Auf den Fersen von Ernest Hemingway

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Ernest Hemingway verehrt den Boxer Max Schmeling

Max Schmeling
Der deutsche Boxer Max Schmeling, im Jahr 1938. Photo: C. Greene, World Telegram.

Das Boxen mochte er immer. Zumal dieser begnadete Schriftsteller sich für einen grandiosen Boxerkämpfer hält. Doch auf die Kenner der Materie wirkt der Mann aus Chicago eher wie ein Maulheld. My writing is nothing, my boxing is everything, solch einen blühenden Blödsinn sondert Ernest Hemingway gerne ab. Sein Schreiben sei nichts, seine Boxkunst alles. Es ist genau anders herum, wie sollte es auch sein, bei einem Nobelpreisträger und Star-Autoren.

Doch der Boxsport lässt Hemingway nicht kalt. Er zeigt sich gerne als Box-Kämpfer, lässt Fotos mit sich in Positur aufnehmen. Und er fightet gerne. Gegen Kollegen am liebsten. In seinen Pariser Anfangsjahren verdient er sich ein paar Francs dazu als Sparringspartner für Schwergewichtler. Boxer – wie der Kubaner Kid Tunero – gehören zu seinem engen Freundeskreis. Zeitlebens bleibt der Boxsport seine große Leidenschaft.

Wenn man sich das Oeuvre von Ernest Hemingway anschaut, merkt man über kurz oder lang, dass Boxen und auch die Boxsportler in zahlreichen Erzählungen vorkommen. Joe Louis, Georges Carpentier, Jack Walker, Kid Norfolk, Charles Ledoux, Jack Sharkey oder Max Schmeling – all diese Boxkämpfer finden sich in den Büchern des Nobelpreisträgers von 1954. In einigen seiner Kurzgeschichten geht es ebenso ums Boxen.

Nicht nur die Kriegsschlacht und der Stierkampf sind zentrale Motive seines Werkes. Auch das Boxen passt gut in die Erzählstränge seiner Romane. Denn anhand dieses Sports lassen sich die Tugenden und Ideale festmachen, über die Ernest Hemingway schreibt. Tapferkeit, Tollkühnheit, Kampfeslust und den Willen, niemals aufzustecken.

Einen Boxer bewundert er vor allem. Den Deutschen Max Schmeling. Am 22. Juni 1938 fliegt Ernest Hemingway von seinem Wohnort Key West nach New York, um sich den Kampf von Joe Louis gegen Max Schmeling im Yankee Stadium anzusehen. Der Schriftsteller mag beide Boxer. Herkunft, Hautfarbe, Reisepass, völlig schnurz für einen Fan wie ihn. Jubel in ganz Amerika, als Joe Louis dem Deutschen in der ersten Runde einen K.o.-Schlag verpasst. Beide Boxer werden trotz aller Rivalität zu Freunden.

Max Schmeling, der im September 1905 in Klein Luckow in Vorpommern geboren wird und der im Februar 2005 im niedersächsischen Wenzendorf stirbt, ist der populärste deutsche Schwergewicht-Boxer. Zwischen 1930 und 1932 ist er Box-Weltmeister. Ein Comeback als World Champion gelingt ihm nicht, trotz eines Sieges im Jahr 1936 gegen Joe Louis. Im entscheidenden Rückkampf vom Juni 1938 geht er mit Pauken und Trompeten unter. Seiner Popularität tut die Niederlage keinen Abbruch.

Bis heute gilt er als tadelloser Sportsmann, nicht nur in seiner Heimat. Gerade Max Schmeling, den er verehrt und häufig erwähnt, ist als Persönlichkeit wichtig: Der Box-Weltmeister zeigt Hemingway und der Welt in dieser schwierigen Zeit ein differenziertes Bild von Deutschland. Der Schwergewichtler lebt vor, dass man

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Jack Hemingway wird von den Deutschen gefangen gehalten

Ernest Hemingway mit seinen Söhnen Patrick, mit Jack in Uniform und Gregory im Club de Cazadores del Cerro auf Kuba. Photo Credits: Ernest Hemingway Photograph Collection, John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

In Paris erfährt Hash im Frühjahr 1923, dass sie schwanger ist. Der Sohn John Hadley Nicanor, mit Kosename kurz Bumby genannt, kommt im Oktober bei einem mehrmonatigen Aufenthalt im kanadischen Toronto zur Welt. John sollte das einzige Kind aus der Ehe von Ernest Hemingway mit Hadley Richardson bleiben. Der Sohn wächst wohlbehütet in Paris auf.

Jack, so wird er in der Familie gerufen, besucht das Dartmouth College und die University of Montana. Ohne Abschluss, Pearl Harbor kommt dazwischen, er geht zur Armee. Mit Eintritt der USA in den Krieg wird Jack Hemingway 1944 nach Frankreich abgeordnet. Schließlich arbeitet er beim militärischen US-Geheimdienst OSS. Da er der französischen Sprache mächtig ist, wird er als Verbindungsoffizier zur Résistance eingesetzt. 

Dann der Schock für ihn und die ganze Familie: In den Vogesen wird Jack im Oktober 1944 von der Wehrmacht festgenommen und ein halbes Jahr im Kriegsgefangenenlager Moosburg an der Isar inhaftiert. In diesem Lager zwischen München und Landshut magert er dramatisch ab. Von 95 Kilo auf 64 Kilo. Nach seiner Befreiung Anfang April 1945 macht er sich auf in Richtung Paris, wo er am 8. Mai den Feierlichkeiten zum Kriegsende beiwohnt.

Trotz seiner Gefangenschaft verbleiben bei Jack keine Ressentiments. Die Wehrmacht hat ihm kräftig zugesetzt, doch er weiß zu unterscheiden. Als ich Jack auf der Frankfurter Buchmesse Ende der 1980er Jahre treffe, kommt er mir als ein liebenswürdiger und offener Gesprächspartner entgegen. Die Deutschen als Feinde, nicht vergessen, aber es ist Historie. So hat auch der Vater gedacht.

Nach dem Krieg wird er kurz in West-Berlin und Freiburg stationiert, dann in Fort Bragg, in North Carolina, bevor er die Armee verlässt. Im Zivilleben widmet er sich seiner Passion, dem Fischen, er betreibt einen Handel mit Angelutensilien. Dann schreibt Jack seine Autobiografie und hält die Erinnerungen an den Vater fest. Misadventures of a Fly Fisherman: My Life With and Without Papa.

Ab 1967 lebt er in Ketchum, in den Bergen Idahos. Dort, wo auch sein Vater die letzten beiden Jahre verbracht hat. Und wo der Nobelpreisträger begraben liegt. Von 1971 bis 1977  ist er Beauftragter des Idaho Fish and Game-Beirates gewesen. Er setzt sich für den Erhalt der Natur ein. In der Region des Sun Valley und des Silver Creek hat er sich als Umweltschützer einen guten Namen erworben.

Jack Hemingway Ketchum

John Hadley Nicanor, genannt Jack, ist der älteste Sohn von Ernest Hemingways. Auch Jack findet seine letzte Ruhe auf dem Dorffriedhof von Ketchum. Foto: W. Stock, 2018.

Drei Kinder. Mariel, die Hollywood-Schönheit. Joan, genannt Muffet. Und Margaux, ein Model und ebenfalls eine Schauspielerin. Jack stirbt am 1. Dezember 2000. Er liegt auf dem Dorffriedhof von Ketchum begraben. One of Natur’s Noblemen steht auf seinem Grabstein. Ein Edler

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Der Selbstmord von Ernest Hemingway: Ein Kampf gegen die Dämonen

Ernest Hemingway
Ketchum Cemetery
Seit Juli 1961 liegt Ernest Hemingway auf dem Dorffriedhof von Ketchum in den Bergen Idahos. Foto: W. Stock, 2018.

Dieser kernige Bursche gilt als der Prototyp einer amerikanischen Hyper-Maskulinität. Welch ein Leben voller Abenteuer und Erfahrungen! Ernest Hemingway ist ein Haudegen, wie er im Buche steht: Bei zwei Weltkriegen mitgemischt, im Spanischen Bürgerkrieg unter Beschuss der Putschisten, monatelange Safari-Jagden in Afrika, jeden Sommer das Bullenrennen in Pamplona, vier Ehen, Dutzende Liebschaften. Ein Mann für die Ewigkeit. Oder etwa nicht?

Das Ende mit einem Donnerschlag. Am 2. Juli 1961, an einem Sonntag, wacht er auf im Schlafzimmer seines Wohnortes Ketchum in den Ausläufern der Rocky Mountains. Leise schleicht er sich in den Keller, packt eine doppelläufige Schrotflinte aus dem Waffenschrank, nimmt zwei Schuss Munition, geht hinauf ins Vestibül, den Eingangsbereich vor dem Wohnzimmer, setzt sich auf den Boden des kleinen Vorraums und steckt den Gewehrlauf in den Mund. Dann drückt er ab.

Überraschend? Wohl nicht, eher zwangsläufig, wenn man hinter die Fassade blickt. Man weiß, die Hemingways sind eine Familie von Selbstmördern. Vater Clarence, ein praktizierender Arzt, bringt sich um, als Ernest 29 Jahre alt ist. Den geliebten Patron so zu verlieren, verletzt ihn tief. Auch zwei seiner sechs Geschwister nehmen sich das Leben. Margaux, die schöne Enkelin, ebenso. Die bekannte Schauspielerin setzt ihrem irdischen Dasein in Santa Monica ein Ende, mit 42 Jahren.

Auch wenn der berühmte Autor in der Öffentlichkeit den Macho raushängen lässt, ist Ernest Hemingway außerdienstlich ein anfälliger Mensch. Die Krankenakte dieses Patienten ist lang. In der Diagnose-Spalte findet sich häufig der Begriff Depression. Wie beim Vater. Clarence weilt oft in Kuren, um zu Kräften zu kommen und um seine Bekümmertheit zu heilen. Das Oberhaupt der Familie wird mehr und mehr geplagt von bipolaren Stimmungsstörungen. Auch Mutter Grace leidet ständig unter Schlaflosigkeit und Kopfschmerzen, die Nerven. 

Bipolarität ist auch Ernest nicht fremd. Er ist ein Mann mit zwei Gesichtern. Von den Gefühlen gänzlich hin- und hergerissen. Er kann wechselweise schüchtern sein oder großkotzig, warmherzig oder aggressiv, großzügig oder rücksichtslos. Ein Charmeur oder jemand, der gegen Frauen pöbelt. Solche Stimmungsschwankungen gehören zu seinem Alltag. Heute würde man auf bipolare Störungen abstellen, es gibt genug Merkmale von Borderline-Syndrom und von narzisstischen Persönlichkeitsstörungen.

Anstatt seine Leiden kurativ anzugehen, schreitet Ernest seinen Weg weiter. Er denkt, er muss nur schneller gehen, dann wird’s besser. Er stürzt sich in aggressive Sportarten, sucht Trost beim Abschlachten von Stieren und an den Haken nehmen von Großfischen. Eine Ehe nach der anderen setzt er in den Sand, er will es noch nicht mal besser machen, bei der folgenden Liebschaft legt er die gleichen Fehler an den Tag.

Als Draufgänger besitzt er die Neigung, sich auf missliche Weise selbst Verletzungen zuzufügen, insbesondere im Kopfbereich. In Paris verwechselt er 1928 die Schnur eines Oberlichts mit einer Toilettenspülung, er zieht daran, eine Glasscheibe knallt ihm voll auf den Kopf. In der Normandie wird er von einem Motorrad geschleudert, es folgen Monate mit Kopfschmerzen und Gedächtnisstörungen. Auf seinem Boot Pilar stürzt er 1950 unbeholfen und erleidet eine starke Gehirnerschütterung. Dazu zwei qualvolle Flugzeugunglücke in Afrika im Jahr 1954.

All die wiederholten Verletzungen im Kopfbereich verursachen nicht nur körperliche Schmerzen, sondern verschlimmern zudem seine psychischen Probleme. Sein Gedächtnis wird im Laufe der Jahre immer schlechter, seine Kreativität nimmt ab, das Schreiben fällt ihm von Tag zu Tag schwerer. Doch Ernest Hemingway kennt ein Heilmittel. In Wirklichkeit jedoch ist es sein schlimmster Dämon.

Doch Ernest merkt es nicht. Der Alkohol ist für ihn ein Helfer in der Not. Medizin für die Narben seiner Seele. Whiskey und Wein sind lebenslange Begleiter. Mit Anfang zwanzig beginnt er, jeden Tag zu trinken. Irgendwann ist der Griff zur Flasche derart sein Alltag, dass er die Sucht nicht mehr regulieren kann. Die Ehefrauen und die Ärzte drängen ihn, mit dem Saufen aufzuhören. Sie alle sprechen gegen den Wind. Zudem spielt der Alkoholkonsum bei den Kopfverletzungen eine fatale Rolle. Als Ursache oder als Treiber einer Ausweitung.

Obendrein übernimmt die Depression nun das Kommando über ihn. Seine Schlaflosigkeit wird schlimmer und in den letzten Jahren zeigt er Anzeichen von Wahnvorstellungen. Der Schriftsteller äußert die Befürchtung, dass seine Freunde ihn umbringen wollen und sieht sich an jeder Straßenecke vom FBI beschattet. Der Wirrwarr aus psychotischer Depression, den Hirnverletzungen, den bipolaren Störungen und dem chronischen Alkoholmissbrauch lassen seinen Gesamtzustand vollkommen absacken.

Was bleibt einer armen Seele als Ausweg? Im engen Kreis spricht der Nobelpreisträger häufig davon, sich das Leben nehmen zu wollen. Im Frühjahr 1961 versucht Ernest Hemingway innerhalb einer Woche drei Selbstmord-Versuche. Der öffentlich gefeierte Autor kann keinen klaren Gedanken fassen, ans Schreiben ist nicht mehr zu denken. Wenn ihm am Schreibtisch vor dem leeren Blatt Papier die Worte fehlen, bricht er in Tränen aus. 

Ernest Hemingway hat sich stets darin gefallen, gegen

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Waldo Peirce: Ernest Hemingway Among the Sharks

Waldo Peirce: Hemingway Among the Sharks, Mai 1928.

Die Freunde planen einen Trip auf die Marquesas Keys und die Dry Tortugas. Dies sind eine zu Florida gehörende Gruppe aus zehn kleinen Eilanden, die eine Tagesreise westlich von Key West liegen. Der Mob, wie Ernest Hemingway den Freundeskreis nennt, will die unbewohnten Inseln mit ihren weißen Stränden und den Mangroven-Wäldern erkunden und im Golf von Mexiko fischen. Es ist Mitte Mai 1928, das erste Jahr des Schriftstellers in Key West.

Der Autor hat zu diesem Abstecher seine besten Spezl eingeladen. Den Maler Waldo Peirce, den Ernest Don Pico nennt, einen seiner ganz engen Weggefährten. Dann Bill Smith, einen Jugendfreund aus Zeiten in Michigan, und Bra Saunders. Zwei weitere Freunde, Burge Saunders und Charles Thompson, werden mit einem größeren Motorboot nachgekommen und die Männergruppe auf sechs anwachsen lassen.

Die Freunde fischen den ganzen Tag und braten abends die Beute über dem offenen Feuer oder bereiten Makrelen und Muschelsalat zu. Es geht zu wie in einer Hinterhofkneipe, man ist nur unter Kerlen. Hauptsache, an Bord geht das Feuerwasser nicht aus. Den Schluckspechten fallen, fernab der Zivilisation, jede Menge Albernheiten ein. Unsinn, den Männer so machen, wenn sie unter sich sind. Wenn die Freunde satt sind, furchtbar viel getrunken haben und außer Rand und Band geraten, dann reißen sich alle Burschen auch mal die Kleider vom Leib und tanzen nackt unter dem tropischen Sternenhimmel.

Besonders der 28-jährige Ernest ist für jeden Blödsinn zu haben, der Schriftsteller dreht auf bei diesen Ausfahrten im Golfstrom. Der Triumph seines Erstlings – The Sun Also Rises – stachelt ihn erst recht an. Die im Oktober 1926 verlegte Erzählung wird zu seinem Durchbruch als Autor. Die Kritiker und die Leserschaft weltweit zeigen sich hellauf begeistert, mehr und mehr rutscht Ernest in die Rolle einer literarischen Berühmtheit hinein. 

Der Maler Waldo Peirce wird zum Chronisten des Männer-Spektakels auf dem Meer. In knallbunten Wasserfarben zeichnet er die wüsten Eskapaden nach. Hemingway Among the Sharks, so nennt er eines der Blätter. In Hemingway unter den Haifischen, mit Datum 10. Mai 1928, skizziert Waldo die Ausgelassenheit und den Übermut seines prominenten Freundes Ernest auf dem Golfstrom.

Das Aquarell zeigt einen oberkörpernackten Ernest Hemingway mit dunkler Kappe, mitten auf dem kleinen Boot. Der vollbärtige Waldo Peirce an Heck, mit breitem Strohhut, ist Steuermann, der Dampf ploppt aus seiner Tabakpfeife. Am Bug der Schaluppe steht der

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Ernest Hemingway: Der letzte Abend vor dem Selbstmord

Christiania 
Ketchum Idaho
Hemingway
Ein letztes Mahl in seinem Lieblingsrestaurant Christiania. Photo by W. Stock, Ketchum 2018.

Der große Ernest Hemingway, gefeiert von aller Welt, ist am Ende seiner Lebensreise ernüchtert und unglücklich.  Große Männer fallen tief. Und er, der beste Schriftsteller seiner Zeit, fällt tief, ganz tief. Seine italienische Übersetzerin Fernanda Pivano, die ihn aus den Büchern und vielen Begegnungen gut kennt, meint nach seinem Selbstmord: „Ernest schien nie wirklich glücklich. Er war unaufhörlich auf der Jagd nach seiner selbst. Nie fand er den Frieden mit sich.“

Die letzten Tage seines Lebens sind entsetzlich für ihn. Alles, was er liebt, wird unerreichbar. Der Schatten auf seiner Schulter ermächtigt sich seiner. Der Autor ist an den Zeitpunkt gelangt, an dem er abschließen möchte mit der Welt, er sieht keinen Sinn mehr und keinen Lichtblick in seinem Leben. Er möchte es zu einem Ende bringen, es soll jedoch ein Abschied sein nach seinen Regeln.

Am letzten Abend gehen die Mary und Ernest Hemingway mit ihrem Freund George Brown in das Christiania Restaurant an der Walnut Avenue im Zentrum von Ketchum. The Christy, wie das Haus bei den Einheimischen genannt wird, in ein rustikales, aber doch vornehm gehaltene Speiselokal aus Holz. Der Schriftsteller erhält seinen Stammtisch, Tisch Nummer 5, den Ecktisch hinten links, von dort aus vermag er den ganzen Speiseraum zu überblicken. Es ist Samstag, der 1. Juli 1961.

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Am Abend des 1. Juli 1961 besucht Ernest Hemingway zusammen mit Mary und einem Freund das Christiania. Stunden später wird der Nobelpreisträger tot sein. Photo by W. Stock, Ketchum 2018.

Ein kräftiges New York Steak, wie immer rare gebraten, dazu Idaho-Kartoffeln und ein einfacher grüner Salat, es ist sein Lieblingsgericht. Ernest trinkt dazu eine Flasche Châteauneuf-du-Pape, seinen roten Lieblingswein. Mary nimmt den Caesar Salad mit Parmesan und bleibt den ganzen Abend bei Martini. Doch die Paranoia lässt ihn auch im Christiania nicht los. Längere Zeit sitzt der bärtige Autor versunken und schweigend am Tisch.

Wer sind die beiden Männer dahinten, fragt Ernest Hemingway unvermittelt die Kellnerin June Maella, eine 20-jährige Einheimische, die den berühmten Schriftsteller im Christiania schon häufig bedient hat. Ich glaube, es sind zwei Vertreter aus Twin Falls, bekommt er zur Antwort. Nein, nein, sagt der Nobelpreisträger fahrig, nicht am Samstagabend, da müssten sie bei ihren Familien sein. Das sind

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Ernest Hemingway – übermütig auf den Marquesas Keys

Ernest Hemingway USA Key West
Ernest Hemingway, Bra Saunders und Waldo Peirce auf dem Meer vor Key West, 1928. Photo Credits: Ernest Hemingway Collection of the John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Von Key West brechen Mitte Mai 1928 Ernest Hemingway und ein paar Freunden mit einem Boot auf zu den Marquesas Keys. Die Marquesas Keys sind eine zu Florida gehörende Gruppe aus zehn kleinen unbewohnten Inseln, die etwa 30 Kilometer westlich von Key West liegt. Zur Ausflugstruppe des Schriftstellers gehören der Maler Waldo Peirce und Bill Smith und Bra Saunders aus Key West.

Wenn das Wetter mitspielt, will man weiter zu den Dry Tortugas schippern, die nochmals die gleiche Stecke westlich liegen, eine Bootsstrecke für die man zehn Stunden braucht. Seit einigen Wochen ist Ernest Hemingway wieder in den USA, nach sieben Jahren in Paris. Es hat ihn ans Meer verschlagen, das er so sehr liebt.

Nach den Jahren in Europa hat Ernest Hemingway vor, mit seiner zweiten Frau Pauline am südlichsten Zipfel der USA Wurzeln zu schlagen. Die im achten Monat schwangere Pauline ist zu ihren Eltern nach Piggott in Arkansas gefahren, 2.000 Kilometer mit dem Zug, einen Monat später wird der Sohn Patrick zur Welt kommen.

Das intellektuelle Klima in der Stadt an der Seine hat ihn geprägt, doch nun will der erdige Bursche mit Freunden mal wieder auf den Putz hauen. Der Erfolg seines Erstlings – The Sun Also Rises – zwei Jahre zuvor und sein Durchbruch als Autor stacheln ihn zusätzlich an. Die jungen Männer wollen die unbewohnten Inseln mit ihren weißen Stränden und den Mangroven-Wäldern erkunden und im Golf von Mexiko ausgiebig fischen.

Im Golf lassen sich große Schwertfische, Segelfische, Tarpune und Marline fangen. Der Mob oder the Family, wie Hemingway den Freundeskreis nennt, fischt und abends wird der Fang auf offenem Feuer zubereitet. Dazu gibt es Makrelen und Muschelsalat. Zwei weitere Mitglieder des Mob, Burge Saunders und Charles Thompson, sind mit einem größeren Motorboot nachgekommen und lassen die Männergruppe auf sechs anwachsen.

Die Heimfahrt gestaltet sich dann allerdings schwierig. Die Ausflügler werden von schlechtem Wetter überrascht, ein starkes Sturmtief zieht auf, und alle müssen über Nacht auf den verlassenen Inseln verbleiben. Doch davon lassen sich die Kerle nicht die Laune vermiesen.

Die Freunde machen, fernab der Zivilisation, eine Menge Quatsch. Jenen Unsinn, den Männer halt machen, wenn sie unter sich sind. Besonders der 28-jährige Ernest ist für jeden Spass zu haben. Aufgekratzt toben die Kerle außer Rand und Band umher, voller Übermut drehen

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Ernest Hemingway und Fats Navarro

Fats Navarro, einer der großen Trompeter des Bebop.

Am 24. September 1923 wird Theodore Fats Navarro junior in der Thomas Street 828 von Key West geboren. Die Familie ist mittellos, der Vater Theodore Navarro senior arbeitet sporadisch als Barbier. Im Stammbaum der Navarros lassen sich kubanische, afroamerikanische und chinesische Vorfahren ausmachen.

In der Familie wird der Sohn Cody gerufen, um eine Verwechslung mit dem Vater vorzubeugen. Cody, der neben Englisch ein passables Spanisch spricht, zeigt sich besonders stolz auf seine kubanischen Wurzeln. Fats wächst in der Thomas Street von Key West auf, im Bahama Village, dem damaligen Viertel der Einwanderer.

Der Vater, der selber Piano spielt, erkennt früh das musikalische Talent seines Sohnes und fördert dessen Entwicklung an den Instrumenten. Als Kind versucht sich Fats junior ab dem sechsten Lebensjahr zunächst am Klavier, mit 13 Jahren steigt er dann um auf Trompete und Tenorsaxophon.

Die Mutter Miriam, eine geborene Fernandez, lässt sich bald von ihrem Ehemann Fats Navarro senior scheiden. Sie heiratet neu, bleibt in Key West wohnen, und heißt nun Miriam Williams. Nach ihrer Scheidung nimmt sie einen neuen Job an. Der Beruf und der Arbeitsplatz der Mutter lassen aufhorchen.

Denn Miriam Williams arbeitet als Köchin im großbürgerlichen Haushalt von Ernest und Pauline Hemingway in der Whitehead Street 907. Seit April 1931 wohnt das wohlhabende Ehepaar mit dem kleinen Sohn Patrick in diesem mondänen Kolonialhaus, im November kommt Nesthäkchen Gregory dazu. Das prachtvolle Anwesen der Hemingways liegt in der historischen Altstadt von Key West, ganz in der Nähe des Leuchtturms.

Das Haupthaus ist dem französischen Kolonialstil nachempfunden, es ist eines der ersten mit Swimmingpool in Key West. Die vierköpfige Familie wird von einem halben Dutzend Bediensteter umhegt, neben der Köchin Miriam auch von einem Diener, einem Gärtner und einem Kindermädchen. Kollegen, die die Hemingways besuchen, so der Deutsche Gustav Regler, staunen nicht schlecht über die tropikale Großbürgerlichkeit an der Whitehead Street.

Nachdem die bisherige Köchin Isobel den Haushalt verlassen hat, kann Miriam deren Aufgaben übernehmen. Obwohl sie keinerlei Berufserfahrung mitbringt. „Das erste Jahr war hart. Aber alle waren nett zu mir und geduldig. Nach einen Jahr konnte ich alle Gerichte kochen.“ Besonders gut kann Miriam die Lieblingsspeise von Ernest zubereiten: Backfisch, schwarze Bohnen, Knoblauch und Zwiebeln, dazu entweder Brokkoli oder Brechbohnen mit Sauce Hollandaise.

Die Mutter Miriam ist glücklich in der Küche bei den begüterten Hemingways. Ihr Sohn hingegen wird nicht so recht warm mit Key West, das ihm zu abseits von den quirligen Metropolen liegt. Kaum ist Fats eigenständig zieht es ihn 1941 nach Miami, nach Indianapolis, dann nach Kansas City, zuletzt nach New York. Fats will als Jazz-Musiker die Welt erobern.

Es wird ihm gelingen, so halb jedenfalls. Fats Navarro sollte rasch einer der großen Trompeter des Jazz werden. In New York kommt der Musiker mit der neuartigen Stilrichtung Bebop in Berührung, die den altbackenen Swing ablöst. Mit seinen rasanten Tempi, den komplexen Harmonien und den ausgefransten Melodien löst der Bebop eine Revolution im Jazz aus und markiert den Eintritt in die Moderne. 

Fats Navarro spielte über 150 Titel ein, viele mit den großen Solisten seiner Zeit, mit Illinois Jacquet, mit Lionel Hampton und Coleman Hawkins. Als kraftvoller Innovator macht sich der Mann aus Key West in New York einen Namen. Als Trompeter versteht er, den harten Anschlag des Bebop mit betont lyrischen Improvisationen zu untermalen.

Im Jahr 1948 belegt Fats Navarro in der Leserumfrage der Zeitschrift Metronome den ersten Platz in seiner instrumentalen Kategorie und tritt hiernach an der Trompete mit den Metronome All Stars auf. Aufgrund seiner Herkunft spielt er in den Clubs von Harlem auch gerne mit New Yorker Größen des Latin Jazz, so mit den kubanischen Perkussionisten Chino Pozo und Diego Ibarra.

Sein Leben endet tragisch. Am 7. Juli 1950, in New York, stirbt Fats Navarro junior mit nur 26 Jahren. Heroin, Alkohol, Depressionen. Gegen eine Tuberkulose besitzt sein abgemagerter Körper am Ende keine Kraft mehr. Das Geld für die Beerdigung des Sohnes von Hemingways Köchin müssen die Kollegen im Birdland einsammeln.

Zwei Frauen später lebt der ehemalige Arbeitgeber von Miriam Williams auf Kuba. Ernest Hemingway, nun auf seiner Farm in San Francisco de Paula, ist auch

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Der Mann, der die Sonne umarmen will

Die US-amerikanische Erstausgabe von The Sun Also Rises.

Im Winterurlaub in Schruns legt Ernest Hemingway letzte Hand an sein Erstlingswerk. Er hat mit dem Roman über eine Spanien-Reise Ende Juli 1925 in Valencia begonnen und ihn im September in Paris fertiggestellt. Im April 1926 endlich lässt er das Manuskript seinem Lektor Max Perkins in New York zukommen.

Das Werk erscheint in den USA bei Scribner’s im Oktober 1926 unter dem Titel The Sun Also Rises, ein Jahr später wird der Londoner Verlag Jonathan Cape das Werk unter dem Titel Fiesta publizieren. Mit einem Mal ist der 27-jährige Mann aus Chicago eine Größe bei Leser und Kritik.

Ab Mitte der 1920er Jahre ist Ernest Hemingway nicht nur ein wirklich guter Schreiber mit eigenem Stil, sondern darüber hinaus auch ein sprachlicher Erneuerer. Seine Art zu schreiben, ist unverbraucht, seine Sätze klingen frisch und freiheraus. Während andere zeitgenössische Autoren weiterhin eine gespreizte Stilistik pflegen, kommt dieser Ernest Hemingway geradlinig zur Sache. Auch seine Themen scheinen nicht gedrechselt, sondern wie ein entstaubtes Abbild der konfusen Nachkriegswelt mit ihren geplatzten Träumen.

Ernest Hemingway klingt wie ein Revolutionär, wie der erste, der einer neuen Generation eine neue Sprache gibt. Seine Herangehensweise ist eine Mischung aus Realismus und Neugier, der Blick geht endlich wieder über den Tellerrand. Nach Weltkrieg und Wirtschaftskrisen ist man des Eiapopeias der Väter und Großväter überdrüssig. Ein neues Zeitalter wird eingeläutet. Die Blümchen-Prosa des Charles Dickens und seiner Adepten sieht mit einem Schlag arg alt aus.

Hemingways Schreibstil ist in der Tat wegweisend: Kühl reiht der Amerikaner Beobachtung an Beobachtung und Dialog an Dialog. Die Lakonik der Beschreibung und die Dürre der Dialoge erzeugen einen geschickten Spannungsbogen in den Subtext. Die Aneinanderreihung kurzer Aussagesätze wird typisch für viele Autoren der Lost Generation. Sie bauen Dialoge, die von sprachlicher Kargheit geprägt sind, denn die enttäuschten Romanfiguren breiten ihre Gefühle nur ungern aus. Man ahnt jedoch Schlimmes.

The Sun Also Rises hat Ernest Hemingway seinen ersten Roman überschrieben, merkwürdigerweise spielt er damit auf eine Bibelstelle an. Oritur sol et occidit et ad locum suum revertitur ibique renascens. Im Alten Testament wird Kohelet – die Lutherbibel führt es unter dem Titel Der Prediger Salomo – als Buch der Weisheit betrachtet. Die Sonne geht auf und geht unter und läuft an ihren Ort, dass sie wieder daselbst aufgehe, steht in Prediger Salomo, Kapitel 1, Vers 5. 

Die Sonne geht auf und wandert nach dem Tag an den Platz ihres Wiederaufstiegs. So lautet das Regelwerk unseres Kosmos. Die Sonne wird bleiben, und

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Ernest Hemingway und Dashiell Hammett: Kämpfer ohne Sieg

Der Malteser Falken von Dashiell Hammett, im Jahr 1930 veröffentlicht.

Ein Zeitsprung in die späten 1920er Jahre. Wir kommen in eine unschöne Dekade für the Greatest Country on the Face of the Earth. Die Wirtschaft stottert gewaltig, an der Wall Street vernichten der Black Thursday und der Black Friday Milliarden von Dollars und Millionen von Hoffnungen.

Soziale Konflikte legen die Brüchigkeit der amerikanischen Gesellschaft und jedes Aufstiegsversprechen offen. Die Mafia übernimmt in New York und Chicago das Kommando über Nachtleben, Drogen und Gewerkschaften. Die Prohibition verbietet den Verkauf von Alkohol und drängt brave Familienväter in Speakeasies, in dunkle Flüsterkneipen und Kaschemmen, alles unter dem Radar von Justiz und Polizei.

Wie will die Literatur auf solch eine Trostlosigkeit reagieren? Ernest Hemingway tut es auf seine Weise, ebenso Dashiell Hammett: mit wortkargen Sätzen, lakonischen Dialogen, mit einem Eisberg-Stil, bei dessen Subtext die Mäuse tanzen. Die Prosa ist maskulin von der Haarspitze bis in die Zehen, die Themen ebenso. Der eine schreibt über Stierkämpfer und Soldaten, der andere über Mord und Totschlag in San Francisco.

Hardboiled, nennt man diesen Schreibstil in Amerika. Hartgesotten. Die Hauptrollen fallen zynischen und gebrochenen Charakteren zu. Männer, ohne Fortune und Illusionen. Dies ist keine nette Gegend, um es milde auszudrücken. Nicht so schlimm wie die South Bronx in New York, aber in San Francisco ist sie eine der übelsten. Das war sie schon damals: Wenn die Detektivagentur hinter einem kleinen Ganoven her war, dann suchte sie ihn im Tenderloin oder drüber am North Beach.

So wie die Welt mies ist, so einsam sind ihre Protagonisten. Ihre Träume sind entzaubert, es sind Einzelgänger, ohne Familie, alles den Lebensumständen geschuldet. Im Grunde sind Hammetts Protagonisten wie jene von Hemingway, nur werden diese aus Spanien oder Italien in das Dickicht der Großstadt verpflanzt. Nach dem Detektiven Sam Spade von Dashiell Hammett erscheint ab 1940 Philip Marlowe von Raymond Chandler. Schwarze Serie, so wird die Gattung genannt, alles düster und unerquicklich. Wir erleben die Geburtsstunde des modernen Kriminalromans.

Die Anfangsjahre von Ernest Hemingway und Dashiell Hammett ähneln sich. Der Krimi-Autor schreibt ab 1922 für das Magazin Black Mask. Der Durchbruch dann 1930: Alfred A. Knopf veröffentlicht The Maltese Falcon. Der Roman ist ein literarischer Donnerschlag, ebenso wie Ernests Erstling The Sun Also Rises. In einer Welt voller Korruption und ohne Moral verwischt der Zynismus die Grenzlinie von gut und böse. Der Privatdetektiv Sam Spade wird im Malteser Falken hin und her geschleudert zwischen bösartigen Ordnungskräften und treuherzigen Schurken. Am Ende steht Sam Spade mit leeren Händen da.

Wie bei Ernest Hemingway. Auch seine Protagonisten scheitern. Die Zeiten sind nicht gemacht für Helden. Höchstens für Anti-Helden. Männer, die kämpfen und zum Schluss doch nur in ihre Niederlagen hineinstolpern können. Hemingways und Hammetts Helden treffen den Nerv der Zeit, es sind Kämpfer ohne Sieg, wie so viele

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Morley Callaghan schlägt Ernest Hemingway k.o.

Morley Callaghan: That Summer in Paris.
Der kanadische Autor (1903 – 1990) erinnert an den gemeinsamen Sommer des Jahres 1929.

Wenn man sich die Werke von Ernest Hemingway anschaut, merkt man rasch, dass Boxen und auch die Boxsportler in zahlreichen Erzählungen vorkommen. Joe Louis, Georges Carpentier, Jack Walker, Kid Norfolk, Charles Ledoux, Jack Sharkey oder Max Schmeling – all diese Boxkämpfer finden sich in den Büchern des Nobelpreisträgers von 1954. Auch gehören Boxer – wie der Kubaner Kid Tunero –zu seinem engen Freundeskreis.

Eine Kurzgeschichte gar – The Killers aus dem Jahr 1927 – handelt von einem Boxer, dem ehemaligen Boxer Ole Andreson, dem Schweden, der in einer Kneipe von zwei Auftragskillern umgebracht werden soll. Irgendeine alte Rechnung aus der Chicagoer Unterwelt. Insgesamt spielen in vier Kurzgeschichten Ernest Hemingways Boxer eine Rolle.

Der Naturbursche Hemingway bleibt zeitlebens fasziniert vom Boxsport. Wenn es geht, findet man ihn am Ring. In jungen Jahren sogar im Ring. Davon weiß der Kanadier Morley Callaghan zu berichten. Die beiden kennen sich aus Toronto und sehen sich später in Paris wieder. In den 1920er Jahren studiert Callaghan und jobbt nebenher beim Toronto Star in Aushilfe. Ernest, bei derselben Zeitung bereits ein Starreporter und Korrespondent in Paris, lernt den ambitionierten Studenten 1923 in der Redaktion kennen und die beiden freunden sich an.

Ende der 1920er geht Morley Callaghan dann mit seiner Frau Loretto selbst für einige Zeit nach Paris, wo auch Hemingway noch weilt. Ernest ist nun mit seiner zweiten Frau – Pauline Pfeiffer – verheiratet und mit ihr auf dem Sprung zurück in die Heimat, nach Key West. Neben Hemingway kommt der Mittzwanziger Morley in Paris mit all den großen Vertretern der Avantgarde zusammen. Mit James Joyce, F. Scott Fitzgerald, mit Robert McAlmon, mit Beach Sylvia. Im Deux Magots, im Lipp oder Flore trinken sie sich besoffen von der eigenen Wichtigkeit und dem historischen Moment. Denn in Paris wird in jenen Jahren Literaturgeschichte geschrieben.

Im American Club von Paris boxt Ernest Hemingway gerne, auch Morley Callaghan muss herhalten. Der schnauzbärtige Schriftsteller hält sich für einen grandiosen Boxer. Doch auf seine Umgebung wirkt der Mann aus Chicago diesbezüglich eher wie ein Maulheld. My writing is nothing, my boxing is everything, solch einen Blödsinn sondert Hemingway gerne ab, sein Schreiben sei nichts, seine Boxkunst alles. Morley kann darüber nur lachen, er ahnt, es ist genau anders herum.

Zwar ist Ernest Hemingway viel größer und kräftiger als der etwas pummelige Callaghan. Doch der vier Jahre jüngere Kanadier hat das Boxen als Freizeitsport betrieben und hat dem US-Amerikaner in puncto Technik und Erfahrung einiges voraus. Timekeeper ist einmal der katalanische Maler Joan Miró, ein ander Mal spielt F. Scott Fitzgerald den Zeitnehmer. Als der Autor von Der große Gatsby an der Uhr steht, geht indes einiges schief.

In diesem Fight im American Club im Juni 1929 setzt Morley Callaghan zu Ende einer Runde einen wuchtigen Haken, Hemingway geht zu Boden. Ernest, an der Unterlippe und im Gesicht blutend, hat verloren. Dann jedoch kommt heraus, dass Zeitnehmer F. Scott Fitzgerald den Kampf anstatt drei Minuten irrtümlich über vier Minuten hat laufen lassen. Ernest ist sauer auf den wohl betrunkenen Kollegen Scott und so ganz sollte der Ärger über dieses Versehen selbst mit den Jahren nicht verfliegen.

Zum Boxkampf gibt es sogar die dreistündige Filmserie Hemingway vs Callaghan, deren Trailer man auf YouTube sehen kann

Diese Geschichte mit Hemingway und Fitzgerald habe ihn ruiniert, beklagt sich Morley Callaghan Jahre später in einem Interview. Anstatt als Schriftsteller sei er nun besser bekannt als derjenige, der Hemingway knock-out geschlagen habe. In seinen wunderbaren Memoiren That Summer in Paris schildert Morley Callaghan, mittlerweile ebenfalls ein anerkannter Autor, anschaulich den Fight mit Ernest Hemingway und die gemeinsame Zeit in Paris.

That Summer in Paris ist ein melancholischer Rückblick auf die schönen Monate in der Stadt des Lichtes. Man spürt Morley Callaghans Bedauern, nach der Pariser Zeit, die Freundschaft mit Ernest Hemingway nicht weiter gepflegt zu haben. Einige Monate vor Hemingways Selbstmord im Juli 1961 erfährt Morley Callaghan über zwei Ecken, dass der greise Nobelpreisträger im Sun Valley weiterhin lebhaft von ihrem Pariser Boxkampf erzählt.

Als alter Mann, Ernest Hemingway ist da schon lange tot, kommt Morley Callaghan ein letztes Mal nach Paris. Er und Loretto besuchen die alten Schauplätze, die sich allerdings mächtig verändert haben. Die Bistros sehen nach sechs Jahrzehnten anders aus, manches existiert erst gar nicht mehr. Doch etwas fehlt mehr als alles andere. Morley Callaghan, voller Wehmut, möchte es gen Himmel hinausschreien: Where’s everybody?. Wo seid Ihr alle?

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