Das Portal zu Leben und Werk von Ernest Hemingway

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Warum ‚Fiesta‘ ein Juwel der Weltliteratur ist

Fiesta
The Sun Also Rises
So kündigt der Verlag Charles Scribner’s Sons aus New York das Debüt seines Autors Ernest Hemingway für den 22. Oktober 1926 an. Es ist ein Freitag.

Es brauchte seine Zeit, bis ich mit diesem Roman so richtig warm wurde. Als ich das erste Mal Fiesta las, da fand ich die Erzählung lau, bisweilen gar langatmig. Bei der nochmaligen Lektüre, Jahre später, da erlebte ich das Sittengemälde aus den 1920ern durchaus anregend. Und wenn ich heute Ernest Hemingways Debüt zur Hand nehme, dann streckt es mich jedes Mal nieder.

Denn Fiesta – im amerikanischen Original heißt das Werk The Sun Also Rises – ist hohe Kunst. Es vergeht kein Wiederlesen, bei dem ich nicht neue Schmucksteine und Kleinode entdecke. Besonders, wenn es gelingt, sich in den historischen Kontext der Geschichte einzufühlen. Es geht um die taumelnde Zeit zwischen den beiden schrecklichen Weltkriegen.

Ernest Hemingways Fiesta fällt im Oktober 1926 in die Welt der Literatur ein wie einst die Jakobiner in die Paläste der Aristokratie. In der Sprache einfach und volksnah, in Botschaft und Wirkung brachial. Der Erste Weltkrieg hat auch die Kultur zerstört. Es braucht etwas Neues, von Tradition gespeist, ein Neustart mit frischen Werten und Idealen. Ebenso sollte das Themen-Panorama sich öffnen und weiten. Und so geht es in Fiesta um die durch den Krieg verlorenen Sicherheiten und um die Sinnsuche in Zeiten der Orientierungslosigkeit.

Allein der neuartige Stil der Erzählung gleicht einer Revolution: kühl, ohne Schnörkel, alles weit weg von jedem viktorianischen Erziehungs-Habitus. Das Geschehen wird vielmehr durch persönliches Erleben des Autors verbrieft, auch deshalb passt das Werk zum Autor. Es ist ein glaubwürdiger Blick durchs Schlüsselloch in die unbekannte Welt hinter den Bergen. Die geschwätzige Blümchen-Prosa der Vätergeneration à la Charles Dickens ist mit einem Schlag passé.

Wie geschickt Ernest Hemingway seine Erzähl-Perspektive anlegt, mag man zu Anfang des 12. Kapitels von Fiesta erkennen. Man liest schnell über diese Passage hinweg und bemerkt dadurch die Finesse des Textes nicht.

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So – scheinbar – harmlos fängt das Kapitel 12 von Fiesta an.

Ernesto nimmt uns mit in eine fremde Welt – das wann und wo verrät er hier nicht – und so müssen wir uns selber hineinfinden. Es ist die Zeit nach der Postkutsche und während des Aufkommens der Motorbusse. Wir befinden uns in einem Land am Fuße eines Gebirges, das Ambiente ist bäuerlich, der Ziegenbock springt umher. Der Protagonist steht auf und öffnet das Fenster seines Zimmers, so wie wir nun durch das geöffnete Fenster in die Handlung hinausgeworfen werden. Keine Gefühlsregung wird geäußert, wir müssen uns selber ein Reim auf das Ganze machen.

Unsere Stadt heißt Pamplona. In der nordspanischen Kleinstadt lässt der 27-jährige Hemingway seinen Erstling überwiegend spielen. Mit einem Mal werden die Sanfermines, bis dahin ein lokales Ereignis in einem weitgehend unbekannten Land, mit seinen Stieraufläufen, den Prozessionen und Tänzen ins Bewusstsein der Welt katapultieren. Um die blutige Fiesta herum entwirft der junge Novize ein Kaleidoskop menschlicher Irrungen und Wirrungen.

Die amerikanischen Protagonisten auf Entdeckungsreise in Pamplona lassen kein Laster aus: Abenteuer, Stierkampf, sexuelle Ausschweifungen und vor allem Alkohol. Fiesta ist ein grandioses Epochen-Porträt zwischen zwei schlimmen Kriegen, ein Blick auf die Verlorenheit, die mit viel Schnaps weggetrunken werden möchte. Themen wie Liebe, Sex, Männlichkeit, Exzess und die Suche nach der eigenen Rolle im Leben spielen in dem Roman eine zentrale Rolle.

Durch den Weltkrieg sind die zuversichtlichen Aufbruch-Werte der Belle Époque perdu. Denn die Schlacht ist abscheulich gewesen. Alle Kriege sind grauenhaft, aber dieser war es besonders, wegen seiner Sinnlosigkeit. Wer ist Gegner, wer der Freund? In der Katastrophe zwischen 1914 und 1918 sind die Rollen fließend verteilt, ein Stück ist man in das Inferno hineingeschlittert. Ein Krieg der Schlafwandler, wie es der australische Historiker Christopher Clark treffend umschrieben hat.

Am Ende des Krieges stehen alle als Verlierer da. Deutschland mit Hyperinflation, Reparationen und einer noch größeren Tragödie vor Augen. Aber auch der Gewinner, die USA, sehen einem düsteren Jahrzehnt entgegen, das 1929 in der Weltwirtschaftskrise detonieren wird. Prohibition, Wirtschaftsdepression und die aufkommende Mafia lassen die Zeiten auch in den USA trostlos erscheinen. Die Welt wird in den Abgrund gezogen, es ist eine leidvolle Dekade allerorten. 

Und so wird in The Sun Also Rises aka Fiesta nichts ausgelassen, was zwischen erwachsenen Menschen so passieren kann. Liebeleien, Seitensprünge, Obsessionen, Schlägereien, Saufgelage. Hemingway selbst umschreibt seinen Roman als eine verdammt traurige Geschichte, in der aufgezeigt wird, wie Menschen zugrunde gehen. Ich vermute, Ernesto will eigentlich eins draufsetzen und sagen, wie die ‚Menschheit‘ zugrunde gehen kann.

The Sun Also Rises

The Sun Also Rises heißt das Original. In Europa wird säkular der Titel Fiesta daraus.

Doch wo bleibt die Hoffnung? Der Autor, der in Paris lebt, deutet sie im biblischen Vor-Zitat gleich zu Beginn seines Buches an. Ein Motto des Predigers Salomo als Denkspruch, es wird zum Leitgedanken von Fiesta. Ein Geschlecht vergeht, das andere kommt; die Erde aber bleibt ewiglich. Dieser Rabauke, der nichts auslässt im Leben, liegt in dieser Hinsicht goldrichtig: Eine Generation geht, eine andere kommt. Das Wesen von Blühen und Vergehen. Hier findet man Trost: Auch das Schlechte wird verblühen, so wie das Gute neu gedeiht.

Das Schöne an Hemingways The Sun Also Rises ist, dass er nicht nur die Orientierungslosigkeit und die Dekadenz des Zeitalters beschreibt, sondern zugleich auch einen Lösungsansatz andeutet. Das Hinauswagen auf unbekanntes Terrain, die Unerschrockenheit und die Entdeckerfreude, die Neugier auf eine neue Kultur. Sich das Andersartige und das Fremde anzuschauen. Andere Menschen und ihre Gepflogenheiten wertzuschätzen.

Und darüber hinaus – wo auch immer – die Stille der Natur zu suchen. Ernest beschreibt, wie er seine äußere und innere Ruhe findet in den Ausläufern der Pyrenäen, an den einsamen Bächen rund um das Kloster Roncesvalles. Durch den Kontrast zur lärmenden Fiesta unten im Pamplona geht der Blick nach oben, in die Berge, in die Ruhe und den Frieden. Möglicherweise ganz in der Höhe.

Abermals bestaunen wir den Zwiespalt, der für Hemingways Werk so typisch ist. Auf der einen Seite das desillusionierte Karussell von Laster und Eitelkeiten, das sich um Saufen, Stierkampf, Krieg und Tod dreht. Auf der anderen Seite die Vergötterung der Natur, die anmutigen Bäche in den Pyrenäen-Tälern, wo Jake Barnes, der Protagonist, angelt und Erdverbundenheit sucht.

The Sun Also Rises. Die Fiesta findet irgendwann ihr Ende. Das Blut des Spektakels ist noch

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Die Bars und Restaurants als Vorhalle zum Paradies

Café de Flore, Paris
Das Café de Flore. Das Basislager der Künstlerwelt in Paris. Foto: W. Stock, 2022.

Als Ernest Hemingway im Winter 1921 in Paris ankommt, da tritt er ein in eine für ihn fremde Welt. Aus Oak Park stammend, einem bigotten Vorort von Chicago, mit den Sonntagskonzerten, dem Kirchgang und dem biederen Alltagstrott, wird er aus dem Mittleren Westen der USA mit einem Mal hineingeschmissen in einen aufregenden Kosmos.

Eine solche Kultur rund um die Bars und Kaffeehäuser mag es in Paris und Wien geben, nicht jedoch im calvinistisch geprägten Chicago. Und schon gar nicht in den rechtschaffenen Vorstädten mit ihren hausbackenen Gepflogenheiten. Ganz anders Paris. Das Leben spielt sich ab in den Bars rund um den Boulevard Montparnasse, wo sich die Künstler tummeln, wo Revolutionäre Schach spielen und die Bohemiens aller Ausprägungen gesehen und gehört werden wollen.

Schnell beginnt Ernest Hemingway zu begreifen, welche Mission die Bars und Restaurants in diesem Wahnsinn erfüllen. Die Closerie des Lilas, das Café de Flore, das Le Dôme oder das Le Select. Diese Schauplätze umweht ein Geheimnis. Denn es sind nicht nur Örtlichkeiten zum Trinken und Essen. Es sind ebenso Wirkungsstätte zum in sich kehren und zum Kraft tanken. Ein Basislager des suchenden Menschen, um seine Mitte zu finden und seine Rolle im kleinen Leben.

Irgendwie scheinen es heilige Orte, die Zuflucht gewähren und Zuversicht ausstrahlen. Im Grunde sind es sakrale Stätten wie die Kirchen und Kapellen in seiner Heimat. Schutzorte und notwendige Stützpunkte in stürmischen Zeiten. Unantastbare Plätze. Viele dieser Lokalitäten sehen deshalb heute so aus wie damals.

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Wie eine Gedenktafel im Kirchenhaus. Das Café de Flore vergisst die Seinen nicht. In Dankbarkeit. Foto: W. Stock, 2022.

Eine Bar steht – pars pro toto – für die entsprechende Stadt. Die Close für Paris und das Café Iruña für Pamplona. Doch wie so oft bei Hemingway, man muss mental einen zusätzlichen Schritt wagen. Die Bars stehen auch für Lebensfreude und Erleuchtung. Im Grunde genommen postieren sie sich als Platzhalter für das Paradies.

Man beachte, wie Ernesto die Akteure seiner Erzählungen skizziert. Barbesitzer verteilen das Manna und den Wein, erhalten mitunter eine gottähnliche Aura. Barkeeper missionieren wie Petrus, bei ihnen wird gebeichtet und gebetet. Selbst die Kellner. Sie werden von Hemingway nicht wie Dienstleister dargestellt, sondern eher wie Götterboten.

So scheinen die Bars und Restaurants wie eine Pforte zum Himmelreich. Als irdisches Gotteshaus, das nicht verbietet, sondern die Daseinsfreude feiert. Als Orte, um dem Ideal ein wenig näher zu kommen. Und auch, um sich dem

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Ernest Hemingway. Place de la Concorde, Numéro 4. In Paris

Ernest Hemingways Bank-Quittung aus dem Jahr 1938. Die Guaranty Trust Company of New York. Mehr als nur eine Bank.

Als der amerikanische Schriftsteller mit Familie im März 1926 zum Winterurlaub im österreichischen Schruns weilt, nutzt er im Hotel Taube eine merkwürdige Meldeadresse. 4, Place de la Concorde, Paris. So schreibt sich der junge Journalist ins Gästebuch ein. Darunter setzt er den Namen seiner Frau, Hadley R. Hemingway und den des Sohnes John Hadley Nicanor Hemingway. „Zwei Jahre, fünf Monate“, hat die Wirtsfamilie Nels ergänzend dahinter gesetzt.

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In seiner Schrunser Ferien-Unterkunft Hotel Taube setzt Ernest Hemingway unter seinem Namen als Anschrift die Pariser Adresse 4 Place de la Concorde. Daneben den seltsamen chez-Zusatz: Guaranty Trust  Co. of N. Y.

Alles schön und gut. Doch an der feinen Place de la Concorde wohnt der amerikanische Korrespondent nicht. Seit Anfang Februar 1924 hat die dreiköpfige Familie eine Unterkunft in der Rue Notre-Dame-des-Champs Nummer 113 bezogen. Das Viertel mit seinen breiten Straßen und den traditionellen Stadtvillen im 6. Arrondissement ist teuer, in diesem Quartier residiert das wohlhabende Bürgertum von Paris. Die Closerie des Lilas, sein Lieblings-Café, liegt um die Ecke.

Die Anschrift Place de la Concorde Nummer 4 ist gleichwohl von anderem Kaliber. Zwischen dem Jardin des Tuileries und der Avenue des Champs-Elysées findet sich diese pickfeine Adresse. Auch der Louvre ist nicht weit weg. Sicherlich gehört die Place de la Concorde mit ihren klassizistischen Monumentalbauten zu den besten Anschriften in Paris.

Nun fällt mir in diesen Tagen die Hemingway-Quittung eines Bankhauses in die Hände, auf der wiederum die mysteriöse Adresse auftaucht. Guaranty Trust Company of New York ist eine amerikanische Bank, sie residiert just an der Place de la Concorde Nummer 4. Üblicherweise hat der Schriftsteller bei seinen Aufhalten in Paris seine Geldgeschäfte über dieses Finanzinstitut getätigt.

Zugleich hat Ernest das Bankhaus wohl auch als Postadresse verwendet. Eine ebenso pragmatische wie prestigeträchtige Maßnahme des Weltenbummlers. Früher ist es durchaus üblich gewesen, Bankadressen als Anlaufstation für persönliche Briefe und Päckchen zu nutzen. Ich kann mich noch gut an die 1970er Jahre erinnern, als ich in Indien, Mexiko und Südamerika herumturnte und die Stadtbüros des American Express als Poststelle nutzte.

Die Guaranty Trust Company of New York ist ein angestammtes Geldhaus gewesen, heute allerdings nicht mehr existent. Im Jahr 1959 ist der Guaranty Trust mit J. P. Morgan verschmolzen worden unter dem Merger-Namen Morgan Guaranty Trust Company. Später erfolgt dann eine Fusion mit der Chase Manhattan Bank.

Meiner Quittung zufolge hat Ernest Hemingway am 6. Mai 1938 bei dieser Geschäftsbank zwei Schecks eingezahlt. Der eine über den Betrag von 200 Dollar, der andere in der Höhe von 188,68 Dollar. Eine Menge Geld damals, dieser Gesamtbetrag von 388,68 Dollar, wir schreiben das Jahr 1938. Heutiger Kaufkraft entsprechend macht dies rund 8.500 Dollar aus.

Wir schreiben den 6. Mai 1938. Der damals bereits berühmte Reporter befindet sich auf dem Sprung nach Valencia und Madrid, wo er über den Bürgerkrieg berichten will. Am 16. Mai ist er wieder in Paris. Da besucht er Sylvia Beach in ihrer Buchhandlung Shakespeare & Company, wo beide über den Krieg in Spanien diskutieren. Ende Mai fährt Hemingway dann mit der Normandie zurück nach New York.

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In Paris – Ein Fest fürs Leben erwähnt Ernest Hemingway den Guaranty Trust. Er zahlt dort seinen Wettgewinn vom Pferderennen ein.

Den Guaranty Trust hat Ernest in Paris – Ein Fest fürs Leben in einer kurzen Passage erwähnt. Dort ruft er sich seine schöne Zeit in der französischen Hauptstadt ins Gedächtnis. Manche Beobachter sehen den Autor am 6. Mai jedoch

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Ernest Hemingways Bücher in der DDR

Ernest Hemingways Paris – Ein Fest fürs Leben hieß in der DDR leicht abgewandelt: Ein Fest fürs Leben. Zwanzig Pariser Skizzen. Auch nicht schlecht! Foto: W. Stock, 2025.

In einem Antiquariat erstehe ich ein kleines Konvolut mit Büchern und Veröffentlichungen von Ernest Hemingway, die vor fünf Jahrzehnten in der Deutschen Demokratischen Republik verlegt worden sind. Im deutschen Sozialismus also. Ein Fest fürs Leben. Zwanzig Pariser Skizzen. Ich lese die Ausgabe als Ausweis für die Reputation dieses Jahrhundert-Autors im Kommunismus. Aus dem Reclam Verlag, Leipzig. Verkaufspreis 2 Mark (DDR).

Das ostdeutsche Verlagshaus hat für sein Verbreitungsgebiet eine Unterlizenz des Rowohlt Verlags in Hamburg erstanden. Als Übersetzerin zeichnet Gudrun Strelow verantwortlich. Änderung zur westdeutschen Fassung erfolgen allerdings in homöopathischer Dosis, mal wird hier ein Verb geändert oder ein Adjektiv getauscht. Ein umsichtiger Schachzug. Die bewährte Übersetzung von Annemarie Horschitz-Horst schlägt weiterhin voll durch. Der Hemingway-Sound bleibt damit gesichert – hüben wie drüben.

Gibt es darüber hinaus Unterschiede zur westdeutschen Ausgabe? Zunächst fällt auf, dass man eine solche Unterlizenz nicht als Erzeugnis für die Resterampe angelegt hat. Man hätte – wie im Verlagsgewerbe bei Lizenzausgaben oft üblich – die fertigen Satzfilme der Originalausgabe übernehmen und billig nachdrucken können. Stattdessen erstellt der DDR-Reclam Verlag einen neuen Satz und ändert zudem ein paar Kleinigkeiten in der Typografie wie Anführungszeichen und Kursiv-Setzungen.

Damit kommen wir nicht ans Ende aller Mühen. Daneben findet sich in dem DDR-Hemingway ein Anmerkungsteil, der sich inhaltlich auf seine Skizzen bezieht. Dort bekomme ich übersetzt und erklärt, was denn Pommes à l’huile sind oder wer Ernest Walsh war. Meine westdeutsche Ausgabe lässt mich bei diesen Fragen dumm zurück.

Zu den Skizzen gesellt sich ein Nachwort von Gudrun Strelow. Auf 15 Seiten wird das Werk Hemingways scharfsinnig eingeordnet und der Leserschaft die historischen Zusammenhänge vor Augen geführt. Die Zeilen machen zurecht darauf aufmerksam, wie tief der Reifeprozess gewesen ist, den der Amerikaner in Paris durchlaufen hat. Als Mensch und Literat. Es bleibt zu erwähnen, dass Frau Strelow den späteren Nobelpreisträger in ihren Ausführungen fair und profund charakterisiert.

Plus zwölf Zeitdokumente. Dies ist ein gelungener Kniff. Während Hemingway in seinen Pariser Skizzen nebst der Lobrede auf die Seine-Metropole vor allem Kollegen und Freunde porträtiert, schauen die Dokumente ins Spiegelbild. Die Lektoren haben zwölf Texte gesucht und gefunden, mit Anmerkungen von Zeitgenossen über Ernest Hemingway. Die Interviews, Memoirenfragmente und Artikel runden so das Bild ab. Chapeau!

Es wundert nicht, dass die DDR-Variante mit all den Ergänzungen auf 225 Seiten kommt, die westdeutsche Ausgabe sich hingegen mit 125 Seiten begnügen darf. Positiv ist mir zudem aufgefallen, dass der ostdeutsche Verlag uns mit dem marxistischen SED-Gesülze verschont. Es wird kein Versuch unternommen, den Mann aus Chicago ideologisch irgendwie hinzubiegen.  

Dennoch bleibt die Verehrung des Ernest Hemingway für die DDR-Oberen eine Gratwanderung. Schon wegen der unmittelbaren Nachwirkung: Der US-Amerikaner schildert Paris in seinem Werk mit solcher Verve und Anmut, dass man am liebsten sofort die Koffer packen würde. Für DDR-Bürger jedoch ein unerfüllbarer Traum. So erzeugt man Enttäuschung. Da bringt ein Verlag die Lobeshymne heraus auf eine Metropole voll mit Kultur und Lebensfreude, dem geneigten Leser zwischen Rostock und Dresden aber bleibt verboten, selbst einmal nachzuschauen.

Insofern erweist sich ein Weltenbummler wie Ernest Hemingway als überaus heikel für den Sozialismus, sei es in der DDR oder anderswo. Ein Nonkonformist wie er bleibt schwierig einzuhegen. In ein Staatswesen, das nicht das Individuum, sondern das Kollektiv auf die oberste Stufe stellt. Da kann keine aufrichtige Liebe sprießen, es werden höchstens wirklichkeitsfremde Sehnsüchte geweckt.

Vor allem da dieser Nobelpreisträger aus dem Jahr 1954 jemand ist, der sich wenig um politisch Korrektes schert. In diesem Sinne wirkt ein Hyper-Individualist wie Hemingway trotzköpfig auf jede kollektivistische Ideologie. Subtil kommt diese

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Ernest Hemingway – Wie ein wilder Stier

Ernest Hemingway
Idaho
Ein Gewehr, Ernest Hemingway und der Sohn Patrick, genannt Mouse. Es ist Urlaubszeit in Idaho, 1946. Photo Credits: Ernest Hemingway Collection of the John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Ernest Hemingway kann mit Kindern so gar nichts anfangen. Erst als die Söhne groß genug sind, um eine Angel zu halten oder gar ein Gewehr, dann erwacht sein Interesse. An der Angelrute und an einem Schießeisen – beides Apparaturen, die den Tod bringen – sieht er sich als Lehrmeister des Nachwuchses. Wie tief ist die Sehnsucht zur Vernichtung bei Ernest ausgeprägt?

Damit argumentativ keine Schieflage auftritt: Der Nobelpreisträger von 1954 besitzt wunderbare Charakterzüge. Er ist offen und zugewandt, ein guter Freund, er hilft, wenn Hilfe gebraucht wird, jeder soziale oder intellektuelle Dünkel ist ihm fremd. Aber Ernest Hemingway hat auch eine andere Seite. Eine dunkle Seite, auf der Feindseligkeit und Groll zu Hause sind.

Meist fängt es klein an. Der Zorn entlädt sich mehr oder weniger verbal. Den Personen um ihn herum gibt er launige Namen. Pickle, mein Gürkchen, für Ehefrau Mary, Feo, der Hässliche, für seinen Arzt Dr. José Luis Herrera Sotolongo, Mouse für den Sohn Patrick. Mrs. Fathouse Pig – fettes Hausschwein – für seine wunderschöne dritte Ehefrau Martha Gellhorn. 

Die zweite Stufe der Wut bezieht sich auf das Handeln. Subtil, in der Regel. Im Leben des Schriftstellers fällt schon auf, dass er vieles, was er liebt, schlecht behandelt. Seine Ehefrauen, die Söhne und letztendlich wohl auch sich selbst. Steckt Schlimmeres dahinter? Ist es vielleicht ein Zwang, wenn er etwas liebt, immer darauf herumzuhauen bis es kaputt ist?

Will ernest Hemingway mit seinem Hass auf alles und jedes letzten Endes etwa die Liebe totschlagen? Oder, noch schlimmer, kann er möglicherweise gar nicht lieben? Außer die Natur vielleicht, die er tief und innig liebt. Aber was ist mit den Menschen?

Je mehr Narben über seiner Seele liegen, desto dünnhäutiger wird er. Weil er in seinem Wertekanon nicht stabil genug ist und auch, weil seine Persönlichkeit in Sachen Liebe über die Jahre emotional nicht mitgewachsen ist. Im Gegenteil: Seit der Ehe mit Hadley geht es mit ihm seelisch bergab. Er lässt sich ablenken, von blonden Strähnen, von langen Flinten und wilden Stieren.

Die höchste Stufe seiner Feindseligkeit kehrt er heraus, wenn er angegriffen wird. Sobald er das Gefühl bekommt, von einem Menschen gekränkt zu werden oder in seinen Empfindungen verletzt zu sein. Dann reagiert er wie ein angeschossenes Raubtier. Ernest kontert schließlich mit offener Aggression, mit kaum verborgenem Hass, er verhöhnt die betreffende Person lang und breit, oft unter der Gürtellinie, auch in seinen Werken.

Lassen sich mildernde Umstände ausmachen? Ernest Hemingway ist ein Gefühlsmensch durch und durch, in allen Facetten. Er kennt den emotionalen Gegenpol zur Missgunst. In ruhigen Stunden ist er ein sympathischer Romantiker. Dieser leutselig auftretende Mann bleibt tief im Inneren eine empfindsame und verletzliche Seele. Dessen harte Schale meist nur den weichen Kern schützen will.

Es gibt die Stunden, wo er in blinder Aggression um sich schlägt. Hinter seinem Zorn liegt oft Selbsthass. Hinter jedem guten Schriftsteller verbirgt sich ein Drama, so sagt man. Es ist ein Unglück, dass dieser so grandiose Schreiber es nicht geschafft hat, seinen inneren Frieden zu finden. Außer in den frühen Jahren vielleicht, mit der

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Wer ist das Kartoffelgesicht bei Ernest Hemingway?

Ernest Hemingway: Schnee auf dem Kilimandscharo, 1936.

In The Snows of Kilimanjaro – zu Deutsch: Schnee auf dem Kilimandscharo – finden wir einen heiteren Abschnitt. Ernest Hemingway, der sieben Jahre in Paris gelebt hat, von 1921 bis 1928, taucht ein in das savoir vivre der französischen Hauptstadt. Besonders die Café-Kultur eröffnet ihm eine neue Welt, er schreibt in den Cafés seine Erzählungen und belauert dort die Menschen um ihn herum.

Der junge Kerl aus Chicago besitzt einen festen Blick auf die mutigen Neuerungen, die in Malerei, Literatur, Architektur und Musik den Denkrhythmus vorgeben. In den 1920er Jahren passieren just in Paris, wie unter dem Brennglas, spannende Dinge. Das Althergebrachte wird in Frage gestellt und wälzt sich um, es wird gewagt und experimentiert in der Metropole an der Seine. Dadaismus, Surrealismus, Kubismus – irritierende Sichtweisen werden ausprobiert, die kopfgetriebene Revolution wirkt als Motivator.

Doch Hemingway, der aus dem beschaulichen Mittleren Westen der USA kommt, schaut genau hin. Es ist eine neue Welt, die so nichts zu tun mit Oak Park, wo das Sonntagskonzert den Höhepunkt der Woche bildete. Ernest staunt, erspürt, lernt und ist dankbar, wie Paris seinen Horizont erweitert. Mit vielen Neuerern – von Pablo Picasso über Juan Gris bis James Joyce – ist er befreundet. Die Veränderungen inspirieren ihn, aber er bleibt ruhig im Blut, letztlich geht er seinen eigenen Weg.

Für manches, was er sieht und hört, hat der bodenständige Bursche aus der Vorstadt dann nur noch Sarkasmus und Spöttelei übrig.

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Welch wunderbare Stelle! Ein amerikanischer Dichter mit einem dummen Ausdruck in seinem Kartoffelgesicht. Genau so steht es im Original: a stupid look on his potato face. Doch wer ist das Kartoffelgesicht?

In einer ersten Fassung hat Hemingway noch Roß und Reiter genannt. Und dann kam er einmal an einem Café vorbei, wo Malcolm Cowley vor einem Stapel Unterteller saß und mit einem dummen Ausdruck in seinem Kartoffelgesicht und sprach über die Dada-Bewegung mit einem Rumänen, der sagte, sein Name wäre Tristan Tzara.

Der dumme Ausdruck inklusive Kartoffelgesicht gehört also Malcolm Cowley. Der Mann vom Jahrgang 1898 ist ein US-Historiker und Autor. So wie Hemingway gehört Cowley zum amerikanischen Expat-Zirkel in Paris. John Dos Passos, Ezra Pound, F. Scott Fitzgerald und Gertrude Stein, alles Ikonen der Moderne, man kennt sich und neckt sich.

Bevor Ernest die Story beim Esquire einreicht – das Magazin druckt die Kurzgeschichte im August 1936 – tilgt er schlauerweise Cowleys Namen und schreibt neutral dieser amerikanische Dichter. That American poet. Besser

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Paris prägt Ernest Hemingway wie keine andere Stadt

Die Künstler und Paris – ein Himmelreich auf Erden. Foto: W. Stock, Paris im Oktober 2022.

Im Dezember 1921 erreichen der Amerikaner Ernest Hemingway und seine Frau Hadley Richardson nach zwei Wochen auf dem französischen Atlantikdampfer Leopoldina, aus Hoboken bei New York kommend, die europäische Küste. In Cherbourg nimmt das frisch vermählte Ehepaar dann den Nachtzug nach Paris. Das junge Paar plant, sich dort für längere Zeit niederzulassen, es sollten sieben Jahre werden.

Vom ersten Tag an empfindet Ernest eine intensive Verbundenheit mit seiner neuen Wahlheimat. Als freier Korrespondent der kanadischen Tageszeitung Toronto Star kommt der junge Ernest Hemingway nach Übersee, mit dem Auftrag, sich in Europa umzuschauen. Die Alte Welt ist in jenen Jahren ein Kontinent in Aufruhr, mit Ländern, die einen Weltkrieg hinter sich haben und durchgerüttelt werden von politischen Konflikten, wirtschaftlichen Krisen und sozialen Erschütterungen.

Der junge Journalist wird hineingeworfen in diese brodelnde Region, er ist unbedarft und hungrig nach dem Leben. Der attraktive Journalist aus Oak Park, einem Vorort von Chicago, ist jener Typus, der wunderbar zu dieser Stadt passt: bullig von Figur, breitschultrig, ein kantiges Gesicht, im Kontrast dazu mit sanften braunen Augen und mit einer einfühlsamen Stimme. 

Frisch verliebt und voller Träume leben Ernest und Hadley von wenig Geld in der Hauptstadt Frankreichs. Als Korrespondent verdient er nicht gerade üppig, die Erträge einer kleinen Erbschaft von ihr hält beide über Wasser. Das Liebespaar verbringt unbeschwerte Monate in der so quirligen Metropole an der Seine, sie sind arm, aber glücklich. Es gibt nur zwei Orte auf der Welt, wo der Mensch glücklich sein kann. Die Heimat und Paris.

Der Amerikaner wirkt, als lebe er im siebten Himmel. Für einen jungen Mann, der seiner bigotten Erziehung und der nüchternen Strenge des Mittelwestens der USA entflohen ist, gleicht das Paris der 1920er Jahre einem Himmelreich auf Erden. In der Stadt des Lichtes finden amerikanische Intellektuelle den Glanz und Glamour, jenen joie de vivre, den sie in der heimatlichen Tristesse aus Wirtschaftsdepression und Prohibition so schrecklich vermissen.

Ernest Hemingway und Paris – es passt wunderbar. Ein Bauch- und Augen-Mensch wie Ernest wird hier zum Flaneur, der in den Buchhandlungen stöbert, durch die engen Gassen des Quartier Latin bummelt oder als Müßiggänger im La Closerie des Lilas vor einem Café au Lait sitzt, das bunte Treiben beobachtet und schreibt. Vor allem die Gegend um den Boulevard du Montparnasse wird zu seinem Revier, hier warten Lebenslust und Frivolität an jeder Ecke.

In Paris begegnet Ernest Hemingway anregenden Frauen und Männern, er steht direkt an der Wiege neuartiger Ideen und kühner Anschauungen. Künstlerische Pioniere wie James Joyce und Pablo Picasso gehören zu seinem Freundeskreis. Der junge Ernest merkt, wie dieses kreative Flair ihn als Schreiber ermutigt. Die Harmonie mit seiner Ehefrau wirkt als Ruhepol, die umgängliche Hadley fängt den stürmischen Ehemann mehr als einmal auf. 

Er ist angekommen in seiner Traumwelt. Schöner vermag der 22-Jährige sich das Paradies nicht auszumalen. Wenn Du das Glück hattest, als junger Mensch in Paris zu leben, dann bleibt die Stadt bei Dir, einerlei wohin Du in Deinen Leben noch gehen wirst, denn Paris ist ein Fest fürs Leben.

Diese Metropole der Lebenslust überfällt den Amerikaner wie

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Der schönste Hemingway-Satz: Paris lohnt immer

Ernest Hemingway Paris
Paris geht niemals zu Ende, und die Erinnerung an jeden einzelnen Menschen, der dort gelebt hat, unterscheidet sich von der an jeden anderen. Wir sind immer dorthin zurückgekehrt, egal, wer wir waren oder wie es sich verändert hatte oder unter welchen Schwierigkeiten oder mit welcher Bequemlichkeit es zu erreichen war. Es hat sich immer gelohnt, und wir bekamen immer etwas zurück für das, was wir mitgebracht hatten.
Ernest Hemingway: Paris – Ein Fest fürs Leben.

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Der schönste Hemingway-Satz: Hadley, die Glückliche

Hemingway Ernest Hadley Paris
Die Geschichten in diesem Buch sind erfunden. Ich habe viel weggelassen und verändert und herausgestrichen, und ich hoffe, Hadley versteht das. Sie wird sehen, warum ich das hoffe. Sie ist die Heldin und die Einzige, die ein Leben hatte, das gut ausgegangen ist .
Ernest Hemingway: Paris – Ein Fest fürs Leben

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Ernest Hemingway: Schreiben wie ein Maler

Vincent van Goghs Schlafzimmer im Gelben Haus von Arles. Aus dem Jahr 1888.

Sobald er neu in eine europäische Stadt kommt, besucht Ernest Hemingway vor allem Kunstgalerien und Museen, den Prado in Madrid, die Accademia in Venedig, die Galerie Flechtheim in Berlin. In Paris, er hat von 1921 bis 1928 in der Stadt an der Seine gelebt, streunt er stundenlang durch den Louvre. Besonders fasziniert wird der US-Amerikaner von der Kunstfertigkeit der französischen Impressionisten.

Wenn er gefragt wird, welchem Beruf – außer Schriftsteller – seine Leidenschaft gilt, antwortet der junge Autor wie aus der Pistole geschossen: der Malerei. Der Arztsohn aus dem Mittleren Westen ist ein großer Bewunderer der bildenden Kunst. Er verfügt nicht nur eine erstaunlich sichere Urteilskraft zu Gemälden, sondern kennt viele Maler zudem persönlich.

In Paris kommt Hemingway mit den großen Künstlern der Avantgarde zusammen, lange vor deren Weltruhm. Der Autor aus Oak Park schließt Freundschaft mit Pablo Picasso. Joan Miró, Paul Klee, Juan Gris – für viel Geld erwirbt der junge Kerl einige Bilder der aufstrebenden neuen Malergeneration. Der bodenständige Amerikaner Waldo Peirce wird zeit seines Lebens ein enger Kumpel. 

Ernest Hemingways nachgelassener Roman Der Garten Eden versteckt eine aufschlussreiche Hommage an seinen Lieblingsmaler. Die Akteure seiner erotisch knisternden Erzählung reisen nach Südfrankreich, ans Mittelmeer bei Le Grau-du-Roi. Das Zimmer, in dem sie wohnten, sah aus wie das Gemälde von Van Goghs Zimmer in Arles, nur dass es ein Doppelbett und zwei große Fenster hatte und man über das Wasser, den Sumpf und die Wiesen auf die weiße Stadt und den hellen Strand von Palavas blicken konnte.

Vor allem zwei Großmeister haben es ihm angetan. Neben Vincent van Gogh mag er besonders den Franzosen Paul Cézanne. Ich möchte so schreiben können, wie Cézanne malen kann, sagt er des Öfteren. Der Maler aus Aix-en-Provence zeichnet mit Vorliebe Motive aus der Natur, Landschaften und Gärten, Lichtungen und Blumenfelder, farbenfroh und ausdrucksstark mit einem Blick für die zarten Feinheiten. 

Die Malerei hilft ihm, seine Prosa zu entwerfen. Denn auch die Sprache eines guten Schriftstellers braucht visuelle Kraft und Klarheit. Das Ziel, sagt Ernest Hemingway im Gespräch mit Edward Stafford, ist es, dem Leser jede Empfindung, jeden Anblick und jedes Gefühl zu vermitteln. Als Autor müssen Sie mit dem Wort zeichnen, damit der Leser sieht, was Sie gesehen haben, und fühlt, was Sie gefühlt haben.

Seine Annäherung an die Maler und die Erforschung ihrer Werke sind für Ernest Hemingway ein wesentlicher Bestandteil des Lernprozesses als Schreiber. Beobachten und entdecken, fühlen und erspüren – die impressionistischen Gemälde bilden eine seiner Inspirationsquellen. Der spätere Nobelpreisträger nutzt schon in seinen ersten Erzählungen die Visualität, um mit den Landschaftsbeschreibungen den Handlungsrahmen zu setzen. Für die szenische Spannung wiederum ist meist der dramatische Tonfall seiner Dialoge zuständig.

Die Betrachtung der Werke von Cézanne lehrt den Amerikaner, wie er seine modernen Kurzgeschichten mit Hilfe einer einfachen und emotionalen Technik neu aufbauen kann. Jedes Element im künstlerischen Prozess der Entstehung wirkt zweckdienlich und erfindungsreich sogleich. Die stimmige Farbgebung bei Cézanne wie auch die genaue Wortwahl bei Hemingway schaffen innere Struktur und Dichte.

Wie Cézanne setzt der Neuerer Ernest Hemingway vor allem auf die Landschaft, auf das Motiv und auf die Anordnung, um Eleganz und Vorstellungskraft zu erzeugen. Die Flüsse, das Gebirge, die Hügel, der Wald mit den grünen Bäumen, die Inseln und vor allem das Meer blühen nicht nur auf in einer neuen Visualität, sondern führen im Ergebnis zu einer anregenden Vielfalt an Emotionen.

Diese neue Ästhetik des Erzählens, die klassische und moderne Elemente vereint, arbeitet mit Empfindungen und Symbolen. Der Maler und der Schreiber öffnen beide den Raum und den Blickwinkel für die Imagination des Betrachters und Lesers. Ernest Hemingway beschreibt insofern keine Landschaften, er erschafft diese Landschaften. Ganz wie Cézanne. 

Als Liebhaber der Malerei hat Ernest Hemingway immer versucht, das Herzstück eines Gemäldes zu entdecken. Er ist stets auf der Suche gewesen nach dem reinen Gefühl, wie er es nennt. Maler besitzen all diese großartigen Farben, mit denen sie arbeiten können, meint der Nobelpreisträger. Ich muss es auf der Schreibmaschine vollbringen oder mit meinem Bleistift in Schwarz und Weiß.

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