dem Angeln im Golfstrom verbringen. Doch Obacht: Bei allen Zahlen, Ausführlichkeit ist nicht Hemingways Ziel, im Gegenteil. Die gerade mal hundert Seiten von Der alte Mann und das Meer zeigen es beispielhaft auf.
‚Der alte Mann und das Meer‘ hätte ich auch über tausend Seiten lang schreiben können. Ich hätte jede Figur des Dorfes entwerfen und ihren Alltag beschreiben können. Wie die Fischer ihren Lebensunterhalt verdienen, wie ihre Kindheit verlaufen ist, die Erziehung, ob sie Kinder haben, und so weiter. Das können manche Autoren hervorragend. Ich jedoch habe ein anderes Konzept verfolgt. Zunächst habe ich versucht, alles auszusondern, was den Leser von der Kernhandlung ablenkt. Mit dem Ziel, dass ich Unmittelbarkeit schaffe. Alles soll der eigenen Phantasie des Lesers dienen und so erscheinen, als habe sich alles tatsächlich so zugetragen. Das ist eine verdammt schwere Übung gewesen, ich habe hart daran gearbeitet.
Solche Gespräche für die The Paris Review können mehrere Stunden dauern, häufig treffen sich die Interview-Partner auch zu Gesprächsrunden an verschiedenen Tagen. Für die Veröffentlichung des Interviews mit Ernest Hemingway räumt die Zeitschrift 21 Seiten frei.
Ein Scheiße-Sensor als Alarm-Sirene
„Was braucht ein Schriftsteller“, fragt George Plimpton harmlos. Die wichtigste Voraussetzung für einen guten Schriftsteller ist ein eingebauter, stoßfester Scheiße-Sensor. Dies ist die Alarm-Sirene eines Autors und alle großen Schriftsteller haben ihn.
Was ihn antreibt, will George Plimpton zu Ende des Gesprächs aus dem Jahrhundert-Autor heraus kitzeln.
Von allem was geschieht und mit all deiner Erfahrung und Kreativität erzeugst du eine neue Wirklichkeit. Du machst alles lebendig, und wenn du gut genug bist, dann machst du diese neue Wirklichkeit unsterblich. Deshalb schreibe ich, aus keinem anderen Grund.
Unsterblichkeit als Ziel. Mit seinen Büchern. Wie könnte es anders sein? Doch was bedrückt ihn
Ernest Hemingway: Schnee auf dem Kilimandscharo, 1936.
In The Snows of Kilimanjaro – zu Deutsch: Schnee auf dem Kilimandscharo – finden wir einen heiteren Abschnitt. Ernest Hemingway, der sieben Jahre in Paris gelebt hat, von 1921 bis 1928, taucht ein in das savoir vivre der französischen Hauptstadt. Besonders die Café-Kultur eröffnet ihm eine neue Welt, er schreibt in den Cafés seine Erzählungen und belauert dort die Menschen um ihn herum.
Der junge Kerl aus Chicago besitzt einen festen Blick auf die mutigen Neuerungen, die in Malerei, Literatur, Architektur und Musik den Denkrhythmus vorgeben. In den 1920er Jahren passieren just in Paris, wie unter dem Brennglas, spannende Dinge. Das Althergebrachte wird in Frage gestellt und wälzt sich um, es wird gewagt und experimentiert in der Metropole an der Seine. Dadaismus, Surrealismus, Kubismus – irritierende Sichtweisen werden ausprobiert, die kopfgetriebene Revolution wirkt als Motivator.
Doch Hemingway, der aus dem beschaulichen Mittleren Westen der USA kommt, schaut genau hin. Es ist eine neue Welt, die so nichts zu tun mit Oak Park, wo das Sonntagskonzert den Höhepunkt der Woche bildete. Ernest staunt, erspürt, lernt und ist dankbar, wie Paris seinen Horizont erweitert. Mit vielen Neuerern – von Pablo Picasso über Juan Gris bis James Joyce – ist er befreundet. Die Veränderungen inspirieren ihn, aber er bleibt ruhig im Blut, letztlich geht er seinen eigenen Weg.
Für manches, was er sieht und hört, hat der bodenständige Bursche aus der Vorstadt dann nur noch Sarkasmus und Spöttelei übrig.
Welch wunderbare Stelle! Ein amerikanischer Dichter mit einem dummen Ausdruck in seinem Kartoffelgesicht. Genau so steht es im Original: a stupid look on his potato face. Doch wer ist das Kartoffelgesicht?
In einer ersten Fassung hat Hemingway noch Roß und Reiter genannt. Und dann kam er einmal an einem Café vorbei, wo Malcolm Cowley vor einem Stapel Unterteller saß und mit einem dummen Ausdruck in seinem Kartoffelgesicht und sprach über die Dada-Bewegung mit einem Rumänen, der sagte, sein Name wäre Tristan Tzara.
Der dumme Ausdruck inklusive Kartoffelgesicht gehört also Malcolm Cowley. Der Mann vom Jahrgang 1898 ist ein US-Historiker und Autor. So wie Hemingway gehört Cowley zum amerikanischen Expat-Zirkel in Paris. John Dos Passos, Ezra Pound, F. Scott Fitzgerald und Gertrude Stein, alles Ikonen der Moderne, man kennt sich und neckt sich.
Bevor Ernest die Story beim Esquire einreicht – das Magazin druckt die Kurzgeschichte im August 1936 – tilgt er schlauerweise Cowleys Namen und schreibt neutral dieser amerikanische Dichter. That American poet. Besser
Ein Thron vor weitem Meer. Der rheinhessische Dramatiker Carl Zuckmayer atmet tief die Nordsee-Luft. Foto: W. Stock, 2024.
Seit 2008 findet der Besucher auf Sylt einen Kunst- und Kulturpfad, mit dem das Dorf Kampen zahlreiche Kunstschaffende ehrt. Künstler, die in der einen oder anderen Weise in dem Friesenort gewirkt und gelebt haben. Denn die Kultur hat sich von Sylt inspirieren lassen, genauso wie die Kultur die Insel inspiriert hat. So lädt die facettenreiche Landschaft zwischen Dorf, Dünen und Nordsee ein zu einem anregenden Spaziergang von acht Kilometern.
Auf dem liebevoll angelegten Kulturpfad rund um das Dorf vermag man so auf den Spuren vergangener Tage zu wandeln. Es ist eine Vergangenheit mit Namen bekannter Maler, Schriftsteller und Verleger. Drei der 40 Gedenktafeln sind Künstlern gewidmet, deren Lebenslinien sich mit jenen des US-Schriftstellers Ernest Hemingway merkbar gekreuzt haben.
„Einen Tummelplatz der freien Geister“ nennt Ernst Rowohlt seinen Verlag. Einer seiner Spitzenautoren wird Ernest Hemingway – und er ist es noch heute, ein Jahrhundert später. Rowohlt, ein gebürtiger Bremer, reist 1927 zum ersten Mal nach Kampen und kommt bei seinen Besuchen in den Logierhäusern Klenderhof und Kliffende unter. „Mit seiner Urfröhlichkeit beherrschte er jeden Kreis“, so erinnerte sich seine Pensionswirtin an den erfolgreichen Buchverleger.
Als er 1908 seinen ersten Verlag gründet, in Leipzig, da ist Rowohlt gerade 21 Jahre alt. In beiden Weltkriegen dient der Verleger als Soldat, wobei er zeitweilig ins Visier des Nazi-Regimes rückt: Mehrere seiner Autoren sind von den Bücherverbrennungen betroffen, so auch Hemingway. Zudem wird Rowohlt 1938 wegen „Tarnung jüdischer Schriftsteller“ aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen, was de facto einem Berufsverbot gleichkommt.
Ernest Hemingways deutscher Verleger Ernst Rowohlt, unweit vom Hotel Rungholt, blickt über die Heide in den Norden der Insel. Foto: W. Stock, 2024.
Er geht ins Exil – Schweiz und Brasilien – und kehrt 1940 nach Deutschland zurück und wurschtelt sich durch die Kriegstage. Mit dem Ende der Nazi-Diktatur kommt auch Ernest Hemingway zurück als Autor zu seinem alten Verlagshaus. Der Verleger des Rowohlt-Verlags bleibt ein bunter Hund in der Buchbranche. Heute geht der Blick des großen Verlegers zur Lister Bucht. „Ich lese keine Bücher“, meint er flapsig, „ich rieche sie nur und verlasse mich auf mein Näschen.“
Wer ist Zuckmayer?, erwidert der Strandwärter auf meine Frage, wo Zuckmayer zu finden sei. Volkstümlicher Dramatiker mit Tiefgang. Es liegt mir als Replik auf der Zunge. Der Hauptmann von Köpenick. Des Teufels General. Doch dann halte ich meinen Mund und zeige bloß meine Kurkarte vor. Dabei hat Zuckmayer den besten Platz in Kampen. An der Sturmhaube, Rotes Kliff, mit Aussicht auf den Weststrand.
Der damals 30-jährige Autor Carl Zuckmayer bringt Ernest Hemingways Roman In einem andern Land in Deutschland auf die Bühne. Gustav Fröhlich, Käthe Dorsch, Paul Hörbiger und Brigitte Horney verkörpern die Protagonisten der Erzählung, die im Ersten Weltkrieg spielt. In Berlin feiert die Aufführung von KAT – in Anspielung auf die weibliche Protagonistin Catherine Barkley – am 1. September 1931 die Premiere. Ernest Hemingway reist eigens dafür in die deutsche Hauptstadt. Es wird ein Besuch, den man so schnell nicht vergessen wird.
In der Silvesternacht 1932, im Kampener Ferienhaus des Verlegers Peter Suhrkamp, greift Carl Zuckmayer zur Feder und bringt die Gedanken, die ihn am Jahresende umtreiben, zu Papier:
Es schläft das Meer, es ruht das Watt, die Wildgans schläft von Muscheln satt, der Wachs tropft von den Lichtern. Wir trinken unsern Portwein still, mag kommen, was da kommen will – der Himmel helf‘ den Dichtern.
Doch der Himmel hilft nicht. Bei den Nationalsozialisten eckt der Jude Zuckmayer mit seiner pazifistischen Haltung an, die Werke des gebürtigen Rheinhessen werden im Jahr 1933 verboten. Carl Zuckmayer entscheidet sich für das Exil. Zunächst in Österreich, 1938 geht er in die Schweiz, ein Jahr später in die USA. Als er dort ankommt, unbekannt und ohne Arbeit, stellt Ernest Hemingway ihm ein Empfehlungsschreiben aus.
Renée Sintenis Gedenktafel am Leuchtturm von Kampen. Mit ihrem freien Lebensstil passt die Künstlerin wunderbar zu Sylt. Foto: W. Stock, 2024.
Ganz vernarrt ist Ernest Hemingway in die Skulpturen der Renée Sintenis. Der US-Amerikaner erwirbt einige kleinformatige Plastiken der Künstlerin, die in Berlin residiert. „Der erste Eindruck von dir, 1924, ist immer geblieben: dein schmales, scheues, lächelndes Gesicht.“ So erinnert sich Clara Tiedemann, die Besitzerin der Pension Kliffende, an Renée Sintenis.
Ab den 1920er Jahren verbringt die Pferdenärrin regelmäßig die Sommerferien in Kampen, wo sie mit Vergnügen am Strand ausreitet. Mit ihrer mondänen Erscheinung ist Renée Sintenis ein Glanzpunkt der Berliner Szene, Joachim Ringelnatz und Rainer Maria Rilke zählen zu ihren Freunden. Im Jahr 1931 nimmt die Künstlerin an einer Gruppenausstellung im Museum of Modern Art in New York teil.
Ernest Hemingway, der mehrmals Berlin besucht hat, wird Sammler ihrer Werke, zu denen viele Tier- und Sportlerplastiken zählen. Die braunen Machthaber erzwingen den Austritt der Halbjüdin aus der Preußischen Akademie der Künste. Ihre Skulpturen werden von den Nazis als Entartete Kunst gelistet, aber sie erhält kein Ausstellungsverbot.
Nach dem Krieg wird Renée Sintenis 1955 als Professorin an die Berliner Akademie der Künste berufen, wo sie bis zu ihrem Tod lehrt. Das bekannteste Werk der Renée Sintenis, der Berliner Bär, wird seit 1951 als vergoldete oder versilberte Miniatur an die Preisträger des Filmfestes Berlinale verliehen. Ein sonniger Platz direkt am Kampener Leuchtturm erinnert an die große Künstlerin.
Der Bär der Renée Sintenis vor dem Hotel Miramar in Westerland. Bis Berlin ist es weithin. Foto: W. Stock, 2024.
Ungeachtet aller Spuren der Weggenossen sollte eines noch erwähnt werden: Auf
Sein Debüt The Sun Also Rises erscheint im Jahr 1926. Mit einer Wucht, als habe ein Revolutionär einer verstaubten Epoche den Todesstoß versetzt.
Dieser Kerl mit dem himmlischen Rauschebart will den Kosmos um sich herum für die Ewigkeit inszenieren. Unsterblichkeit ist sein Ziel gewesen. Die hat er ja sogar irgendwie bekommen, auch wenn er seit über 60 Jahren still und leise auf dem Dorffriedhof von Ketchum ruht. Bei einem Schriftsteller, der derart aneckt, ist es kein Wunder, dass sich die Kritiker und Neider lauthals melden. Angriffsfläche bietet der Bärtige genug.
Hauptvorwurf: Er sei unmodern. Er passe nicht in die heutige Zeit. Seine Inhalte und sein Stil – schrecklich altbacken. Moderne Themen, die unter den Nägeln brennen, seien bei ihm nicht zu finden. Mit dem Alltag und seinen Schattenseiten hat er in der Tat nichts am Hut. Berufsprobleme, Ehezwist, Emanzipation, der Moloch der Großstadt, prekäres Leben, Diskriminierung, soziale Benachteiligung. Gibt es alles, mehr als erträglich, schlimm genug. Doch dies sind nicht Hemingways Themen. Und die langen, komplizierten Sätze und die eierköpfige Annäherung erst recht nicht.
Ernest mag vielmehr die unangestrengte und grundehrliche Erzählung. Alles selbst gesehen und schmerzlich erlebt. Das ist seine Welt. Fischer, Kneipiers und Malocher gehören zu seinen Freunden. Professoren und Intellektuelle eher nicht. Ernest Hemingway verachtet die literarische Selbstbemitleidung der Großstadt-Neurotiker. Deshalb hat er sich in seine tropische Finca auf Kuba verkrochen, weit weg vom Blitzlichtgewitter der Presse. Und noch wichtiger: Weit weg von den Kollegen.
Gegner tauchen trotzdem auf. Man reibt sich an ihm. Einerseits. Andererseits kopiert man ihn, man folgt seiner Marschroute. Sein schnörkelloser Stil, die Aneinanderreihung kurzer Aussagesätze und die kraftvolle Sprache werden typisch für viele Schriftsteller, weltweit. Ernest Hemingway wird ein Stilbildner, ganze Autorengenerationen hat er beeinflusst. Truman Capote, Nelson Algren, Malcolm Lowry, Bruce Chatwin. Alles Top-Schreiber, alleine aus der angelsächsischen Sprachwelt.
Die Enkel rücken in den 1960er Jahren noch näher. Mit dem New Journalism proben sie die Kulturrevolution, Hemingway ist ihr bewunderter Großvater. Hunter S. Thompson, Gay Talese, Truman Capote, Tom Wolfe. Dieser New Journalism geht voll rein, er ist ein ästhetischer Barrikadenkampf gegen die pomadig schreibenden Väter. Doch in ihrer schrillen Subjektivität besitzen die neuen Reportagen etwas, das auch Hemingways Texte haben: Nähe und Authentizität.
Und in unseren Tagen? Mittlerweile sind die ungestümen Enkel vom New Journalism ebenfalls Geschichte. Doch der Großvater, oh Wunder, springt noch immer quicklebendig umher. Einer, der ernsthaft schreibt, kommt nicht vorbei an ihm. Denn jeder ambitionierte Reporter an Zeitungen und Zeitschriften, ein jeder Korrespondent in der Ferne, ist irgendwann und irgendwie durch die Schule des Alten gegangen. Auch wenn so mancher die Nase gerümpft hat. Gelernt von ihm haben alle.
Einen Ernest Hemingway von heute, den gibt es nicht, es kann auch keinen geben. Ein übersprudelnder Lebemann wie er, egomanisch und ungehobelt, wird in der Zeit weichspülender Political Correctness und flüchtiger Handy-Filmchen nur schwer einen Platz finden. Ein Ernest Hemingway wäre in der Welt der Belanglosigkeiten, wo jeder Pups auf Facebook oder X stolz vermeldet wird, ganz schrecklich aus der Zeit gepurzelt.
Mit dem Hochadel, in welcher Ausprägung auch immer, hat der Mann aus einem Vorort von Chicago wenig am Hut. Er kommt aus der bodenständigen Tradition eines Mark Twain. Es ist ihm gelungen, die englische Literatur von den hochherrschaftlichen Manierismen der Charles Dickens-Schule zu befreien. Literaturhistorisch bleibt dies sein Verdienst. Auch seine Themen scheinen zeitlos. Neben dem Wunschtraum nach dem Wahren und Schönen beschreibt er, dass kein Tag ohne Kampf vergeht.
Dieser Schriftsteller kann das Außenleben messerscharf beobachten. Millimetergenau wie ein Bauzeichner legt er seine Sätze und Dialoge an. Weil seine Prosa kraftvoll auf die
Im Baskenland geht für viele der Blick übers Meer. Das Glück muss in der Ferne gesucht werden. So auch bei dem Priester Andrés Untzaín aus Mundaka. Skulptur in Bermeo. Foto: W. Stock, 2024.
Zum Freundeskreis des Schriftstellers auf Kuba gehört der baskische Priester Andrés Untzaín. Wegen seines schwarzen Priestergewandes ruft Ernest ihn liebevoll Don Black. Don Black stammt aus Mundaka, einem Küstenflecken 40 Kilometer nordöstlich von Bilbao. Es ist eines der ältesten Dörfer Spaniens, hier wird Andrés Untzaín im August 1895 geboren.
Nach seiner Priesterweihe übernimmt er die Kirchengemeinde von Kanala, das auf der anderen Seite des Rio de Mundaka liegt. Kanala, damals schrieb man es auf Spanisch als Canala, ist ein hübsches Fleckchen am Meeresarm der rauen baskischen Küste mit Blick auf den Naturschutzpark Reserva de la Biosfera de Urdaibai.
Bei Ausbruch des Bürgerkrieges 1936 steht der Pastor fest auf republikanischer Seite, er wird Militär-Kaplan des baskischen Saseta-Bataillons. El cura rojo – der rote Priester – so nennen ihn die Franco-Getreuen in der Region abfällig. Als die Putschisten im August 1937 das Baskenland einnehmen, flieht Padre Andrés zunächst nach Frankreich. Die Rache der Franquisten macht auch vor Kirchenautoritäten nicht halt. Viele Pfarrer und Nonnen werden erschossen oder ins Gefängnis geworfen.
Ende 1937 erreicht Andrés Untzaín Havanna, wo eine Schwester von ihm lebt. Auf Kuba wird der rote Priester von der dortigen Amtskirche mit Argwohn betrachtet und so setzt man ihn auf eine bitterarme und entlegene Kirchengemeinde, jene von Catalina de Guines und Melena del Sur. Im Jahr 1942 wird er Presbyter und leitet die Pfarrgemeinde von Guara, 40 Kilometer südlich der Hauptstadt. Bei seinen Schäfchen ist der Pastor, von kräftiger und großer Gestalt, überaus beliebt.
Ein Freundestrio: Ernest Hemingway mit den Basken Juan Duñabeitia (links) und Padre Andrés Untzaín (mit Glas) auf Finca Vigía, Kuba 1947.
Der Kirchenmann bleibt ein baskischer Nationalist durch und durch. Als der Exil-Präsident des Baskenlandes José Antonio de Aguirre der Insel Kuba einen Besuch abstattet, mischt Padre Andrés an vorderster Front mit. Die Daheimgebliebenen spüren währenddessen die Unterdrückung in der Diktatur von General Franco. Ihre Sprache wird verboten, ebenso wie alle baskischen Symbole und die regionalen Parteien.
Padre Andrés Untzaín ist ein Priester, wie man ihn sich wünscht. Umgänglich, leise, offen, er mag den Wein und gutes Essen. Ein Gottesmann, ganz von dieser Welt. Oft besucht er den Frontón des Jai Alai, ohne Soutane, mit einer Zigarre im Mund, in der Hand einen Jaibol, einen Likör mit Wasser, Soda oder einen bloßen Refresco. Und der Priester schaut andauernd nervös auf seinen Wettschein.
Jeden Mittwochnachmittag kommt Don Black zur Finca Vigía. Mit den anderen baskischen Freunden – den Brüdern Patxi und Julián Ibarluzea, Félix Areitio, bekannt unter dem Spitznamen Ermua, Paco Garay, Juan Duñabeitia – geht es feucht und fröhlich zu. Man isst reichlich, trinkt mehr als üblich, springt in den Pool, schwelgt in Erinnerungen und der Krieg gegen General Franco wird dann irgendwie doch noch gewonnen.
Ein wenig kommt Don Black die Rolle des Seelenhirten von Ernest Hemingway zu, manchmal auch die eines Beichtvaters. Der Schriftsteller ist kein gottesgläubiger Mensch, er ist vielmehr einer von jener Sorte Atheist, der andauernd von Gott redet. Kommt er neu in eine Großstadt, dann ist die Besichtigung der Kathedrale eine Selbstverständlichkeit.
Padre Andrés Untzaín zu Besuch bei Ernest auf der Finca Vigía beim Fachsimpeln über das Pelota-Spiel.
Ernest Hemingway geht die Selbstgewissheit des Katholizismus ab, er bleibt zeitlebens ein Suchender. Jemand, der spürt, dass über den Gesetzen der Natur eine höhere Macht steht. Er möchte diese Autorität begreifen, sie entschlüsseln und in Kontakt mit ihr treten. Mit seinem Freund Andrés Untzaín kann der Schriftsteller über die Ideenwelt des Ignatius von Loyola philosophieren, die Ideenwelt der Jesuiten stößt bei beiden auf Interesse.
In seinem letzten Lebensjahr schreibt Ernest Hemingway in einem Brief an Malcolm Cowley über seine Freundschaft mit dem Priester. Auf Kuba sei Andrés Untzaín einer seiner drei besten Freunde gewesen. Deshalb habe er auch ein Dach für seine Kirchengemeinde gestiftet. Don Andrés, der Gemeindepfarrer auf Kuba, pflegte den Leuten zu sagen, dass er mein geistlicher Lehrer sei. Aber bei mir ist nichts zu gewinnen, außer beim Rennen.
Mit den Jahren auf Kuba mehren sich beim Pater die Probleme mit der Gesundheit. Er geht 1954 zurück in sein baskisches Heimatdorf. Als Pensionär, im Casino von Mundaka, überrascht ihn beim Kartenspiel ein Herzinfarkt. Andrés Untzaín stirbt im Oktober 1955 und wird seiner Heimaterde übergeben.
Als Hemingway im August 1959 in Bilbao weilt, macht er einen Abstecher nach Mundaka. Dort trifft der Nobelpreisträger
„Wer mit den wenigsten und einfachsten Symbolen das meiste und bedeutendste ausspricht, der ist der größte Künstler.“ Heinrich Heine.
So ziemlich genau ein Jahrhundert liegt zwischen diesen beiden Literaten. Die Weisheiten jedoch, die Heinrich Heine (Düsseldorf, 1797 – Paris, 1856) über die Kunst festgehalten hat, sie trifft auf ihn selbst, aber ebenso auf Ernest Hemingway (1899 – 1961) zu. Die Sätze des bärtigen Amerikaners jedenfalls klingen frisch und unverbraucht. Allerdings auch arg karg und knapp. Es ist Gertrude Stein, seine Mentorin, die den Novizen aus Oak Park zu einer minimalistischen Erzählweise drängt.
Die Literaturwissenschaft lobt die Kürze und Klarheit seines Stils, besonders diese unterkühlte Genauigkeit in den Dialogen. Während andere zeitgenössische Autoren immer noch die gespreizte Stilistik der Klassiker pflegen, kommt Ernest Hemingway auf Anhieb zur Sache. Dieser lakonische Stil, die Aneinanderreihung kurzer Aussagesätze und die kraftvolle Sprache werden typisch für viele Schriftsteller der Lost Generation zwischen beiden Weltkriegen.
Wenn ich anfing, kompliziert zu schreiben oder wie einer, der etwas bekanntmachen oder vorführen will, erkannte ich, dass ich die Schnörkel oder Ornamente ausmerzen und wegwerfen und mit dem ersten wahren einfachen Aussagesatz anfangen konnte, den ich geschrieben hatte. Oben in diesem Zimmer fasste ich den Entschluss, über alles, worin ich mich auskannte, eine Geschichte zu schreiben. Darum habe ich mich beim Schreiben immer bemüht, und das war eine gute und harte Schule für mich. (Ernest Hemingway: Paris – Ein Fest fürs Leben).
Unter dem Einfluss von Gertrude Stein, Sherwood Anderson und dem britischen Romancier Ford Madox Ford perfektioniert der junge Amerikaner seinen journalistischen Romanstil. Ab Mitte der 1920er Jahre ist Ernest Hemingway nicht nur ein wirklich guter Erzähler mit eigenem Stil, sondern darüber hinaus auch ein sprachlicher Erneuerer.
Das alles geschieht in Paris, seine sparsame Art zu formulieren, hat der spätere Nobelpreisträger in der Stadt an der Seine erlernt. Für 25 Jahre übrigens das Exil von Heinrich Heine, bis an das Ende. Am 17. Februar 1856 stirbt Heinrich Heine in Paris im Alter von 58 Jahren. Er wird auf dem Cimetière de Montmartre beerdigt.
Es kann kein Zufall sein. Ein wenig ähneln sich manche Daten. Die literaturhistorischen Unterschiede bleiben. Heinrich Heine kommt aus der Romantik, er ist mehr Dichter, bewegt sich in Richtung Aufklärung. Literarisch bereitet er dem Vormärz den Weg. Hemingway hat mit der Politik wenig am Hut und kommt aus der bodenständigen Tradition eines Mark Twains. Es gelingt ihm, die angelsächsische Literatur von den Manierismen der Charles Dickens-Schule zu befreien.
Best of all. Sein grandioses Poem ist am Hemingway Memorial in Ketchum, Idaho, verewigt. Foto: W. Stock, 2018.
Zwei Titanen der Literatur. Zwei Poeme. Die Gemeinsamkeiten sind verblüffend. Zunächst Wandrers Nachtlied aus der Feder von Johann Wolfgang von Goethe.
Über allen Gipfeln Ist Ruh‘, In allen Wipfeln Spürest Du Kaum einen Hauch; Die Vögelein schweigen im Walde. Warte nur! Balde Ruhest du auch.
Dieses Gedicht hat Goethe am 6. September 1780 mit Bleistift geschrieben an die Holzwand einer Jagdhütte auf dem Kickelhahn, einem Berg bei Ilmenau in Thüringen. Ein Klassiker der europäischen Lyrik.
Dagegen, nein, vielmehr Hand in Hand, der Zwilling aus der neuen Welt. Best of all von Ernest Hemingway. Aus dem Jahr 1939.
Best of all he loved the fall The leaves yellow on the cottonwoods Leaves floating on the trout streams And above the hills the high blue windless skies …Now he will be a part of them forever
Als Bestes von allen liebte er den Herbst, das gelbgefärbte Laub der Pappelbäume Blätter, die auf den Forellenbächen treiben Und über den Hügeln der hohe blaue windstille Himmel …Jetzt wird er auf immer ein Teil von ihnen sein
Das gleiche Thema. Der Mensch und seine Vergänglichkeit. Bei Goethe wie auch bei Hemingway. Mit jeweils einem apodiktischen Ausklang. Verse, die an die Endlichkeit erinnern. Zugleich ein Poem über die Kraft der Natur. Philosophische Gedanke über die Stellung des Menschen im Kosmos.
In beiden Gedichten wird die Zwangsläufigkeit von Werden und Vergehen beschrieben. Die Vehemenz der Natur ist stärker als alles andere. Goethes Wanderer erreicht seinen Ruhepunkt. So wie alle Menschen sich der Natur zurückgeben müssen. Irgendwann. Warte nur! Balde ruhest du auch. Die gleiche Einsicht bei Hemingway. Jetzt wird er auf immer ein Teil von ihnen sein.
Wenn man beide Poeme aufmerksam liest, dann erkennt man, dass man die Botschaft des Mannes aus Chicago, Ernest Hemingway, und des Frankfurter Johann Wolfgang von Goethe übereinander legen kann. Aufbau, Tonalität und Botschaft ähneln sich.
Eine fast religiöse Demut nimmt man bei beiden Dichtern wahr. Eine Sehnsucht nach dem
„Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nicht angeschaut haben.“ Alexander von Humboldt.
Ernest Hemingway ist bekannt dafür, die ganze Welt mit einem Medien-Tamtam zu bereisen. Er lebt über 20 Jahre auf Kuba und schwärmt aus in alle Sphären von seinem tropischen Refugium Finca Vigía bei Havanna. London, Paris, Venedig, Pamplona – hoppla hopp. Und dabei volles Scheinwerferlicht. Seine Heimat USA sieht ihn natürlich auch ab und an, von New York bis San Francisco, von Chicago nach Key West.
Dieser geerdete Mann aus Oak Park kennt die Karibik gut, hat mehrmals Mexiko besucht, in Südamerika verbringt er fünf Wochen im peruanischen Cabo Blanco. Europa – immer wieder. Frankreich, Spanien, Italien, Deutschland, Österreich, die Schweiz, Bulgarien, die Türkei. Ostafrika kennt er von seinen mehrmonatigen Safaris. Und auch in China ist er gewesen.
Seinen Stationen nachreisen? Eine Schnapsidee! Man braucht eine gute Kondition und einen prallen Geldbeutel. Und massig Zeit. Denn nirgendwo kommt man zu einem Ende. Hat man eine Tür geschlossen, tun sich zwei neue auf.
Als pragmatischer Fremder kommt er zu Besuch. Der US-Amerikaner ist neugierig und der Blick auf seine Reiseziele wirkt undogmatisch. Seine Weltanschauung bezieht er vornehmlich daraus, dass er sich die Welt auch wirklich anschaut. Darin ist er den allermeisten seiner Kollegen und auch den anderen Menschen seiner Zeit Lichtjahre voraus.
Der bärtige Amerikaner schleicht sich nicht als reportierender Dogmatiker heran, nicht als einer mit Vorurteilen, der sich seine Sicht auf die Dinge durch irgendeine zubetonierte Gesinnung verengen lässt. Ernest Hemingway streift vielmehr wie ein unbedarfter Kerl mit einer orgiastischen Lust aufs Erleben durch die Welt.
Das Meer und das Gebirge, dorthin zieht es ihn besonders. Ernest Hemingway liebt die erhabenen Berge, die endlosen Wälder und Wiesen, die langgestreckten Bachläufe, den schier unendlichen Ozean. Die unberührte Natur erinnert ihn an die eigene Jugend in Michigan, rund um den See, an die Jagdwochenenden mit dem Vater.
Weit mehr als ein flüchtiges Sightseeing oder ein hastiges Abhaken von Sehenswürdigkeiten sind seine Reisen. Wochenlang kann er an einem Ort verweilen. Es verbirgt sich eine tief empfundene Sympathie hinter seinen Exkursionen. Man kann die Besuche fremder Länder und Kulturen bei einem Menschen mit solchem Tiefgang ruhig als Liebe bezeichnen. Es ist eine Zuneigung zu den Orten und Plätzen, die noch heute von den dortigen Bewohnern zurückgezahlt wird. Für alle und jeden sichtbar, der ihm nachreist.
Seine Reisen zeigen Wirkung auf sein Schreiben. Hemingways Erzählungen sind durch Recherche vor Ort verbrieft. Er ist kein Autor, der vom Pferd erzählt. Natürlich, ein wenig Aufplustern und Aufblasen. Große Reden schwingen und auf den Putz hauen, auch dies entspricht seinem Naturell. Allerdings mehr im wirklichen Leben als in seinem Werk. Den dicken Maxe macht er an der Theke, nicht zwischen den Buchdeckeln.
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