Der Fussballspieler von Renée Sintenis. Ein Fussballer ohne Trikot und Ball, eher die ästhetische Dynamik eines Körpers in Bewegung. Foto: Galerie Flechtheim.

Im November 1927 reisen Ernest Hemingway und seine zweite Ehefrau Pauline Pfeiffer nach Berlin. In den neun Tagen ihres Aufenthalts besuchen sie das Sechstage-Fahrradrennen im Sportpalast und treffen sich mit dem Kollegen Sinclair Lewis. Berlin ist in den Roaring Twenties eine laute und lärmende Metropole, wo politische und soziale Konflikte sich entladen, wo Moden und Meinung entstehen. Verrücktheiten sind zu sehen, ebenso wie junge Künstler Neues ausprobieren.

Ernest Hemingway interessiert sich besonders für moderne Malerei und kommt mit dem Berliner Kunsthändler Alfred Flechtheim in Kontakt. Bei ihm kauft der Amerikaner eine Skulptur der Bildhauerin Renée Sintenis für 500 Mark, das Kunstwerk trägt den Titel Der Fußballspieler. Über die nächsten zwei Jahre wird Ernest Hemingway bei Flechtheim, der auch Verleger der Zeitschrift Der Querschnitt ist und die avantgardistische Malerei fördert, weitere Skulpturen kaufen.

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Der Pariser Kunstkatalog von Gallimard aus dem Jahr 1930 über Sculpteurs allemands verzeichnet Ernest Hemingway als Sammler von Der Fussballspieler.

Der Fussballspieler, eine Boxer-Skulptur, sie stellt den Mittelgewichtsboxer Erich Brandl im Jahr 1925 dar. Berühmt wird die Bronze des legendären Langstreckenläufers Paavo Nurmi aus Finnland. All die kleinformatigen Sportler-Plastiken der Renée Sintenis zeigen einen Körperkult in Bewegung. Die Auflagen der Kunstwerke bewegen sich meist um die 10 Exemplare.

Es ist zu vermuten, dass Ernest Hemingway je ein Exemplar dieser drei Kleinskulpturen besessen hat. Zwar kann man nicht mehr genau nachvollziehen, welche Sintenis-Plastiken der junge Autor gekauft hat, die Provenienz sämtlicher Werke ist nach fast hundert Jahren nicht mehr exakt in alle Verästelungen zurückzuverfolgen. Fakt bleibt, Hemingway kauft und sammelt Renée Sintenis, Belege dafür gibt es genug. Ernest Hemingway, New York, steht in den Werkverzeichnissen. 

Renée Sintenis, eigentlich Renate Alice Sintenis, spezialisiert sich auf Akte und Köpfe, auf kleinformatige Tierplastiken, sowie auf zahlreiche Selbstbildnisse und Aktfiguren von Sportlern. In den 1920er Jahren feiert die Bildhauerin, im Jahr 1888 in Schlesien geboren, beachtliche Erfolge. Alfred Flechtheim wird ihr Galerist und präsentiert zwischen 1920 und 1933 zahlreiche Ausstellungen mit Plastiken und Zeichnungen von ihr. Im Jahr 1931 wird Renée Sintenis als erste Bildhauerin Mitglied der Berliner Akademie der Künste.

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Die Staatlichen Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Bilddatei-Nr. ngnge_0210, verzeichnet mit der Jahresangabe 1930 Ernest Hemingway als Besitzer der Sintenis-Skulptur von Paavo Nurmi.

Die Künstlerin ist schlank, selbstbewusst, mondän, mit schwarzem Bubikopf. Sie wirkt androgyn, ein IT-Girl der damaligen Zeit, häufig wird sie von berühmten Fotografen portraitiert. In den wilden Zwanzigern verkörpert sie die modische Femme fatale der lokalen Boheme, auch wenn sie persönlich eher schüchtern im Auftreten ist.

Bekannte Autoren wie Gottfried Benn und Rainer Maria Rilke, gehören zu ihrem Freundeskreis, ebenso wie die Schauspielerin Asta Nielsen.
Herr Flechtheim angelte am See
Sich kleine Tierchen von Renée
spottet treffend ihr enger Vertrauter, der wunderbare Humordichter Joachim Ringelnatz im März 1928 im Monatsmagazin Der Querschnitt.

Nach Machtübernahme der Nazis wird Renée Sintenis als „Halbjüdin“ im Jahr 1934 aus der Akademie der Künste ausgeschlossen. Im Zuge der Ausstellung Entartete Kunst 1937 werden dann ihre Werke aus den Museen verbannt. Ihr Galerist Alfred Flechtheim befindet sich schon seit 1933 im Londoner Exil, die Künstlerin – melancholisch und menschenscheu – fällt in ein tiefes Loch.

In der Nachkriegszeit arbeitet Sintenis ab 1955 als Professorin an der Berliner Hochschule für Bildende Künste. Ihre Kunst erlebt eine Renaissance, sie wird mit Ehrungen und Preisen überhäuft. Ihre Berliner Bären tapsen noch heute durch das Berliner Stadtleben. Die großformatige Tierskulptur steht heute an der Zehlendorfer Autobahn, en miniature wird sie als versilberter und vergoldeter Filmpreis anlässlich der Berlinale verliehen.

Renée Sintenis stirbt im April 1965, ihr Ehrengrab liegt auf dem Berliner Waldfriedhof in Berlin-Dahlem. Das Werk der Künstlerin wird heute von der Galerie Vömel in Düsseldorf, einem ehemaligen Teilhaber von Flechtheim gepflegt. 

Die Faszination des Ernest Hemingway für die Skulpturen der Renée Sintenis geht über die Oberfläche hinaus. Der Schriftsteller mag nicht nur schnellen Sport, das Boxen, Pferderennen, den Stierkampf. Er erhält aus der modernen Kunst auch Anregungen für sein Schreiben und für seinen Stil. Malerei, Musik und auch Bildhauerei – so wie ein Bildhauer modelliert und sich auf das Wesentliche konzentriert, so versucht er als Schriftsteller seine Wörter zu setzten.

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