Ernest Hemingway unterm Kreuz. In La Cónsula bei Málaga, im Sommer 1959. Zwei Jahre sollten ihm noch bleiben. Photo Credits: Ernest Hemingway Photograph Collection, John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Erschwernisse und Verwehrungen pflastern des Menschen Lebensweg. Und am Horizont wartet auf jeden Einzelnen ohne sein Zutun der endgültige Niedergang. Ein Mann kann zerstört werden, aber nicht besiegt. Allgemein verständlich umschreibt Ernest Hemingway in der Der alte Mann und das Meer die Kraft, die man zum Leben braucht. A man can be destroyed but not defeated. Ein Mensch kann äußerlich zerstört werden und innerlich trotzdem stark bleiben.

Jeder von uns hat solch eine Situation schon erlebt. Ein Mensch kann eine Niederlage erleiden, er muss jedoch kämpfen bis zum Schluss. Beated but not defeated, man kann geschlagen werden, aber nicht besiegt. Solange ein Mann – der Nobelpreisträger von 1954 meint natürlich ein Mensch – sich nicht selber aufgibt, einerlei wie viele Tiefschläge er erlitten hat, solange kann er nicht besiegt werden.

Ein Mensch kann zerstört werden, aber nicht besiegt. Auf solche Weise würdigt dieser oft ungehobelte Wüterich aus Chicago den freien Willen von uns Männern und Frauen. Er möchte die Willenskraft des Einzelnen stärken, indem er der Eigenverantwortlichkeit des Menschen ein literarisches Denkmal setzt. Dieser merkwürdige Trunkenbold und Weiberheld vom Michigan See singt das wunderbare Loblied auf das wundersame Individuum.

Besiegt werde ich nur, wenn ich es zulasse. In Würde verlieren. Vor allem darum geht es Ernest Hemingway. Doch wie verliert man in Würde? Indem man sich mit einem Jagdgewehr das halbe Hirn wegpustet? Oder wie der alte Mann, der geschlagen und mit leeren Händen in sein Dorf zurückkommt? Jedoch nicht besiegt ist. Santiago strahlt trotz seiner Niederlage eine menschliche Größe aus, auch weil er sich nicht besiegt gibt.

Der kubanische Fischer wird am nächsten Tag mit seinem einfachen Boot wieder herausfahren. Vielleicht wird er wieder verlieren. Es liegt nicht in seiner Hand. Mehr als den Versuch kann er nicht lenken. Aber der alte Fischer lässt sich seine Würde nicht nehmen. Und jeder Mensch, genau dies will uns Ernest Hemingway mitteilen, kann seine Würde wahren. Selbst wenn die Niederlage grenzenlos erscheint. 

Ein schlichter und braver Mensch – also eigentlich wir – muss sich in der Welt behaupten. Er kämpft um seine Würde. Dieser Schreiber hat sein Gleichnis vom würdevollen Scheitern des einfachen Fischers so beeindruckend erzählt, dass wir alle fasziniert sind. Die arme Seele Ernest Miller Hemingway selbst jedoch bringt die Kraft nicht auf, dem Vorbild seiner Romanfigur zu folgen. 

Don Ernesto hat sich anders entschieden. Es bleibt zu respektieren. Doch kann man in Würde aus eigenem Entschluss abtreten? Im christlichen wie im humanistischen Dogma folgt die Menschwerdung höheren Prinzipien. Kein Mensch kann sich selbst ins Leben setzen, jeder Mensch wird ohne sein Zutun in die Welt geworfen. Und so wie diesem Werden eines Menschen eine Magie innewohnt, so besitzt sein Verlöschen ebenfalls eine Zauberkraft.

Ein Zauberband zwischen Blühen und Verblühen, eine naturgegebene Abfolge, die nach Möglichkeit nicht zerstört werden sollte. Humane Würde bedeutet im Kern, dass der Mensch nicht willkürlich über das Leben entscheiden darf – weder bei Mitmenschen, noch bei sich selbst. Der Mensch schuldet dem Menschen die allerhöchste Achtung. Als Maxime, ohne Wenn und Aber. Bei jeder Gelegenheit und zu jeder Zeit. Auch im Angesicht des Endes.

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Ein Grundsatz, der nicht verhandelbar ist. Die höhere Ordnung wird verletzt, wenn der Mensch sein Mandat überhöht und versucht, gegen die Regeln der Natur zu spielen. Philosophisch betrachtet ist der Mensch nicht der Machthaber seines Lebens, sondern lediglich dessen Verwalter auf Zeit. Der Mensch muss stark sein. Und im Idealfall sollte er die Stärke aufbringen, das Regelwerk der Schöpfung zu achten. 

Über den Zauber eines Abenteuers namens Leben, darüber hat Ernest Hemingway geschrieben. Über die Würde in der Niederlage. Die wunderbare Erzählung vom alten Fischer, von dem Jungen Manolín, von dem Meer, von dem Marlin, von den gefräßigen Haien und von den Löwen am Ufer, ist eine Geschichte, die uns mit Haut und Haaren packt. Denn sie ist die Geschichte des Menschen, sie ist unsere Geschichte.

 

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