Er war ein alter Mann, der allein in einem kleinen Boot im Golfstrom fischte, und er war jetzt vierundachtzig Tage hintereinander hinausgefahren, ohne einen Fisch zu fangen. So verdichtet lässt Ernest Hemingway seine wohl berühmteste Erzählung beginnen. Am 85. Tag fängt der alte Fischer Santiago dann einen Marlin, der so wuchtig ist, dass er ihn nicht an Bord seiner kleinen Schaluppe hieven kann. Er vertäut das Tier deshalb längs an eine Seite des Bootes.
Auf der mühsamen Rückfahrt in sein kleines Dorf vor Kubas Küste wird das einfache Holzboot von einem Schwarm Mako-Haie angegriffen, die Raubtiere fressen den erlegten Marlin bis auf das Gerippe ab. Am Abend kommt der Fischer mit einem Skelett an der Seite seines Bootes in sein Fischerdorf. Der Fischer Santiago hat den Kampf verloren, aber er ist nicht besiegt.
In Würde verlieren. Gerade darum geht es Ernest Hemingway. Am Beispiel des alten Mannes, der geschlagen und mit leeren Händen, in sein armes Dorf zurückkommt. Aber er ist nicht besiegt. Santiago strahlt trotz seiner Niederlage eine menschliche Größe aus, gerade auch weil er sich nicht besiegt gibt und am nächsten Tag mit seinem kleinen Boot wieder herausfahren wird. Und jeder Mensch, das will uns Ernest Hemingway mitteilen, kann seine Würde wahren.
Ernest Hemingway hat sein Gleichnis vom würdevollen Scheitern des einfachen Fischers so beeindruckend erzählt, dass die Menschen – egal ob in Süd oder Nord, ob Hochschullehrer oder Fabrikarbeiter, ob jung oder alt, ob Mann oder Frau – seine Botschaft unterbewusst verstanden haben. Ein schlichter und braver Mensch – also eigentlich wir – muss sich in der Welt behaupten. Er kämpft um seine Würde.
Der Fischer fährt 84 Tage hinaus ohne einen Fisch zu fangen, so wie uns Menschen vielleicht 84 Jahre bleiben, in denen wir uns auf unserem Meer abstrampeln. Und den Sinn suchen. Oder mehr. Schlagen Sie einmal nach, wofür das Symbol des Fisches seit Jahrhunderten steht. Dicke Bücher sind darüber geschrieben worden, Ernest Hemingway kommt mit verständlichen 120 Seiten aus.
Über allem steht das Meer. Für Ernest Hemingway gleicht das Meer einer heiligen Macht, keine menschliche Kraft kann diesem gewaltigen Meer etwas anhaben, es steht über allem. Ersetzen wir das Meer deshalb doch einfach mal durch