Der Marschall Ney auf seinem Sockel zieht das Schwert, auf dass niemand der Closerie des Lilas auch nur ein Härchen krümmt. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

La Closerie des Lilas am Boulevard du Montparnasse Nummer 171 hält am besten das Gedenken an Ernest Hemingway wach. Kein Wunder, die Closerie liegt gleich um die Ecke seiner Wohnung in der Rue Notre-Dame-des-Champs. Ernest tritt aus der Haustüre und ist in zwei Minuten zu Fuß am Boulevard du Montparnasse. Die Closerie des Lilas – zu Deutsch: der kleine Fliedergarten – wird sein zweites Wohnzimmer.

Es war eines der besten Cafés in Paris. Im Winter war es drinnen warm, um im Frühling und Herbst war es draußen angenehm an den Tischen im Schatten der Bäume auf der Seite, wo das Denkmal des Marschalls Ney stand, und an den viereckigen Tischen unter den großen Markisen am Boulevard. Zwei der Kellner waren gute Freunde von uns.

Die Brasserie erhält 1883 den Namen La Closerie des Lilas, schnell wird die Lokalität ein Treffpunkt der Intellektuellen und Künstler in Paris. Ein illustres Historienbuch lässt sich mit den Namen der Gäste füllen. So spielte der spätere russische Revolutionär Wladimir Iljitsch Uljanow – genannt Lenin – hier mit Freunden seine Schachpartien.

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Der Barraum der La Closerie des Lilas. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Ein heftiger Streit zwischen Tristan Tzara und André Breton findet im Jahr 1922 in der Closerie statt, es ist die Auseinandersetzung von Dadaismus und Surrealismus. Maler, Architekten, Komponisten und Autoren – all die Männer und Frauen mit ihren neuartigen Ideen treffen sich in der Closerie des Lilas. Auch Schauspieler, Musiker und Sänger kommen gerne hierher, bis in unsere Tage.

Besonders die Lost Generation lässt sich oft in der Closerie blicken. F. Scott Fitzgerald, Ezra Pound, Gertrude Stein. Und Ernest Hemingway an vorderster Stelle. Diese Lokalität ist so ganz anders, als all das, was man aus der nüchternen Heimat bisher kannte. Die Closerie des Lilas zeigt sich elegant und doch bodenständig, als intellektuell und ebenso den Genüssen zugetan.

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Am Tresen der Bar wird ein Platz freigehalten für Ernest Hemingway, falls er sich doch entschließt, einmal wiederzukommen in die Closerie. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

An der Bar trägt ein Platz das goldene Schild mit seinem Namen. E. Hemingway. Links hinter der Anrichte hängt eingerahmt ein Foto mit ihm. Der US-Amerikaner hat im Jahr 1925 an einem dieser Tische teilweise die Urfassung zu seinem ersten großen Roman The Sun Also Rises entworfen. Bei der Arbeit schaut er aus dem Fenster auf den angrenzenden Platz mit dem Denkmal des napoleonischen Marschalls Michel Ney.

In Paris – Ein Fest fürs Leben, seinen biografischen Skizzen, hat er die Szene festgehalten. Während ich mich der Closerie des Lilas näherte, mit dem Licht auf meinem alten Freund, der Statue des Marschalls Ney mit seinem gezogenen Säbel und dem Schatten der Bäume auf der Bronze (…) und ich machte in der Closerie halt, um der Statue Gesellschaft zu leisten, und trank ein kaltes Bier, ehe ich nach Hause ging in die Wohnung über der Sägemühle.

Das Dekor der Closerie des Lilas ist mehr oder weniger wie jenes aus den 1920er Jahren. Alles sympathisch eng auf eng, in Jugendstil und mit feinen Lederpolster. Heute wird die Closerie in ein edles Restaurant und in eine nicht minder edle Brasserie unterteilt. Dazwischen gibt es noch die Bar mit den harten Prozenten. Die feine Küche serviert vor allem Fischspezialitäten und auch der Nachtisch erstrahlt und schmeckt so, wie man sich im Himmelreich eine Süßspeise vorstellen würde.

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Wer in der Closerie zum krönenden Abschluss ein Dessert du Moment ordert, macht auf jeden Fall nichts verkehrt. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Geschmack hat Hemingway, man muss es diesem markigen Burschen vom Michigan See lassen. Er treibt sich nur an den besten Orten und Plätzen herum. Ich würde der Closerie fünf Sterne verleihen, ach, was sag ich, acht oder zehn Sterne. Denn die Closerie steht wie gemalt für Paris. Für das Leben, für das richtig gute Leben. Auch Ernest wusste zu genießen und schätzte ein köstliches Essen. Fast jeden Morgen konnte man den Amerikaner hier antreffen und André, einer seiner Lieblingskellner, servierte ihm zum Auftakt ein Bovril, eine Tasse Fleischextrakt mit Wasser.

Dieses Haus ist die Königin unter den Bistros und Brasserien von Paris. In der Closerie mag man als Höhepunkt den Tag mit Unbeschwertheit und Wohlbehagen ausklingen lassen. Zum guten Leben gehört in Frankreich die Literatur, die Malerei und die Musik, ebenso wie der lukullische Hochgenuss. Der Überschwang springt den Besucher in der Closerie des Lilas an, heftig und ungestüm, auch heute noch. Dieser Platz hat den Traum des Menschen verstanden. Revolutionen, Kriege und die Jahrzehnte kommen und gehen, doch dieser Rückzugsort der schönen Sinne, er bleibt.

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