Das Portal zu Leben und Werk von Ernest Hemingway

Schlagwort: Hermann von Wedderkop

Ein unbeschriebenes Blatt – Wer Ernest Hemingway als Autor wirklich entdeckte

Der Querschnitt
Ernest Hemingway
Das Berliner Magazin Der Querschnitt ist das erste große Medium, das eine Erzählung von Ernest Hemingway veröffentlicht. Vor allen anderen. Im Juni 1925. Foto: Archiv Dr. Stock.

Vor genau hundert Jahren – im Sommer 1925 – druckte ein Berliner Kulturmagazin die Kurzgeschichte eines völlig unbekannten US-Schriftstellers. Es sollte der Auftakt eines rasanten Aufstiegs werden. Der Name des Neulings: Ernest Hemingway.

Von Wolfgang Stock

Deutschland zu hassen, dafür gäbe es auf Ernest Hemingways Lebensweg genug Anlässe. Nach Machtübernahme der Nazis kommt der US-Autor auf die Schwarze Liste, im Mai 1933 wird sein Anti-Kriegs-Buch In einem andern Land öffentlich verbrannt. Als Reporter im Spanischen Bürgerkrieg erlebt er das gnadenlose Bombardement der Legion Condor gegen die einheimische Zivilbevölkerung. In den Vogesen wird im Oktober 1944 sein ältester Sohn von der Wehrmacht festgenommen und ein halbes Jahr im Kriegsgefangenenlager Moosburg an der Isar inhaftiert. Dem blanken Horror begegnet der Amerikaner dann im Winter 1944, wenige Kilometer hinter der Front im Hürtgenwald, wo in den dichten Wäldern der Nordeifel eine der blutigsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs stattfindet.

Kaiser Wilhelm, Hitler, die Nazis – die Krauts zu verabscheuen, das müsste dem Autor aus Oak Park bei Chicago eigentlich leichtfallen. Doch Ernest Hemingway hasst Deutschland und die Deutschen nicht. Vor allem aus einem Grund, ein Mensch verhindert dies. Sein Name: Hermann von Wedderkop. Von Freunden Weddo gerufen. Heute ist dieser bedeutende Medienmann der Weimarer Republik fast vergessen. Wedderkop ist wunderbar. Sie zahlen mir 550 Francs, jubelt in Paris der junge Autor im Januar 1925. Er kann das Geld aus Berlin gut gebrauchen.

Seit Dezember 1921 lebt Ernest Hemingway in der Metropole an der Seine, es sind beschwerliche Lehrjahre für den ambitionierten Journalisten. Mühsam hält der junge Vater, Sohn John wird 1923 geboren, seine dreiköpfige Familie über Wasser. Ein kleiner Erbschaftsfonds von Ehefrau Hadley verhindert das Schlimmste. Vor kurzem hat er seinen einträglichen Vertrag als Europa-Korrespondent der kanadischen Tageszeitung Toronto Star gekündigt, Ernest Hemingway geht voll ins Risiko. Der Sohn eines Arztes hat einen Traum: Er möchte Schriftsteller werden.

Paris ist in jenen Jahren eine Weltstadt im Aufbruch. Literaten, Maler und Musiker auf der Suche nach neuen Ideen zieht es nach Saint-Germain-des-Prés oder zum Boulevard du Montparnasse, wo im Café de Flore oder Le Dôme die Freude am Dasein ausgelebt wird. Einem jungen Amerikaner, der mit den calvinistischen Werten des Mittleren Westens aufgewachsen ist, muss Rive Gauche vorkommen wie eine Pforte ins Himmelreich. Autoren, die berühmt werden wollen, gibt es zur Genüge in der Stadt an der Seine. Zwar hat der Mittzwanziger, Hemingway ist vom Jahrgang 1899, bereits in zwei Pariser Kleinstverlagen veröffentlicht, doch sind diese Schriften eher Privatdrucke seiner Expat-Freunde Robert McAlmon und Bill Bird. Von seinem Erstling Three Stories and Ten Poems kommen 1923 gerade einmal 300 Exemplare in Umlauf. Ernest hält Ausschau nach einem zahlungskräftigen Verlag, doch der bleibt weit und breit nicht auszumachen.

Der Traum vom Erfolgs-Schriftsteller

Ernest Hemingway erhält von Verlagshäusern aus den USA eine Ablehnung nach der anderen. Seine Frau versucht, ihn wieder aufzurichten. Hadley glaubt an mich und das ist mehr als genug, um den Schmerz der Absagen zu überbrücken. Das Schreiben der Stories ist schon schwer genug gewesen, aber noch schwerer war, dass sie abgelehnt wurden. In seinem Heimatland findet er kein Periodikum, das seine Kurzgeschichte über Spanien drucken will. Damit hat er nicht gerechnet. Jede angesehene Zeitschrift und auch die verrufenen Magazine haben die Stierkampf-Story abgelehnt. Es sei eine großartige Geschichte, aber sie können sie nicht veröffentlichen, erklärt der Newcomer resigniert in einem Brief. Die Story sei zu hart für die Leser. Voller Zweifel beginnt Hemingway, sich als Autor in Frage zu stellen. Den Kerl mit dem riesigen Ego übermannen erste Depressionsschübe.

Nach vielen Tiefschlägen trifft in Paris endlich eine Zusage ein. Zur Überraschung kommt das Angebot nicht aus den USA, sondern aus Deutschland. Hermann von Wedderkop, der Herausgeber einer Berliner Zeitschrift mit dem Titel Der Querschnitt, will die Torero-Erzählung veröffentlichen. Wedderkop schreibt, meine Stierkampf-Story sei wunderbar, verkündet er stolz seinem Freund Harold Loeb. All mein Zeug werde demnächst erscheinen, sagt er. Persönlich treffen sich Hermann von Wedderkop und der junge Amerikaner dann am 9. Oktober 1924, im Pariser Apartment von Ezra Pound, der schon öfter für das Berliner Magazin geschrieben hat. Ernest zeigt sich angetan von dem 24 Jahre älteren Deutschen. Der Kerl ist zu gut, um sich lange halten zu können.

Die Kulturzeitschrift mit dem seltsamen Namen Der Querschnitt erscheint seit 1921 in Berlin. Gegründet hat sie der Kunsthändler Alfred Flechtheim, zunächst als Mitteilungsblatt seiner Galerie. Mitte der 1920er Jahre reiht der Großverleger Hermann Ullstein das Magazin in seinen Propyläen Verlag ein, das Erscheinen wird auf Monatsrhythmus erhöht, die Druckauflage steigt auf 20.000 Exemplare. Jeden Monat überrascht Der Querschnitt mit einem snobistischen Scharfblick auf Kunst, Literatur und Gesellschaft. Dazu hier und da ein ästhetischer Akt, in weiblicher oder männlicher Ausprägung. Als Chefredakteur und Herausgeber entwickelt der Autodidakt Hermann von Wedderkop die kleinformatige Gazette zur vielbeachteten Avantgarde-Zeitschrift in der Weimarer Republik.

Ein wunderbarer Kerl aus Berlin

Zunächst druckt Der Querschnitt im Herbst 1924 einige schlüpfrige Gedichte Hemingways. Wedderkop veröffentlicht meine ganzen obszönen Arbeiten schneller als ich sie schreiben kann. Der US-Amerikaner zeigt sich begeistert von dem Berliner Zeitgeist-Magazin. Sie behaupten, sie würden alles kaufen, egal, was ich schreibe. Ich fürchte, Von Wedderkop ist verrückt. Aber er ist ein wunderbarer Kerl. Und solange Von Wedderkop nicht gefeuert wird, bin ich im Geschäft, schwärmt Hemingway in einem Brief aus den Winterferien in Schruns im Januar 1925. Sein Hang zur Großsprecherei prägt sich schon damals aus: In Deutschland bin ich als der junge amerikanische Heine bekannt.

Oft macht er sich lustig über seinen Verleger, es ist ein gutes Zeichen. Wedderschnitt, persifliert Hemingway den Namen des Chefredakteurs liebevoll, der Wedderschnitt vom Querkopf. Hermann von Wedderkop wird im November 1875 in Eutin geboren, er entstammt einem Adelsgeschlecht aus Niedersachsen. In München, Kiel und Berlin studiert er Rechtswissenschaft, dazu Kunstgeschichte und Archäologie. Zunächst arbeitet der Jurist als Regierungsbeamter in Brüssel und Köln. Doch die Staatsverwaltung ist nicht seine Welt, es zieht ihn zur zeitgenössischen Malerei. Weddo schreibt lieber Artikel und Bücher über moderne Kunst. Dabei lernt er den Kunsthändler Alfred Flechtheim kennen, der ihn Anfang 1924 zum Chefredakteur seines Magazins Der Querschnitt beruft.

Hermann von Wedderkop wird dafür gerühmt, innovative Autoren mit originellen Themen und realistischem Stil zu fördern. Die pomadigen Satzgirlanden eines Thomas Mann hält er für unzeitgemäß. Die neuen Taktgeber heißen Gottfried Benn, Bert Brecht und Alfred Döblin, die in ihren Werken die herrschende Trostlosigkeit schonungslos sezieren. Ernest Hemingway fühlt sich verstanden, auch er ist dabei, mit lebensechten Erzählungen und seinem kargen Eisberg-Stil den viktorianischen Rührstücken à la Charles Dickens ein für alle Mal den Garaus zu machen.

Im Sommerheft des Jahres 1925 ist es dann soweit: Der Querschnitt übersetzt und druckt Hemingways Stierkampf-Story. Im nächsten Heft, der Nr. 7 vom Juli, findet sich der zweite Teil der Erzählung über einen gealterten Torero. Der ehemals berühmte Matador Manuel Garcia erbettelt einen letzten Kampf. Im Verlauf der Corrida wird Garcia von dem Stier mehrfach verwundet, er kann dem Bullen aber letztendlich den Todesstoß versetzen. Schwer verletzt wird der Stierkämpfer von den Helfern aus der Arena getragen und in ein Hospital gebracht. Sofort kommt er auf den Operationstisch. Ob das Leben des Matadors gerettet werden kann? Der Autor lässt es offen.

Gekonnt improvisiert schon diese Kurzgeschichte von gut 30 Seiten über die Grundmelodie des Hemingway’schen Werkes: den heroischen Kampf gegen die menschlichen Grenzen und die Wahrung von Würde in der unvermeidlichen Niederlage. Nach Veröffentlichung in Der Querschnitt tritt die Short Story über den Torero Manuel Garcia unter dem Titel The Undefeated (zu Deutsch: Der Unbesiegte) ihren Siegeszug um die Welt an. Diese typische Hemingway-Erzählung wird in der Winter-Ausgabe 1925/1926 des Pariser Literaturmagazins This Quarter veröffentlicht und schließlich 1927 als Buch in der Sammlung Men Without Women (Männer ohne Frauen) in New York herausgegeben.

Der Durchbruch mit Fiesta

Die lakonische Prosa des Neulings zieht Leser und Kritiker in den Bann. Die Klarheit der Sprache wird ebenso gelobt wie die Unterkühltheit in den Dialogen. Während andere Schriftsteller noch die gespreizte Stilistik der Vätergeneration pflegen, kommt Ernest Hemingway ohne Umschweife zur Sache. In seinem grandiosen Debütroman The Sun Also Rises – zu Deutsch: Fiesta – fängt der junge US-Autor im Oktober 1926 das konfuse Lebensgefühl der Verlorenen Generation wirklichkeitsnah ein. Die von Gertrude Stein so titulierten Männer und Frauen leiden nach dem Zivilisationsbruch unter Werteverfall und Orientierungslosigkeit.

Wie ein anschauliches Menetekel zwischen zwei schrecklichen Kriegen erscheint da Hemingways Fiesta. Amerikanische Intellektuelle in Paris und auf Besuch der Sanfermines in Pamplona geben den Blick frei auf eine Verlorenheit, die bei dem mittelalterlichen Bullen-Spektakel mit reichlich Alkohol und allerlei erotischen Eskapaden verdrängt werden möchte. Auf solch eine Unverblümtheit hat die Leserschaft sehnsüchtig gewartet. Von Europa aus erklimmt der 27-Jährige mit Fiesta den Gipfel der Literatur. Wie ein kraftvoller Bannerträger, wie jemand, der Klartext redet und damit einer bedrückten Generation eine frische Stimme gibt. Ernest Hemingway, nahbar und leutselig, steigt auf zum Weltstar.

So viel Glück ist seinem Mentor in Berlin nicht beschieden. Nach der erfolgreichen Zeit beim Querschnitt, die sich von 1924 bis 1931 erstreckt, versucht sich Hermann von Wedderkop selbst als Autor. Er schreibt launige Reiseführer, über das Rheinland, über Paris, London und Rom. Wie man Freunde gewinnt, den Bestseller des US-Motivationstrainers Dale Carnegie, überträgt er ins Deutsche, wird gar Co-Autor des Werkes. Im Jahr 1933 tritt er der NSDAP bei und hegt offene Sympathien für Benito Mussolini. Allerdings gerät er wegen seiner Vorliebe für moderne Kunst wiederholt in Konflikt mit der braunen Obrigkeit. Der polyglotte Adlige zieht sich zurück und verbringt die Zeit des Nationalsozialismus überwiegend in Italien.

Im Kulturbetrieb der Nachkriegszeit verschwimmt das Profil dieses einst gewichtigen Blattmachers. Er selbst meidet weitgehend die große Öffentlichkeit, lieber übersetzt er ein Buch des italienischen Reiseschriftstellers Emilio Cecchi. Seine Erfolge um die Förderung der künstlerischen Avantgarde mit seinem Zeitgeist-Magazin Der Querschnitt geraten über die Jahre in Vergessenheit. Der medialen Aufmerksamkeit entschwunden und kinderlos stirbt Hermann von Wedderkop nach langen Sanatoriumsaufenthalten in der Schweiz im Oktober 1956 mit 80 Jahren in Hamburg.

Zwei Jahre zuvor, im Oktober 1954, ist seinem ehemaligen Schützling in Stockholm der Nobelpreis für Literatur verliehen worden. Der Novize aus Pariser Tagen, schon lange eine Berühmtheit, vergisst seinen frühen Förderer nicht. In Paris – Ein Fest fürs Leben, dies sind biografisch gefärbte Erzählfragmente seiner sieben Jahre in Europa, erinnert Ernest Hemingway an seinen ersten Verleger. Im Dialog mit der Buchhändlerin Sylvia Beach, er nutzt Shakespeare and Company in der Rue de l`Odéon als Postadresse, erwähnt er seinen Berliner Mentor.
Es war ein Brief, und er fühlte sich an, als ob Geld darin sei.
„Wedderkop“, sagte Sylvia.
Es muss vom ‚Querschnitt’ sein (…). Es sind 600 Francs. Er schreibt, es kommt mehr. Es ist verdammt komisch, dass Deutschland das einzige Land ist, wo ich etwas verkaufen kann.

Hemingway dankt seinem Entdecker

Der Querschnitt ist das erste namhafte Medium gewesen, das diesen ehrgeizigen Jungautor veröffentlicht hat. Somit haben die Deutschen ihn ein wenig entdeckt, noch vor allen anderen. In The Green Hills of Africa setzt Ernest Hemingway dem Berliner Magazin 1935 ein literarisches Denkmal, als er mit einem österreichischen Safari-Kameraden über seinen Beginn als Autor plaudert. The Querschnitt war eine deutsche Zeitschrift, für die ich einige ziemlich obszöne Gedichte geschrieben habe, und wo ich eine längere Erzählung veröffentlicht habe, Jahre bevor ich in Amerika überhaupt etwas verkaufen konnte.

Die ausführliche Passage aus Die grünen Hügel Afrikas druckt Der Querschnitt im Juni 1936 unter dem Titel The Man with the Tyrolese Hat bei Nennung des Autors auf anderthalb Seiten nach. Dieser Mut erstaunt. Denn Hemingways Name befindet sich auf der Liste unliebsamer Autoren. Politisch bleibt das Magazin zwar diffus, doch eckt es mit seiner Unangepasstheit mehrfach bei den nationalsozialistischen Machthabern an. Unter dem 12. Oktober 1936 notiert Propagandaminister Joseph Goebbels in sein Tagebuch: „Gestern: gelesen, gearbeitet. Zwei Zeitschriften Inneres Reich und Querschnitt wegen dreister Unverschämtheiten verboten. Das hat wohlgetan. Die waren wieder frech wie Dreck.“

Mit Der Querschnitt erfährt Ernest Hemingway eine emotionale Bindung zu Deutschland und darüber hinaus einen Zugang zur deutschen Literatur. Thomas Mann bewundert er, Ringelnatz ebenso. Der Amerikaner ist ein offener und neugieriger Mensch, als Nicht-Studierter muss er sich vieles abschauen. Über allem Ruhm vergisst er nicht, wer seine erste Spanien-Geschichte und die vorlauten Poeme veröffentlicht hat. Eine deutsche Zeitschrift und ihr Chefredakteur haben an ihn geglaubt, während Verlage in der Heimat seine Manuskripte in den Papierkorb geschleudert haben.

Dankbar blickt der Nobelpreisträger zurück auf den Beistand von Weddo in den schwierigen Anfangsjahren. Die insgesamt sieben Veröffentlichungen in dem Berliner Magazin werden Ernest Hemingway vor einem Trugschluss bewahren, der gemeinhin schnell gemacht ist. Deutschland ist nicht allein das Land der Bücherverbrenner und der Joseph Goebbels. Deutschland, das ist ebenso das Land von Der Querschnitt und des Hermann von Wedderkop.

Dr. Wolfgang Stock lebt als Journalist und Buchautor in Herrsching am Ammersee. Er betreibt das Portal Hemingways Welt (www.hemingwayswelt.de) und hat eine Biografie über den Nobelpreisträger geschrieben (Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru).

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Wedderkop ist verrückt, schreibt Ernest Hemingway

Ernest Hemingway
Hermann von Wedderkop
Ernest Hemingway vor seiner Wohnung in der Rue Notre-Dame-des-Champs, Nummer 13; Paris, ca. 1924. Credit Line: Ernest Hemingway Collection. John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Dieses Land zu hassen, dafür gäbe es in Ernest Hemingway Biografie genug Anlässe. In Fossalta di Piave, zu Ende des Ersten Weltkriegs, wird der junge US-Amerikaner von einer Mörsergranate fast ums Leben gebracht. Ein halbes Jahr muss er im Lazarett in Mailand zusammengeflickt werden. Im Spanischen Bürgerkrieg erlebt er das brutale Bombardement der Legion Condor gegen die Republik. Und im Zweiten Weltkrieg kauert er nur weniger Kilometer hinter der Frontlinie im Hürtgenwald, einer der blutigsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs.

Kaiser Wilhelm, Hitler, die Nazis – Deutschland zu hassen, müsste ihm leicht fallen. Doch der US-Amerikaner hasst Deutschland und die Deutschen nicht. Vor allem aus einem Grund, ein Mann ist da vor. Sein Name: Hermann von Wedderkop. Heute fast vergessen. Wedderkop ist wunderbar, schreibt Ernest Hemingway. Sie zahlen mir 550 Francs, jubelt er im Januar 1925, der junge Amerikaner hat es in jenen Jahren nicht dicke.

Der unbekannte Ernest Hemingway bietet seine Geschichten wie sauer Bier an. Im seinem Heimatland findet sich kein Periodikum, das die Stories des Newcomer drucken will. Jede angesehene Zeitschrift und auch die verrufenen Magazine haben die Stierkampf-Story abgelehnt. Es sei eine großartige Geschichte, aber wir können sie nicht veröffentlichen, zeigt er sich resigniert in einem Brief an seinen Kollegen Ernest Walsh. Die Story sei für die Leser zu hart.

Ganz anders das Urteil des Hermann von Wedderkop. Wedderkop schreibt, meine Stierkampf-Story sei wunderbar, verkündet er im Januar 1924 stolz seinem Freund Harold Loeb. All mein Zeug wird demnächst erscheinen, sagt er. Am 9. Oktober 1924 treffen sich Wedderkop und der junge Amerikaner in Paris, im Apartment von Ezra Pound, der schon öfter für das Berliner Magazin geschrieben hat. Hemingway und Wedderkop finden einen guten Draht zueinander.

Der Chefredakteur stellt die redaktionelle Linie des Querschnitt vor. Ernest Hemingway fasst Wedderkop Credo zusammen: Zum Teufel mit all der Vornehmtuerei und den Kirmesbuden der Eitelkeit. Gebt dem Leser die volle Dröhnung. Er veröffentlicht großartige Boxfotos und Fotos von all den schicken Frauenzimmern in Europa. Der Kerl ist zu gut, um sich lange halten zu können.

Von Wedderkop ist Chefredakteur der Monatszeitschrift Der Querschnitt, die Gedichte und eine zweiteilige Stierkampf-Story im Sommer 1925 von im abdruckt. Sie behaupten, sie würden alles kaufen, egal, was ich schreibe. Ich fürchte, Von Wedderkop ist verrückt, aber er ist ein wunderbarer Kerl. Und solange Von Wedderkop nicht gefeuert wird, bin ich im Geschäft, schwärmt Ernest Hemingway in einem Brief aus Schruns am 9. Januar 1925 an William Smith.

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Ernest Hemingway ist begeistert von der Januar-Ausgabe des Querschnitt im Jahr 1925.

Der Amerikaner in Paris ist ganz vernarrt in Der Querschnitt aus Berlin. Seine Mentorin Gertrude Stein fragt Ernest Hemingway am 20. Januar 1925 aus dem österreichischen Schruns, wo er mit seiner Frau Hadley und dem einjährigen Sohn John die Winterferien verbringt: Habt Ihr die Januar-Ausgabe vom Querschnitt gesehen? Mit der berühmten Rede von Juan Gris und vielen Abdrucken von Gris. Ich habe die Ausgabe heute erhalten. Sie sieht sehr seriös aus, aber immer noch lebhaft. Wunderschön umgesetzt. Was habt Ihr von Wedderkop gehört? 

Der aufstrebende Schriftsteller begeistert sich immer mehr an dem Monatsmagazin. An Jane Heap schreibt er am 5. April 1925: Wedderkop veröffentlicht meine ganzen obszönen Arbeiten schneller als ich sie schreiben kann. In Deutschland bin ich als der junge amerikanische Heine bekannt. Kaum ein Verleger, den Hemingway so ins Herz geschlossen wie den Deutschen. Der Amerikaner macht sich lustig über ihn, es ist ein gutes Zeichen. Wedderschnitt, persifliert Ernest seinen Verleger, den Wedderschnitt vom Querkopf.

Hermann von Wedderkop wird im November 1875 in Eutin

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Ein deutscher Chefredakteur entdeckt den unbekannten Ernest Hemingway

Der Querschnitt berichtet weniger über das turbulente Zeitgeschehen und die althergebrachte Kultur, sondern über avantgardistische Kunst. Jazz und Zeitgeist, Boxsport und Metropolenklatsch, Dadaismus und künstlerische Aktfotos – das sind die Schwerpunkte der Zeitschrift.

Im Berlin der Weimarer Republik erscheint seit 1921 eine kleinformatige Kulturzeitschrift mit dem merkwürdigen Namen Der Querschnitt. Gegründet hat sie der Kunsthändler Alfred Flechtheim, zunächst als Mitteilungsblatt seiner Galerie. Mitte der 1920er Jahre übernimmt der renommierte Verleger Hermann Ullstein mit seinem etablierten Propyläen Verlag das Magazin, die Erscheinungsweise wird auf Monatsrhythmus erhöht, die Auflage steigt auf 10.000 Exemplare.

Chefredakteur und Herausgeber wird ab 1924 der Schriftsteller und Übersetzer Hermann von Wedderkop, der einen scharfen Blick besitzt auf die künstlerische Avantgarde. Wedderkop fördert frische Talente mit lebensnahen Themen und realistischem Stil. Aus Paris angeboten wird das Manuskript eines gänzlich unbekannten 25-jährigen US-Amerikaners veröffentlicht. In Heft 6, dem Sommerheft des Jahres 1925, schreibt ein Ernest Hemingway über Stierkampf. Im darauf folgenden Heft 7, vom Juli 1925, findet sich der zweite Teil der Erzählung.

Die Kurzgeschichte mit gut 30 Seiten, von B. Bessmertny übersetzt, handelt von dem abgehalfterten Torero Manuel Garcia. Der ehemals berühmte Matador erhält das Angebot, gegen ein Gnadenbrot einen letzten Stierkampf zu bestreiten. Im Verlauf der Corrida wird Garcia von dem Stier mehrfach verwundet, kann dem Bullen aber letztendlich den Todesstoß versetzen. Schwer verletzt wird Manuel Garcia von den Helfern aus der Arena getragen und in ein Krankenhaus gebracht.

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Jeden Monat überrascht Der Querschnitt als Wundertüte mit einem wilden Mix an Themen, von innovativen Autoren geschrieben. Heft 6 des Jahres 1925 druckt eine Kurzgeschichte des unbekannten Ernest Hemingway.

Nach dem Abdruck in Der Querschnitt tritt Hemingways Short Story über den Torero Manuel Garcia unter dem Titel The Undefeated (zu Deutsch Der Unbesiegte) ihren Siegeszug um den Globus an. Diese typische Hemingway-Erzählung wird in der Winter-Ausgabe 1925/1926 des Pariser Literaturmagazins This Quarter veröffentlicht und schließlich 1927 als Buch in der Sammlung Men Without Women (Männer ohne Frauen) in New York herausgegeben. Der Name Ernest Hemingway beginnt zu leuchten.

Gerade in den Jahren 1924 und 1925, es sind Ernest Hemingways mühevolle Lehrjahre in Paris, taucht der Amerikaner aus Chicago wiederholt in den Spalten der Berliner Kulturzeitschrift auf. Zwar hat er in den Monaten zuvor in zwei Pariser Kleinstverlagen veröffentlicht, sie gehören Expat-Freunden von ihm, in einem großen Haus wie Ullstein ist allerdings noch nichts gedruckt worden. Auch in seiner Heimat

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