Ernest Hemingway
Fiesta
Fiesta von Ernest Hemingway. So heißt der Roman in Europa. The Sun Also Rises lautet der Titel im amerikanischen Original aus dem Jahr 1926.

„Alle benehmen sich schlecht“, sagte ich. „Wenn man ihnen die Möglichkeit gibt.“ Und Gelegenheit gibt es reichlich nach dem schrecklichen Ersten Weltkrieg. Eigentlich sollten Zuversicht und Aufbruch herrschen. Die zerstörten Länder müssen wieder aufgebaut werden und das Zusammenleben neu auf den Weg gebracht werden. Stattdessen Zerfall, Defätismus und allerorts eine wabernde Untergangsstimmung. Der Erste Weltkrieg führt zum Einschnitt in der Menschheitsgeschichte.

Die guten traditionellen Werte sind weg. Übrig bleibt eine bedrückte, gottverlassene und verlorene Generation. Du bist heimatlos. Du hast die Bodenhaftung verloren. Du bist unecht. Falsche europäische Vorbilder haben dich kaputtgemacht. Du säufst dich zu Tode. Du bist vom Sex besessen. Statt zu arbeiten, redest du immer nur. Du bist heimatlos.

Als Verlorene Generation wird literaturhistorisch eine Gruppe US-amerikanischer Schriftsteller bezeichnet, die während des Ersten Weltkriegs aufwächst, und in den 1920er Jahren in Paris als Auslands-Amerikaner leben. Die Aussage You are a lost generation geht zurück auf Gertrude Stein. Die einflussreiche Mäzenin aus Pittsburgh subsumiert darunter all die Orientierungslosigkeit und all den Zynismus ihrer Zeitgenossen, hervorgerufen durch den Zivilisationsbruch in den Jahren von 1914 bis 1918.

Ein Jahrhundert der Katastrophen mit zwei Weltkriegen, Bürgerkriegen und Wirtschaftsdepressionen ist eingeläutet. Die Aufgabe der Verlorenen Generation wäre eigentlich gewesen, nach vorne zu blicken und ein neues Wertesystem aufzubauen. Doch fehlt dieser kleinmütigen Generation die Kraft dazu. In seinem grandiosen Roman The Sun Also Rises fängt Ernest Hemingway 1926 die gallige Stimmung der Verlorenen Generation – am Beispiel von Expats in Paris und Pamplona – treffend ein.

– Ist das nicht schrecklich? Es hat überhaupt keinen Sinn, dir zu sagen,            dass ich dich liebe.
– Du weißt, dass ich dich liebe.
– Lassen wir das. Reden bringt nichts.

Ernest Hemingway, der selber sieben Jahre in Europa gelebt hat und sich innerhalb dieser Kreise getummelt hat, vermag messerscharf zu beobachten und in seinen Dialogen die ätzende Stimmung jener Tage auf den Punkt wiederzugeben.

Fiesta kommt leicht daher als grandioses Epochen-Porträt zwischen zwei schlimmen Kriegen, als Blick auf eine Verlorenheit, die mit Alkohol, Sex und Oberflächlichkeiten weggetrunken werden möchte. Ein offener Türspalt ins Fegefeuer, in die Vorstufe zur Hölle. Immer dicht an der Apokalypse vorbei schrammend.

– Was bedeutet das für deine Werte?
– Auch das hat seinen Platz in meinen Werten.
– Du hast gar keine Werte. Du bist tot, sonst gar nichts.

Genau hier liegt das Problem. Alle Werte sind perdu. Vor allem durch diesen schlimmen Krieg. Alle Kriege sind schlimm, aber dieser war besonders schlimm, weil er so nutzlos gewesen ist. Beim Spanischen Bürgerkrieg oder dem Zweiten Weltkrieg ist klar, worum es geht. Doch in dem Ersten Weltkrieg sind die Rollen fließend verteilt, ein Stück weit ist man in ihn hineingeschlittert. Ein Krieg der Schlafwandler, wie ein britischer Historiker treffend umschrieben hat.

Am Ende des Krieges stehen alle als Verlierer da. Deutschland mit Elend, Hyperinflation und einer noch größeren Katastrophe vor Augen. Aber auch der Gewinner, die USA, mit einem freudlosen Jahrzehnt, das 1929 in der Weltwirtschaftskrise münden wird.

Das Schöne an The Sun Also Rises ist, dass Ernest Hemingway nicht nur die Orientierungslosigkeit und die Dekadenz des Zeitalters offenlegt, sondern zugleich auch einen Lösungsansatz mitliefert. Das Hinausgehen auf unbekanntes Terrain, die Neugier auf eine neue Kultur, andere Menschen und ihre Gepflogenheiten wertschätzen. Das Andersartige und das Fremde anschauen und begreifen. Und darüber hinaus – wo auch immer – die Stille der Natur suchen. 

Ach, Jake“, sagte Brett, „wir hätten so eine verdammt gute Zeit miteinander haben können.“ (…)
„Ja“, sagte ich. „Ist dies kein schöner Gedanke?“

Als letzter Satz seines imposanten Werkes: Ist dies kein schöner Gedanke?

Wo also bleibt die Hoffnung? Ernest Hemingway deutet sie an im Zitat des Predigers Salomo zu Beginn seines Buches. Ein Motto als Denkspruch. Es wird in Fiesta zum Leitgedanke. Ein Geschlecht vergeht, das andere kommt; die Erde aber bleibt ewiglich. Der Rabauke aus Chicago liegt richtig: Eine Generation geht, eine andere kommt. Das Wesen von Blühen und Vergehen. So wird auch das Schlechte verblühen und das Gute neu gedeihen. Irgendwann.

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