Ein beschwingtes Panorama tut sich auf vor Ernest Hemingway. Gaumenfreude in allen Variationen, Bier und Wein, ein nie gekanntes Schlaraffenland. Kneipen, Cafés, Bistros, Brasserien, Restaurants. Dazu Pâtisserien und Boulangerien. Speisen und Getränke – besser geht es nicht auf dieser Welt. Insbesondere wenn man sich vor Augen hält, dass in seiner Heimat in jenen Jahren eine freudlose Prohibition herrscht. Zu zahlreich sind die kulinarischen Versuchungen, denen ein Amerikaner in Paris ausgesetzt wird.
Literarisch bleibt bemerkenswert, wie Ernest Hemingway all den Pariser Kolorit in seine Erzählungen einfließen lässt. So baut er nicht nur die Lokalitäten auf als Szenerie, vielmehr fügt er sie in aller Selbstverständlichkeit ein in seinen Alltag. All die wunderbaren Orte und Plätze der Metropole an der Seine werden somit zu Akteuren seiner Erzählungen.
Beispielsweise entwickeln die Kellner in seinen Erzählungen ein Eigenleben, sie werden von diesem Schriftsteller behandelt wie antike Götterboten. In der Kurzgeschichte Ein sauberes, gutbeleuchtetes Café – die Geschichte spielt zwar etwas später in Spanien, ist von der Machart für Hemingway allerdings schlechthin stilbildend – rücken sie mit einem Mal zu Hauptakteuren auf.
Ernest entwickelt ein gutes Gespür für die Feinheiten seiner Wahlheimat. Andernorts ein Job für Aushilfen, verfügt ein Garçon in den eleganten Pariser Restaurants und Brasserien über eine Stellung, die von Kultiviertheit und Tradition geprägt ist. Er kleidet sich auch nicht wie vom Flohmarkt, sondern umhegt den Gast in einem weißen Hemd mit Binder, einer Weste und einer Schürze. Diese Gepflogenheit mag auf die moderne Welt altmodisch wirken, signalisiert dem Gast freilich, in behaglicher und fachkundiger Obhut zu weilen.
Neben dem magischen Dreieck am Boulevard Saint-Germain – dem Café de Flore, dem Les Deux Magots und der famosen Brasserie Lipp – ist ganz Paris ein Garten Eden für jeden Genießer. Ernest Hemingway, kein Kind von Traurigkeit, nutzt die Offerten weidlich aus. Weil es in den Wohnungen der Künstler eng oder kalt ist, oder gleich beides, trifft man den Reporter des Toronto Star häufig in den Cafés und in den Brasserien rive gauche.
Mit dem Rücken zur Wand sitzt Ernest Hemingway dann meist alleine an einem der kleinen Bistro-Tische, stundenlang, ganz so, als gehöre er zum Inventar. Ich konnte immer in ein Café gehen und schreiben und konnte den ganzen Vormittag bei einem Café Crème arbeiten, während die Kellner das Café säuberten und ausfegten und es nach und nach wärmer wurde.
Der Schriftsteller aus Chicago beobachtet, was er am allerliebsten tut, und er notiert Seite um Seite in sein Notizbuch. Die Fragmente seiner Kurzgeschichten, mit der Hand vorgeschrieben, erblicken in diesen Cafés das Licht der Welt. In Paris – Ein Fest fürs Leben nimmt uns der junge Autor mit auf eine Spritztour durch die Pariser Brasserien und Bistros der 1920er Jahre.
Le Dôme am Boulevard du Montparnasse 108 wird gar in der Überschrift einer Kurzgeschichte geadelt. Mit Pascin im Dôme heißt die launige Erzählung. In dem Lokal trifft Ernest Hemingway auf den bulgarischen Maler Jules Pascin, einen Expressionisten vom Jahrgang 1885, der zumeist nackte Frauen malt. Pascin bittet den Amerikaner an seinen Tisch, wo der betrunkene Maler mit zwei sehr aufreizenden Models sitzt. Es entspannt sich eine – nun ja – anregende Konversation. Auch in unseren Tagen bleibt Le Dôme, nun vor allem ein elegantes Fischrestaurant, einen Besuch wert.
La Rôtonde, Boulevard du Montparnasse 105, ist besondern bei den Malern beliebt. Und bei den Politikern. Lenin und Trotzki heckten hier ihre Revolutionspläne aus. Über Jahrzehnte diente es Pablo Picasso als zweites Wohnzimmer. Noch heute ist das stilvolle Restaurant populär. Emmanuel Macron feierte in der Rôtonde seinen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen im Mai 2017.
In der Dingo Bar, in der Rue Delambre 10, einer Seitenstrasse des Boulevard du Montparnasse, treffen sich Ende April 1925 der noch unbekannte Ernest Hemingway und F. Scott Fitzgerald zum ersten Cocktail von vielen. Fitzgerald hat wenige Tage zuvor mit seiner Neuerscheinung The Great Gatsby für Aufsehen gesorgt. Der Name Dingo Bar ist schon lange Geschichte, seit 1989 residiert hier ein italienisches Gourmet-Restaurant mit Namen L’Auberge de Venise. Ein Messingschild klebt noch an der Fassade und erinnert an den berühmten Gast.
La Coupole ebenfalls am Boulevard du Montparnasse, die Nummer 102, ist eine elegante Brasserie im Art-Déco-Stil. Die Lokalität ist jung, erst im Jahr 1927 eröffnet. Die kunstfertigen Innensäulen der La Coupole – zu Deutsch: Die Kuppel – werden zur Einweihung von 27 Pariser Malern dekoriert. Ernest Hemingway besuchte die noble Coupole am liebsten in Begleitung schöner Frauen, so mit Marlene Dietrich und Ava Gardner in den 1950er Jahren.
Le Falstaff in der Rue du Montparnasse 42 ist – ebenso wie das ehemalige Dingo – Hemingways Lieblingsplatz, um zu trinken. Es sind einfache Bars gewesen, ohne jeden modischen Schnickschnack und nicht so herausgeputzt wie die anderen Lokalitäten in Montparnasse. Hier konnte man sich ein, zwei Bier genehmigen, ohne schief angeschaut zu werden.
Das Le Select, 1923 gegründet, ist eine Brasserie mit traditioneller französischer Küche und Cocktails am Boulevard du Montparnasse 99. Vornehm und schön, eine Stilikone der 1920er Jahre, mit Holztischen und Bänken. Das preiswerte Menu Select – bestehend aus dem Plat du Jour, einem Getränk und einem Café zum Ausklang – ist keine schlechte Wahl für den schnellen Mittagshunger.
Der kulinarische Streifzug kann nur ein Ausschnitt des Kneipen-Rundblicks bleiben, der sich Ernest Hemingway in der französischen Hauptstadt eröffnet. Paris, als Schriftsteller braucht er die Stadt, so wie ein Mensch die Luft zum Atmen braucht. Die imposante