Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Schlagwort: Sevilla

Ernest Hemingway und der Torero Antonio Ordóñez

Ernest Hemingway
Antonio Ordóñez
Sevilla
Der junge Antonio Ordóñez und ein gealterter Ernest Hemingway freizügig auf La Cónsula, Málaga, im Sommer 1959. Credit Line: Ernest Hemingway Photograph Collection, John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Der Nobelpreisträger aus Chicago ist ganz vernarrt in diesen Torero. An dem jungen Matador, er ist vom Jahrgang 1932, bewundert Ernest Hemingway vor allem dessen Draufgängertum, sein Geschick und die Grazie. „Antonio erinnert mich sehr an seinen Vater“, verkündet der Schriftsteller seinem Freund José Luis Castillo-Puche. „Nur, dass er in jeder Hinsicht besser ist als Cayetano: Er ist ein besserer Stierkämpfer und ein besserer Mensch. Und außerdem ist er überaus attraktiv.“

Oh lala. Überaus attraktiv. Die Freundschaft zwischen dem Torero aus Ronda und dem bärtigen Autor aus Übersee gibt hier und da Anlass zu überspannten Gerüchten und pikantem Geflüster. Der Kolumnist einer spanischen Tageszeitung hat Antonio Ordóñez gar als die „Liebe des senilen Hemingway“ bezeichnet. In der Tat wird der Schriftsteller von Antonios Ausstrahlung magisch angezogen.

Ernest besucht ihn während der Temporada im Hotel Yoldi von Pamplona, der Matador ist ausgelaugt nach einem aufreibendem Stierkampf. Antonio lag nackt auf dem Bett; ein Handtuch diente ihm als Feigenblatt. Als erstes fielen mir seine Augen auf, die dunkelsten, glänzendsten, heitersten Augen, in die ich je geblickt hatte. 

Kommt da wirklich Homo-Erotik ins Spiel bei Hemingway? José Luis Castillo-Puche, ein enger Gefährte in Spanien, ist sich sicher: Da ist nichts gewesen. Für den Schriftsteller ist der Bezwinger der Bullen keine Liebelei oder das Objekt irgendeiner sinnlichen Begierde. Zuallererst ist der Matador aus Ronda für Ernest eine literarische Ambition. Sein ganzes Leben lang hat der Amerikaner nach dem perfekten Stierkämpfer gesucht und ihn letzten Endes in Südspanien gefunden: Antonio Ordóñez.

Wenn im Gespräch die Toreros verglichen werden, gibt sich Hemingway apodiktisch. „Er ist besser“, antwortet der Schriftsteller kurz. Er, das ist natürlich Antonio Ordóñez. Der junge Andalusier ist eine Person ganz nach Hemingways Gusto. Ein gut aussehender Kerl, jemand, der vor Publikum tapfer dem Tod ins Auge sieht und aus dem Kampf als Sieger hervorgeht.

„Ich werde von der Vorstellung gequält, dass Antonio etwas Schreckliches zustoßen wird“, gesteht Hemingway gegenüber Castillo-Puche. „Ich habe schreckliche Albträume, dämonische Träume, in denen ein Stier ihn in der Stierkampfarena tötet. Aber das kann Antonio doch nicht passieren, oder?“ Und der US-Amerikaner wartet darauf, dass jemand, in diesem Fall Castillo-Puche, ihm zusichert, Antonio werde niemals sterben. Weder im noch außerhalb des Rings.

Im Laufe der Jahre vertieft Ernest Hemingway die Freundschaft mit der Familie Ordóñez. Oft weilt er zu Besuch auf deren Hacienda bei Medina-Sidonia. Andalusien verbirgt für den Nobelpreisträger etwas ganz besonderes. Es ist sein Freund Antonio Ordóñez, der den US-Amerikaner für die Schönheit und Eigenheit Südspaniens sensibilisiert. Als er starb, meint der Stierkämpfer, hat Hemingway etwas von uns mitgenommen.

Castillo-Puche beschreibt Antonio als einen Mann, der durch den Verlust seines Freundes am Boden zerstört ist, zumal der Vater im gleichen Jahr stirbt, nur drei Monate nach dem Schriftsteller. Häufig bricht Antonio in Tränen aus und will das Wort Selbstmord nicht aussprechen. „Ich werde nicht zu seiner Beerdigung gehen“, antwortet der Stierkämpfer im Juli 1961 trotzig. „Die Saison geht weiter, und ich fahre nach Pamplona“. Papa habe dies so gewollt.

Im November 1962, sechzehn Monate nach Hemingways Suizid, zieht sich Antonio Ordóñez von allen Corridas zurück. Obwohl er 1965 als Stierkämpfer zurückkehrt, tritt er erst zwei Jahre später, während der Feria im April, in der Plaza de Toros de la Real Maestranza auf. Über ein halbes Jahrzehnt ist vergangen, seit er in Sevilla letztmalig unter Hemingways wachem und erbaulichem Blick gekämpft hat.

Doch nun ist der Schriftsteller nicht mehr auf seinem Platz an der Barrera. Er fehlt und nichts ist so, wie es einmal gewesen ist. An seinen zwei Nachmittagen in Sevilla liefert Antonio eindrucksvolle Kämpfe ab und darf

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Ernest Hemingway ist Gast in der ‚Casa Cuesta‘ von Sevilla

Die Casa Cuesta, mit über 140 Jahre auf dem Buckel, ist in Sevilla bei Einheimischen wie Besuchern, ebenso bei jung und alt, beliebt. Foto: W. Stock, April 2023.

In Ufernähe des Guadalquivir, des großen Talflusses, wie das Gewässer auf Arabisch heißt, liegt in Sevilla die Casa Cuesta, ein Restaurant voller Tradition. Die gelöste Atmosphäre der andalusischen Bodega ist so ganz nach dem Gusto des bärtigen Amerikaners. Der Nobelpreisträger liebt ein ungezwungenes und bodenständiges Ambiente, gepaart mit einer herzhaften Küche und guten Prozenten. Der ideale Rückzugsort für einen lebensverliebten Weltenbummler wie Ernest Hemingway.

An einer Ecke der Calle Castilla, in einem dreigeschossigen Gebäude aus braunem Backstein und als Schutz vor der beißenden Sonne mit blauen Markisen über der Außengastronomie, trägt die Bar ihren Anteil bei zur Buntheit des Viertels. Gegenüber dieser Stätte der Ausgelassenheit erblickt man den Callejón de la Inquisición. In dieser engen Gasse hatten im Mittelalter die Richter der blutrünstigen Inquisition ihren Sitz.

Auf eine Lebensspanne von fast anderthalb Jahrhunderten kann die Casa Cuesta in der andalusischen Hauptstadt zurückblicken. Seit ihrer Gründung als Weinschänke im Jahr 1880 hat die Bar einfache Leute und später auch die Intellektuellen angezogen. Noch heute ist das Publikum alters- und klassenlos. Malocher, Studenten, Geschäftsleute – alle sitzen einträchtig nebeneinander an den Bistro-Tischen oder auf den schwarzen Holzstühlen.

Sevillas Casa Cuesta – ein stimmiger Mix aus Restaurant, Bodega und Cerveseria – befindet sich in Triana, dem Stadtteil der Seeleute, Arbeiter und Handwerker. Einfach und zweckmäßig und doch von einer lässigen Eleganz, die man eher im 6. Arrondissement von Paris vermuten würde. Man fühlt sich augenblicklich wohl in dem Lokal, das vom Modernisme, der spanischen Spielart des Jugendstils, geprägt ist.

Casa Cuesta Bar Bodega Sevilla

Wenn man mit alten Fotos vergleicht, so erkennt man, dass sich nur wenig verändert hat in der Casa Cuesta in Sevilla. Foto: W. Stock, April 2023.

Im Inneren der Casa Cuesta erstreckt sich ein schwarzer Holztresen im Art nouveau, an dem Bier getrunken wird oder kleine Gerichte verköstigt werden. Eine Wanduhr, umhüllt von Girlanden aus Blattgold und mit dem Bild einer Jungfrau, wacht über den von Reliefkacheln geschmückten Raum. In einem Kabinett, etwas abseits, findet sich ein Restaurant mit gedeckten Tischen.

Die Casa Cuesta hat die Hälfte ihres Lebens unter einem anderen Namen gelebt: Casa Ruiz. Denn José Ruiz Sánchez, der Gründer, tauft es 1936 auf diesen Namen, wenige Monate vor Ausbruch des Bürgerkriegs. Unter dieser Bezeichnung lernt Ernesto zwei Jahrzehnte später

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Ernest Hemingway tut sich schwer in Sevilla

Hotel Alfonso XIII Sevilla
Außer an den Übernachtungspreisen lässt sich wenig meckern am Alfonso XIII. Ernest Hemingway jedoch ist nicht zufrieden zu stellen in dem Luxushotel von Sevilla. Foto: W. Stock, April 2023.

Andalusien ist sein Land. Die Provinz im Süden fasziniert den Mann aus Oak Park, einem Vorort von Chicago. Málaga, Ronda, Medina-Sidonia, Conil. Mit Sevilla, der Metropole im Landesinneren, fremdelt er hingegen. In Tod am Nachmittag deutet er an, es gäbe nicht genug tapfere Matadores in Südspanien. Wie er zu diesem Urteil kommt, schleierhaft. Befinden sich doch die großen Rinderfarmen in Andalusien und die Torero-Dynastie der Familie Ordóñez aus Ronda gehörte zu seinem Freundeskreis.

In einem Brief an F. Scott Fitzgerald aus dem Jahr 1926 schildert er einen Matador aus Sevilla, der sich wie ein hinterlistiger Metzger aufführe. Doch in Wirklichkeit ist dieser Stierkämpfer – Diego Mazquiarán, alias Fortuna –  ein Baske gewesen. Der bärtige Mann aus Chicago hegt indes seine Vorurteile. Die andalusischen Stiere, nicht so hochgezüchtet wie jene im Norden, seien für den Kampf weniger geeignet.

Eine Abneigung steckt dahinter. Ernest Hemingway kann der Stadt nichts abgewinnen. Die Aufmerksamkeit, die Sevilla dem jungen Journalisten zukommen lässt, mag eine Ursache für seine Antipathie sein. Im Jahr 1923, auf seiner ersten Spanien-Reise, mit seinem Freund und Verleger Robert McAlmon, kommt er auch in Sevilla vorbei. Große Beachtung lässt er der Hauptstadt Andalusiens schon damals nicht teilwerden.

Leider Gottes hat Sevilla den Nobelpreisträger in einer schwachen Stunde erwischt. Er, der doch so ein genialer Beobachter ist, findet keinen Blick für die Schönheiten der Stadt. Die lebensfrohe Metropole, die vor allem von einer christlichen und maurischen Tradition beeinflusst ist, bietet mit ihren engen Gassen und den alten Bauwerken in der Altstadt, zugleich Tausende Winkel und Ecken zum Genuss und zur Entzückung.

Doch die Stadt, in der es schon im Frühling höllisch heiß werden kann, gefällt dem Schriftsteller einfach nicht. In späteren Jahren wird es nicht besser. Er kommt 1954 zurück auf die iberische Halbinsel, nachdem der Bann nach dem Bürgerkrieg gegen ihn aufgehoben ist. Ernest Hemingway, erneut in Spanien, besucht auch Andalusien.

Spanischer Bürgerkrieg

Das Trauma des Bürgerkrieges ist selbst nach fast 90 Jahren noch sichtbar in Sevilla. Foto: W. Stock, April 2023.

Sein Freund José Luis Castillo-Puche schildert eine skurrile Episode von Hemingways Reise. Die Wunden des Bürgerkrieges sind nicht verheilt, die Spanier wissen, dass der Schriftsteller sich sehr für die republikanische Sache eingesetzt hat. “Viva la República”, flüstert auf der Straße in Sevilla ein unbekannter Passant Hemingway zu. Und der Amerikaner antwortet leise mit dem Schlachtruf der Loyalisten: “No pasarán”.

Fünf Jahre später, am 28. Mai 1959, fährt Ernest Hemingway von Málaga nach Sevilla und quartiert sich im Luxushotel Alfonso XIII ein. Er will in der andalusischen Metropole während der Feria einer Corrida von Antonio Ordóñez beiwohnen. Das Alfonso XIII., in Wirklichkeit ein

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Der gefährliche Sommer

Im Sommer 1959 schickt das Magazin LIFE Ernest Hemingway nach Spanien, auf eine lange Reise. Eine große Reportage über 10.000 Wörter ist ausgemacht. Der Nobelpreisträger soll über Spanien, den Stierkampf und vor allem die Rivalität der beiden großen Stierkämpfer Antonio Ordóñez und Luis Miguel Dominguín berichten.

„In dieser Woche sind wir alle glücklich“, schreibt die hochformatige Zeitschrift im Editorial, „einen alten Freund und Mitarbeiter auf den Seiten von LIFE wieder begrüßen zu dürfen. Es ist acht Jahre her, dass Ernest Hemingway ein großes Werk veröffentlicht hat. Und nun veröffentlichen wir die erste Folge seines neuen großartigen Buches The Dangerous Summer.“

Am 13. Mai 1959 macht sich Ernest Hemingway auf nach Madrid, in der Hauptstadt beginnt er seine Stierkampf-Tour, die den Schriftsteller kreuz und quer durch Spanien führen wird. Er fährt nach Sevilla, nach Córdoba und Ronda, nach Aranjuez, nach Alicante, dann Algeciras am 21. Juni, nach Saragossa, natürlich nach Barcelona, dann nach Burgos, am 7. Juli sodann nach Pamplona, auch nach Valencia, wo er gleich zweimal einer Corrida beiwohnt, am 25. und am 27. Juli 1959. Seine Reise führt ihn

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