Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Schlagwort: Miss Texas

Das Meer blutet

An Bord der ‚Miss Texas‘: Ernest Hemingway, Jesús Ruiz More, Elicio Argüelles (oben), Kip Farrington, Miguel Custodio, Gregorio Fuentes, Máximo Jacinto Fiestas (unten). Cabo Blanco, im April 1956.

Obwohl das Wetter in Cabo Blanco sich nun gebessert hat, bekommen die Amerikaner und die Kubaner auf der Miss Texas am vierten Tag ebenfalls keinen einzigen schwarzen Marlin zu Gesicht. Neun Stunden weilt man auf dem Meer, das Boot fährt mittlerweile weiter hinaus auf den Pazifik, ohne Erfolg. Manuel Almenara, der an diesem Tag mitgekommen ist, berichtet beim Abendessen im Fishing Club, dass auf dem Ozean dann auch noch der Radiofunk ausgefallen ist.

Neben all dem Anglerpech fordern die rauen Lebensumstände in Nordperu ihren Tribut. In dem Expeditionstrupp treten die ersten gesundheitlichen Beschwerden auf. Der 50-jährige William Classen, der bei Hollywood-Klassikern wie Der Schatz der Sierra Madre und Jenseits von Eden hinter der Kamera stand, zieht sich eine Nierenvergiftung zu. Der Kameramann muss ins Krankenhaus von El Alto gebracht werden, wo er von Dr. Jackson behandelt wird.

Der fünfte Tag auf dem Ozean läuft ein wenig besser, zwei bocanegras und einige sierras werden gefangen. Das Klima spielt an diesem Apriltag verrückt. Die Sonnenstrahlen treffen bei der Ausfahrt senkrecht auf das Wasser, die Hitze kocht hoch wie in einer asiatischen Waschküche. Durch die hohen Temperaturen dehnen sich die Luftmassen aus und steigen auf. Passatwinde brausen nun auf, der Pazifik am Äquator wird aufgewühlt. Wiederum kein Marlin in Sicht.

Auf der Miss Texas macht sich allmählich Resignation breit, selbst bei den Einheimischen. Wenn an einem Tag nichts geangelt wird, dann blickt die peruanische Crew missmutiger drein als die US-Amerikaner. Die Stimmung an Bord der Schiffe trübt sich mehr und mehr ein. Am schlimmsten erwischt es den Schriftsteller: Ernest Hemingways Gemütszustand bricht geradezu ein.

Am sechsten Tag schließlich gibt es einen Hoffnungsschimmer. Das Wasser ist nun ruhig und am frühen Nachmittag machen die peruanischen Bootsmänner auf der Miss Texas einen riesigen merlín rayado aus. Über eine Stunde folgt das kleine Schiff dem Streifenmarlin. Die Filmleute auf der Pescadores Dos halten ihre Handkameras in Anschlag. Doch der alte Fisch will den Köder nicht beißen.

Solch ein fortwährendes Anglerpech ist ungewöhnlich für Cabo Blanco und deshalb spielt Kip Farrington mit einem verwegenen Gedanken. Sollte auch in den nächsten Tagen nichts gefangen werden, dann wird der US-Amerikaner in Talara ein Propellerflugzeug chartern. Aus der Luft will er so Ausschau auf dem Meer halten und als Lotse die Boote zu dem schwarzen Marlin leiten.

Der siebte Tag endet ebenfalls mit einer Enttäuschung. Bereits mittags um 13 Uhr kommt die Miss Texas in den Hafen zurück. Wieder einmal ohne Marlin. Gregorio Fuentes hat zumindest einen Mero gefangen, einen Zackenbarsch, ein imposantes Tier mit einem Gewicht von mehr als 50 Kilo. Der Küchenchef des Cabo Blanco Fishing Clubs freut sich am meisten über den Fang.

Ernest Hemingway und die Freunde halten sich bereits seit einer Woche in Cabo Blanco auf und der Erfolg liegt in den Sternen. Zu oft ist man hinaus gefahren und ohne Beute zurückgekehrt. Der Schriftsteller erfährt von den Peruanern, dass selbst einheimische Fischer seit 17 Tagen nichts gefangen haben. Der merlín negro hat sich zurückgezogen in die weiten und tiefen Wasser des Ozeans. (Anfang von Kapitel 15 der Neuerscheinung Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru. Eine weitere Leseprobe: hier klicken).

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Neue Hoffnung für Cabo Blanco

mit José Koechlin von Stein, Lima im März 2017;
Photo: R. Stock

Im Hafenbecken vor Cabo Blanco liegt die alte Miss Texas vor Anker, das Boot von Alfred Glassell und Ernest Hemingway. Und der alte Kahn, der Jahrzehnte in einer Werft in Talara vor sich hin moderte und später im Yachthafen von Ancón für kleinere touristische Ausfahrten genutzt wurde, erstrahlt heute in frischem Glanz. José Koechlin von Stein, der Besitzer der feinen und umweltbewussten Hotelkette Inkaterra, hat das Boot im Jahr 2013 von dem Schiffsmakler Hernán Balderrama Jabaloya erworben, nachdem das ausrangierte Boot zuvor durch verschiedene Hände gewandert war.

Zwei Jahre lange hat José Koechlin die alte Barke liebevoll restaurieren lassen und schließlich wieder in seinen ursprünglichen Heimathafen nach Cabo Blanco zurückgebracht. Norm Isaacs, ein US-Angelveteran und Moderator der TV-Sendung Big Game Fishing the World auf ESPN, kümmert sich nun als Kapitän um das frisch verjüngte Boot. Inkaterra plant in den nächsten Jahren, die Gegend um Cabo Blanco einem nachhaltigen Ökotourismus zu erschließen.

Südlich des Fishing Clubs hat der Unternehmer des Jahrgangs 1945, dessen Vorfahren aus dem Elsass und aus Wien stammen, gerade zwei Kilometer Strandgrundstücke erworben. Die Grundlage für einen konservierenden Tourismus ist gelegt, sagt José Koechlin, der sich mit schwierigen Projekten auskennt, denn er hat in Peru die beiden Werner Herzog-Filme Aguirre, der Zorn Gottes und Fitzcarraldo produziert.

Das Land, es sei im Aufbruch, biete Möglichkeiten. „Machu Picchu hat sich in Peru zur alles dominierenden Touristenattraktion entwickelt. Aber wir können in unserem Land noch weitere Qualitätsziele aufbauen. Für einen internationalen Ökotourismus bietet Cabo Blanco neben dem Meer und der Landschaft zwei wichtige Anreize. Zum einen Glassells Weltrekord im Hochseeangeln. Und vor allem: Hemingway war hier.“ Sechs Wochen war Ernest Hemingway in Cabo Blanco, im Jahr 1956, und fast jeden Tag war er auf der Miss Texas, auf dem blauen Pazifik, zu finden.

José Koechlin wird nicht nur irgendeine Hotelanlage bauen, sondern den gesamten Landstrich nachhaltig entwickeln. Mit einer Fauna-Observation, dem Aufbau von Flora-Kulturen und der Stärkung der lokalen Kleinwirtschaft, wie er es bei seinen anderen Anlagen in Cusco oder im Regenwald bei Madre de Dios bereits vorgemacht hat. Seine ökologische Wirtschaft möchte José Koechlin am liebsten über ein Naturreservat sichern, einem Meeresstreifen, der sich auf 141 Küstenkilometer rund um Cabo Blanco erstreckt, und Natur und Kleinfischerei unter besonderen Schutz stellt.

Auch ein Antrag bei der UNESCO, das Meer vor Cabo Blanco als Patrimonio Cultural Inmaterial de la Humanidad einzustufen, als schützenswertes Kultur- und Naturerbe der Menschheit, ist in Arbeit. Möglicherweise gelingt es mit solch ökologischen Maßnahmen, die großen Fische wieder vor die Küste von Cabo Blanco zu bringen.

„Das Meer um Cabo Blanco ist leer,“ sagt der peruanische Unternehmer betrübt, „dieses Land hat seinen Norden jahrzehntelang vernachlässigt.“ Den Vorschlag eines Naturreservates um das Meer hat José Koechlin vor einigen Monaten zusammen mit Wissenschaftler der University of Miami dem peruanischen Umweltministerium übermittelt.

José Koechlin treibt eine Vision um, die sich – so beschreibt er es selbst – in einem kurzen Satz zusammenfassen lässt. „El Viejo y el Mar“. Er möchte das Meer vom industriellen Fischfang und anderen Sünden der Vergangenheit befreien und es den einfachen und aufrechten Fischern aus Cabo Blanco zurückgeben. Und Ernest Hemingway, den José Koechlin wegen seiner humanen Sichtweise überaus verehrt, soll dabei helfen.

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