Auf den Fersen von Ernest Hemingway

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Paris prägt Ernest Hemingway wie keine andere Stadt

Die Künstler und Paris – ein Himmelreich auf Erden. Foto: W. Stock, Paris im Oktober 2022.

Im Dezember 1921 erreichen der Amerikaner Ernest Hemingway und seine Frau Hadley Richardson nach zwei Wochen auf dem französischen Atlantikdampfer Leopoldina, aus Hoboken bei New York kommend, die europäische Küste. In Cherbourg nimmt das frisch vermählte Ehepaar dann den Nachtzug nach Paris. Das junge Paar plant, sich dort für längere Zeit niederzulassen, es sollten sieben Jahre werden.

Vom ersten Tag an empfindet Ernest eine intensive Verbundenheit mit seiner neuen Wahlheimat. Als freier Korrespondent der kanadischen Tageszeitung Toronto Star kommt der junge Ernest Hemingway nach Übersee, mit dem Auftrag, sich in Europa umzuschauen. Die Alte Welt ist in jenen Jahren ein Kontinent in Aufruhr, mit Ländern, die einen Weltkrieg hinter sich haben und durchgerüttelt werden von politischen Konflikten, wirtschaftlichen Krisen und sozialen Erschütterungen.

Der junge Journalist wird hineingeworfen in diese brodelnde Region, er ist unbedarft und hungrig nach dem Leben. Der attraktive Journalist aus Oak Park, einem Vorort von Chicago, ist jener Typus, der wunderbar zu dieser Stadt passt: bullig von Figur, breitschultrig, ein kantiges Gesicht, im Kontrast dazu mit sanften braunen Augen und mit einer einfühlsamen Stimme. 

Frisch verliebt und voller Träume leben Ernest und Hadley von wenig Geld in der Hauptstadt Frankreichs. Als Korrespondent verdient er nicht gerade üppig, die Erträge einer kleinen Erbschaft von ihr hält beide über Wasser. Das Liebespaar verbringt unbeschwerte Monate in der so quirligen Metropole an der Seine, sie sind arm, aber glücklich. Es gibt nur zwei Orte auf der Welt, wo der Mensch glücklich sein kann. Die Heimat und Paris.

Der Amerikaner wirkt, als lebe er im siebten Himmel. Für einen jungen Mann, der seiner bigotten Erziehung und der nüchternen Strenge des Mittelwestens der USA entflohen ist, gleicht das Paris der 1920er Jahre einem Himmelreich auf Erden. In der Stadt des Lichtes finden amerikanische Intellektuelle den Glanz und Glamour, jenen joie de vivre, den sie in der heimatlichen Tristesse aus Wirtschaftsdepression und Prohibition so schrecklich vermissen.

Ernest Hemingway und Paris – es passt wunderbar. Ein Bauch- und Augen-Mensch wie Ernest wird hier zum Flaneur, der in den Buchhandlungen stöbert, durch die engen Gassen des Quartier Latin bummelt oder als Müßiggänger im La Closerie des Lilas vor einem Café au Lait sitzt, das bunte Treiben beobachtet und schreibt. Vor allem die Gegend um den Boulevard du Montparnasse wird zu seinem Revier, hier warten Lebenslust und Frivolität an jeder Ecke.

In Paris begegnet Ernest Hemingway anregenden Frauen und Männern, er steht direkt an der Wiege neuartiger Ideen und kühner Anschauungen. Künstlerische Pioniere wie James Joyce und Pablo Picasso gehören zu seinem Freundeskreis. Der junge Ernest merkt, wie dieses kreative Flair ihn als Schreiber ermutigt. Die Harmonie mit seiner Ehefrau wirkt als Ruhepol, die umgängliche Hadley fängt den stürmischen Ehemann mehr als einmal auf. 

Er ist angekommen in seiner Traumwelt. Schöner vermag der 22-Jährige sich das Paradies nicht auszumalen. Wenn Du das Glück hattest, als junger Mensch in Paris zu leben, dann bleibt die Stadt bei Dir, einerlei wohin Du in Deinen Leben noch gehen wirst, denn Paris ist ein Fest fürs Leben.

Diese Metropole der Lebenslust überfällt den Amerikaner wie

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Der schönste Hemingway-Satz: Paris lohnt immer

Ernest Hemingway Paris
Paris geht niemals zu Ende, und die Erinnerung an jeden einzelnen Menschen, der dort gelebt hat, unterscheidet sich von der an jeden anderen. Wir sind immer dorthin zurückgekehrt, egal, wer wir waren oder wie es sich verändert hatte oder unter welchen Schwierigkeiten oder mit welcher Bequemlichkeit es zu erreichen war. Es hat sich immer gelohnt, und wir bekamen immer etwas zurück für das, was wir mitgebracht hatten.
Ernest Hemingway: Paris – Ein Fest fürs Leben.

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Der schönste Hemingway-Satz: Hadley, die Glückliche

Hemingway Ernest Hadley Paris
Die Geschichten in diesem Buch sind erfunden. Ich habe viel weggelassen und verändert und herausgestrichen, und ich hoffe, Hadley versteht das. Sie wird sehen, warum ich das hoffe. Sie ist die Heldin und die Einzige, die ein Leben hatte, das gut ausgegangen ist .
Ernest Hemingway: Paris – Ein Fest fürs Leben

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Ernest Hemingway: Schreiben wie ein Maler

Vincent van Goghs Schlafzimmer im Gelben Haus von Arles. Aus dem Jahr 1888.

Sobald er neu in eine europäische Stadt kommt, besucht Ernest Hemingway vor allem Kunstgalerien und Museen, den Prado in Madrid, die Accademia in Venedig, die Galerie Flechtheim in Berlin. In Paris, er hat von 1921 bis 1928 in der Stadt an der Seine gelebt, streunt er stundenlang durch den Louvre. Besonders fasziniert wird der US-Amerikaner von der Kunstfertigkeit der französischen Impressionisten.

Wenn er gefragt wird, welchem Beruf – außer Schriftsteller – seine Leidenschaft gilt, antwortet der junge Autor wie aus der Pistole geschossen: der Malerei. Der Arztsohn aus dem Mittleren Westen ist ein großer Bewunderer der bildenden Kunst. Er verfügt nicht nur eine erstaunlich sichere Urteilskraft zu Gemälden, sondern kennt viele Maler zudem persönlich.

In Paris kommt Hemingway mit den großen Künstlern der Avantgarde zusammen, lange vor deren Weltruhm. Der Autor aus Oak Park schließt Freundschaft mit Pablo Picasso. Joan Miró, Paul Klee, Juan Gris – für viel Geld erwirbt der junge Kerl einige Bilder der aufstrebenden neuen Malergeneration. Der bodenständige Amerikaner Waldo Peirce wird zeit seines Lebens ein enger Kumpel. 

Ernest Hemingways nachgelassener Roman Der Garten Eden versteckt eine aufschlussreiche Hommage an seinen Lieblingsmaler. Die Akteure seiner erotisch knisternden Erzählung reisen nach Südfrankreich, ans Mittelmeer bei Le Grau-du-Roi. Das Zimmer, in dem sie wohnten, sah aus wie das Gemälde von Van Goghs Zimmer in Arles, nur dass es ein Doppelbett und zwei große Fenster hatte und man über das Wasser, den Sumpf und die Wiesen auf die weiße Stadt und den hellen Strand von Palavas blicken konnte.

Vor allem zwei Großmeister haben es ihm angetan. Neben Vincent van Gogh mag er besonders den Franzosen Paul Cézanne. Ich möchte so schreiben können, wie Cézanne malen kann, sagt er des Öfteren. Der Maler aus Aix-en-Provence zeichnet mit Vorliebe Motive aus der Natur, Landschaften und Gärten, Lichtungen und Blumenfelder, farbenfroh und ausdrucksstark mit einem Blick für die zarten Feinheiten. 

Die Malerei hilft ihm, seine Prosa zu entwerfen. Denn auch die Sprache eines guten Schriftstellers braucht visuelle Kraft und Klarheit. Das Ziel, sagt Ernest Hemingway im Gespräch mit Edward Stafford, ist es, dem Leser jede Empfindung, jeden Anblick und jedes Gefühl zu vermitteln. Als Autor müssen Sie mit dem Wort zeichnen, damit der Leser sieht, was Sie gesehen haben, und fühlt, was Sie gefühlt haben.

Seine Annäherung an die Maler und die Erforschung ihrer Werke sind für Ernest Hemingway ein wesentlicher Bestandteil des Lernprozesses als Schreiber. Beobachten und entdecken, fühlen und erspüren – die impressionistischen Gemälde bilden eine seiner Inspirationsquellen. Der spätere Nobelpreisträger nutzt schon in seinen ersten Erzählungen die Visualität, um mit den Landschaftsbeschreibungen den Handlungsrahmen zu setzen. Für die szenische Spannung wiederum ist meist der dramatische Tonfall seiner Dialoge zuständig.

Die Betrachtung der Werke von Cézanne lehrt den Amerikaner, wie er seine modernen Kurzgeschichten mit Hilfe einer einfachen und emotionalen Technik neu aufbauen kann. Jedes Element im künstlerischen Prozess der Entstehung wirkt zweckdienlich und erfindungsreich sogleich. Die stimmige Farbgebung bei Cézanne wie auch die genaue Wortwahl bei Hemingway schaffen innere Struktur und Dichte.

Wie Cézanne setzt der Neuerer Ernest Hemingway vor allem auf die Landschaft, auf das Motiv und auf die Anordnung, um Eleganz und Vorstellungskraft zu erzeugen. Die Flüsse, das Gebirge, die Hügel, der Wald mit den grünen Bäumen, die Inseln und vor allem das Meer blühen nicht nur auf in einer neuen Visualität, sondern führen im Ergebnis zu einer anregenden Vielfalt an Emotionen.

Diese neue Ästhetik des Erzählens, die klassische und moderne Elemente vereint, arbeitet mit Empfindungen und Symbolen. Der Maler und der Schreiber öffnen beide den Raum und den Blickwinkel für die Imagination des Betrachters und Lesers. Ernest Hemingway beschreibt insofern keine Landschaften, er erschafft diese Landschaften. Ganz wie Cézanne. 

Als Liebhaber der Malerei hat Ernest Hemingway immer versucht, das Herzstück eines Gemäldes zu entdecken. Er ist stets auf der Suche gewesen nach dem reinen Gefühl, wie er es nennt. Maler besitzen all diese großartigen Farben, mit denen sie arbeiten können, meint der Nobelpreisträger. Ich muss es auf der Schreibmaschine vollbringen oder mit meinem Bleistift in Schwarz und Weiß.

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Der steinige Weg zu ‚Paris – Ein Fest fürs Leben‘

Paris 
Ein Fest fürs Leben
Ernest Hemingway: A Moveable Feast. Zu Deutsch: Paris – Ein Fest fürs Leben.

Dieses Buch von Ernest Hemingway ist eines der bekanntesten und wohl auch eines der schönsten Werke. A Moveable Feast. In der Übersetzung: Paris – Ein Fest fürs Leben. Der deutsche Titel scheint mir gefühlvoller als das englische Original. Ein beweglicher Festtag. Es hört sich, in beiden Sprachen, dann doch etwas sperrig an.

Was viele Leser nicht ahnen: Dieses Buch ist nicht durchkomponiert von seinem Autor, es wird aus einem Fragment erschaffen. Aus dem Nachlass des 1961 verstorbenen Nobelpreisträgers wird es von den Erben hervorgekramt und dann im Jahr 1964 bei Charles Scribner’s Sons in New York veröffentlicht. Das Werk und vor allem seine Entstehung, es bleibt unter Kennern nicht unumstritten. Über die Qualität hingegen bestehen keine Zweifel.

Zumindest ist der Weg zu diesem Buch überaus steinig und holprig. Im Jahr 1956 macht der Direktor des Pariser Luxushotels Ritz den auf Kuba lebenden Ernest Hemingway darauf aufmerksam, dass noch zwei Reisekoffer auf Abholung warten. Der Schriftsteller hat diese 1928 in den Kellergewölben einlagern lassen, kurz bevor er mit seiner zweiten Frau Pauline Pfeiffer die Metropole an der Seine verlassen hat.

Der Inhalt beider Koffer besteht aus Manuskriptseiten und Notizbüchern mit Material zu Hemingways erstem Roman The Sun Also Rises, aus Büchern, aus Aufzeichnungen und aus Zeitungsausschnitten. Diese Erinnerungsstücke an die schönen Anfangsjahre bilden wohl der endgültige Anlass, sich heranzutrauen an die Pariser Skizzen, wie der Nobelpreisträger seinen Arbeitstitel wählt. Doch Ernest tut sich schwer damit, aus verschiedenen Gründen.

Zwar schreibt er voller Zartheit über die fantastischen Aufbruchsjahre in Paris, von 1921 bis 1928 lebt Hemingway mit Ehefrau in der französischen Hauptstadt. Neben dem Savoir-vivre in den Bistros und Restaurants ist diese Zeit jedoch auch mit schmerzlichen Erinnerungen verbunden. Oft erscheint der Mittzwanziger aus Chicago nicht im besten Licht. Ernest lästert über Freunde und Förderer, er spuckt ziemlich große Töne und er klettert auf ein hohes Roß.

Doch das Allerschlimmste: Mit voller Absicht setzt er seine Ehe mit der wunderbaren Hadley in den Sand. Kein Wunder, dass sich der alternde Autor in seinem letzten Wohnort Ketchum monatelang durch die Entwürfe quält. Bis zu seinem Tod im Juli 1961 sitzt er an dem Manuskript, ohne die Kraft, es zu einem Ende zu bringen.

Er möchte sich an die schöne Zeit in Paris klammern, er will die aufopferungsvolle Liebe von Hadley nochmals spüren, er will jung und kraftvoll in die Welt treten, wie damals. Als Schriftsteller hat er alles erreicht, was es zu erreichen gibt. Als Mensch, nun ja, es pflastern zu viele Niederlagen seinen Weg. Und wenn er ehrlich zu sich ist, in der Liebe, da ist er gescheitert. 

Ernest vermag nicht, die Pariser Skizzen zu vollenden. Es fängt schon beim Titel an. Seine Titelvorschläge hält er auf einer Liste fest, die er im April 1961 an seinen Verleger übermitteln will, doch er

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Der schönste Hemingway-Satz: unverwundbar in Paris

Ernest Hemingway Paris
Paris hat nie ein Ende, aber vielleicht vermittelt Ihnen dieses Buch etwas Wahres über die Menschen und Orte und das Land zu der Zeit, als Hadley und ich uns für unverwundbar hielten. Aber wir waren nicht unverwundbar…
Ernest Hemingway: Paris – Ein Fest fürs Leben.

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Vor genau 100 Jahren: Hemingways verschwundener Koffer

Ein Koffer voller Manuskripte verschwindet. Und taucht nie wieder auf.

Ende November 1922 reist Ernest Hemingway von Paris nach Lausanne, um dort über die Friedenskonferenz zwischen Türken und Griechen zu berichten. Die Türkei unter Kemal Atatürk hat den Krieg gewonnen, und nun stehen unter Schirmherrschaft des Völkerbundes die Verhandlungen über die Gebietsaufteilungen an.

Am 2. Dezember macht sich Ehefrau Hadley auf, um ihren Ehemann in der Schweiz zu besuchen. Im Gepäck auch ein kleiner Wochenend-Koffer voller Manuskripte, inklusive Duplikate. Ernest, der in den USA einen Verleger für seine Erzählungen und Gedichte sucht, will dem befreundeten Journalist Lincoln Steffens seine bisherigen Arbeiten zeigen. Vielleicht kann dieser in der Heimat ein gutes Wort für ihn einlegen. 

Am Gare de Lyon besteigt Hadley den fast leeren Zug. Die Koffer verstaut sie im Gepäckfach, sie nimmt ihren Sitz ein. Durch das Fenster erblickt sie einen Kiosk, der Erfrischungen verkauft. Kurzentschlossen springt Ernests Ehefrau aus dem Zug und kauft eine Flasche Evian als Reiseproviant. Nach wenigen Minuten ist sie zurück in ihrem Zugabteil.

Entsetzt stellt sie fest, dass der Weekender fehlt. Der kleine Koffer mit Ernests Manuskripten ist gestohlen. In Panik sucht sie den Schaffner. Gemeinsam gehen sie durch die Wagons, doch nirgends ist die Reisetasche aufzufinden. Eine Katastrophe! Die Arbeit eines ganzen Jahres verloren. Hadley ist am Boden zerstört.

Am nächsten Morgen erreicht der Zug Lausanne, tränenaufgelöst tritt Hadley ihrem Mann gegenüber. Der Verlust ist

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Ernest Hemingways bittersüße Lebensbeichte: Pariser Schurkereien

Ernest Hemingway: Paris – Ein Fest fürs Leben.

Ab Herbst 1957 beginnt der Schriftsteller auf Kuba seine Arbeit an den Pariser Skizzen, wie er das Manuskript zunächst nennt. Nach der Übersiedlung in die USA im Jahr 1959 befasst der Nobelpreisträger sich in seinem neuen Wohnort Ketchum weiter mit den Fragmenten aus Paris und aus Schruns. Es ist das einzige Manuskript an dem der hinfällige Autor arbeitet, er will die schönen 1920er Jahre festhalten, denn er ahnt, was da kommen wird.

In den letzten Lebenswochen schreibt er sich den Kummer von der Seele, er versetzt sich zurück in die heitere Welt seiner sechs Pariser Jahre, in die Winterurlaube im Vorarlberg und ein letztes Mal huldigt der schwerkranke Ernest seiner großen Liebe. Der Unmut über den eigenen Fehltritt brodelt in ihm.

Das Werk wird erst nach seinem Ableben veröffentlicht, redigiert von seinem engen Freund A. E. Hotchner. Im Jahr 1964 erscheinen, gegen den erbitterten Widerstand seiner letzten Frau Mary, die Erinnerungen unter dem Titel Paris – Ein Fest fürs Leben. Von einem alternden Mann geschrieben, die eigene Endlichkeit vor Augen, erinnert die gemütvolle Erzählung mit Melancholie an die unbekümmerten Monate in Europa.

Trotz allen Frohmuts kann man das Buch zugleich als eine Art bittere Lebensbeichte des sterbenskranken Ernest Hemingway lesen. In Paris – Ein Fest fürs Leben breitet er seine Seele aus, wie in keinem anderen Werk. Die Erzähl-Fragmente lesen sich wie eine Liebeserklärung an Paris, an die mitreißende Zeit, von Ende 1921 bis Frühjahr 1928 wohnt er mit Hadley in der quirligen Metropole an der Seine.

Es sind zugleich seine Anfänge als Schriftsteller, das kreative Aufbegehren der verlorene Generation, ein Umsturz in Literatur, Malerei und Architektur, der in der Moderne münden wird. Man spürt in Paris – Ein Fest fürs Leben die beglückende Atmosphäre, die Paris in jenen Jahren so auszeichnete. In allererster Linie jedoch sind die Episoden aus Paris und aus dem Montafon eine Liebeserklärung an seine Hash.

An Hadley, jene Frau, für die er wohl das tiefste Gefühl empfunden hat und jene, die ihn bedingungslos geliebt hat. Sein erstes großes Werk The Sun Also Rises widmet er seiner ersten Ehefrau und dem Sohn. Hadley und John Hadley Nicanor zugeeignet. In Europa heißt der Roman Fiesta, es wird 1926 sein Durchbruch. Mit einem Mal ist er ein Popstar.

Wie kein anderer Mensch hat Hadley an ihn geglaubt, damals, als er noch ein kleines Licht gewesen ist in der bescheidenen Wohnung in der Rue Cardinal-Lemoine. Und sie hat ihn aufgebaut, wenn von den amerikanischen Verlagen eine Ablehnung nach der anderen in Paris eintrudelte. Diese wunderbare Liebe schlägt Ernest Hemingway im winterlichen Vorarlberg eigenhändig tot, mausetot.

Von seiner Seite ist es eine kaltschnäuzige Schurkerei, die ihn selbst bis zu seiner letzten Stunde als seelische Verwundung umtreiben sollte. Und er weiß, dass er das Desaster ganz alleine verbockt hat. Ich war es, der die Schuld daran auf sich nehmen und besitzen und verstehen musste. Hadley, die Einzige, die keinerlei Schuld daran trug, kam am Ende gut aus der Sache heraus und heiratete einen viel besseren Mann, als ich je gewesen war oder jemals zu sein hoffen konnte…

Doch der übermütige Ernest, berauscht vom sich andeutenden Erfolg als Buchautor, kann die

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Ernest Hemingway in Paris – Abschied aus dem Paradies

Ernest Hemingway Paris
Der Mann geht, sein Mythos bleibt. Im Le Pré aux Clercs, seinem Lieblingslokal in den ersten Wochen, erhalten die Bücher eine Ehrenreihe oberhalb der Schanktheke. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

In den Vereinigten Staaten zeigen sich die Leser verstört, als sie sich 1926 durch die Seiten seines in Paris geschriebenen Romans The Sun Also Rises arbeiten. Ernest Hemingways unverhohlene Schilderung der sexuellen Laxheit in den französischen Künstlerkreisen und die Zechtouren in Paris und Spanien wirken Mitte der 1920er Jahre auf das biedere Publikum – es ist das Jahrzehnt der Prohibition in den USA – wie ein Horrortrip durch das Reich des Satans.

Der beschwingte Alltag in Paris inspiriert den jungen Amerikaner, ebenso wie die zahlreichen Museen und Galerien seinen Horizont erweitern. Auch das freie Leben weiß er, der in der freudlosen Bigotterie der Vorstadt aufgewachsen ist, zu schätzen. Die Leidtragende ist Hadley. Denn mit der ehelichen Treue hält er es von Beginn an locker bis oberlocker.

Mit der acht Jahre älteren Hadley Richardson hat er einen mütterlichen Frauentyp geheiratet. Ernest ist glücklich, auch weil er geliebt wird, ebenso wie die Geburt des Sohnes John im Oktober 1923 ihn erfreut. Aber es reicht ihm nicht, sein Nachholbedarf scheint enorm. Es ist fast so, als sei er von der Obsession befallen, etwas zu verpassen im Leben.

Auf ein Experiment lässt Ernest sich mit der androgyn auftretenden Pauline Pfeiffer ein. Die Modejournalistin ist klein, dünn, flachbrüstig, ganz und gar nicht sein Beuteschema, doch irgendetwas zieht ihn an. Die lebhafte Pauline tritt so ganz anders auf als die fürsorgliche Hadley. Pauline passt in die damalige Zeit und sie passt zu Paris. Aber passt sie auch zu dem Schriftsteller?

Ernest Hemingway hängt einem traditionellen Rollenverständnis zwischen Mann und Frau nach, er bewundert Hadley als verständnisvolle Ehefrau und aufopfernde Mutter. Einerseits braucht er dieses althergebrachte Muster als Fundament für seinen Alltag, doch andererseits verliert er schnell die Lust am konventionellen Idyll. Ernest will in Paris ausprobieren, er will sich heraus trauen aus der heilen Welt der Kirchgänge und Hauskonzerte in Oak Park.

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Verneigung vor einer Stadt, die aus einem alten Bahnhof ein wunderbares Museum machen kann. Musée d’Orsay. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Bei seiner Abnabelung in Paris stellt sich heraus: Er ist ein lausiger Ehepartner. Dabei überraschen weniger seine Seitensprünge, schlimm genug, vielmehr verstört die Rücksichtslosigkeit mit der Ernest Hemingway die Partnerschaft mit seiner großen Liebe abhakt. Ohne mit der Wimper zu zucken und ohne jedes Schuldgefühl wendet er sich von Hadley ab. Freundschaften kann er hegen und pflegen, doch seine wunderbare Ehefrau hintergeht er auf charakterlose Art und Weise.

Diese emotionale Skrupellosigkeit wird man zukünftig als Schablone auf sein Verhalten gegenüber Frauen und Partnerinnen legen können. Die Bewunderung anderer Frauen tut ihm gut, die sexuellen Eroberungen plustern sein Selbstwertgefühl auf. Sein Durchbruch als Schriftsteller Mitte der 1920er Jahre setzt ihn zusätzlich unter Strom. Quasi parallel zum Erfolg als Autor läuft seine Karriere nun auch als Schürzenjäger peu à peu zu Hochtouren.

Doch je mehr die Kerben in seinem Revolver zunehmen, desto dünnhäutiger wird er. Weil er in seinem Wertegerüst nicht stabil ist und auch, weil seine Persönlichkeit in Sachen Liebe emotional nicht mitwächst. Wenn er das Gefühl hat, von einem Menschen gekränkt zu werden oder in seinen Empfindungen verletzt zu sein, dann reagiert er wie ein angeschossenes Raubtier. Er kontert dann mit offener Aggression, mit kaum verborgenem Hass, er verhöhnt die betreffende Person lang und breit in seinen Werken.

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Im Panthéon, der Ruhmeshalle der Nation, sind von Voltaire über Émile Zola bis André Malraux die großen Schriftsteller Frankreichs bestattet. Mit Josephine Baker wird auch eine US-Amerikanerin geehrt. Wenn er nicht falsch abgebogen wäre, möglicherweise wäre noch Platz für einen weiteren Amerikaner gewesen. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Am schlimmsten ist es, wenn er nicht genug beachtet wird. Dann entlädt sich umgehend seine Wut. Gerade auf Frauen. Wenn er sich wieder einigermaßen beruhigt hat, dann merkt er schon, dass eine abermalige Niederlage dazu gekommen ist. Und er selbst es gewesen ist, der sich eine weitere Narbe in seine Seele eingeritzt hat. Und bittere Niederlagen gibt es zuhauf.

Warum vermag Ernest nicht, die rückhaltlose Liebe seiner Ehefrau wertzuschätzen? Am Ende steht die bittere Scheidung. Wer eine solch wunderbare Frau wie Hadley ablegen kann, der wird auch Paris ablegen. Ernest reitet sich immer tiefer ins Desaster. Denn Paris kann man nicht ablegen, so wie man eine alte Jacke in die Kleidersammlung gibt. Und auch Hadley zu verlassen, ist ein schwerer Fehler. Er wird seine Riesendummheit einsehen, spät, sehr spät. 

In seinen letzten Lebenstagen in den Bergen Idahos kreisen seine Gedanken oft um Hadley und Paris. Er telefoniert mit ihr, es erinnert ihn an die schöne Zeit in der Stadt an der Seine. Wenn Du das Glück hattest, als junger Mensch in Paris zu leben, dann bleibt die Stadt bei Dir, einerlei wohin Du in Deinen Leben noch gehen wirst, denn Paris ist ein Fest fürs Leben.

Wie kein anderer Ort hat Paris, nur drei Buchstaben vom Paradies entfernt, diesen garstigen Romantiker aus dem Norden Amerikas geprägt. Hemingway und Paris – es hat wunderbar gepasst. Er lebt in der lässigen Ungezwungenheit von Paris, weiß im Grunde aber nicht,

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Des Autors Schlaraffenland: Ernest Hemingway in den Cafés und Brasserien von Paris

Im Les Deux Magots trafen sich in den 1920er Jahren vor allem die Maler und Schriftsteller der Stadt. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Ein beschwingtes Panorama tut sich auf vor Ernest Hemingway. Gaumenfreude in allen Variationen, Bier und Wein, ein nie gekanntes Schlaraffenland. Kneipen, Cafés, Bistros, Brasserien, Restaurants. Dazu Pâtisserien und  Boulangerien. Speisen und Getränke – besser geht es nicht auf dieser Welt. Insbesondere wenn man sich vor Augen hält, dass in seiner Heimat in jenen Jahren eine freudlose Prohibition herrscht. Zu zahlreich sind die kulinarischen Versuchungen, denen ein Amerikaner in Paris ausgesetzt wird.

Literarisch bleibt bemerkenswert, wie Ernest Hemingway all den Pariser Kolorit in seine Erzählungen einfließen lässt. So baut er nicht nur die Lokalitäten auf als Szenerie, vielmehr fügt er sie in aller Selbstverständlichkeit ein in seinen Alltag. All die wunderbaren Orte und Plätze der Metropole an der Seine werden somit zu Akteuren seiner Erzählungen.

Beispielsweise entwickeln die Kellner in seinen Erzählungen ein Eigenleben, sie werden von diesem Schriftsteller behandelt wie antike Götterboten. In der Kurzgeschichte Ein sauberes, gutbeleuchtetes Café – die Geschichte spielt zwar etwas später in Spanien, ist von der Machart für Hemingway allerdings schlechthin stilbildend – rücken sie mit einem Mal zu Hauptakteuren auf.

Ernest entwickelt ein gutes Gespür für die Feinheiten seiner Wahlheimat. Andernorts ein Job für Aushilfen, verfügt ein Garçon in den eleganten Pariser Restaurants und Brasserien über eine Stellung, die von Kultiviertheit und Tradition geprägt ist. Er kleidet sich auch nicht wie vom Flohmarkt, sondern umhegt den Gast in einem weißen Hemd mit Binder, einer Weste und einer Schürze. Diese Gepflogenheit mag auf die moderne Welt altmodisch wirken, signalisiert dem Gast freilich, in behaglicher und fachkundiger Obhut zu weilen.

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Die deftigen Speisen der Brasserie Lipp werden auf edlem Geschirr serviert: So das Blanquette de veau, ein Kalbsragout, und das Gigot d’Agneau rôti, ein Lammbraten. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Neben dem magischen Dreieck am Boulevard Saint-Germain – dem Café de Flore, dem Les Deux Magots und der famosen Brasserie Lipp – ist ganz Paris ein Garten Eden für jeden Genießer. Ernest Hemingway, kein Kind von Traurigkeit, nutzt die Offerten weidlich aus. Weil es in den Wohnungen der Künstler eng oder kalt ist, oder gleich beides, trifft man den Reporter des Toronto Star häufig in den Cafés und in den Brasserien rive gauche.

Mit dem Rücken zur Wand sitzt Ernest Hemingway dann meist alleine an einem der kleinen Bistro-Tische, stundenlang, ganz so, als gehöre er zum Inventar. Ich konnte immer in ein Café gehen und schreiben und konnte den ganzen Vormittag bei einem Café Crème arbeiten, während die Kellner das Café säuberten und ausfegten und es nach und nach wärmer wurde.

Der Schriftsteller aus Chicago beobachtet, was er am allerliebsten tut, und er notiert Seite um Seite in sein Notizbuch. Die Fragmente seiner Kurzgeschichten, mit der Hand vorgeschrieben, erblicken in diesen Cafés das Licht der Welt. In Paris – Ein Fest fürs Leben nimmt uns der junge Autor mit auf eine Spritztour durch die Pariser Brasserien und Bistros der 1920er Jahre.

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Le Dôme, ein feines Restaurant mit feiner Speisekarte, erhält von Ernest Hemingway sogar ein eigenes Kapitel. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Le Dôme am Boulevard du Montparnasse 108 wird gar in der Überschrift einer Kurzgeschichte geadelt. Mit Pascin im Dôme heißt die launige Erzählung. In dem Lokal trifft Ernest Hemingway auf den bulgarischen Maler Jules Pascin, einen Expressionisten vom Jahrgang 1885, der zumeist nackte Frauen malt. Pascin bittet den Amerikaner an seinen Tisch, wo der betrunkene Maler mit zwei sehr aufreizenden Models sitzt. Es entspannt sich eine – nun ja – anregende Konversation. Auch in unseren Tagen bleibt Le Dôme, nun vor allem ein elegantes Fischrestaurant, einen Besuch wert.

La Rôtonde, Boulevard du Montparnasse 105, ist besondern bei den Malern beliebt. Und bei den Politikern. Lenin und Trotzki heckten hier ihre Revolutionspläne aus. Über Jahrzehnte diente es Pablo Picasso als zweites Wohnzimmer. Noch heute ist das stilvolle Restaurant populär. Emmanuel Macron feierte in der Rôtonde seinen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen im Mai 2017.

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An der Fassade erinnert eine Plakette an den prominenten Besucher der Dingo Bar. Obwohl es diese heute gar nicht mehr gibt. Sie heißt nun L’Auberge de Venise. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

In der Dingo Bar, in der Rue Delambre 10, einer Seitenstrasse des Boulevard du Montparnasse, treffen sich Ende April 1925 der noch unbekannte Ernest Hemingway und F. Scott Fitzgerald zum ersten Cocktail von vielen. Fitzgerald hat wenige Tage zuvor mit seiner Neuerscheinung The Great Gatsby für Aufsehen gesorgt. Der Name Dingo Bar ist schon lange Geschichte, seit 1989 residiert hier ein italienisches Gourmet-Restaurant mit Namen L’Auberge de Venise. Ein Messingschild klebt noch an der Fassade und erinnert an den berühmten Gast.

La Coupole ebenfalls am Boulevard du Montparnasse, die Nummer 102, ist eine elegante Brasserie im Art-Déco-Stil. Die Lokalität ist jung, erst im Jahr 1927 eröffnet. Die kunstfertigen Innensäulen der La Coupole – zu Deutsch: Die Kuppel – werden zur Einweihung von 27 Pariser Malern dekoriert. Ernest Hemingway besuchte die noble Coupole am liebsten in Begleitung schöner Frauen, so mit Marlene Dietrich und Ava Gardner in den 1950er Jahren.

Le Falstaff in der Rue du Montparnasse 42 ist – ebenso wie das ehemalige Dingo – Hemingways Lieblingsplatz, um zu trinken. Es sind einfache Bars gewesen, ohne jeden modischen Schnickschnack und nicht so herausgeputzt wie die anderen Lokalitäten in Montparnasse. Hier konnte man sich ein, zwei Bier genehmigen, ohne schief angeschaut zu werden.

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Le Select am Boulevard du Montparnasse. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Das Le Select, 1923 gegründet, ist eine Brasserie mit traditioneller französischer Küche und Cocktails am Boulevard du Montparnasse 99. Vornehm und schön, eine Stilikone der 1920er Jahre, mit Holztischen und Bänken. Das preiswerte Menu Select – bestehend aus dem Plat du Jour, einem Getränk und einem Café zum Ausklang – ist keine schlechte Wahl für den schnellen Mittagshunger.

Der kulinarische Streifzug kann nur ein Ausschnitt des Kneipen-Rundblicks bleiben, der sich Ernest Hemingway in der französischen Hauptstadt eröffnet. Paris, als Schriftsteller braucht er die Stadt, so wie ein Mensch die Luft zum Atmen braucht. Die imposante

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