Der Querschnitt berichtet weniger über das turbulente Zeitgeschehen und die althergebrachte Kultur, sondern über avantgardistische Kunst. Jazz und Zeitgeist, Boxsport und Metropolenklatsch, Dadaismus und künstlerische Aktfotos – das sind die Schwerpunkte der Zeitschrift.

Im Berlin der Weimarer Republik erscheint seit 1921 eine kleinformatige Kulturzeitschrift mit dem merkwürdigen Namen Der Querschnitt. Gegründet hat sie der Kunsthändler Alfred Flechtheim, zunächst als Mitteilungsblatt seiner Galerie. Mitte der 1920er Jahre übernimmt der renommierte Verleger Hermann Ullstein mit seinem etablierten Propyläen Verlag das Magazin, die Erscheinungsweise wird auf Monatsrhythmus erhöht, die Auflage steigt auf 10.000 Exemplare.

Chefredakteur und Herausgeber wird ab 1924 der Schriftsteller und Übersetzer Hermann von Wedderkop, der einen scharfen Blick besitzt für die künstlerische Avantgarde. Wedderkop fördert innovative Autoren mit wirklichkeitsnahen Themen und realistischem Stil. Aus Paris angeboten wird das Manuskript eines gänzlich unbekannten 25-jährigen US-Amerikaners veröffentlicht. In Heft 6, dem Sommerheft des Jahres 1925, schreibt ein Ernest Hemingway über Stierkampf. Im darauf folgenden Heft 7, vom Juli 1925, findet sich der zweite Teil der Erzählung.

Die Kurzgeschichte mit gut 30 Seiten, von B. Bessmertny übersetzt, handelt von dem abgehalfterten Torero Manuel Garcia. Der ehemals berühmte Matador erhält das Angebot, gegen ein Gnadenbrot einen letzten Stierkampf zu bestreiten. Im Verlauf der Corrida wird Garcia von dem Stier mehrfach verwundet, kann dem Bullen aber letztendlich den Todesstoß versetzen. Schwer verletzt wird Manuel Garcia von den Helfern aus der Arena getragen und in ein Krankenhaus gebracht. Der Matador kommt auf den Operationstisch. Den Ausgang der Geschichte lässt Hemingway offen.

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Jeden Monat überrascht Der Querschnitt als Wundertüte mit einem wilden Mix an Themen, von innovativen Autoren geschrieben. Heft 6 des Jahres 1925 druckt eine Kurzgeschichte des unbekannten Ernest Hemingway. 

Nach Der Querschnitt tritt Hemingways Short Story über den Torero Manuel Garcia unter dem Titel The Undefeated (zu Deutsch Der Unbesiegte) ihren Siegeszug um die Welt an. Diese typische Hemingway-Erzählung wird in der Winter-Ausgabe 1925/1926 des Pariser Literaturmagazins This Quarter veröffentlicht und schließlich 1927 als Buch in der Sammlung Men Without Women (Männer ohne Frauen) in New York herausgegeben. Der Name Ernest Hemingway beginnt zu leuchten.

Gerade in den Jahren 1924 und 1925, es sind Ernest Hemingways mühevolle Lehrjahre in Paris, taucht der Amerikaner aus Chicago wiederholt in den Spalten der Berliner Kulturzeitschrift auf. Zwar hat er in den Monaten zuvor in zwei Pariser Kleinstverlagen veröffentlicht, sie gehören Expat-Freunden von ihm, in einem großen Haus wie Ullstein ist allerdings noch nichts gedruckt worden. Auch in seiner Heimat kann man – außer ersten Gehversuchen in der Schulzeitung – nichts von ihm hören und lesen.

Der Querschnitt wird das erste namhafte Medium, das diesen ehrgeizigen jungen Mann häufig veröffentlicht. Ein wenig haben die Deutschen ihn entdeckt. Die Dankbarkeit bleibt. In The Green Hills of Africa setzt Hemingway 1935 der Berliner Zeitschrift ein Denkmal, als er mit einem österreichischen Safari-Kameraden über seine Anfänge als Autor plaudert. The Querschnitt war eine deutsche Zeitschrift, für die ich einige ziemlich obszöne Gedichte geschrieben habe, und wo ich eine längere Erzählung veröffentlicht habe, Jahre bevor ich in Amerika überhaupt etwas verkaufen konnte.

Diese Passage aus Die grünen Hügel Afrikas druckt Der Querschnitt im Juni 1936 mit dem Titel The man with the Tyrolese hat unter Nennung des Autorennamens auf anderthalb Seiten nach. Dieser Mut erstaunt, denn zu diesem Zeitpunkt befindet sich Ernest Hemingway in Nazi-Deutschland auf der Schwarzen Liste, sein Anti-Kriegs-Buch In einem andren Land ist während der Bücherverbrennungen im Mai 1933 in die Flammen geschleudert worden.

Das Schicksal meint es in den folgenden dunklen Jahren nicht gut mit Der Querschnitt. Politisch bleibt die Zeitschrift eher diffus, doch eckt sie aufgrund ihrer Unangepasstheit bei den braunen Machthabern an. Am 13. Oktober 1936 notiert NS-Propagandaminister Joseph Goebbels in sein Tagebuch: „Gestern: gelesen, gearbeitet. Zwei Zeitschriften Inneres Reich und Querschnitt wegen dreister Unverschämtheiten verboten. Das hat wohlgetan. Die waren wieder frech wie Dreck.“

Durch Der Querschnitt erfährt Hemingway einen Zugang zu Deutschland und zur deutschen Literatur. Er ist ein neugieriger Mensch, er bildet sich sein Urteil, vor allem vergisst er nicht, wer seine erste Geschichte und die Poeme veröffentlicht hat. Der Querschnitt, ein deutsches Magazin, hat an ihn geglaubt. Dieser Umstand wird Ernest Hemingway vor einem Denkfehler bewahren, der gemeinhin schnell gemacht ist. Deutschland ist nicht nur Joseph Goebbels und die Bücherverbrenner. Deutschland, das ist auch Alfred Flechtheim und Hermann von Wedderkop.

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