Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Schlagwort: Gloria Hemingway

Ernest Hemingway: Der Sohn, der zur Transfrau wurde

Ernest Hemingway 
Söhne
Transfrau
Der Vater mit seinen Söhnen auf Kuba: Patrick, Jack und Gregory, zur Linken von Ernest Hemingway. Photo Credits: Ernest Hemingway Photograph Collection, John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Er ist nicht nur der Schriftsteller des Jahrhunderts, sondern auch der Macho des Jahrhunderts. Boxer, Großfisch-Angler, Kriegsreporter, standfester Trinker, Löwenjäger, Frauenheld – Ernest Hemingway lässt wenige Gelegenheiten aus, an seinem maskulinen Image zu basteln. Dieser Mann liebt das Bullenrennen in Pamplona, er steckt zwei schlimme Flugzeugunglücke weg und feiert seine Verwundung im Ersten Weltkrieg. Mehr Macho geht kaum.

Sein jüngster Sohn scheint das schiere Gegenbild. Gregory ist der jüngste seiner drei Söhne, er stammt aus der Ehe mit der erzkatholischen Pauline Pfeiffer. Unter dramatischen Umständen wird Gregory Hancock Hemingway im November 1931 in Kansas City geboren worden. In der Familie wird er Gig oder Gigi gerufen. Ernests letztgeborener Sohn ist zarter und schmächtiger als die beiden größeren Brüder. 

Auf Finca Vigía schlüpft der zehnjährige Gig in die Kleider von Stiefmutter Martha Gellhorn. Ernest kommt zufällig ins Schlafzimmer, bleibt stumm stehen und geht wortlos raus. Tage später, als Vater und Sohn am Swimmingpool sitzen, sagt der Schriftsteller zu Gregory: Gigi, you and I come from a very strange tribe. Gigi, Du und ich, wir kommen schon aus einer sehr komischen Sippe. Das war’s. Kein Zeter und Mordio, vielmehr scheint, als habe sich ein geheimes Band von Empathie und Verständnis um Vater und Sohn gelegt. 

Gregory hebt sich vom Macho-Gehabe seines berühmten Vaters gründlich ab und doch bleibt ein Draht zwischen beiden. Das Leben von Gig verläuft chaotisch: Zunächst wird er Arzt, verliert dann seine Approbation, Alkohol, Scheidung, Depressionen. Und auch als Erwachsener finden er Gefallen daran, sich in Frauenkleider zu zeigen. Mit 64 Jahren unterzieht er sich mehreren Operationen und lässt sich geschlechtsumwandeln. Ab da nennt er sich Gloria Hemingway. 

Im September 2001 wird Gloria von zwei Polizeibeamte in Key Biscayne wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaftet. Betrunken, mit Stöckelschuhen in der Hand und offenem Hemd, nackt durch den Stadtpark stolzierend. Drei Tage später ist Gloria tot, gestorben im Frauengefängnis von Miami, ein natürlicher Tod, das Herz. Mit 69 Jahren.

Der Nobelpreisträger kriegt von all dem nichts mehr mit, er liegt seit über vier Jahrzehnten friedlich auf dem Dorffriedhof von Ketchum in den Rocky Mountains. Lange vorbei die Zeit, wo Gig seinem Vater etwas beweisen musste. Oder ihn – oder sich – in Frage stellen musste. Das Verhältnis zwischen Ernest und Gregory jedenfalls ist zu Lebzeiten schwierig geblieben. Der Macho-Mann und der Trans-Sohn. Wie passt dies zusammen?

In seinem nachgelassenen Roman Inseln im Strom versteckt sich Ernest Hemingway hinter der Hauptfigur des Thomas Hudson. Die autobiografische Erzählung handelt von seiner Zeit auf Kuba. Auch auf die Söhne kommt er zu sprechen.

Mein jüngster Sohn war blond und hatte die Statur eines Schlachtschiffs im Postkartenformat. Er war körperlich ein Ebenbild von Thomas Hudson, nur kleiner, breiter und kürzer. Seine Haut bekam Sommersprossen, wenn sie braun wurde, und er hatte ein lustiges Gesicht und wurde schon altklug geboren. Er war fernerhin ein kleiner Teufel und setzte seinen beiden älteren Brüdern kräftig zu, und er hatte eine dunkle Seite an sich, die niemand außer Thomas Hudson verstehen konnte. 

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Die Familie Hemingway vereint auf dem Friedhof von Ketchum in Idaho. Um das große Grab des prominenten Vaters liegen die kleineren Grabsteine von Jack und Gregory. Foto: W. Stock, 2018.

Schreibt man so liebevoll über einen Sohn, der das Gegenteil von den Werten des Vaters verkörpert? Gegenüber Freunden bezeichnet Ernest seinen Jüngsten als schwarzes Schaf der Familie, er komme da direkt nach ihm. Ganz so, als ob es eine gemeinsame Sehnsucht gibt. In seinem letzten Roman The Garden of Eden, posthum 1986 veröffentlicht, liest man urplötzlich einen vollkommen neuen Hemingway. Es geht nicht mehr um Toreros und Krieg, sondern um Frauen und Männer, um Maskulinität und Feminität, um Homosexualität und Geschlechtertausch. Gigs Gedanken sind dem Macho nicht fremd

In der Erzählung verbringt das frisch verheiratete Paar David and Catherine die Flitterwochen in Südfrankreich und probiert allerlei aus. Catherine schneidet sich die Haare kurz wie ein Junge, die Rollen verschwimmen, sie haben

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Das tragische Leben des Gregory Hemingway

Ernest Hemingway mit seinen Söhnen Patrick (links) und Gregory (rechts), ca. 1940. Credit Line: Ernest Hemingway Photograph Collection, John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Pauline Pfeiffer, die zweite Mrs. Hemingway und Mutter von Gregory, findet nur schwer in die Mutterrolle. Ebenso wie Ernest kann sie mit Kindern nur wenig anfangen, vor allem mit Kleinkindern. In den wohlhabenden Kreisen, in denen Pauline aufgewachsen ist, kümmert sich eine Armada von Kindermädchen, Erzieherinnen und Haushälterinnen um die Babys. „Gig, ich glaube, ich habe keine großen Muttergefühle“, klagt sie ihrem Sohn Gregory, „ich kann diese grauenhaften kleinen Kinder nicht aushalten, jedenfalls bis sie fünf oder sechs sind.“ 

Auch Ernest findet zu Kindern erst einen Draht, wenn sie alt genug sind, um eine Angel oder ein Gewehr zu halten. Der empfindsame Gregory, den die Familie Gig oder Gigi ruft, wird seiner überforderten Mutter nichts Wohlgefälliges hinterherrufen. Paulines größte Leistung sei gewesen, so wird der Sohn zurückblicken, ein gutes Kindermädchen für ihn angestellt zu haben.

Gerade mit Gregory, er wird im November 1931 in Kansas City geboren, wird es im Laufe der Jahre schwierig, schwierig für ihn, schwierig für die Eltern. Gegenüber Freunden bezeichnet der Vater seinen Jüngsten als  schwarzes Schaf der Familie, er komme da direkt nach ihm. Der zartfühlende Sohn ist so anders als die Jungs in seinem Alter.

Mit etwa vier Jahren beginnt Gigi die Kleider der Mutter anzuziehen, dazu fällt auf, dass er auf seine Umgebung verweichlicht wie eine Prinzessin wirkt. Jahre später, mit zehn, Gregory ist in den Schulferien beim Vater auf Kuba, ertappt ihn Ernest im Schlafzimmer der Finca Vigía in den Kleidern von Martha Gellhorn. Der Vater steht da wie angewurzelt, dreht sich dann um, und verlässt den Raum, ohne ein Wort zu sagen.

Am 29. September 1951 wird der 19-jährige Greg, vollgepumpt mit Drogen, von der Polizei auf der Damentoilette eines Kinos festgenommen, in Frauenkleidern. Ernest macht seiner ehemaligen Frau am Telefon laute Vorwürfe, sie versage in der Erziehung von Gregory, wie er meint. Pauline, bei ihrer Schwester Jinny in deren Haus in den Hollywood Hills, und mit dem Sohn in einer Arrestzelle, überfallen schlimme Bauchschmerzen. 

Gegen Mitternacht wird sie als Notfall ins St. Vincent’s Hospital eingeliefert. Ohnehin von kränklicher Natur, stößt der Tumor in jener Nacht eine solche Menge an Adrenalin aus, der zusammen mit dem hohen Blutdruck, zum fatalen Platzen von Blutgefäßen führt. Im Schockzustand verblutet Pauline innerlich auf dem Operationstisch an einer seltenen Tumorkrankheit der Nebenniere, am 1. Oktober 1951 im Alter von 56 Jahren.  

Gregory Hancock Hemingway studiert Medizin an der Medical School der University of Miami, später praktiziert er zeitweise als Arzt in Montana. Doch Alkohol und Depression, wie bei Vater und Mutter, werfen ihn aus der Bahn. Er verliert seine Approbation. Zudem hängt die Last des Namens wie ein Mühlstein um seinen Hals. Pulitzer, Alfred Nobel, der Schriftsteller des Jahrhunderts. „Ich bin nie über das Gefühl der Verantwortung für den Tod meines Vaters hinweggekommen. Und die Erinnerung daran ließ mich manchmal auf seltsame Weise handeln.“

Er heiratet viermal, lässt sich viermal scheiden. Gregory kleidet sich als Frau, lässt sich operieren, nennt sich als Transfrau nun Gloria Hemingway. Auf offener Straße fällt er auf, ohne dass man weiß, wer er ist. Mindestens dreimal wird er wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaftet. „Er hatte ein schwieriges Leben. Es ist nicht einfach, der Sohn eines großen Mannes zu sein“, meint Scott Donaldson, der ehemalige Präsident der Hemingway Society.

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Der Mann, der sich Gloria Hemingway nannte. Das Grab des Gregory Hemingway auf dem Dorffriedhof von Ketchum, in den Bergen der Rocky Mountains. Foto: W. Stock, 2018.

„Ich weiß nicht, wie die Zerstörung zustande gekommen ist“, klagt Gregory 1987 in einem Interview mit der Washington Post. „Was ist es, das einen liebevollen, dominanten, im Grunde wohlmeinenden Vater dazu bringt, so durchzudrehen?“ Sein ganzes Leben sei ein Brandherd. Seine Beziehung zu seinem Vater und zu seiner Mutter bleibt gestört, er sucht seine Identität und sein kleines Glück. Narben überall.

Der feinsinnige Gregory sehnt sich so nach Anerkennung durch den Vater, den er bewundert. Ernest vielmehr hat sich eine Tochter gewünscht. Doch es gibt auch gute Phasen. Vater und Sohn scheinen sich einige Jahre lang nahe gestanden zu haben, und Ernest gibt

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