Er ist eigentlich das schiere Gegenbild zum Macho-Mann Ernest Hemingway. Der Amerikaner Hemingway ist einer, der breitbeinig durchs Leben marschiert, an zwei Weltkriegen teilnimmt, der flott einen Nobelpreis kassiert, dem die Bücher und Verfilmungen Millionen aufs Bankkonto spülen und dem die Frauen zu Füssen liegen, er braucht bloß mit den Fingern schnipsen.
Doch Rainer Maria Rilke leidet als Sensibelchen, er ist oft kränklich, von schweren Gedanken gedrückt, mit den Frauen klappt es nicht so recht und zudem ist er meist ziemlich klamm. Das Leben hat den Poeten nicht auf die Sonnenseite geworfen, sein Leben läuft in Hoch und Tiefs. Doch Gedichte kann der Mann schreiben, zum Niederknien.
Eines seiner schönsten heißt Herbsttag:
Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
Rainer Maria Rilke schreibt Herbsttag im Jahr 1902, es ist ein Gedicht über den heraufziehenden Herbst, eine Zwiesprache mit Gott, und ähnlich zu Hemingways Poemen in Sachen Natur, bleibt der Mensch das Objekt, der Getriebene, der sich den Naturgewalten fügen muss.
Am 4. Dezember 1875 wird Rilke als Sproß eines Militärbeamten in Prag geboren, das damals unter österreichischer Regentschaft steht. Nach dem Abitur studiert er Kunst und Literatur in Prag, München und Berlin. Im Jahr 1900 lässt der Österreicher sich in der norddeutschen Malerkolonie Worpswede nieder und heiratete die Bildhauerin Clara Westhoff, von der er sich 1902 wieder trennt. Im Jahr 1905 wird er für acht Monate der Privatsekretär des Bildhauers Auguste Rodin in Paris. Es folgen Reisen nach Nordafrika und Ägypten. Im Ersten Weltkrieg wird er beim österreichischen Landsturm aus Gesundheitsgründen ausgemustert. Nach Kriegsende halten ihn meist Mäzene über Wasser. Rilke stirbt am 29. Dezember 1926 mit nur 51 Jahren im Sanatorium Val-Mont bei Montreux an Leukämie.
Im Winter 1912 besucht Rainer Maria Rilke die spanischen Städte Toledo, Córdoba und Sevilla. In Andalusien ist Rilke gepackt von der maurischen Architektur und Tradition. Vom 9. Dezember 1912 bis Mitte Februar 1913 verbringt er die Winterwochen in Ronda. Der Fluß in seinem schluchtigen Abgrund spiegelt die zerrissenen Lichter des Himmels, aber auch mein Innerstes wider, schreibt der Poet nach seiner Ankunft in Ronda.
Andalusien ist nicht das Land, wo die Zitronen blühen, aber Ronda die Stadt, in der Orangenbäume die Alleen und die Straßen säumen. So wie Ernest Hemingway, der im Mai 1923 zum ersten Mal nach Ronda kommt, wird auch Rainer Maria Rilke zum Bewunderer der weißen Stadt. Im feinen Hotel Reina Victoria schreibt der Poet mit den traurigen Augen im Januar 1913 seine Spanische Trilogie.
Die Statue aus Bronze befindet sich seit 1966 im Park hinter dem Reina Victoria. Unter Palmen steht er da, mit Schnurrbart, ein Buch in der rechten Hand, und der Blick geht in den Osten, in den Landschafts-Teppich aus Sonnenblumen, grünen Olivenhainen und Jahrhundertpinien. Der Bildhauer Nicomedes Díaz Piquero lässt Rilkes Blick sanft in die majestätische Ferne gleiten, wie bei einem Menschen, der näher zur Allmacht strebt oder zu Gott, wie immer man die Kraft nennen will, die stärker ist als der Mensch.
Im Gegensatz zu Ernest Hemingway fehlt Rilke jedoch der Mut, sich in dieses andalusische Spanien fallen zu lassen, der unstete Dichter bleibt ein Gefangener seiner selbst. Hier wäre nun freilich auch der Ort, recht spanisch zu leben und zu wohnen, wäre nicht die Jahreszeit, wäre nicht meine mühselige Unlust, mich mit anderen Beschwerden als den nötigsten (angeborenen und eifrig angeeigneten) einzulassen.
In dem kleinen Zimmer 208 auf dem zweiten Stockwerk hat er gewohnt, heute ist in Parterre neben dem Aufzug eine kleine Rilke-Schreibstube nachgestellt, mit der Original-Hotelrechnung des Dichters, mit dem Brief an einen Freund. Die Rondeños, die Bewohner Rondas, verehren Rainer Maria Rilke, er ist noch eine Winzigkeit präsenter als Ernest Hemingway. Ein Café ist nach Rilke benannt, eine Schulaula, eine Fahrschule gar, Vorträge werden über ihn in Ronda gehalten, seitenlange Veröffentlichungen gedruckt. Die Spanier mögen Dichter, deren Verse wie Gebete scheinen und deren Poeme die Natur anhimmeln.
Knall auf Fall verlässt Rainer Maria Rilke am 19. Februar 1913 das schöne Ronda. Das Geld ist alle, irgendwie ist er durch mit Ronda, im Grunde ist es jedoch eine Flucht vor dem Leben. Rilke lässt sich von der weißen Schönheit inspirieren – doch er taucht nicht ein in diese geheimnisvolle Welt. Er schreibt über den Torero Francisco Montes Reina, genannt Paquiro, einen Stierkampf allerdings hat er nie besucht.
Eine solch labile Gefühlslage ist einem Ernest Hemingway gänzlich fremd. Der Amerikaner springt hinein ins Leben und genießt die Lebensfreude Andalusiens mit jeder Körperpore. In seinem Roman Tod am Nachmittag verrät er: Ronda hat alles, was man sich für einen (..) Aufenthalt wünscht, eine romantische Szenerie, (..) wunderbare, kurze Spaziergänge, guten Wein, herrliche Fischgerichte, ein ausgezeichnetes Hotel.
Rainer Maria Rilke hingegen traut seinen Augen nicht. An den französischen Schriftsteller und Literaturkritiker Edmond Jaloux schreibt er: Als ich zum ersten Mal nach Ronda kam, war ich mehr als erstaunt, es bereits gesehen zu haben – aber wo, wie? Ja, wo denn? Im Traum, im Wahn, im Rausch, in des Menschen Vorstellung vom Paradies? Irgendetwas in diese Richtung. La Ciudad Soñada, so nennen die Andalusier ihre Stadt. Ronda sei eine Stadt, wie geträumt.