Ernest Hemingway hat seine Philosophie in aller Deutlichkeit in Der alte Mann und das Meer niedergeschrieben. „Aber der Mensch darf nicht aufgeben“, sagte er. „Ein Mann kann vernichtet werden, aber nicht besiegt.“ So lautet seine trotzige Botschaft an alle Menschen, die gegen die Widrigkeiten des Schicksals kämpfen. A man can be destroyed but not defeated.
A man. Nun kann man diesen Begriff als ein Mann oder auch als ein Mensch übersetzen. Im Englischen ist beides möglich. Bei The Old Man and the Sea ist klar, hier handelt es sich um Santiago, einen alten Fischer aus Cojímar. A man. Ein Mann. Aber: A man can be destroyed but not defeated. Ein Mann? Ein Mensch? Und was ist mit den Frauen?
Versuchen wir es so. Ernest Hemingway zieht immer nur zarte Konturen. Eisberg-Stil. Viel bleibt der Imagination des Lesers überlassen. Insofern kann sich jeder seine eigene Wirklichkeit erschaffen. So sollte gute Literatur eigentlich auch angelegt sein. Die Botschaft stellt sich damit auf eine Meta-Ebene: Ein Mensch kann äußerlich zerstört werden und innerlich trotzdem stark bleiben. Unbesiegt.
Jeder kennt das. Ein Mensch kann eine Niederlage erleiden, aber er muss kämpfen bis zum Schluss. Beated but not defeated, man kann geschlagen werden, aber nicht besiegt. Es gilt für Männer, für Frauen, für alle, für den Mensch als solchen. Solange ein Individuum sich nicht selber aufgibt, egal wie viele Niederlagen es erlitten hat, solange kann es nicht besiegt werden.
Deshalb: Ein Mensch kann zerstört werden, aber nicht besiegt. Dieser Windbeutel aus Chicago huldigt mit seinem berühmten Zitat dem freien Willen jedes Einzelnen, über alle Geschlechterrollen hinweg, Ernest Hemingway singt ein Loblied auf die Freiheit des Menschen. Besiegt werde ich nur, wenn ich es zulasse.
Santiago, der arme, aber tapfere Fischer steht für uns. Für uns alle. Ernest Hemingway geht – wie häufig in der Literatur – nach dem lateinischen Prinzip pars pro toto vor. Ein Teil steht für das Ganze. Durch dieses pars legt er den Fokus auf das Detail, meint aber Größeres. Das ist typisch für Hemingway.
Ein Mann, ein Mensch, die Menschheit – Ernest Hemingway denkt größer als er schreibt. Das ist seine Kunst.
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