Am 5. August 1959 verfasst Ernest Hemingway auf dem pompösen Landgut La Cónsula in Málaga einen langen handschriftlichen Brief an seinen Sohn Patrick in Übersee. Dieses Schreiben sprüht nur so vor Heiterkeit, der Nobelpreisträger lebt auf in seinem Traumland Spanien. Mit den Freunden Antonio Ordóñez und Bill Davis ist der Amerikaner häufig unterwegs und erkundet den Süden der iberischen Halbinsel.
Der bärtige Schriftsteller schwärmt von Andalusien, besonders die Region um Cádiz hat es ihm angetan. Das ist eine Gegend, die ich noch nicht gekannt habe, und sie würde Dir sehr gefallen. In diesem Landstrich werden wir uns in einem Küstenort namens Conil etwas Land kaufen. Das ist noch alles so wie in den alten Tagen, bevor alles kaputtgemacht wurde. Ein prächtiger Strand, nette Leute, eine echt arabische Stadt und gute Fischer wie in Cojímar.
Mit dem Torero Antonio Ordóñez ist Ernest Hemingway im Juni 1959 in Conil gewesen. Der Stierkämpfer besitzt eine Farm in Medina-Sidonia, 40 Kilometer im Landesinneren, von dort sind es 40 Autominuten bis ans Meer. Conil de la Frontera, das Städtchen an der Küste, hat es dem Amerikaner, der auf Kuba lebt, besonders angetan. Es erinnert ihn an Cojímar, Ernesto liebt den genügsamen und geerdeten Alltag am großen Wasser.
In Conil de la Frontera am spanischen Atlantik leben heute 23.000 Personen, im Sommer steigt die Zahl an auf über 100.000. Es ist ein pittoreskes Fleckchen südlich von Cádiz, mit engen Gassen und bunten Patios. An der Costa de la Luz endend dieses Pueblo Blanco, eines jener weißen Städtchen, die so typisch sind für Andalusiens. Die Menschen in Conil, sie leben überwiegend vom Tourismus und dem Fischfang, haben sich eine unprätentiöse Gangart bewahrt.
Von den Phöniziern gegründet, erobern im Laufe der Jahrhunderte die Tartessos, die Römer, schließlich die Muslime den Ort am Meer. Jede Kultur hinterlässt in Conil de la Frontera ihre Spuren in der Form von Brunnen, Türmen und Gebetshäusern, manche sind noch heute zu bewundern. Architektonisch merkt man dem Dorf besonders seine arabische Tradition an. Der Stil der Mauren, der sich durch einfache Materialien und eine an die widrige Natur angepasste Bauweise auszeichnet, ist weiterhin präsent.
Die Mauren gründen Schulen und fördern die Wissenschaft. In der Landwirtschaft führen die Araber Bewässerungssysteme ein, um das trockene Land fruchtbar zu machen. Ab dem 9. Jahrhundert entwickelt sich der Islam für 600 Jahre zur einflussreichen Religion in Spanien, doch Juden als auch Katholiken können in der convivencia ihrem Glauben nachgehen. In dieser Zeit des friedlichen Zusammenlebens bereichern sich die Religionen gegenseitig mit Ideen und Neuerungen.
Nach der Reconquista verschreibt sich Andalusien einem tiefen Gottesglauben, dessen Prozessionen zur Semana Santa mit den Pilgern, den Büßergewändern und der Hermandades heutzutage ein wenig aus der Zeit gefallen anmuten. Ernest Hemingway mochte diese retardierte Welt, als Schriftsteller sind ihm erzkatholische Kategorien wie Sünde, Beichte oder Kasteiung nicht fremd, man findet sie allegorisch umschrieben in seinen Werken.
An der Costa de la Luz kann man die schönsten Naturstrände Andalusiens entdecken. Die Playa de La Fontanilla ist der Hausstrand von Conil. Keine Spur von die Landschaft verschandelnden Hochhäusern und wüsten Hotelburgen, die Tradition als Fischerdorf bleibt in Conil de la Frontera lebendig. Die weißen Häuser in den schmalen Straßenzügen sind bunt mit Bougainvilleas und Geranien geschmückt.
Francisco Rubio Fernández, ein Bewohner der Stadt, schildert im Diario de Cádiz ein Zusammentreffen mit dem berühmten Schriftsteller. Unter der Überschrift Mi recuerdo del Hemingway que conocí en Conil hat er in der Ausgabe vom 12. Juli 1961 seine Erinnerungen veröffentlicht, wie er dem Nobelpreisträger auf der Terrasse des Restaurants El Pasaje über den Weg gelaufen ist. Schüchtern nähert Rubio Fernández sich und bittet um ein Autogramm. Hemingway, ein wenig überrascht erkannt worden zu sein, schreibt ihm eine liebevolle Widmung.
Es ist der Juni 1959. Der letzte gute Sommer des Ernest Hemingway. Para el lector de Conil, el pueblo más bonito de España. Ernest Hemingway. Für den Leser von Conil, so seine innige Widmung. Conil, der schönste Ort in Spanien. Der amerikanische Schriftsteller hat sich schockverliebt in die kleine Stadt am Atlantik, in den schönsten Ort Spaniens. Das Städtchen am Meer will die Zuneigung nun zurückgeben. Über sechs Jahrzehnte nach Hemingways Besuch werden die Gesten der Sympathie, lange vergessen, ausgegraben und die Erinnerung an den US-Amerikaner mit Symposien und Veranstaltungen aufpoliert.
Ulrike Heuermann
Wie bereichernd ist es, sich auch literarisch dem Meer zu nähern. Danke für Ihren interessanten, kurzweiligen Vortrag heute in Conil, der mir Ernest Hemingway als Mensch näher gebracht und mich zu einer intensiveren Beschäftigung mit seinem Werk animiert hat. Conil, das mir neben meinem deutschen Zuhause am Rhein zur zweiten Heimat geworden ist, hat nun ein Mosaiksteinchen mehr in meinem Herzen.