Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Schlagwort: Café Iruña

Ein Tisch im Paradies: Das Café Iruña von Pamplona

Café Iruña Pamplona
Der technische Fortschritt der Belle Époque geht einher mit wachsendem Wohlstand. Im Café Iruña findet dieser Aufstieg des Bürgertums seine gute Stube. Foto: W. Stock, 2024.

Hier sitzt Ernest Hemingway mit am Tisch. Die extravagante Ausstattung entspringt der Belle Époque. So nennt man die lange Phase des Friedens und Fortschritts in Europa vor dem Ersten Weltkrieg. Der Esprit dieser goldenen Jahrzehnte wird bewahrt in einem Bistro an der Plaza del Castillo, mitten im Herzen von Pamplona. Mit Fiesta hat der bärtige Amerikaner aus Chicago ein dickes Buch um das Café Iruña herum geschrieben.

Man tritt durch das wuchtige Portal und wird hineingeworfen in eine muntere Pracht aus Kunst und Kultur. Das Interieur des Café Iruña ist bemüht, die Vergangenheit mit Stilanleihen aus Barock und Gotik zu achten, zugleich will es neue Wege gehen mit dem Modernisme, wie der Jugendstil in Spanien bezeichnet wird. Die Einrichtung fällt entsprechend üppig aus. Die ornamentierten Säulen und die riesigen Spiegel vermitteln das Gefühl, in einem Wiener Kaffeehaus zu weilen. Unter feinen Leuchten laden Bistro-Tische und bequeme Lehnstühle ein zum Verweilen und Debattieren. 

Als Ende des 19. Jahrhunderts die Elektrifizierung in Pamplona einzieht, da ist das Cafe Iruña das erste Gebäude der Stadt mit elektrischem Licht. Neue Ideen in Kunst, Wissenschaft und Technik kommen aus Paris und New York nach Spanien. Innovationen wie Ozeandampfer, Eisenbahnen, Automobile, Staubsauger und Waschmaschinen werden wie ein Wunder bestaunt. Der rasante Siegeszug der Modernität sollte das Althergebrachte wenn möglich nicht beiseite schieben. Die bewährte Tradition möge vielmehr den Neuerungen als emotionales Fundament dienen. Dies sind die Leitplanken, die dem Café Iruña vorgegeben werden. 

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Hinter dem Portal zum Café Iruña wartet der Genuß. Unsere Stadt heißt Pamplona.  Foto: W. Stock, 2024.

Aus der Mitte des aufstrebenden Bürgertums wird das Café Iruña entworfen. Über 800 Einwohner aus Pamplona erwerben Anteile an der Sociedad Iruña S.A., um das Projekt zu ermöglichen. Treibende Kraft hinter der Aktiengesellschaft wird Serafín Mata y Oneca, ein Geschäftsmann und Stadtrat in Pamplona. Am 2. Juli 1888, wenige Tage vor den Sanfermines eröffnet die Lokalität an der großen Plaza. In kurzer Zeit wird sie zur guten Stube der Stadt. Viel geändert hat sich nichts in den letzten 130 Jahren.

Wenn man heute das Iruña besucht, muss man als Westeuropäer aufpassen, die richtige Zeit zu erwischen. Wer für das Mittagessen zu früh kommt, der darf mit den köstlichen Pintxos, den kleinen Appetithäppchen, vorliebnehmen. Und wer zu spät erscheint, der kriegt knapp zu hören: Die Küche ist geschlossen. Ideal fürs Mittagsmahl ist, wir sind in Spanien, die Zeit zwischen 14 und 15 Uhr. Dann wird das Menu del Dia serviert.

Erst einmal wird Brot, eine Flasche roter Hauswein aus Navarra und Wasser auf den Tisch gestellt. Das Tagesmenü besteht aus drei Gängen mit der Wahl zwischen jeweils 6 bis 8 verschiedenen Speisen. So gibt es eine Crema de Marisco y Merluza oder die Alcachofas de Tudela als Primer Plato. Eine Fischsuppe mit Seehecht oder Artischocken-Salat mit Serrano-Schinken zur Vorspeise. Im Segundo Plato, der Hauptspeise, hat man unter anderem die Auswahl zwischen der Lubina al Horno oder der Paletilla de Cordero Asada, einem gebackenen Wolfsbarsch oder der gegrillten Lammschulter. 

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Mitten im Norden der zentralen Plaza del Castillo von Pamplona thront das Café Iruña. Breit und stolz, aber ohne jeden Dünkel. Foto: W. Stock, 2024.

Und zum Nachtisch, dem Postre, wird Tarta de Queso con Confitura de Arándanos, ein Käsekuchen mit Blaubeer-Mus, serviert. Oder die göttliche Torrija de Vainilla, eine Tunkschnitte in hausgemachter Vanillesauce. Die erste Güte der deftigen baskischen Küche wird flott und freundlich dargereicht. Überaus frisch in den Zutaten, wie selten erlebt. Und dies zu einem Preis, den man in den besseren Häusern Münchens als Trinkgeld erwartet.

Dem Café Iruña gelingt eine meisterhafte Balance. Es ist selbstbewusst, aber nicht versnobt. Nicht zu gewöhnlich, aber auch nicht abgehoben. Die Lokalität ist nicht zu teuer und nicht zu billig. Das Restaurant kommt vielmehr daher wie der Treffpunkt einer geerdeten Gutbürgerlichkeit, die dem Einheimischen wohltut und den Fremden auf der Stelle annimmt.

Das Café Iruña wird zu einem Ruhepol, bei dem Tradition und Moderne zu neuer Blüte zusammentreffen. Dieser Ort dient als Kraftquelle, an der man sich selbstvergewissert, um den kleinen und großen Herausforderungen des Alltags zu trotzen. Genau so hat Ernest Hemingway seinen Roman Fiesta angelegt. Mit den desperaten Protagonisten Jake Barnes, Robert Cohn und Lady Ashley, die um die großartige Trutzburg Café Iruña herumwuseln.

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Ein roter Tempranillo – Príncipe de Viana, Jahrgang 2022 aus Navarra – auf das Leben. Auf das Haus und auf das gute Leben. Im Café Iruña von Pamplona. Foto: W. Stock, 2024.

Ein Platz wie das Café Iruña kitzelt Gaumen und Seele. Die Magie von bald 140 Jahren springt, wenn man alle fünf Sinne noch einigermaßen beisammen hat, im Nu auf den Gast über. Lässt man sich in diesen Zauber fallen, so geschieht wie durch Wunderhand etwas Überraschendes. Der Besucher

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Mittendrin und ein Teil davon – Ernest Hemingway im ‚Café Iruña‘ von Pamplona

Das Café Iruña in Pamplona, die gute Stube der Stadt. Foto: W. Stock, April 2024.

Wir tranken im ‚Iruña‘ unseren Kaffee, saßen in den bequemen Korbstühlen und schauten aus der Frische unter den Arkaden auf den großen Platz. Die Korbstühle sind, über hundert Jahren später, neu und immer noch bequem und die Plaza del Castillo nach wie vor noch gewaltig. Das Café Iruña in Pamplona spielt die heimliche Hauptrolle in Ernest Hemingways Erstling The Sun Also Rises. Denn dieses Café Iruña dient den Besuchern aus Übersee als Stützpunkt, von dem sie ausschwärmen in diese merkwürdige Sphären Nordspaniens.

Jacob Barnes und die Freunde kommen aus Paris, wir schreiben das Jahr 1923. Die quirlige Stadt an der Seine ist für einen Amerikaner eh schon die Vorhalle zum Paradies, doch das Baskenland mit einer rustikalen Archaik kann die Pariser Schüttelglas-Drolerie locker übertrumpfen. Nach nur ein paar Zugstunden werden die jungen Leute in einen isolierten Landstrich geworfen, in eine Terra incognita, die geheimnisvoll und sonderbar daher kommt.

So sieht unbekanntes Land aus. Jenseits der Pyrenäen pflegen die Bewohner mittelalterliche Riten und hetzen Bullen durch die engen Gassen der Altstadt. Stossgebete werden in einer knorrigen Sprache gen Himmel geschickt, und ganz normale Frauen und Männer tanzen wie außer Rand und Band zum Trommelwirbel, mit Kränzen aus Knoblauch um den Hals. Über die ganze Szenerie legt sich der Anflug eines ungewöhnlichen Zaubers.

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Die Zeit scheint wie gefroren im Café Iruña von Pamplona. Foto: W. Stock, April 2024.

Nach dem Essen gingen wir hinüber ins Iruña. Es war schon ziemlich voll, und als der Beginn des Stierkampfs nahte, wurde es noch voller, und die Tische wurden dichter zusammengeschoben. Ein dichtes Summen lag in der Luft, wie jeden Tag vor einem Stierkampf. Dieses Geräusch herrschte zu keiner anderen Zeit in dem Café, ganz gleich, wie voll es war. Das Summen hielt sich, und wir waren mittendrin und ein Teil davon.

Alles ist so ganz anders als in der bigotten Heimat. Und der Amerikaner Ernest Hemingway schreibt über all die Merkwürdigkeiten ein dickes Buch. Er verfasst einen Roman, der stilistisch ähnliches anrichtet wie die Jakobiner mit dem französischen Adel. The Sun Also Rises heißt das Werk, in Europa wird es übersetzt mit Fiesta. Die eigensinnige Verneigung des Mannes aus Chicago geht an das geerdete Pamplona. Und müsste man einen Baustein aus der Erzählung herausgreifen, die Wahl würde auf das Café Iruña fallen.

Am liebsten sitzt Hemingway draußen unter den Markisen des Iruña, bei einem Cognac und dem Kaffee. Und sein Blick schweift über die monumentale Plaza del Castillo von Pamplona. Mit einer Bibelstelle aus dem Prediger Salomo, Kapitel 1, Vers 5. beginnt Hemingway The Sun Also Rises. Das überrascht bei einem Atheisten wie ihm, es muss also etwas bedeuten. Oritur sol et occidit et ad locum suum revertitur ibique renascens. Die Sonne geht auf und geht unter und läuft an ihren Ort, dass sie wieder daselbst aufgehe. Eigentlich müsste The Sun Also Rises in der Übersetzung lauten: Die Sonne aber bleibt ewiglich. Darum geht es. Das „aber“ ist der Schlüssel.

Auch das Café Iruña, von Serafín Mata kurz vor den Sanfermines im Jahr 1888 eröffnet, besitzt diesen Hauch von Ewiglichkeit. Wie in einem Mikrokosmos vereint es Historie und Tradition des Baskenlandes. Von der Belle Époque bis heute scheint die Zeit wie gefroren. Marmortische, goldfarbene Säulen, Riesenspiegel, Emailleschilder, prächtige Leuchten im Jugendstil, die lang gestreckte Theke mit den Rollitos de Queso, den Patatas Bravas oder dem Jamón Ibérico. Im Café Iruña wird alles zusammen geführt. Das Alte und das Neue, die Stadt und das Land, Eleganz und Populäres, der Einheimische und der Fremde, der Millionär und der arme Schlucker.

Die Zeiten konnten dem Iruña wenig anhaben. Das Café hat Krieg und Despotie erlebt, Bombenschlachten und Terror – und doch steht

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