Nur scheinbar ein Kinderbuch. Mark Twain: The Adventures of Huckleberry Finn.

Während der Boston Tea Party, als Zeichen der Auflehnung gegenüber dem Kolonialherrn Großbritannien, warfen 1773 erboste US-Bürger Ladungen Tee in das Hafenbecken der ostamerikanischen Küstenmetropole. Man wollte sich nicht länger von der Muttermacht gängeln und bevormunden lassen. Wesentlich friedfertiger ging es hundert Jahre später zu.

Denn auch literarisch will man nun auf eigenen Beinen stehen. Es ist Mark Twain, der die amerikanische Literatur von diesem dünkelhaften englischen Versformat befreit und hin zu einer vitalen Modernität führt. Mark Twain, der eigentlich Samuel Langhorne Clemens heißt, ist noch keine 50 Jahre alt, als er im Dezember 1884 The Adventures of Huckleberry Finn veröffentlicht. Dieses Buch, fälschlicherweise oft als Kinderbuch betrachtet, sollte die amerikanische Literatur verändern.

Er ist der Erfolgreichste, der die Manierismen der britischen Literatur hinter sich lässt und  – oh shocking! – sich offen und ehrlich an nicht privilegierte Männer und Frauen wendet. Auf einmal schreibt da jemand über die Welt der einfachen Menschen, artikuliert ihre Hoffnungen, Träume und Ambitionen. Da geht es nicht mehr nur um hartherzige Adelige in schottischen Manor Houses, um das snobistische Geschehen im viktorianischen London oder um die feinen Jamben des William S.

Vielmehr erzählt der Mann aus Missouri in Huckleberry Finn die Geschichte eines Streuners vom Lande. In einer einfachen Sprache lässt Mark Twain in der Ich-Perspektive einen jugendlichen Außenseiter zu Wort kommen, der jenseits aller Gutbürgerlichkeit seine Abenteuer am Mississippi erlebt und dabei eine wunderbare Erkenntnis ans Licht bringt: den Wert von Kameradschaft, von Menschlichkeit und von Charakterstärke. Der ungebildete Huck steht wie selbstverständlich auf der Seite des Sklaven Jim, als es darauf ankommt. Amerikanität wird nicht mehr definiert aus imperialer Sicht, sondern über Humanität und Aufrichtigkeit. 

Mark Twains Werke sind weniger Kinderbücher, vielmehr bissige Satiren gegen religiöse Heuchelei, korrupte Politiker und geldgierige Kleinbürger. In den kurzweiligen Lausbuben-Geschichten von Huckleberry Finn und Tom Sawyer entlarvt der scharfzüngige Twain mit genauer Beobachtungsgabe den alltäglichen Rassismus und die vernagelte Bigotterie der weißen Mittelschicht im Süden der USA.

Dass sich ein weißer Junge, der in einem Sklavengebiet geboren und aufgewachsen ist, so nachdrücklich und ehrlich für die Menschenrechte der Schwarzen einsetzt, gründet eine der Schönheiten dieses Romans. Auch in anderen Ländern finden wir Autoren, die scheinbar Kinderbücher verfasst haben, Antoine de Saint-Exupéry in Frankreich oder Erich Kästner in Deutschland. Doch es ist ein wunderbarer Trick: Denn all die kindlichen Figuren leben den Erwachsenen die Werte von humaner Gesinnung und sozialem Miteinander vor. 

Für viele Autoren der folgenden Generation wird Mark Twain, er ist vom Jahrgang 1835, zu Vorbild und Vaterfigur. Für Jack London oder John Steinbeck beispielsweise. Vor allem jedoch für Ernest Hemingway. Hemingway und Twain sind von

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