Ernest Hemingway im peruanischen Cabo Blanco, April 1956.
Foto: Modeste von Unruh. Collection Dr. Stock.

Wie wird man ein wirklich guter Schreiber? Mehr als einmal ist Ernest Hemingway dies gefragt worden. Von Journalisten, von Bewunderern, von Lesern. Auch wenn er das Schreib-Credo anders nennt, so hat der Nobelpreisträger einen Hinweis als Antwort ein jedes Mal parat: Show – don’t tell!

In der Tat ist das Prinzip Show – don’t tell! ein stilistischer Kniff, den Ernest Hemingway oft anwendet und in seinen besten Werken zur Perfektion gebracht hat. Show the readers everything, tell them nothing. So umschreibt der Nobelpreisträger von 1954 seine Herangehensweise. Zeig den Lesern alles, verrate ihnen nichts.

Erzähl mir nicht, dass der Mond scheint, zeig mir das Glitzern des Lichts auf zerbrochenem Glas, meint Anton Tschechow. Dieses Schreibprinzip geht nicht auf Ernest Hemingway zurück, vielen vor ihm ist das klar gewesen. Der Amerikaner aus Chicago entpuppt sich jedoch als ein Meister in dieser Fertigkeit. 

Es ist wohl eine der wichtigsten stilistischen Grundfertigkeiten für einen Autor. Show – don’t tell! Wo liegen die Unterschiede? Ein einfaches Beispiel:

Tell: Jack ist nervös.
Show: Jack rutscht auf seinem Sitz hin und her, er schaut nach rechts und nach links. 

Show bedeutet, eine Szene sachlich und ohne Wertung zu beschreiben. Bei Show wird der Leser gezwungen, mit allen Sinnen hinzuhören und hinzusehen. Das Denken nimmt ihm keiner ab, die Interpretation der Handlung bleibt dem Leser überlassen. Das Tell-Prinzip hingegen nimmt die Deutung des Geschehens vorweg. Die Auslegung beansprucht der Autor für sich, Intelligenz und Einfühlungsvermögen des Lesers bleiben außen vor.  

Im Gespräch mit seinem Mentee Arnold Samuelson konkretisiert Ernest Hemingway seine Arbeitsweise. Das wichtigste ist, deine Augen und Ohren müssen immerfort tätig sein. Die Prosa sollte nicht aus dir kommen, sondern aus der Unterhaltung, der du lauschst. Hemingway hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er eine gute Beobachtungsgabe für die wichtigste Eigenschaft eines Schriftstellers hält.

Mit Show kann ein Schreiber besser Spannung aufbauen. So wie dies Alfred Hitchcock in seinen Filmen vorgemacht hat. Das Geschehen spielt sich vor dem Auge des Lesers ab. Auch Show folgt einer filmischen Erzählweise, der Leser wird in die Szene hineingeworfen, anstatt bloßer Empfänger des dominanten Autors zu sein. Durch ein gutes Show – don’t tell! wird der Leser einbezogen in die Entwicklung des Plots.

Tell hingegen bleibt einfach gestrickt und bequem. Es zeugt von schlichter Autorenschaft, zu schreiben: Jack ist ein liebevoller Mann. Vielmehr ist die Aufgabe eines Autors, das Portrait eines liebevollen Mannes auszubreiten, zu erzählen, wie er sich verhält, wie er kommuniziert, wie er andere Menschen behandelt. Show bedeutet als Arbeitsauftrag, eine Charaktere im Laufe der Erzählung zu entwickeln.

Damit wird Show zum klassischen Storytelling, der Leser wird zum Beobachter des Geschehens. Der Schreiber nimmt sich klug zurück – auch das ist eine Kunst. Die vielleicht schwierigste Herausforderung für einen Schriftsteller. Denn der allwissende Erzähler wird überflüssig und abgelöst durch den akkuraten Beobachter.

An die Pforte zur Moderne klopft Ernest Hemingway vor allem, weil er die Sprache vom schnörkeligen Ballast der viktorianischen Literatur befreit. Allein sein Eisberg-Theorem wirkt wie eine stilistische Verlängerung von Show – don’t tell!  Er hat diese Fähigkeit als Zeitungsreporter in Kansas City und beim Toronto Star gelernt. Genauigkeit, Exaktheit, Aufrichtigkeit – das Show lehrt den Autor, als auch den Leser, seine Beobachtungsgabe zu schärfen.

Ernest Hemingway gibt seinem Schüler Arnold Samuelson zur Aufgabe: Geh in einen Raum und versuche, diesen zu beschreiben. Oder schau dir an, wie die Leute aus ihren Autos ein- und wieder aussteigen. Besonders solle er auf kleine Details achten und diese einbauen, eine solche Fertigkeit macht den Unterschied zwischen einem guten und einem mittelmäßigen Autor aus.

Jedoch muss ein Autor bei Show aufpassen, seinen Text nicht mit endlos detaillierten Beschreibungen zu überladen und in jede kleine optische Verästelungsgasse hinein zu laufen. Es ist wie bei einem Medikament. Erst die Dosis entfaltet die Heilwirkung. Das Prinzip ist insofern kein Dogma. Tell ist nicht immer schlecht. Manchmal erfordert es eine kluge Kombination, wie ein Auszug aus Ernest Hemingways Erstling Fiesta aus dem Jahr 1926 aufzeigt.

Sonntagmittag, am 6. Juli, explodierte die Fiesta. Anders kann man das nicht nennen. Den ganzen Tag waren Leute vom Land in die Stadt gekommen, aber sie wurden von der Stadt aufgesogen und fielen nicht weiter auf. Der Platz lag so still in der heißen Sonne wie an jedem anderen Tag. Die Bauern waren in den Weinläden der Außenbezirke. Dort tranken sie und machten sich für die Fiesta bereit.

Zuerst ein knalliges Tell, weil man die Explosion in Pamplona schon anders nennen und darstellen könnte, dann ein langsamer Spannungsbogen als Show. Erst durch diese Kombination wird Atmosphäre aufgebaut. Eine solche stilistische Kunstfertigkeit trennt sich die Spreu vom Weizen. Der kluge Einsatz von Show und Tell, er zeigt, wer ein wirklich guter Schreiber ist. Es bleibt eine Gratwanderung, immerfort, für jeden Autor. 

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