An der Bar des ‚Fishing Clubs‘ plaudert Ernest Hemingway, ein Glas Whiskey in der Hand, über Gott und die Welt. In der Hauptsache über seine Welt. Cabo Blanco, im April 1956.

Nach dem Abendessen kommt für Ernest Hemingway die Zeit, in der er sich mit Freunden an die kleine Bartheke des Cabo Blanco Fishing Clubs zurückzieht. Der berühmte Schriftsteller, diesmal sind die drei Reporter aus Lima dabei, trinkt fröhlich in die Nacht hinein und plaudert über alles, was einem Mann so auf der Seele liegt. Mario Saavedra, der Redakteur des braven El Comercio, versucht, beim Saufgelage an der Bar einigermaßen mitzuhalten. Gegen Ernesto jedoch scheint in dieser Disziplin kein Ankommen. Nach dem dritten Whiskey sieht der schlanke Peruaner zischende Sternchen und schlingert auf den Beinen, während der bärtige Amerikaner neben der Theke steht wie ein Eichenbaum.

Der junge Redakteur aus Lima hört dem Nobelpreisträger aufmerksam zu. Denn er möchte herausfinden, nicht nur für seine Leser, sondern auch für sich, was einen erstklassigen Schreiber ausmacht. Wisst ihr, sagt Ernest Hemingway, ich glaube nicht an eine Zauberkraft des Schreibens oder so ein Zeugs. Entweder hast du es drin in dir oder du hast es nicht. Einmal war ich in Madrid da drin so voll – und der Autor schlägt zweimal kräftig mit geballter Faust auf seinen Brustkorb -, da schrieb ich The Killers und zwei andere Kurzgeschichten an nur einem Tag.

Die Runde an der Bar fabuliert über den Journalismus. Als Erster erhält Manuel Jesús Orbegozo, der Redakteur von La Crónica, einen stilistischen Ratschlag: Schreib keinen Absatz mit mehr als 25 Wörtern, meint der Schriftsteller. Das sei der beste Tipp, den er in der Redaktion des Kansas City Star als Anfänger bekommen habe. Und Ernest Hemingway erzählt von seinen ersten Schritten als Journalist.

Wie er direkt nach der Oak Park High School im Jahr 1917 als Achtzehnjähriger auf Vermittlung eines Onkels eine Laufbahn als Lokalreporter bei der Tageszeitung in Kansas City begonnen hat, wo er dann sechs Monate geblieben ist. Kurze Sätze, Leute, kurze Sätze. Nur in der Genauigkeit liegt die Wahrheit. Geht achtsam mit der Sprache um, verkneift euch all die Schlenker und Abstecher.

Beim Kansas City Star hat man den Novizen am ersten Arbeitstag ein Style Book in die Hand gedrückt. Dies sei kein Stil-Buch gewesen, sondern ein bedrucktes Blatt Papier, auf dem die eisernen Regeln gestanden haben, wie man bei der Tageszeitung die Texte zu formulieren hat. Im ersten Abschnitt ist zu lesen: Schreibe ein kräftiges Englisch! Dann: Sei positiv, nicht negativ! Und: Lasse alles Überflüssige weg! Das war keine schlechte Schule, erklärt der Nobelpreisträger, es sei eine ausgezeichnete Anleitung gewesen, um sich einen guten Schreibstil anzueignen.

Sprachliche Knappheit, das ist wie eine blutige Revolution, sagt er zu den peruanischen Journalisten, denn das Unnütze muss abgesäbelt werden. Schreibt Sätze, als ob man sie Euch auf den Arsch tätowieren würde. Die Redakteure in Cabo Blanco schauen sich ungläubig an bei diesem deftigen Vergleich. Dann, ergänzt Hemingway, werden die Sätze kurz und kommen auf den Punkt.

Die einfachen Regeln, die dem unerfahrenen Reporter beim Kansas City Star eingebläut werden, dienen fortan als Grundierung von Hemingways Texten. Im Dezember 1921 siedelt Ernest mit Ehefrau Hadley nach Paris über, für sechs Jahre. Hier kommt der US-Amerikaner mit französischen Literaten in Berührung, die bei ihm einen tiefen Eindruck hinterlassen. Vor allem fasziniert ihn Charles Baudelaires Les Fleurs du Mal und Marcel Prousts mit seinem Großroman À la recherche du temps perdu. Die filigrane Kunstfertigkeit der französischen Prosa und Lyrik bestärkt ihn in der Wichtigkeit des le mot juste, des richtigen und treffenden Wortes.

In dem literarischen Salon von Gertrude Stein in der Rue de Fleurus 27 und unter dem Einfluss besonders von Sherwood Anderson und des britischen Romanciers Ford Madox Ford perfektioniert der wissbegierige Kerl aus den Vereinigten Staaten seinen journalistischen Romanstil. Vor allen Dingen vervollkommnet er in Paris den hochraffinierten Effekt seiner Handwerkskunst: Ernest Hemingways Wörter und Sätze klingen eingängig und nahezu harmlos, die tiefere Bedeutung hinter dem Geschriebenen erweist sich jedoch als komplex und vielschichtig. (Anfang von Kapitel 12 der Neuerscheinung Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru. Eine weitere Leseprobe: hier klicken)

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