Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Schlagwort: Musik

Ernest Hemingway und die klassische Musik

Auf der tropischen Finca Vigía besitzen die Hemingways einen Bell Phonographen, den modernsten Plattenspieler seiner Zeit. Die Musik ist dem Ehepaar wichtig, zur Muße und zur Inspiration auf ihrer entlegenen Farm nahe von Havanna.

Der Phonograph steht im weiten Wohnzimmer, zusammen mit zwei großen Lautsprecherboxen. Zwei weitere Boxen sind in der benachbarten kleineren Bibliothek untergebracht, die mit einem offenen Torbogen vom living room getrennt ist.

Es fällt auf, dass neben vielen Jazz-Platten in der Collection auf der Finca Vigía noch zahlreicher die klassische Musikrichtung vertreten ist. Dazu auch Folklore-Aufnahmen aus Russland, Ungarn, den USA und Spanien.

Nachstehend ein Ausschnitt aus dem Katalog der Hemingway’schen Schallplattensammlung, die in deckenhohen Schränken auf ihrem kubanischen Anwesen in San Francisco de Paula untergebracht ist:

Russian Folk Songs
Rossini, William Tell
Puccini, La Bohème
Tschaikowsky, Symphony No. 4
Tschaikowsky, Symphony No. 6
Rachmaninoff, Concerto No. 2
Rachmaninoff, Song for Piano
Russian Liturgical Music
Prokofieff, Peter and the Wolf
Debussy, Piano Music
Strawinski, Petrouchka
Bach, Sonata in E Major for Violin and Piano
Bach, Double Concerto
J.S. Bach, Two Part and Three Part Inventions
Bach, The Well-Tempered Clavier Book I 
Bach, The Well-Tempered Clavier Book II
Bach, Prelude and Fugue in E Flat Major
Mozart, Eine kleine Nachtmusik
Mozart, Sonatas Nos. 10 and 15 in B Flat Major
Mozart, Piano
Mozart, Concerto in E Flat Major
Ravel, Bolero
Borodin
Richard Wagner
Brahms, Variations on a Theme by Haydn
Brahms, Double Concerto in A Minor
Manuel De Falla, Nights in the Gardens of Spain
Debussy, Preludes
Strawinsky, Petrouchka Ballet
Schubert, Symphony No. 8 in B Major
Rimsky-Korsakov, Scheherazade
Piano Music of Chopin
Verdi, La Forza del Destino
Beethoven, Symphony No. 9 in D Minor
Vivaldi, The Seasons
Vivaldi, Concerto in C
Ludwig van Beethoven, Sonata in A Major
Beethoven, Trio in D Major
Beethoven, Symphony No. 5
Beethoven, Sonata in A Major
Händel, Trio Sonata No. 2

Oft finden sich Wolfgang Amadeus Mozart und Johann Sebastian Bach in den Tropen, es sind die Favoriten des Schriftstellers. Dazu Ludwig van Beethoven und Johannes Brahms. Es ist vor allem der klassische Musikkanon, der ihn anspricht. Es sind, wenn man so will, die Hits der Klassikabteilung.

Ernest Hemingways Musikgeschmack konzentriert sich auf die populäre Klassik, dazu kommen amerikanische Folklore und die Volksmusik anderer Länder. Die Familie in Oak Park bei Chicago hat Kammermusik gespielt, die Mutter ist Opernsängerin gewesen. Im Elternhaus hat man viel musiziert, gerade die Klassiker, dem kleinen Ernest wird als Instrument das Cello zugewiesen. Er besitzt seit Kindesbeinen an ein gutes Ohr und die Kennerschaft für diese Musik.

Nun weiß man, dass der Schriftsteller gerne über klassische Musik gesprochen hat, dass er von ihr auch eine Menge fürs Schreiben gelernt hat. Nicht nur andere Literaten sind seine Vorbilder, sondern ebenso die modernen Maler und die guten Komponisten. Aus einem klugen Arrangement lernt er, wie man auch in der Literatur die Harmonielehre verwenden kann und an welchen Stellen man in einem Text Stimme und Gegenstimme, den Kontrapunkt, setzen kann.

Ganz vernarrt ist der bärtige Autor in die Toccata und Fuge in d-Moll von Johann Sebastian Bach an, am liebsten auf einer guten sakralen Orgel gespielt. Hier erhält dieser Schriftsteller eine Ahnung davon, wie man schreiben muss. Und wie hoch die Messlatte für einen Künstler wie ihn liegt.

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Ernest Hemingway und der Jazz

Das gesamte Leben des Ernest Hemingway wird mit akribischer Leidenschaft unter die Lupe genommen. Fast kein Aspekt, der dabei unberücksichtigt bleibt. Und dann tauchen Fragestellungen auf wie diese: Wie ist sein Musikgeschmack gewesen?

Auch solche Fragen können beantwortet werden. Denn darüber gibt zum Beispiel die Katalogisierung seiner Schallplattensammlung auf Finca Vigía Aufschluss. Bekanntlich hat der Schriftsteller mit Ehefrau Martha Gellhorn, ab 1945 mit Mary Welsh, über 20 Jahre auf dem kubanischen Landgut nahe Havanna gelebt. Und von 1939 bis 1960 hat sich da einiges angesammelt. Neben den Tausenden Büchern ebenso eine umfangreiche Sammlung von Schallplatten.

Zunächst fällt auf, dass vor allem zwei Genres überrepräsentiert sind: klassische Musik und Jazz. In den Wandregalen der Finca finden sich zahlreiche Jazzaufnahmen sowie Anverwandtes. Unter anderen folgende Platten:

Noel Coward Songs
A Cole Porter Review
Artie Shaw
Tommy Dorsey, Getting Sentimental
Songs by Greta Keller
Jelly Roll Morton
Carmen Cavallaro, Getting Sentimental Over You
Carmen Cavallaro, All the Things You Are
Carmen Cavallaro, Dancing in the Dark
Hildegarde, Vernon Duke Songs
Hot Jazz Classics: Fletcher Henderson
Hot Jazz Classics: Bix Beiderbecke
Hot Jazz Classics: Earl Hines
Hot Jazz Classics: Bessie Smith
Benny Goodman
Quintet of the Hot Club of France
Art Tatum, Piano Solos
Louis Armstrong
Glenn Miller
Carmen Miranda, Night in Rio

Die Auswahl zeugt von einem populär orientierten Geschmack, durchaus mit eigener Note. Insbesondere die Big Band-Größen der 1940er Jahre wie Benny Goodman, Artie Shaw und Glenn Miller sind zu finden. Die Einspielungen des Pianisten Carmen Cavallaro sind bevorzugt gesammelt worden. Dieser Klavierspieler und Bandleader, er ist eine Art Vorläufer des schwülstigen Liberace gewesen, besitzt einen sehr melodischen, fast schlagerhaften Anschlag.

Art Tatum und Earl Hines sind zwei ganz wunderbare Pianisten, mit die besten, nicht nur in jenen Jahren. Zu den bekannten Jazz-Größen kommen eigenwillige Sängerinnen wie die Wienerin Greta Keller oder die US-Amerikanerin Hildegarde. Der bekannteste Song von Hildegarde heißt Darling, Je vous aime beaucoup. Ein schönes Lied für ein verliebtes Ehepaar in den abgelegenen Tropen.

Richtig guten Jazz spielt das Quintet of the Hot Club of France, dahinter verbergen sich der Gitarrist Django Reinhardt und der Violinist Stéphane Grappelli. Ihr Saiten-Swing gilt als eine europäische Innovation in den 1930er Jahren. Django Reinhardts Musik wirkt wie ein betont rhythmischer Mix aus melodischem New Orleans-Jazz, französischen Walzern und der traditionellen Spielweise der Sinti. 

Welche Aufnahmen mögen eher Ernests und welche eher Marys Favoriten gewesen sein? Möglicherweise trifft der Jazz eher den Geschmack von Mary, die Klassik eher den von Ernest. Von dem Schriftsteller ist zumindest bekannt, dass er Frank Sinatra und seine Musik nicht groß ausstehen konnte.

Ein weiteres Indiz kann sein, dass der Jazz in den unteren Fächern im deckenhohen Plattenschrank steht, die Klassik eher oben. Die wesentlich kleinere Mary hätte es so einfacher gehabt, an ihre Platten zu kommen, als ihr 1,83 Meter langer Ehemann. Doch dies bleibt eine Spekulation.

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