The OldManandthe SeaCover12Wer sich mit Ernest Hemingway über Literatur unterhält, bekommt rasch einen Schreiber-Tipp: Schreib keinen Absatz mit mehr als 25 Wörtern. Das sei der beste Rat, den er in der Redaktion des Kansas City Star als junger Redakteur bekommen habe.

Und Ernest Hemingway erzählt dann von seinen Anfängen als Journalist. Dass er direkt nach der Oak Park High School 1917 als Achtzehnjähriger seine Laufbahn als Lokalreporter bei der Tageszeitung begonnen hat. Kurze Sätze, Leute, nur kurze Sätze. Werft das Geschwätz und all die Eierkopf-Sätze in die Mülltonne, in der Präzision liegt die Wahrheit. Geht achtsam mit der Sprache um, verkneift euch die Schlenker und Abstecher.

Beim Kansas City Star hat man den Novizen zu aller erst ein Style Book in die Hand gedrückt. Das ist damals ein gedrucktes Blatt Papier gewesen, auf dem die Regeln standen, wie man bei der Tageszeitung zu schreiben habe. Im ersten Abschnitt war zu lesen: Schreibe kurze Sätze! Schreibe den ersten Absatz kurz! Schreib ein kräftiges Englisch! Sei positiv, nicht negativ! Leute, das ist keine schlechte Schule, um das Schreiben zu lernen.

Knappe Sätze, das hört sich rigoros an. Wenn du einem Adjektiv begegnest, dann bring es um! Jetzt wird es brachial. Doch aus den einfachen Regeln von Fokussierung und Reduktion, die dem jungen Reporter beim Kansas City Star eingebläut werden, formt Ernest Hemingway seinen eigenen Stil. Hemingway reiht Satzteil an Satzteil und Beobachtung an Beobachtung, die Beschreibung eines Details, dann des nächsten Details.

Diesen schnörkellosen Stil, diese Aneinanderreihung kurzer Aussagesätze, hat sich Hemingway bei Sherwood Anderson und Ford Madox Ford abgeschaut. Die Autoren der Lost Generation entwickeln eine Dialogführung, in der Kargheit und Mundfaulheit dominieren, die desillusionierten Helden pressen ihre Sätze widerwillig zwischen den Zähnen hervor, sie erzählen nicht ihre Befindlichkeit oder packen ihre Gefühle ins Schaufenster. Das ist wie Cool Jazz, nur geschrieben. Ernest Hemingway mag die klare, spärliche Phrasierung, einen literarischen Purismus, befreit von allem überflüssigen Schnickschnack.

Ernest Hemingway bringt diesen literarischen Lakonismus zur Meisterschaft. Kein Dompteur beherrscht den kargen Satz so wie er, keiner kann im Roman ein und an das nächste und reihen, ohne dass dies platt wirkt. Hemingways nüchterne Prosa huldigt einem literarischen Schweigen, Eisberg-Theorem genannt, bei dem gerade das interessant wird, was nicht ausgesprochen ist.

Eisberg ist ein literarischer Kniff des Weglassens, der wie in einem guten Kinofilm die Handlung im Kopf des Lesers gerade erst antreibt. Das allermeiste liegt unter Wasser, was dann in der Phantasie des Lesers anregen kann. Diese stilistische Kunst des Weglassens und der Enthaltsamkeit – und des damit doch Sagens – ist typisch für Ernest Hemingway.

Der Kollege Aldous Huxley hat einmal über diesen Stil gesagt: Hemingways Fertigkeit ist darin, dass er auch in die weißen Stellen zwischen den Zeilen zu schreiben vermag. Hemingway zelebriert diese einfache Eisberg-Syntax, die nicht alles verrät. Hauptsatz, dann nächster Hauptsatz. Die Sätze: karg, einfach und direkt. So wird ein nüchterner Rhythmus mit großer Wiedererkennung erzeugt.

Durch diesen kurzen Rhythmus werden Hemingways Sätze schnell. Der Leser wird nicht eingelullt, eher im Gegenteil. Der Leser kriegt kaum Zeit zum Luftholen. Er wird von der Rasanz der Satzmelodie in den Bann gezogen, wie auf einer Achterbahnfahrt. Dem Leser bleibt keine Zeit zum Nachdenken, zum Reflektieren, zur Opposition, zur Neutralität, er liest, und liest und mag dann auch kaum hinterfragen.

Lakonie und Understatement kann allerdings nur bei Exaktheit funktionieren. Sonst rutscht die Sprache ab ins Lapidare. Davor ist Ernest Hemingway jedoch gefeit, weil seine Sprache fast chirurgisch präzise ist. Diese dürre Sprache spiegelt die Desillusionierung jener Generation, die mit dem Ersten Weltkrieg groß geworden ist, jene tiefe Wirtschaftsdepression der 20er erlebt hat und nun an den eigenen Ideen und Idealen zweifelt.

Sprachlich nutzt Hemingway die Vorwärtsverteidigung, Männer-Sprache, Macho-Themen, um seine Zweifel zu kaschieren. Hemingways lakonische Prosa ist somit auch ein patriarchalischer Sprachstil. Sprachlicher Machismo, wenn man will. Nur Intellektuelle ziselieren und ornamentieren. Wenn der Patron spricht, bedarf es keiner Schnörkel. Durch eine klare Sprache wird eine Einprägsamkeit erzeugt, Sprache wird zur Ansage, ja, zum Befehl.

Die Sprache des Patriarchen duldet keinen Widerspruch, denn Lakonie erzeugt Autorität und Autoritarismus. Und Wahrheit, möchte man anfügen. Ein ähnliches Phänomen kann man auch bei einem anderen lakonisch schreibenden Autoren feststellen. Den Namen des Autors kennt man nicht, das Buch heißt Die Bibel.

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