Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Schlagwort: Konstantinopel

Vor genau 100 Jahren: Ernest Hemingway fährt mit dem Orient-Express in die Türkei

Irgendwie erscheint Ernest Hemingway verloren in dieser ihm unbekannten Welt. Istanbul, das damals Konstantinopel hieß. Foto: W. Stock, Februar 2020

Im Gare de Lyon besteigt Ernest Hemingway am Abend des 25. September 1922 den Orient-Express, einen Luxus-Zug aus Schlaf- und Speisewagen, der seit 1883 Paris mit Konstantinopel verbindet. In Europa wird mehr gereist, komfortable Verbindungen ohne lästiges Umsteigen werden von der anspruchsvollen Kundschaft verlangt. Gerade der Orient-Express steht für diesen hochwertigen Fortschritt in der abendländischen Zivilisation.

Nach dem Ersten Weltkrieg fährt der Simplon-Orient-Express täglich die neue südliche Route über Lausanne, durch den Simplon-Tunnel von der Schweiz nach Italien, dann Mailand, Venedig, Triest nach Zagreb, Belgrad, Sofia bis nach Konstantinopel. Die türkische Metropole am Goldenen Horn ist das Tor zum Orient, das nach der Revolution des Kemal Atatürk bis heute Istanbul heißt. 

Als Reporter des Toronto Daily Star soll Ernest Hemingway für seine Zeitung Artikel über die Friedensverhandlungen zwischen Türken und Griechen schreiben. Mit den Friedensverhandlungen läuft es gut, mit dem Schreiben weniger. Der US-Autor bleibt lange in seinem Hotelzimmer, er ist erkrankt, und er nimmt nur wenige Pressetermine wahr. Er vermisst seine Ehefrau Hadley, die in Paris geblieben ist.

Der amerikanische Korrespondent für den Toronto Daily Star schreibt in der Metropole am Bosporus wenig. Zwei Artikel in den ersten zehn Tagen, das ist erstaunlich schwach für Ernest Hemingway. Die Artikel für die kanadische Tageszeitung bilden eigentlich keine große Herausforderung für ihn, er speist sie überwiegend aus den westlichen Quellen vor Ort.

Doch die Widrigkeiten in der Grenzlage zwischen Morgen- und Abendland werden zu einer unerwarteten Herausforderung für den Amerikaner. Gesundheitlich geht es ihm von Tag zu Tag schlechter. Mit hohem Fieber lässt er sich

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Die Orient Bar – ein Hauch von Konstantinopel in Istanbul

Wo westliche Gaumenfreude und orientalische Gastfreundschaft aufeinander treffen. Die Orient Bar in Istanbul. Foto: W. Stock, Februar 2020

Als Reporter des Toronto Daily Star kommt der Amerikaner Ernest Hemingway Ende September 1922 von Paris nach Istanbul, das damals noch Konstantinopel heißt. Er soll für seine Zeitung Artikel über die Friedensverhandlungen zwischen Türken und Griechen schreiben. Mit den Friedensverhandlungen läuft es gut, mit dem Schreiben weniger.

Hemingway ist krank, die Malaria hat ihn angefallen, und er fühlt sich mies, Trost bereit ihm wie immer Hochprozentiges. In Konstantinopel kommt er mit dem Absinth in Berührung, einer Alkoholrakete aus Wermut, Anis und Fenchel, mit einer Flughöhe von bis zu 85 Prozent Volumenprozent. Sein Stammplatz wird, natürlich, die Orient Bar im Erdgeschoss des Pera Palace Hotels.

Den Absinth findet man nicht mehr auf der Getränkekarte, dafür reichlich jene modischen Mix-Drinks mit trendigen Bezeichnungen wie South Pole, White Lotus oder Lemon Drop. Vodka, Gin, Rum, Tequila – in hundert Jahren hat sich nicht viel daran geändert, was einen Mann wie Ernest Hemingway glücklich machen kann. Die Orient Bar hat angenehmerweise etwas von Wohnzimmer-Atmosphäre, sie fällt ein wenig plüschig aus, geradezu familiär, und diese Tradition hat sicherlich nicht nur der Bar gutgetan. 

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Die Theke der Orient Bar in Istanbul. Hier werden Geschäfte gemacht und Politikerkarrieren ausgeklüngelt. Und Schriftsteller lassen sich inspirieren. Foto: W. Stock, Februar 2020.

Konstantinopel, diese Metropole zwischen Europa und Asien, hat schon immer zwischen Tradition und Modernität gekippelt, und selbst heute weiß sie nicht so recht, wohin. Der alte Geist von Konstantinopel weht noch lau durch die Orient Bar, dessen geistiges Augen viel vom Zerfall und Aufbruch der Nation gesehen hat. Konstantinopels Stadtteil Pera, heute Beyoğlu genannt, wird nach dem Ersten Weltkrieg zum Schmelztiegel der Glücksritter aus aller Welt.

Rumänen, Armenier, Griechen und Levantiner zieht es magisch hierher. Ebenso wie italienische, britische, französische und amerikanische Soldaten, die nach der Besetzung im Jahr 1918 durch die Straßen der Altstadt patrouillieren und die im flüchtigen Amüsement doch nur den grausamen Krieg vergessen wollen.

Wohlhabende Russen, die vor der Oktoberrevolution geflohen sind, hoffen in Konstantinopel auf eine neue Chance. Streuner, Heimatlose, Kriegsgewinnler, Spione, Lebemänner und gefallene Seelen – alle kommen mit Hoffnung und Absichten in diese lebhafte Kapitale am Bosporus.

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Zur Tea Time spielt der famose 93-jährige Ilham Gencer jeden Nachmittag Jazzballaden in der angrenzenden Lounge. Foto: W. Stock, Februar 2020.

Mit all den Neubürgern erreichen auch der Jazz und der Tango, der Jugendstil und die Lebenslust der Roaring Twenties diese putzmuntere Metropole an der Grenzlinie von Orient und Okzident. Alles potenziert sich, wenn man denn will, mit Opium und Kokain, das in jenen Jahren in den Rauschgifthöhlen der Stadt serviert wird, als sei es ein harmloses Brausepülverchen.

Man soll nicht denken, Jazz und ähnlich lasterhafte Eskapaden des Westen fänden nicht ihre Anhänger in der Türkei. Einen Raum weiter spielt der 93-jährige Ilham Gencer jeden Nachmittag von 15 bis 18 Uhr wunderbare amerikanische Jazzballaden zur Tea Time. Ein Privileg Istanbuls kann sein, westliche Lebensfreude mit orientalischer Gastfreundschaft zusammenzuführen.

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Ernest Hemingway an der Wand der Orient Bar. Foto: W. Stock, Februar 2020.

Die Lebenslust ist groß im Konstantinopel jener Zeit, die Nacht wird zum Tag gemacht. Das Nachtleben stellt in den 1920er Jahren jenes von Berlin oder Paris locker in den Schatten. Dies ist auch Ernest Hemingway in seinen Depeschen nicht entgangen. Hier hat niemand den Anspruch, sich vor neun Uhr abends an die üblichen Gepflogenheiten zu halten. Die Theater öffnen um zehn, die Nachtclubs öffnen um zwei, die verruchten Nachtclubs um vier.

Die Orient Bar öffnet um 18 Uhr. So mancher Schriftsteller hat versucht, sich hier seine Stimulanzien zu holen, in welcher Form auch immer. Ian Fleming, der Vater von James Bond, ist hier gewesen, Agatha Christie hat an dieser Stelle den Mord im Orient-Express geplant und der Franzose Pierre Loti tüftelt an seinen exotischen Reise-Stories. Der aller berühmteste Gast ist ein

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Ernest Hemingway – leer und elend in Istanbul

Das Grand Hôtel de Londres an der Asmalı Mescit hat die besseren Tage Konstantinopels miterlebt. Heute erinnert in dem Hotel nichts mehr an den Gast Ernest Hemingway. Foto: W. Stock, Februar 2020.

Am 29. September 1922 kommt Ernest Hemingway nach Istanbul, nach Konstantinopel, wie die türkische Metropole damals hieß, er soll für den Toronto Daily Star über die Friedensgespräche nach dem griechisch-türkischen Krieg schreiben. John Bone, der Chefredakteur des Star, hat seinen Paris-Korrespondenten an die Schnittstelle zwischen Orient und Okzident geschickt, weil in der Türkei die westliche Einflusssphäre verschoben wird.

Der 23-jährige Hemingway kommt mit dem Simplon-Orient-Express vom Pariser Gare de Lyon über das bulgarische Sofia nach Konstantinopel. Neben dem Toronto Star verdient sich Ernest etwas dazu, indem er unter Pseudonym die Hearst INS-Nachrichtenagentur von Frank Mason beliefert. Als John Hadley bessert er so mit Nachrichten für den amerikanischen International News Service sein spärliches Korrespondenten-Honorar auf.

Nach der Ankunft in der Türkei gerät Ernest Hemingway alsbald in Zwiespalt. Constantinople is noisy, hot, hilly, dirty, and beautiful. Die Stadt sei laut, heiß, hügelig, verschmutzt und wunderschön. Ankara ist wie eine Ehefrau, sagen die Einheimischen, Istanbul wie eine Geliebte. Kleine Cafés, winzige Läden, vor den Geschäften sitzen die Männer auf Holzkisten, rauchen viel und reden noch mehr, an den Zeitungskiosken wird lautstark die politische Lage diskutiert.

Zuerst steigt Ernest Hemingway im Grand Hôtel de Londres im europäischen Stadtteil Pera ab, ein Mitreisender im Orient-Express hat ihm das Hotel empfohlen. Fünf Tage später siedelt er in das Hôtel Montreal über. Mehrmals wird er die Unterkunft wechseln, der Mann aus Chicago ist nicht zufrieden mit dem Standard im alten Konstantinopel. Die Mücken beißen ihn, die Bettflöhe stechen, die Wanzen piesacken.

Kurz nach seiner Ankunft erkrankt Ernest Hemingway schwer. Mit hohem Fieber lässt er sich zur britischen Klinik fahren, in der er als Notfall behandelt wird. Eine Malaria wird von den Ärzten diagnostiziert, er bekommt Chinin und Aspirin. Der Journalist lässt sich bei einem türkischen Barbier die Haare vom Schädel rasieren, um den Läusen beizukommen. Seine Krankheit hält ihn nicht davon ab, die Stadt unsicher zu machen, auch bei den Bordellen im Galata-Viertel schaut er rein. Seine Artikel für den Toronto Star bilden keine große Herausforderung für ihn, er speist sie überwiegend aus den westlichen Quellen vor Ort.

Doch irgendwie erscheint Ernest Hemingway verloren in dieser ihm unbekannten Welt. Er ist kein Kind von Traurigkeit, er in Konstantinopel, die Ehefrau Hadley in Paris. Und an diesem Abend, als er sich vor Sehnsucht nach ihr innerlich ganz leer und elend fühlte, ging er am Maxim vorbei, las ein Mädchen auf und lud sie zum Essen ein. Hinterher nahm er sie in ein Tanzlokal mit, aber sie tanzte schlecht, und er tauschte sie gegen eine scharfe armenische Nutte, die ihren Bauch so heftig an ihm rieb, dass sie ihn beinahe versengte. 

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Im Pera Palace Hotel, dem ersten Haus am Platz, findet Ernest Hemingway im Oktober 1922 schließlich eine angemessene Unterkunft. Foto: W. Stock, Februar 2020.

Ernest Hemingway spricht in seinen Artikeln offen über seine Befindlichkeit und auch über seine Gefühle, einerlei ob er sich selbst damit in ein schlechtes Licht stellt. Diese Subjektivität ist neu im Journalismus jener Tage und auch bei den Buchautoren. Wenn man seine Zeilen richtig deutet, so merkt man, er fühlt sich einsam und alleine, trotz der quirligen Welt da draußen.

Sein erster Artikel lautet

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Ernest Hemingway fährt durch Osteuropa in die Türkei

Der Sirkeci Gari im europäischen Teil Konstantinopels, dem heutigen Istanbul, ist der Zielbahnhof des Orient-Express gewesen. Foto: W. Stock. Februar 2020.

Nachdem er im August ausgiebig den Schwarzwald und anschließend von dort Deutschland bis nach Köln bereist hat, steht im Herbst 1922 ein anderer spektakulärer Auslandaufenthalt an. Ernest Hemingway kommt zum ersten Mal in Kontakt mit dem Orient. Zunächst nähert er sich dem Morgenland in seiner luxuriösen Ausprägung. Im Gare de Lyon besteigt Ernest Hemingway am Abend des 25. September den Orient-Express, einen Luxus-Zug aus Schlaf- und Speisewagen, der seit 1883 Paris mit Konstantinopel verbindet.

In Europa wird mehr gereist, komfortable Verbindungen ohne lästiges Umsteigen werden von der anspruchsvollen Kundschaft verlangt. Gerade der Orient-Express steht für diesen Fortschritt in der abendländischen Zivilisation. Nach dem Ersten Weltkrieg fährt der Simplon-Orient-Express täglich die neue südliche Route über Lausanne, durch den Simplon-Tunnel von der Schweiz nach Italien, dann Mailand, Venedig, Triest nach Zagreb, Belgrad, Sofia bis nach Konstantinopel.

In Paris hat Ernest Hemingway gehörigen Krach mir seiner Hadley. Sie findet es nicht gut, dass ihr Ehemann neben seinem exklusiven Auftraggeber Toronto Star verdeckt für die Nachrichtenagentur International News Service der Hearst Gruppe schreibt, sie erwartet Aufrichtigkeit. Noch weniger Gefallen findet Ernest Hemingways Ehefrau daran, dass er in ein Kriegsgebiet reist. Das Ehepaar schweigt sich an.

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Vom Gare de Lyon, mit einem Zubringer von London, fährt der Simplon-Orient-Express über Italien und Osteuropa nach Konstantinopel.

Doch der junge Journalist setzt sich durch. Es wird eine abenteuerliche Zugfahrt durch den Balkan, wie er in Schnee auf dem Kilimandscharo sein Alter Ego, den Schriftsteller Harry, rückblicken lässt. Es ist eine Welt, die ihm nicht nur unvertraut vorkommt, sondern zudem für eine gehörige Verunsicherung des jungen Amerikaners sorgt.

Noch am Abend dieses Tages reiste er nach Anatolien ab, und er erinnerte sich, wie er dann den ganzen Tag durch Mohnfelder fuhr, aus denen man Opium gewann, und wie seltsam man sich davon am Ende fühlte und alle Entfernungen einem falsch vorkamen, dorthin, wo sie mit den frisch aus Konstantinopel eingetroffenen, vollkommen ahnungslosen Offizieren den Angriff gestartet hatten, und wie die Artillerie in ihre Reihen gefeuert und der britische Beobachter geweint hatte wie ein Kind.

Am 27. September erreicht der amerikanische Korrespondent als Zwischenstation das bulgarische Sofia, er nutzt die Zeit, Postkarten in die Heimat zu schicken und einen ersten Artikel an den Toronto Daily Star. Handgeschrieben, denn ein betrunkener Taxifahrer hat in Sofia seinen Koffer mit der Corona-Schreibmaschine auf den Bürgersteig fallen lassen, so unglücklich, dass sie nun nicht mehr funktionstüchtig ist. Im Hotel in Konstantinopel lässt Hemingway die Schreibmaschine dann reparieren.

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Der Sirkeci Garı hat sich auch heute noch viel von seinem orientalischen Jugendstil-Charme erhalten können. Foto: W. Stock, Februar 2020.

Der Zielbahnhof des Orient-Express heißt Sirkeci Garı und liegt im europäischen Teil Konstantinopels, in Sirkeci, einem Stadtviertel direkt am Bosporus. Noch heute findet der Besucher zahlreiche Überbleibsel des Jugendstil-Charmes in diesem Bahnhof-Gebäude. Wartesäle mit Fenstern im Modernisme, ein Restaurant aus dem Jahr 1890 in Art déco, alles ein wenig in die Jahre geraten, aber man bekommt eine Ahnung, wie es hier vor hundert Jahren ausgesehen haben mag.

Von Sirkeci Garı geht es drei Wochen später dann auch zurück in Richtung Paris. In Schnee auf dem Kilimandscharo hält Ernest Hemingway ebenfalls die Eindrücke seiner Rückreise fest. Die Erleichterung ist ihm anzumerken. Dies war eins der Dinge, über die zu schreiben er sich aufgespart hatte: Wie er morgens beim Frühstück aus dem Fenster schaute und Schnee auf den bulgarischen Bergen sah und Nansens Sekretärin den alten Mann fragte, ob das Schnee sei, und der alte Mann da hinblickte und sagte: Nein, das ist kein Schnee. Für Schnee ist es noch zu früh.

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Ernest Hemingway und die Magie des Ostens

Die Eyüp-Sultan-Moschee, auf Türkisch Eyüp Sultan Camii, befindet sich Stadtteil Eyüp am nördlichen Ende des Goldenen Horns. Foto: W. Stock, Februar 2020.

Es bleibt eine seltsame Welt für Ernest Hemingway, ungewohnt sicherlich, aber nicht ohne Reiz. Old Constant lautet die Überschrift eines der schönsten Artikel im The Toronto Daily Star, er wird am 28. Oktober 1922 in der kanadischen Tageszeitung veröffentlicht: Wenn Sie am Morgen aufwachen und über dem Goldenen Horn einen Nebel sehen, aus dem die Minarette schmal und glatt zur Sonne hochwachsen und der Muezzin die Gläubigen zum Gebet ruft, in einer Stimme, die sich hebt und senkt wie die Arie einer russischen Oper, dann begrüßt Sie die Magie des Ostens.

Der türkische Name für das Goldene Horn lautet Haliç, was schlicht Mündung bedeutet. Die Bezeichnung führt sich zurück auf den goldenen Glanz, der sich in der Abendsonne über das Wasserbett legt. Doch das Goldene Horn ist mehr als ein sieben Kilometer langer Meeresarm, der wie ein Horn in gebogener Form dem Bosporus zufließt. Das Gewässer vor Istanbul symbolisiert den Reichtum und die Pracht des byzantinischen und osmanischen Konstantinopels.

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Der sieben Kilometer lange Wasserarm, Goldenes Horn genannt, liegt auf der europäischen Seite des Bosporus, kurz vor dessen Ausgang in das Marmarameer. Foto: W. Stock, Februar 2020

Am Goldenen Horn schlägt das Herz dieser Metropole, denn bei den einfachen Handwerkern, den kleinen Händlern und in den Restaurants am Flussufer lässt sich der Pulsschlag dieser Stadt messen. Ob es der Nation gelingt, obenauf zu sein oder vom Mahlstrom der Politik ins Desaster gezogen zu werden, man kann es an der Betriebsamkeit zu beiden Seiten des Goldenen Horns besser ablesen als in den Aktienspalten der Wirtschaftszeitungen.

Auch Ernest Hemingway wird überwältigt von der Stadt zwischen Europa und Asien, im Guten wie im Schlechten. Die staubigen Strassen, der Schlamm, die Lautstärke, die Straßenhunde, die Ratten. Alles kommt ihm merkwürdig bis chaotisch vor, beklagt er sich in seinen Depeschen. Der Verkehr, die Straßen, das Essen, alles unvertraut. Konstantinopel, das erst seit 1930 Istanbul heißt, wird als Sündenpfuhl dargestellt, der Dekadenz anheimgefallen. Konstantinopel führt eine Art Todestanz auf, bevor Kemal Pascha kommt, der geschworen hat mit all den Sauftouren, Glücksspiel, Tanzen und Nachtklubs kurzen Prozess zu machen.

Der junge US-Amerikaner betrachtet die Welt des Orients mit seinen Augen. Was in der Heimat gut funktioniert, stösst in der Fremde an seine Grenzen. Vielleicht, um Kant etwas abzuwandeln, weil es das Gute an sich nicht gibt, bestenfalls das Gute für sich. Und so bleibt dem bodenständigen Schreiber aus Amerika nichts weiter übrig, als in der Kuriositätenkiste dieser Stadt zu wühlen.

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Die Yeni Cami aus dem Jahr 1663, zu Deutsch Neue Moschee, befindet sich im Stadtteil Eminönü, in der Nähe des Gewürzbasars, am südlichen Ende des Goldenen Horns. Foto: W. Stock, Februar 2020.

Als aufgekratzter Melting Pot der islamischen, jüdischen und christlichen Kultur kommt diese Metropole daher.  Es gibt 160 gesetzliche Feiertage in Konstantinopel. Jeder Freitag ist ein muslimischer Feiertag, jeden Samstag ein jüdischer Feiertag und jeder Sonntag ein christlicher Feiertag. Dazu finden sich katholische, muslimische und griechische Feiertage innerhalb der Woche, von Yom Kippur und anderen jüdischen Feiertagen gar nicht zu reden. Kein Wunder, das Lebensziel eines jeden jungen Menschen in Konstantinopel ist, in einer Bank zu arbeiten.

Nicht überraschend erschließt sich diese Stadt dem Mann aus dem Mittleren Westen der USA nur sehr schwer. Für einen 23-Jährigen, der aus dem gut situierten Idyll der Vorstädte Chicagos kommt, muss die Begegnung mit dem Orient ein Kulturschock gewesen sein. Paris ist auch die Fremde für ihn, aber eine Fremde, die er immer erträumt und vermisst hat. Konstantinopel hingegen verklärt sich bei Hemingway poetisch als die Magie des Ostens.

Zwei Momente jedoch trösten ihn. Die Tatsache, dass

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Ernest Hemingway im ‚Pera Palace‘

Ein Geist von Konstantinopel durchzieht das Pera Palace Hotel in Istanbul noch heute. Foto: W. Stock, Februar 2020

Wenn man von der Meşrutiyet Caddesi-Strasse in die Welt von Konstantinopel eintritt, wird dem Gast von einer zuvorkommenden Hotelangestellten, bevor die Formalitäten anfangen, zunächst ein kleines Glas mit frischem Tee gereicht. Und einen besseren Tee habe ich in den besten Häusern nicht getrunken. Das Pera Palace achtet mit Bedacht seine Tradition. Pera, so lautet der Name eines Stadtteils nördlich vom Goldenen Horn im europäischen Teil der Stadt, heute heißt der Stadtbezirks Beyoğlu. Alleine der Name Pera Palace Hotel ist insofern eine Ansage.

Glückliche Fügungen sorgen dafür, dass die reiche Tradition nicht zerbröselt, zumal sich akkurate Zeitgenossen finden, die in den Erhalt eines solchen Prachtstückes investieren. Ein ehrwürdiges Grand Hotel braucht mit der Zeit eine technische Generalüberholung, in den Jahren von 2006 bis 2010 schließt das Pera Palace komplett und unterzieht sich einer gründlichen Renovierung. Die 115 Zimmern und 16 Suiten glänzen nun hell und hinter all der Patina steckt ein moderner Standard, der Zeit angepasst, ohne das Flair der guten Tage zu verlieren. Lobby, Orient Bar, die Restaurants, eine Patisserie, das SPA glänzen nun mit dem Angebot von heute und mit dem Esprit der Gründertage.

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Glaskuppeln wie im Sultans-Palast erhellen das Pera Palace. Foto: W. Stock, Februar 2020

Das Hotel Pera Palas, international Pera Palace apostrophiert, wird Anfang des 20. Jahrhunderts schnell zum ersten Haus am Platz. Eigentlich ist es für die Kunden des Orient-Express gebaut worden. Die Gäste, die aus Paris im Luxuszug anreisen, verlangen auch am Reiseziel nach einer entsprechenden Unterkunft.

Der türkisch-französische Architekt Alexandre Vallaury lässt den Hotelkomplex, der sich über einen ganzen Strassenzug erstreckt, ab dem Jahr 1892 erbauen, 1895 wird das Haus eröffnet. Das Luxushotel mit Blick auf den Bosporus beherbergt forthin Monarchen, Staatsoberhäupter, Wirtschaftskapitäne und berühmte Schriftsteller.

Die Fassade ist im Neo-Rokoko gestaltet, das ist jener Stil, bei dem es mit den Schnörkeln immer ein wenig übertrieben wird. Innen überwältigt den Gast ein Mix aus Modernisme und orientalischem Prunk wie im Sultans-Palast. Glitzernde Kronleuchter, Lichtkuppeln in Art déco, feinste Polstermöbel, der Geist Konstantinopels hat sich im Pera Palace festgebissen und will nicht weichen.

Da es zu Ende des 19. Jahrhunderts mit der Motorisierung noch nicht so weit her ist, werden die geneigten Gäste am Zielbahnhof des Orient-Express, dem Sirkeci Garı, abgeholt und einzeln in hauseigenen Sänften die zweieinhalb Kilometer in die Luxusherberge getragen. Später reist das Klientel mit der Limousine an. Die Gästeliste des Pera Palace ist an Wohlklang nicht zu überbieten: Greta Garbo, Sarah Bernhardt, Mata Hari, Alfred Hitchcock nächtigen in dem Hotel.

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Eine Sänfte, in der die Gäste des Orient-Express vom Bahnhof ins Luxushotel getragen wurden, lässt sich im Pera Palace noch heute bestaunen. Foto: W. Stock, Februar 2020.

In der Türkei hat das Pera Palace Standards an Komfort und Eleganz gesetzt. Als erstes Hotel überhaupt erhält es 1895 einen Fahrstuhl, mit dem Schindler-Aufzug aus der Schweiz kann man noch heute die sechs Stockwerke befahren. Es ist dies der allererste Elevator in der Türkei gewesen und der zweite in Europa überhaupt.

Die Britin Agatha Christie hat Anfang der 1930 Jahre in Zimmer 411 ihren packenden Kriminalroman Mord im Orient-Express geschrieben. Das ist ein Krimi von klassischer Raffinesse: Der Orient-Express, auf der Fahrt von Istanbul nach Paris, bleibt in Jugoslawien in einer Schneeverwehung stecken, ein amerikanischer Reisender wird mit zwölf Messerstichen ermordet aufgefunden. Der Mörder kann den Zug nicht verlassen haben, ein Fall für den belgischen Meisterdetektiv Hercule Poirot.

Der Vater der modernen Türkei, Mustafa Kemal Atatürk, ist oft im Pera Palace Gast gewesen. Sein Zimmer mit der Nummer 101 ist heute ein Museumsraum zu Ehren des Staatsgründers. Im Wohnzimmer der Atatürk-Suite hängt ein geknüpfter Teppich, ein Staatsgeschenk während eines Indienbesuches. Eine gewebte Ornament-Uhr zeigt auf 9 Uhr und 7 Minuten, darunter befinden sich zehn Kerzen. Der Gründungsvater der modernen Türkei wird acht Jahre später, am 10. November 1938 in Istanbul sterben, um 9 Uhr und 7 Minuten.

Es ist jedoch der spätere Nobelpreisträger Ernest Hemingway, der das Pera Palace unsterblich machen wird. In seiner Kurzgeschichte Schnee auf dem Kilimandscharo widmet er 1936 dem Hotel einen ganzen Absatz. Der Schriftsteller Harry – das Alter Ego von Hemingway – zerzaust von der heftigen Schlägerei mit einem britischen Kanonier und mit einem leichten Mädchen im Schlepptau streunt durch das nächtliche Konstantinopel.

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Gleich zweimal – als Foto und als Textauszug – hängt Ernest Hemingway in der Suite des Pera Palace über dem kleinen Sekretär. Foto: W. Stock, Februar 2020.

Sie nahmen ein Taxi und fuhren zur Rumelischen Festung am Bosporus, machten kehrt, fuhren in der kühlen Nacht zurück und gingen ins Bett, und sie fühlte sich so überreif an, wie sie aussah, aber weich, rosenblättrig, honigsüß, ihr Bauch weich, die Brüste groß, und sie brauchte kein Kissen unterm Hintern, und er verließ sie, bevor sie aufwachte, reichlich verludert im ersten Tageslicht, und betrat das Pera Palas mit einem blauen Auge, den Mantel überm Arm, weil ein Ärmel fehlte.

Der Amerikaner Ernest Hemingway ist so etwas wie der gute Geist im Pera Palace. Gleich vier Suiten sind nach ihm benannt. Diese 3-Raum-Suiten mit

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