Das Café Iruña in Pamplona, die gute Stube der Stadt. Foto: W. Stock, April 2024.

Wir tranken im ‚Iruña‘ unseren Kaffee, saßen in den bequemen Korbstühlen und schauten aus der Frische unter den Arkaden auf den großen Platz. Die Korbstühle sind, über hundert Jahren später, neu und immer noch bequem und die Plaza del Castillo nach wie vor noch gewaltig. Das Café Iruña in Pamplona spielt die heimliche Hauptrolle in Ernest Hemingways Erstling The Sun Also Rises. Denn dieses Café Iruña dient den Besuchern aus Übersee als Stützpunkt, von dem sie ausschwärmen in diese merkwürdige Sphären Nordspaniens.

Jacob Barnes und die Freunde kommen aus Paris, wir schreiben das Jahr 1923. Die quirlige Stadt an der Seine ist für einen Amerikaner eh schon die Vorhalle zum Paradies, doch das Baskenland mit einer rustikalen Archaik kann die Pariser Schüttelglas-Drolerie locker übertrumpfen. Nach nur ein paar Zugstunden werden die jungen Leute in einen isolierten Landstrich geworfen, in eine Terra incognita, die geheimnisvoll und sonderbar daher kommt.

So sieht unbekanntes Land aus. Jenseits der Pyrenäen pflegen die Bewohner mittelalterliche Riten und hetzen Bullen durch die engen Gassen der Altstadt. Stossgebete werden in einer knorrigen Sprache gen Himmel geschickt, und ganz normale Frauen und Männer tanzen wie außer Rand und Band zum Trommelwirbel, mit Kränzen aus Knoblauch um den Hals. Über die ganze Szenerie legt sich der Anflug eines ungewöhnlichen Zaubers.

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Die Zeit scheint wie gefroren im Café Iruña von Pamplona. Foto: W. Stock, April 2024.

Nach dem Essen gingen wir hinüber ins Iruña. Es war schon ziemlich voll, und als der Beginn des Stierkampfs nahte, wurde es noch voller, und die Tische wurden dichter zusammengeschoben. Ein dichtes Summen lag in der Luft, wie jeden Tag vor einem Stierkampf. Dieses Geräusch herrschte zu keiner anderen Zeit in dem Café, ganz gleich, wie voll es war. Das Summen hielt sich, und wir waren mittendrin und ein Teil davon.

Alles ist so ganz anders als in der bigotten Heimat. Und der Amerikaner Ernest Hemingway schreibt über all die Merkwürdigkeiten ein dickes Buch. Er verfasst einen Roman, der stilistisch ähnliches anrichtet wie die Jakobiner mit dem französischen Adel. The Sun Also Rises heißt das Werk, in Europa wird es übersetzt mit Fiesta. Die eigensinnige Verneigung des Mannes aus Chicago geht an das geerdete Pamplona. Und müsste man einen Baustein aus der Erzählung herausgreifen, die Wahl würde auf das Café Iruña fallen.

Am liebsten sitzt Hemingway draußen unter den Markisen des Iruña, bei einem Cognac und dem Kaffee. Und sein Blick schweift über die monumentale Plaza del Castillo von Pamplona. Mit einer Bibelstelle aus dem Prediger Salomo, Kapitel 1, Vers 5. beginnt Hemingway The Sun Also Rises. Das überrascht bei einem Atheisten wie ihm, es muss also etwas bedeuten. Oritur sol et occidit et ad locum suum revertitur ibique renascens. Die Sonne geht auf und geht unter und läuft an ihren Ort, dass sie wieder daselbst aufgehe. Eigentlich müsste The Sun Also Rises in der Übersetzung lauten: Die Sonne aber bleibt ewiglich. Darum geht es. Das „aber“ ist der Schlüssel.

Auch das Café Iruña, von Serafín Mata kurz vor den Sanfermines im Jahr 1888 eröffnet, besitzt diesen Hauch von Ewiglichkeit. Wie in einem Mikrokosmos vereint es Historie und Tradition des Baskenlandes. Von der Belle Époque bis heute scheint die Zeit wie gefroren. Marmortische, goldfarbene Säulen, Riesenspiegel, Emailleschilder, prächtige Leuchten im Jugendstil, die lang gestreckte Theke mit den Rollitos de Queso, den Patatas Bravas oder dem Jamón Ibérico. Im Café Iruña wird alles zusammen geführt. Das Alte und das Neue, die Stadt und das Land, Eleganz und Populäres, der Einheimische und der Fremde, der Millionär und der arme Schlucker.

Die Zeiten konnten dem Iruña wenig anhaben. Das Café hat Krieg und Despotie erlebt, Bombenschlachten und Terror – und doch steht das Iruña kerzengerade da, heiter und voller Würde, seit fast 140 Jahren, und um die gute Stube Pamplonas herum spielt sich das Leben ab. Ein Mensch geht, der andere kommt. Die Erde aber bleibt ewiglich. Das Vorzitat zu Fiesta steigt abermals religiös tief zum Kern ein. Manche müssen bis hierher fahren, damit ihnen ein Licht aufgeht.

Zeit seines Lebens ist Ernest Hemingway ein Suchender, in Pamplona hat er gefunden. Nicht letzte Antworten. Aber zwei Welten, die so ein Mensch auf seiner Lebensreise braucht. Gutes Essen, viel Trinken und ein wenig Krawall. In der Stadt jeden Morgen der lautstarke Beleg, dass man als Lebewesen existiert, mit allen Sinnen. Als zweite Welt begegnet er der Kraftquelle einer makellosen Natur. Eine halbe Autostunde vom Theaterdonner entfernt, Richtung Pyrenäen, versteckt sich ein malerischer Garten Eden aus Wäldern, Bergen und Bächen.

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In einer Ecke der Bar El Rincón de Hemingway im Café Iruña von Pamplona mustert uns ein amerikanischer Schriftsteller. Foto: W. Stock, April 2024.

Ernesto schaut den Besucher an, er lehnt einen Arm lässig auf die Bartheke und einen Fuss an den Barsockel, und die Menschen und Jahrzehnte dürfen an ihm vorüberziehen. El Rincón de Hemingway. Eine Ecke in der Bar des Cafés bleibt ihm reserviert. Als Bronzefigur steht er dort, geschaffen von dem Bildhauer José Javier Doncel aus Funes. In Originalgröße von 1,85 Meter posiert er, und Tausende haben den Arm um ihn gelegt oder seine Wange berührt und sind dann gegangen. Und er ist geblieben. 

Über sechs Jahrzehnte nach Hemingways Tod kann man noch immer im Schatten des Parasols sitzen und auf die Plaza schauen und denken. Es gehört zur Cleverness eines großen Reporters, Zaungast zu sein und doch von innen zu beobachten. Wir saßen noch eine Weile im ‚Iruña‘ und tranken unseren Kaffee, dann machten wir einen kleinen Spaziergang zur Stierkampfarena und über das Gelände bis zu den Bäumen am Rand des Abhangs und schauten in der Dunkelheit auf den Fluss hinunter, und dann ging ich früh ins Bett. Manchmal ist das Leben ganz einfach.

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