Ernest Hemingway im April 1956 in Cabo Blanco. Foto: Modeste von Unruh. Archiv Dr. Stock (colorized).

Am 21. Juli 1899 wird er in Oak Park, einem biederen Vorort von Chicago, geboren. Zum 125. Geburtstag von Ernest Hemingway ein Blick auf das angespannte Verhältnis des amerikanischen Nobelpreisträgers zu den Deutschen

Von Wolfgang Stock

Er kann ein paar Brocken Deutsch, nichts Weltbewegendes, am liebsten Schimpfwörter wie Schieber und Schweinehund. Die Ausdrücke hat er bei seinen mehrmonatigen Winteraufenthalten im österreichischen Schruns aufgeschnappt und sie hier und da in seine Prosa eingebaut. Genau 291 deutsche Wörter und Begriffe findet man in Ernest Hemingways Werk. Ein wunderbarer Fundus, um Widerlinge zu beschreiben oder seiner Wut ein wenig Luft zu machen.

Der Amerikaner aus Chicago und das Land der Germanen – es ist sicherlich keine Liebe auf den ersten Blick, wie bei Spanien und Italien. Vielmehr gestaltet sich die Beziehung zwischen Ernest Hemingway und Deutschland so wechselhaft wie das Wetter im April. Kühl, manchmal stürmisch und dazwischen ein paar Sonnentage. Die Deutschen sind bei einer Allensbach-Umfrage gefragt worden, wer die zwei bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts seien. Am meisten genannt: Thomas Mann und Ernest Hemingway. Es gibt sie also, die Verehrung und Zuneigung der Deutschen zu dem bärtigen Autor, der am 21. Juli 1899 in einem Vorort von Chicago geboren wurde und der seit Juli 1961 auf dem Dorffriedhof von Ketchum in Idaho begraben liegt.

Trotz literarischer Bewunderung schlägt dem Nobelpreisträger von 1954 reichlich Ablehnung entgegen, in Deutschland polarisiert kein anderer Autor derart. Als Prototyp eines Egomanen und politisch Inkorrekten zieht Ernest Hemingway die Kritik an wie ein Magnet. Besonders an seinem Charakter wird kein gutes Haar gelassen, es geht weniger gegen das Werk. Der Stierkampf-Liebhaber sei ein eigensüchtiger Sprücheklopfer, ein Hallodri durch und durch, ein Macho aus der Mottenkiste, ein grausamer Tierquäler, ein Deutschland-Hasser obendrein.

Schauen wir uns die Sache von seiner Seite an. Zu Ende des Ersten Weltkriegs wird der Sanitätsfahrer Hemingway im italienischen Fossalta schwer verwundet, getroffen von österreichischen Granatsplittern. Im Frühjahr 1933 verbrennen die Nazis seine Bücher, er steht auf der Schwarzen Liste. Und im Zweiten Weltkrieg sieht er als Kriegsreporter das Grauen an der Front im Hürtgenwald bei Aachen. Auch persönlich setzten die Deutschen dem US-Schriftsteller zu. In den Vogesen wird im Oktober 1944 sein ältester Sohn Jack von der Wehrmacht festgenommen und ein halbes Jahr im Kriegsgefangenenlager Moosburg an der Isar inhaftiert. Alles keine gute Grundlage für überschäumende Sympathie.

Neugier ist immer da gewesen. Von Dezember 1921 bis zum März 1928 lebt Ernest Hemingway mit Ehefrau Hadley in Paris. Seinen Unterhalt bestreitet der Jungvermählte mit journalistischen Artikeln, er hat einen Vertrag mit der kanadischen Zeitung Toronto Star als Europa-Korrespondent. Von Paris aus bereist der junge Reporter den Kontinent, mehrmals erkundet er Deutschland. Dabei arbeitet sich der US-Amerikaner fleißig an Stereotypen über die Germanen ab. Wir sahen Mütter, die ihren rosigwangigen Kindern Bier aus großen Halbliterkrügen zu trinken gaben. In Bayern, so möchte man rasch anfügen, sind es Einliterkrüge!

Klamaukig gerät auch die Schilderung, wie Hemingway in Triberg von den Bürokraten in den Amtsstuben ein Angelschein verwehrt wird. Und er sich trotzdem auf den Weg macht zu seinem Forellenbach im Schwarzwald. Wir stellten fest, dass man selbst auf einem der wilderen und abgelegeneren Wege keine zwanzig Schritte gehen konnte, ohne auf sechs bis acht Deutsche zu stoßen, die mit rasierten Schädeln, nackten Knien, Hahnenfedern am Hut, Sauerkraut im Atem, Wanderlust im Blick und einer gegen ihre Beine klappernden Sammlung von Aluminiumgeschirr des Weges zogen.

Seine Leserschaft merkt, dieser junge Autor vermag pointiert zu schreiben, pflegt zugleich mit Vergnügen die Vorurteile. Gemahl speist zuerst, Weibchen kriegt die Krümel! heißt die Überschrift seiner launigen Reportage über eine Bahnfahrt von Frankfurt nach Köln. Besser als jede akademische Sozialstudie beleuchtet Hemingway, wie grobschlächtig sich deutsche Ehemänner gegenüber ihren Frauen benehmen. In seinen frühen Zeitungsartikeln mag er, dick aufzutragen. Das Publikum daheim wird seine Impressionen mit Kurzweil goutiert haben. 

Als ehrgeiziger Korrespondent nimmt der Amerikaner seine Profession ernst, ihn zeichnet ein enormer Arbeitseifer aus. Man mag es kaum glauben, bei seinem Lebenswandel. Obwohl er sich zahlreichen Verlockungen dahingibt, die auf einen kernigen Burschen am Wegesrand lauern, schreibt Ernest Hemingway emsig. Er recherchiert gründlich, baut Kontakte auf und geht textlich in die Details. Diese Disziplin sollte er bis zum Ende seines Lebens bewahren.

Die Kabinettstückchen aus Deutschland für den Toronto Star, allesamt aus dem Jahr 1922, sind aus einem weiteren Blickwinkel aufschlussreich. Denn sie zeigen eine stilistische Eigenart, die den 23-Jährigen schon damals auszeichnet. Auch wenn er manches überzeichnet, der junge Journalist entwickelt in seinen Texten eine fast chirurgisch präzise Beobachtungsgabe für Landschaften, für Menschen und für lokales Kolorit. Und so entdeckt er die Patzer und Irrungen, die er für seine Späße nutzt.

Aber Hass? Wohl nicht. Für solche Gefühle ist zu viel Wertschätzung und auch Dankbarkeit in seiner Seele. Er mag die klassische Musik. Johann Sebastian Bach, Ludwig van Beethoven und Johannes Brahms. Die Familie in Oak Park hat Kammermusik gespielt, die Mutter ist Opernsängerin gewesen. Im Elternhaus wird viel musiziert, dem kleinen Ernest ist als Instrument das Cello zugewiesen. Von Kindesbeinen an besitzt er ein musikalisches Ohr, das Melodiegefühl hilft beim Schreiben. Darüber hinaus sammelt er deutsche Kunst. Ein Paul Klee hängt auf seinem kubanischen Anwesen an der Wand, von der in Berlin lebenden Bildhauerin Renée Sintenis erwirbt er mehrere kleinformatige Skulpturen.

Zudem: Irgendwie sitzt Deutschland jeden Tag mit am Esstisch. Drei seiner vier Ehefrauen weisen deutsche Vorfahren auf. Pauline Pfeiffer und Martha Gellhorn deuten es mit den Nachnamen an. Bei Mary Welsh, seiner letzten Partnerin, stammen die Vorfahren mütterlicherseits aus dem Badischen. Auch gehören einige Deutsche zu seinem Freundeskreis. Marlene Dietrich und der saarländische Schriftsteller Gustav Regler. Oder der Dresdener Peter Viertel, ein Drehbuchautor in Hollywood.

Besonders dem Berliner Herausgeber Hermann von Wedderkop hat Ernest Hemingway viel zu verdanken. Dessen Kulturmagazin Der Querschnitt druckt im Sommer 1925 eine Kurzgeschichte des gänzlich unbekannten Novizen und zahlt ein stattliches Honorar. The Querschnitt war eine deutsche Zeitschrift, für die ich einige ziemlich obszöne Gedichte geschrieben habe, und wo ich eine längere Erzählung veröffentlicht habe, Jahre bevor ich in Amerika überhaupt etwas verkaufen konnte.

Zahlreiche Werke deutschsprachiger Autoren findet man in den übervollen Bücherwänden der Finca Vigía, für 21 Jahre sein Wohnsitz auf Kuba. Thomas Mann, Rilke, Erich Maria Remarque, Arnold Zweig, Ludwig Renn, Gregor von Rezzori, B. Traven, Kurt Tucholsky. Hemingway gilt als Vielleser, der Nicht-Akademiker muss sich Wissen und Bildung anderweitig aneignen. Mit dem Lyriker Rainer Maria Rilke geht er hart ins Gericht: Ich habe keine Geduld für so etwas. Er ist mir zu versnobt. Nun ja, ein strenges Urteil, aber man kann es so sehen als Mannsbild aus dem Mittleren Westen Amerikas.

In seinem autobiografischen Roman Die grünen Hügel Afrikas aus dem Jahr 1935 erzählt Ernest Hemingway eine skurrile Episode. Der US-Amerikaner, auf Antilopen-Jagd in Ostafrika, trifft in der einsamen Steppe zufällig auf einen Safari-Kameraden aus Tirol und beide unterhalten sich über die moderne Literatur Deutschlands. Der Österreich fragt neugierig:
„Sagen Sie, was halten Sie von Ringelnatz?“
Und Hemingway antwortet: „Er ist brillant.“
„So. Sie mögen also Ringelnatz. Gut. Was denken Sie über Heinrich Mann?“
„Der taugt nichts.“

Ernest Hemingway ist meinungsstark, er besitzt seine Vorlieben. Doch über den Schubladen, in die er seine Zeitgenossen steckt, steht nicht Deutschland oder USA. Sondern brillant oder taugt nichts. Über alle Grenzzäune hinweg. Als akkurater Beobachter sieht er, wie jedes Individuum der Souverän seines eigenen Handelns ist. Was zählt, ist nicht die Herkunft, sondern die innere Haltung und die Willenskraft. Er schreibt Romane darüber.

Mehr als einmal hat sich dieser Jahrhundert-Autor über Deutschland lustig gemacht. Aber wenn er mit Herzblut bei der Sache ist, dann streut er gerne Prisen von Hohn und Spott, damit ihn die Gefühle nicht übermannen. Die Deutschen jedenfalls haben ihn gelesen, wie keinen anderen. Erheben wir das Daiquiri-Glas: Ernest Hemingway, du alter Windbeutel, ein herzlicher Glückwunsch zum 125. Geburtstag aus dem Land, wo Eltern ihre Kinder mit Bier abfüllen.

Dr. Wolfgang Stock lebt als Journalist und Buchautor in Herrsching am Ammer­see. Er hat die Hemingway-Biografie Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru geschrieben und ist Gründer des Portals Hemingways Welt (www.heming­wayswelt.de).

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