Er ist nicht nur der Schriftsteller des Jahrhunderts, sondern auch der Macho des Jahrhunderts. Boxer, Großfisch-Angler, Kriegsreporter, standfester Trinker, Löwenjäger, Frauenheld – Ernest Hemingway lässt wenige Gelegenheiten aus, an seinem maskulinen Image zu basteln. Dieser Mann liebt das Bullenrennen in Pamplona, er steckt zwei schlimme Flugzeugunglücke weg und feiert seine Verwundung im Ersten Weltkrieg. Mehr Macho geht kaum.
Sein jüngster Sohn scheint das schiere Gegenbild. Gregory ist der jüngste seiner drei Söhne, er stammt aus der Ehe mit der erzkatholischen Pauline Pfeiffer. Unter dramatischen Umständen wird Gregory Hancock Hemingway im November 1931 in Kansas City geboren worden. In der Familie wird er Gig oder Gigi gerufen. Ernests letztgeborener Sohn ist zarter und schmächtiger als die beiden größeren Brüder.
Auf Finca Vigía schlüpft der zehnjährige Gig in die Kleider von Stiefmutter Martha Gellhorn. Ernest kommt zufällig ins Schlafzimmer, bleibt stumm stehen und geht wortlos raus. Tage später, als Vater und Sohn am Swimmingpool sitzen, sagt der Schriftsteller zu Gregory: Gigi, you and I come from a very strange tribe. Gigi, Du und ich, wir kommen schon aus einer sehr komischen Sippe. Das war’s. Kein Zeter und Mordio, vielmehr scheint, als habe sich ein geheimes Band von Empathie und Verständnis um Vater und Sohn gelegt.
Gregory hebt sich vom Macho-Gehabe seines berühmten Vaters gründlich ab und doch bleibt ein Draht zwischen beiden. Das Leben von Gig verläuft chaotisch: Zunächst wird er Arzt, verliert dann seine Approbation, Alkohol, Scheidung, Depressionen. Und auch als Erwachsener finden er Gefallen daran, sich in Frauenkleider zu zeigen. Mit 64 Jahren unterzieht er sich mehreren Operationen und lässt sich geschlechtsumwandeln. Ab da nennt er sich Gloria Hemingway.
Im September 2001 wird Gloria von zwei Polizeibeamte in Key Biscayne wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaftet. Betrunken, mit Stöckelschuhen in der Hand und offenem Hemd, nackt durch den Stadtpark stolzierend. Drei Tage später ist Gloria tot, gestorben im Frauengefängnis von Miami, ein natürlicher Tod, das Herz. Mit 69 Jahren.
Der Nobelpreisträger kriegt von all dem nichts mehr mit, er liegt seit über vier Jahrzehnten friedlich auf dem Dorffriedhof von Ketchum in den Rocky Mountains. Lange vorbei die Zeit, wo Gig seinem Vater etwas beweisen musste. Oder ihn – oder sich – in Frage stellen musste. Das Verhältnis zwischen Ernest und Gregory jedenfalls ist zu Lebzeiten schwierig geblieben. Der Macho-Mann und der Trans-Sohn. Wie passt dies zusammen?
In seinem nachgelassenen Roman Inseln im Strom versteckt sich Ernest Hemingway hinter der Hauptfigur des Thomas Hudson. Die autobiografische Erzählung handelt von seiner Zeit auf Kuba. Auch auf die Söhne kommt er zu sprechen.
Mein jüngster Sohn war blond und hatte die Statur eines Schlachtschiffs im Postkartenformat. Er war körperlich ein Ebenbild von Thomas Hudson, nur kleiner, breiter und kürzer. Seine Haut bekam Sommersprossen, wenn sie braun wurde, und er hatte ein lustiges Gesicht und wurde schon altklug geboren. Er war fernerhin ein kleiner Teufel und setzte seinen beiden älteren Brüdern kräftig zu, und er hatte eine dunkle Seite an sich, die niemand außer Thomas Hudson verstehen konnte.
Schreibt man so liebevoll über einen Sohn, der das Gegenteil von den Werten des Vaters verkörpert? Gegenüber Freunden bezeichnet Ernest seinen Jüngsten als schwarzes Schaf der Familie, er komme da direkt nach ihm. Ganz so, als ob es eine gemeinsame Sehnsucht gibt. In seinem letzten Roman The Garden of Eden, posthum 1986 veröffentlicht, liest man urplötzlich einen vollkommen neuen Hemingway. Es geht nicht mehr um Toreros und Krieg, sondern um Frauen und Männer, um Maskulinität und Feminität, um Homosexualität und Geschlechtertausch. Gigs Gedanken sind dem Macho nicht fremd
In der Erzählung verbringt das frisch verheiratete Paar David and Catherine die Flitterwochen in Südfrankreich und probiert allerlei aus. Catherine schneidet sich die Haare kurz wie ein Junge, die Rollen verschwimmen, sie haben