Das Portal zu Leben und Werk von Ernest Hemingway

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Ein unbeschriebenes Blatt – Wer Ernest Hemingway als Autor wirklich entdeckte

Der Querschnitt
Ernest Hemingway
Das Berliner Magazin Der Querschnitt ist das erste große Medium, das eine Erzählung von Ernest Hemingway veröffentlicht. Vor allen anderen. Im Juni 1925. Foto: Archiv Dr. Stock.

Vor genau hundert Jahren – im Sommer 1925 – druckte ein Berliner Kulturmagazin die Kurzgeschichte eines völlig unbekannten US-Schriftstellers. Es sollte der Auftakt eines rasanten Aufstiegs werden. Der Name des Neulings: Ernest Hemingway.

Von Wolfgang Stock

Deutschland zu hassen, dafür gäbe es auf Ernest Hemingways Lebensweg genug Anlässe. Nach Machtübernahme der Nazis kommt der US-Autor auf die Schwarze Liste, im Mai 1933 wird sein Anti-Kriegs-Buch In einem andern Land öffentlich verbrannt. Als Reporter im Spanischen Bürgerkrieg erlebt er das gnadenlose Bombardement der Legion Condor gegen die einheimische Zivilbevölkerung. In den Vogesen wird im Oktober 1944 sein ältester Sohn von der Wehrmacht festgenommen und ein halbes Jahr im Kriegsgefangenenlager Moosburg an der Isar inhaftiert. Dem blanken Horror begegnet der Amerikaner dann im Winter 1944, wenige Kilometer hinter der Front im Hürtgenwald, wo in den dichten Wäldern der Nordeifel eine der blutigsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs stattfindet.

Kaiser Wilhelm, Hitler, die Nazis – die Krauts zu verabscheuen, das müsste dem Autor aus Oak Park bei Chicago eigentlich leichtfallen. Doch Ernest Hemingway hasst Deutschland und die Deutschen nicht. Vor allem aus einem Grund, ein Mensch verhindert dies. Sein Name: Hermann von Wedderkop. Von Freunden Weddo gerufen. Heute ist dieser bedeutende Medienmann der Weimarer Republik fast vergessen. Wedderkop ist wunderbar. Sie zahlen mir 550 Francs, jubelt in Paris der junge Autor im Januar 1925. Er kann das Geld aus Berlin gut gebrauchen.

Seit Dezember 1921 lebt Ernest Hemingway in der Metropole an der Seine, es sind beschwerliche Lehrjahre für den ambitionierten Journalisten. Mühsam hält der junge Vater, Sohn John wird 1923 geboren, seine dreiköpfige Familie über Wasser. Ein kleiner Erbschaftsfonds von Ehefrau Hadley verhindert das Schlimmste. Vor kurzem hat er seinen einträglichen Vertrag als Europa-Korrespondent der kanadischen Tageszeitung Toronto Star gekündigt, Ernest Hemingway geht voll ins Risiko. Der Sohn eines Arztes hat einen Traum: Er möchte Schriftsteller werden.

Paris ist in jenen Jahren eine Weltstadt im Aufbruch. Literaten, Maler und Musiker auf der Suche nach neuen Ideen zieht es nach Saint-Germain-des-Prés oder zum Boulevard du Montparnasse, wo im Café de Flore oder Le Dôme die Freude am Dasein ausgelebt wird. Einem jungen Amerikaner, der mit den calvinistischen Werten des Mittleren Westens aufgewachsen ist, muss Rive Gauche vorkommen wie eine Pforte ins Himmelreich. Autoren, die berühmt werden wollen, gibt es zur Genüge in der Stadt an der Seine. Zwar hat der Mittzwanziger, Hemingway ist vom Jahrgang 1899, bereits in zwei Pariser Kleinstverlagen veröffentlicht, doch sind diese Schriften eher Privatdrucke seiner Expat-Freunde Robert McAlmon und Bill Bird. Von seinem Erstling Three Stories and Ten Poems kommen 1923 gerade einmal 300 Exemplare in Umlauf. Ernest hält Ausschau nach einem zahlungskräftigen Verlag, doch der bleibt weit und breit nicht auszumachen.

Der Traum vom Erfolgs-Schriftsteller

Ernest Hemingway erhält von Verlagshäusern aus den USA eine Ablehnung nach der anderen. Seine Frau versucht, ihn wieder aufzurichten. Hadley glaubt an mich und das ist mehr als genug, um den Schmerz der Absagen zu überbrücken. Das Schreiben der Stories ist schon schwer genug gewesen, aber noch schwerer war, dass sie abgelehnt wurden. In seinem Heimatland findet er kein Periodikum, das seine Kurzgeschichte über Spanien drucken will. Damit hat er nicht gerechnet. Jede angesehene Zeitschrift und auch die verrufenen Magazine haben die Stierkampf-Story abgelehnt. Es sei eine großartige Geschichte, aber sie können sie nicht veröffentlichen, erklärt der Newcomer resigniert in einem Brief. Die Story sei zu hart für die Leser. Voller Zweifel beginnt Hemingway, sich als Autor in Frage zu stellen. Den Kerl mit dem riesigen Ego übermannen erste Depressionsschübe.

Nach vielen Tiefschlägen trifft in Paris endlich eine Zusage ein. Zur Überraschung kommt das Angebot nicht aus den USA, sondern aus Deutschland. Hermann von Wedderkop, der Herausgeber einer Berliner Zeitschrift mit dem Titel Der Querschnitt, will die Torero-Erzählung veröffentlichen. Wedderkop schreibt, meine Stierkampf-Story sei wunderbar, verkündet er stolz seinem Freund Harold Loeb. All mein Zeug werde demnächst erscheinen, sagt er. Persönlich treffen sich Hermann von Wedderkop und der junge Amerikaner dann am 9. Oktober 1924, im Pariser Apartment von Ezra Pound, der schon öfter für das Berliner Magazin geschrieben hat. Ernest zeigt sich angetan von dem 24 Jahre älteren Deutschen. Der Kerl ist zu gut, um sich lange halten zu können.

Die Kulturzeitschrift mit dem seltsamen Namen Der Querschnitt erscheint seit 1921 in Berlin. Gegründet hat sie der Kunsthändler Alfred Flechtheim, zunächst als Mitteilungsblatt seiner Galerie. Mitte der 1920er Jahre reiht der Großverleger Hermann Ullstein das Magazin in seinen Propyläen Verlag ein, das Erscheinen wird auf Monatsrhythmus erhöht, die Druckauflage steigt auf 20.000 Exemplare. Jeden Monat überrascht Der Querschnitt mit einem snobistischen Scharfblick auf Kunst, Literatur und Gesellschaft. Dazu hier und da ein ästhetischer Akt, in weiblicher oder männlicher Ausprägung. Als Chefredakteur und Herausgeber entwickelt der Autodidakt Hermann von Wedderkop die kleinformatige Gazette zur vielbeachteten Avantgarde-Zeitschrift in der Weimarer Republik.

Ein wunderbarer Kerl aus Berlin

Zunächst druckt Der Querschnitt im Herbst 1924 einige schlüpfrige Gedichte Hemingways. Wedderkop veröffentlicht meine ganzen obszönen Arbeiten schneller als ich sie schreiben kann. Der US-Amerikaner zeigt sich begeistert von dem Berliner Zeitgeist-Magazin. Sie behaupten, sie würden alles kaufen, egal, was ich schreibe. Ich fürchte, Von Wedderkop ist verrückt. Aber er ist ein wunderbarer Kerl. Und solange Von Wedderkop nicht gefeuert wird, bin ich im Geschäft, schwärmt Hemingway in einem Brief aus den Winterferien in Schruns im Januar 1925. Sein Hang zur Großsprecherei prägt sich schon damals aus: In Deutschland bin ich als der junge amerikanische Heine bekannt.

Oft macht er sich lustig über seinen Verleger, es ist ein gutes Zeichen. Wedderschnitt, persifliert Hemingway den Namen des Chefredakteurs liebevoll, der Wedderschnitt vom Querkopf. Hermann von Wedderkop wird im November 1875 in Eutin geboren, er entstammt einem Adelsgeschlecht aus Niedersachsen. In München, Kiel und Berlin studiert er Rechtswissenschaft, dazu Kunstgeschichte und Archäologie. Zunächst arbeitet der Jurist als Regierungsbeamter in Brüssel und Köln. Doch die Staatsverwaltung ist nicht seine Welt, es zieht ihn zur zeitgenössischen Malerei. Weddo schreibt lieber Artikel und Bücher über moderne Kunst. Dabei lernt er den Kunsthändler Alfred Flechtheim kennen, der ihn Anfang 1924 zum Chefredakteur seines Magazins Der Querschnitt beruft.

Hermann von Wedderkop wird dafür gerühmt, innovative Autoren mit originellen Themen und realistischem Stil zu fördern. Die pomadigen Satzgirlanden eines Thomas Mann hält er für unzeitgemäß. Die neuen Taktgeber heißen Gottfried Benn, Bert Brecht und Alfred Döblin, die in ihren Werken die herrschende Trostlosigkeit schonungslos sezieren. Ernest Hemingway fühlt sich verstanden, auch er ist dabei, mit lebensechten Erzählungen und seinem kargen Eisberg-Stil den viktorianischen Rührstücken à la Charles Dickens ein für alle Mal den Garaus zu machen.

Im Sommerheft des Jahres 1925 ist es dann soweit: Der Querschnitt übersetzt und druckt Hemingways Stierkampf-Story. Im nächsten Heft, der Nr. 7 vom Juli, findet sich der zweite Teil der Erzählung über einen gealterten Torero. Der ehemals berühmte Matador Manuel Garcia erbettelt einen letzten Kampf. Im Verlauf der Corrida wird Garcia von dem Stier mehrfach verwundet, er kann dem Bullen aber letztendlich den Todesstoß versetzen. Schwer verletzt wird der Stierkämpfer von den Helfern aus der Arena getragen und in ein Hospital gebracht. Sofort kommt er auf den Operationstisch. Ob das Leben des Matadors gerettet werden kann? Der Autor lässt es offen.

Gekonnt improvisiert schon diese Kurzgeschichte von gut 30 Seiten über die Grundmelodie des Hemingway’schen Werkes: den heroischen Kampf gegen die menschlichen Grenzen und die Wahrung von Würde in der unvermeidlichen Niederlage. Nach Veröffentlichung in Der Querschnitt tritt die Short Story über den Torero Manuel Garcia unter dem Titel The Undefeated (zu Deutsch: Der Unbesiegte) ihren Siegeszug um die Welt an. Diese typische Hemingway-Erzählung wird in der Winter-Ausgabe 1925/1926 des Pariser Literaturmagazins This Quarter veröffentlicht und schließlich 1927 als Buch in der Sammlung Men Without Women (Männer ohne Frauen) in New York herausgegeben.

Der Durchbruch mit Fiesta

Die lakonische Prosa des Neulings zieht Leser und Kritiker in den Bann. Die Klarheit der Sprache wird ebenso gelobt wie die Unterkühltheit in den Dialogen. Während andere Schriftsteller noch die gespreizte Stilistik der Vätergeneration pflegen, kommt Ernest Hemingway ohne Umschweife zur Sache. In seinem grandiosen Debütroman The Sun Also Rises – zu Deutsch: Fiesta – fängt der junge US-Autor im Oktober 1926 das konfuse Lebensgefühl der Verlorenen Generation wirklichkeitsnah ein. Die von Gertrude Stein so titulierten Männer und Frauen leiden nach dem Zivilisationsbruch unter Werteverfall und Orientierungslosigkeit.

Wie ein anschauliches Menetekel zwischen zwei schrecklichen Kriegen erscheint da Hemingways Fiesta. Amerikanische Intellektuelle in Paris und auf Besuch der Sanfermines in Pamplona geben den Blick frei auf eine Verlorenheit, die bei dem mittelalterlichen Bullen-Spektakel mit reichlich Alkohol und allerlei erotischen Eskapaden verdrängt werden möchte. Auf solch eine Unverblümtheit hat die Leserschaft sehnsüchtig gewartet. Von Europa aus erklimmt der 27-Jährige mit Fiesta den Gipfel der Literatur. Wie ein kraftvoller Bannerträger, wie jemand, der Klartext redet und damit einer bedrückten Generation eine frische Stimme gibt. Ernest Hemingway, nahbar und leutselig, steigt auf zum Weltstar.

So viel Glück ist seinem Mentor in Berlin nicht beschieden. Nach der erfolgreichen Zeit beim Querschnitt, die sich von 1924 bis 1931 erstreckt, versucht sich Hermann von Wedderkop selbst als Autor. Er schreibt launige Reiseführer, über das Rheinland, über Paris, London und Rom. Wie man Freunde gewinnt, den Bestseller des US-Motivationstrainers Dale Carnegie, überträgt er ins Deutsche, wird gar Co-Autor des Werkes. Im Jahr 1933 tritt er der NSDAP bei und hegt offene Sympathien für Benito Mussolini. Allerdings gerät er wegen seiner Vorliebe für moderne Kunst wiederholt in Konflikt mit der braunen Obrigkeit. Der polyglotte Adlige zieht sich zurück und verbringt die Zeit des Nationalsozialismus überwiegend in Italien.

Im Kulturbetrieb der Nachkriegszeit verschwimmt das Profil dieses einst gewichtigen Blattmachers. Er selbst meidet weitgehend die große Öffentlichkeit, lieber übersetzt er ein Buch des italienischen Reiseschriftstellers Emilio Cecchi. Seine Erfolge um die Förderung der künstlerischen Avantgarde mit seinem Zeitgeist-Magazin Der Querschnitt geraten über die Jahre in Vergessenheit. Der medialen Aufmerksamkeit entschwunden und kinderlos stirbt Hermann von Wedderkop nach langen Sanatoriumsaufenthalten in der Schweiz im Oktober 1956 mit 80 Jahren in Hamburg.

Zwei Jahre zuvor, im Oktober 1954, ist seinem ehemaligen Schützling in Stockholm der Nobelpreis für Literatur verliehen worden. Der Novize aus Pariser Tagen, schon lange eine Berühmtheit, vergisst seinen frühen Förderer nicht. In Paris – Ein Fest fürs Leben, dies sind biografisch gefärbte Erzählfragmente seiner sieben Jahre in Europa, erinnert Ernest Hemingway an seinen ersten Verleger. Im Dialog mit der Buchhändlerin Sylvia Beach, er nutzt Shakespeare and Company in der Rue de l`Odéon als Postadresse, erwähnt er seinen Berliner Mentor.
Es war ein Brief, und er fühlte sich an, als ob Geld darin sei.
„Wedderkop“, sagte Sylvia.
Es muss vom ‚Querschnitt’ sein (…). Es sind 600 Francs. Er schreibt, es kommt mehr. Es ist verdammt komisch, dass Deutschland das einzige Land ist, wo ich etwas verkaufen kann.

Hemingway dankt seinem Entdecker

Der Querschnitt ist das erste namhafte Medium gewesen, das diesen ehrgeizigen Jungautor veröffentlicht hat. Somit haben die Deutschen ihn ein wenig entdeckt, noch vor allen anderen. In The Green Hills of Africa setzt Ernest Hemingway dem Berliner Magazin 1935 ein literarisches Denkmal, als er mit einem österreichischen Safari-Kameraden über seinen Beginn als Autor plaudert. The Querschnitt war eine deutsche Zeitschrift, für die ich einige ziemlich obszöne Gedichte geschrieben habe, und wo ich eine längere Erzählung veröffentlicht habe, Jahre bevor ich in Amerika überhaupt etwas verkaufen konnte.

Die ausführliche Passage aus Die grünen Hügel Afrikas druckt Der Querschnitt im Juni 1936 unter dem Titel The Man with the Tyrolese Hat bei Nennung des Autors auf anderthalb Seiten nach. Dieser Mut erstaunt. Denn Hemingways Name befindet sich auf der Liste unliebsamer Autoren. Politisch bleibt das Magazin zwar diffus, doch eckt es mit seiner Unangepasstheit mehrfach bei den nationalsozialistischen Machthabern an. Unter dem 12. Oktober 1936 notiert Propagandaminister Joseph Goebbels in sein Tagebuch: „Gestern: gelesen, gearbeitet. Zwei Zeitschriften Inneres Reich und Querschnitt wegen dreister Unverschämtheiten verboten. Das hat wohlgetan. Die waren wieder frech wie Dreck.“

Mit Der Querschnitt erfährt Ernest Hemingway eine emotionale Bindung zu Deutschland und darüber hinaus einen Zugang zur deutschen Literatur. Thomas Mann bewundert er, Ringelnatz ebenso. Der Amerikaner ist ein offener und neugieriger Mensch, als Nicht-Studierter muss er sich vieles abschauen. Über allem Ruhm vergisst er nicht, wer seine erste Spanien-Geschichte und die vorlauten Poeme veröffentlicht hat. Eine deutsche Zeitschrift und ihr Chefredakteur haben an ihn geglaubt, während Verlage in der Heimat seine Manuskripte in den Papierkorb geschleudert haben.

Dankbar blickt der Nobelpreisträger zurück auf den Beistand von Weddo in den schwierigen Anfangsjahren. Die insgesamt sieben Veröffentlichungen in dem Berliner Magazin werden Ernest Hemingway vor einem Trugschluss bewahren, der gemeinhin schnell gemacht ist. Deutschland ist nicht allein das Land der Bücherverbrenner und der Joseph Goebbels. Deutschland, das ist ebenso das Land von Der Querschnitt und des Hermann von Wedderkop.

Dr. Wolfgang Stock lebt als Journalist und Buchautor in Herrsching am Ammersee. Er betreibt das Portal Hemingways Welt (www.hemingwayswelt.de) und hat eine Biografie über den Nobelpreisträger geschrieben (Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru).

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Ernest Hemingway: The Man with the Tyrolese Hat

Der Querschnitt vom Juni 1936. Das Berliner Magazin veröffentlicht eine lange Passage aus Ernest Hemingways Afrika-Buch. Riskant in Nazi-Deutschland. Exemplar: Archiv Dr. Stock.

Das deutsche Monatsmagazin Der Querschnitt wartet im Juni 1936 mit einer Überraschung auf. Die Zeitschrift veröffentlicht eine kurze Geschichte von Ernest Hemingway. The Man with the Tyrolese Hat wird auf anderthalb Seiten publiziert. Auf Englisch, ganz ohne Übersetzung. Das elitäre Periodikum besitzt intellektuelles Gewicht: Es erscheint in Berlin, dort im renommierten Propyläen-Verlag, später im Heinrich Jenne Verlag.

Ernest hat bereits in den 1920er Jahren in Der Querschnitt veröffentlicht. Insbesondere seine Kurzgeschichte The Undefeated (zu Deutsch später bekannt als Der Unbesiegte). Beim Querschnitt heißt die Geschichte knapp Stierkampf, sie wird in zwei Teilen im Sommer 1925 abgedruckt. Ein halbes Dutzend Stücke aus der Feder von Ernest Hemingway ist zwischen Herbst 1924 und Juli 1925 in der manchmal arg versnobten Zeitgeist-Gazette veröffentlicht worden.

Der Mann aus Chicago, der in Paris lebt, ist sehr dankbar für die Publizierung in dem bekannten Magazin aus Deutschland. Denn es gibt ein schönes Honorar und – vor allem – es hebt das Selbstwertgefühl des damals noch völlig unbekannten Novizen. Sein Durchbruch als Schriftsteller sollte erst im Oktober 1926 mit The Sun Also Rises (in Deutschland und Europa: Fiesta) stattfinden.

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Im 16. Jahrgang kommt Ernest Hemingway zurück zu seinem Entdecker-Magazin Der Querschnitt. Archiv: Dr. Stock.

Das neue Stück The Man with the Tyrolese Hat ist ein opulentes Fragment aus Die grünen Hügel Afrikas, das im Oktober 1935 als Green Hills of Africa im Verlag Charles Scribner’s Sons in New York erschienen ist. In Hemingways Jagdgeschichten, sie basieren auf den Erlebnissen seiner Ostafrika-Safari im Januar und Februar 1934, kommt es zu einer skurrilen Begegnung.

In der Steppe begegnet Hemingway einem österreichischen Jagdkameraden in Lederhose und mit Tirolerhut auf dem Kopf. Und es entspinnt sich unter afrikanischer Sonne eine muntere Konversation. Der Mann mit dem Tirolerhut erzählt von diesem Aufeinandertreffen in der Savanne.

„Hemingway ist meine Name.“
„Kandisky“, sagte er und verbeugte sich. „Den Namen Hemingway habe ich schon einmal gehört. Wo? Wo habe ich ihn schon gehört? Ach, ja. The Dichter. Kennen Sie Hemingway, den Dichter?“
„Wo haben Sie etwas von ihm gelesen?“
„Im ‚Querschnitt‘.“
„Das bin ich“, sagte ich, hocherfreut. ‚Der Querschnitt‘ ist eine deutsche Zeitschrift für die ich einige Gedichte geschrieben hatte und wo eine lange Geschichte von mir veröffentlicht wurde, Jahre bevor ich etwas in Amerika verkaufen konnte. 

Die beiden Waidmänner fachsimpeln in der afrikanischen Steppe über deutsche Literatur und Autoren. Über Ringelnatz, über Heinrich Mann und über Rainer Maria Rilke. Über Vorzüge, Sympathien und persönliche Aversionen. 

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Nur auf Englisch. Um vielleicht die Zensur zu überlisten? The Man with the Tyrolese Hat. Exemplar Archiv Dr. Stock.

Der Abdruck von Ernest Hemingway Story in Der Querschnitt vom Juni 1936  ist bemerkenswert. Denn der US-Amerikaner steht auf der Schwarzen Liste der Nationalsozialisten, die seit drei Jahren Deutschland eng im Würgegriff halten. Nach der Machtergreifung der braunen Despoten ist Ernest Hemingways Buch In einem andern Land bei den Verbrennungen im Mai 1933 in die Flammen geworfen worden.

Dem Schriftsteller, der nun in Key West lebt, wird vorgeworfen, den Krieg in den Dreck zu ziehen. Als Folge: Ernest Hemingway wird in Deutschland nicht mehr publiziert. So darf die deutsche Ausgabe von Green Hills of Africa in der Nazi-Zeit nicht erscheinen, das Buch wird als Die grünen Hügel Afrikas erst im Jahr 1954 im Hamburger Rowohlt Verlag mit fast 20 Jahren Verzögerung erstverlegt.

Trotz Verbot und Zensur besitzt die Berliner Zeitschrift den Mut, eine Geschichte des Verfemten zu drucken. Herman von Wedderkop, ein Förderer Hemingways, hat im April 1931 als Chefredakteur und Herausgeber abgedankt. Die Zeiten bleiben auch unter neuer Leitung hart. Zu den wirtschaftlichen Zwängen kommt ab 1933 die politische Pression, zu sehr eckt die extravagante Publikation bei den Nazis an. Vier Monate nach der Tirolerhut-Story schlägt die letzte Stunde des Magazins.

Im Oktober 1936 wird Der Querschnitt, zu diesem Zeitpunkt mit einer Auflage von 16.000 Exemplaren, von der Hitler-Diktatur verboten. Wobei Hemingway nicht der direkte Anlass gewesen ist. Bösartig und staatsfeindlich ist den Nazis ein Artikel unter der Überschrift Fremdwörterbuch aufgestoßen. So ist dort der Begriff absurd definiert worden als

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Ernest Hemingway: Rede an das deutsche Volk

Die Weltbühne
Die Weltbühne, das halbmonatlich erscheinende Berliner Kulturmagazin, veröffentlicht nach dem Krieg Ernest Hemingways verschollene Rede an das deutsche Volk. Foto: Archiv Dr. Stock.

Im November 1938 lässt Ernest Hemingway über den Deutschen Freiheitssender – eine auf Deutsch sendende Radiostation auf Kurzwelle 29,8 – eine Rede verlesen. Der Sender, von Kommunisten der KPD gegründet und betrieben, sendet von Pozuelo del Rey bei Madrid jeden Tag eine Stunde Programm nach Nazi-Deutschland. Auch Exilanten wie Thomas Mann und Albert Einstein haben über den Sender Botschaften an das deutsche Volk ausgestrahlt.

Bei Hemingways Mitteilung handelt es sich um eine vier Minuten lange Rede aus Spanien an das deutsche Volk. Ich bin aber auch traurig (um offen zu sein), traurig mit deinem Schicksal, deutsches Volk, so kommt Ernest direkt im ersten Abschnitt zur Sache. Der Amerikaner bekennt seine Verbundenheit zu Deutschland. Er erzählt von seinem Urlaub im Schwarzwald, von den Besuchen in Berlin. Der US-Autor preist die Schönheit des Landes und den Humor seiner Bewohner. Und fragt unvermittelt: Und das soll alles zu Ende sein?

Als Kriegsreporter steht er unter dem Eindruck des Kampfes gegen den Putschisten General Franco. Die Völker wollen gleich und gleich nebeneinander leben. Sie wollen sich nicht in Kriegen für Tyrannen zerfleischen. Der damals schon berühmte Schriftsteller spannt sodann den Bogen zur Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland. Und eines Tages wird es [das deutsche Volk] den einzigen Krieg machen, der noch lohnt, den Krieg gegen die Nazi-Tyrannei.

Im Sommer ist der US-Kriegsreporter an der Ebro-Front gewesen und hat die Heinkel– und Junkers-Flugzeuge der Legion Condor über friedliche Dörfer dahinstürmen sehen. Bomben werden auf zivile Ziele abgeworfen. Doch Hemingway lässt seine Zuhörer wissen, dies sei nicht das wahre Deutschland. Ich grüße diese [wahren] Deutschen und verfluche die anderen, die in den Junkers sitzen, samt denen, die die feigen Bombenschmeißer da unten hingeschickt haben.

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Auf zwei Seiten druckt Die Weltbühne Ernest Hemingways Rede an das deutsche Volk. Foto: Archiv Dr. Stock.

Hemingways Rede an das deutsche Volk, so zutreffend und forsch ihr Inhalt ist, besitzt eine unüberhörbare Schwachstelle: Sie stammt nicht von Ernest Hemingway. Denn dieser überhöhte Polit-Pathos gehört nicht zu seinem Duktus. Genauso wenig wie ein Amerikaner eine so abgedroschene Phrase nutzen würde, um die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in einer Diktatur zu umschreiben: Keiner soll mehr reden dürfen, wie ihm der Schnabel gewachsen ist? Eine solche Redewendung existiert in der angelsächsischen Sprache nicht, dieser burschikose Zungenschlag entstammt nicht dem Schnabel von Ernesto. Die Feder muss ein anderer geführt haben, aus Propaganda-Gründen ist sie als Opus des berühmten US-Autors verkauft worden.

Am Drehbuch zum Spanien-Film The Spanish Earth lässt sich hingegen erkennen, wie Ernest Hemingway in Wirklichkeit stilistisch vorgeht. Über einzelne Menschen und über individuelle Schicksale. Der Mann aus Chicago erzählt Geschichten und beschreibt, was er zu Augen bekommt. Gefühle und Empfindungen verbirgt er stets unter der Oberfläche. Die doktrinäre Pathetik, die linken Autoren so in Fleisch und Blut liegt, bleibt Ernest ein Leben lang fremd.

Doch wer ist der tatsächliche Autor dieser Rede? Ein Hinweis hält der Text bereit, wo im vorletzten Abschnitt das Bataillon Thälmann der Internationalen Brigaden erwähnt wird. Es wird ein Loblied gesungen auf die tapferen Brigadisten, die aufopferungsvoll kämpfen und nach gewonnener Schlacht die Einheimischen verpflegen. Sie machten gut, was die Junkers schlecht gemacht hatten.

Für Propaganda beim Thälmann-Bataillon ist der Schriftsteller Gustav Regler zuständig. Aus Überzeugung nimmt der Saarländer, wie viele andere republikanisch oder links eingestellte Intellektuelle, am Bürgerkrieg in Spanien teil. Er wird Politischer Kommissar innerhalb der XII Brigade, dort sind im Thälmann Bataillon die deutschen Freiwilligen organisiert.

Während des Krieges freunden sich der Amerikaner und der Saarländer an. Gustav Regler arbeitet Hemingway zu bei dessen Lieblingsprojekt The Spanish Earth, einem internationalen Kinofilm für die Sache der Republik. Ernest erwähnt darin den Deutschen namentlich mit Stolz und Enthusiasmus. 

Gustav Regler beteiligt sich – im Gegensatz zu Hemingway – aktiv an den Kampfhandlungen, er schreibt aus nächster Nähe über die Schlachten im spanischen Hinterland. Seine Tagebuchaufzeichnungen fließen ein in seinen Roman über den Bürgerkrieg, der 1940 in der englischen Fassung als The Great Crusade erscheint, mit einem Vorwort seines Freundes Ernest versehen. Der Saarländer besucht den Amerikaner später dann in den USA, in Key West. 

Vom Stil her passt die Rede an das deutsche Volk nicht zu Ernest Hemingway, ich tippe auf

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Ernest Hemingway besucht ein Spiel des FC Bayern München in der Allianz Arena

Ernest Hemingway vor der Allianz Arena in München. Ein AI-Foto, natürlich.

Eigentlich reicht mir in unserem Zusammenleben voll und ganz menschliche Intelligenz. Soweit vorhanden. Aber gut, dann kommt in der heutigen Zeit Künstliche Intelligenz hinzu. Diese Artificial Intelligence – kurz AI genannt – bietet in der Tat erstaunliche Möglichkeiten. Da können auf Fotografien und in Filmen Tote auferstehen, Menschen ins Mittelalter gebeamt werden und propere Kerle zu faltigen Greisen mutieren.

Dann machen wir doch die Probe aufs Exempel. Ich gebe der AI den Auftrag, ein Foto von Ernest Hemingway vor der Allianz Arena in München zu erstellen. Historisch natürlich großer Nonsens. Denn der US-amerikanische Nobelautor ist zu Lebzeiten niemals in der bayerischen Hauptstadt gewesen, und die Allianz Arena ist zudem erst im Mai 2005 eröffnet worden. Und Ernesto, man weiß es, liegt seit Juli 1961 friedlich auf dem Dorffriedhof von Ketchum am Rande der Rocky Mountains.

Das Ganze ist ohne Zweifel ein Innovationssprung. Bei der Artificial Intelligence wird per Software versucht, menschliche Intelligenz und deren Resultate nachzuahmen. Zu diesem Zweck werden Algorithmen erstellt, angewendet und in einer lernenden Computing-Landschaft neu entworfen. Wie ist das Ergebnis?

Nun, als reine Illustration durchaus reizvoll und brauchbar. Als Nachahmung der Realität jedoch arg hölzern. Der Beobachter erkennt auf den ersten Blick, hier ist nicht die Wirklichkeit am Werk, die Wirklichkeit wird bloß simuliert. Die Tatsachen werden vorgetäuscht. Also alles ein Fake.

Die Grenzen der AI erkennt man beim nächsten Auftrag. Die Künstliche Intelligenz soll Ernest mein Buch Cabo Blanco lesen lassen. Heraus kommt zwar ein lesender Hemingway und auch blickt er in die Lektüre von Cabo Blanco. Doch Cover, Titelei und Format des Werkes stimmen vorne und hinten nicht.

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Hurra! Ernest Hemingway liest mein Buch Cabo Blanco. Natürlich ein AI-Foto. Beachtlich: Der Nobelpreisträger trägt den berühmten Norweger-Pullover wie auf dem ikonischen Foto von Yousuf Karsh.

Kinderkrankheiten? Wahrscheinlich. Den dritten Versuch erspare ich allen. Als Grafik die Aufgabe: Ein Foto von Ernest Hemingway, der mit Wolfgang Stock diskutiert. Nun ja, den bärtigen Schriftsteller mag man auf dem Ausdruck erkennen. Der Gesprächspartner, also ich, sieht eher aus wie

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Wer ist Ernest Hemingway???

Ernest Hemingway
Bücherverbrennung
Mit einem Mahnmal wird an Ernest Hemingway vor einer Universität gedacht, weil vor über 90 Jahren Studenten seine Bücher verbrannt haben. Und heute weiß die junge Generation nicht viel anzufangen mit seinem Namen. Foto: W. Stock.

Kürzlich zu Besuch an einer feinen Universität. In einer gemütlichen Großstadt direkt am Rhein. Es ist meine Heimatregion, in der Nähe bin ich geboren worden, mir geht jedesmal das Herz auf bei einem Besuch. Diesmal bin ich an der dortigen Hochschule in Sachen Ernest Hemingway unterwegs.

Im weiten Areal vor dem wuchtigen Eingangsportal wird an zahlreiche Literaten gedacht. Denn just an diesem Ort haben Nazis die Bücher dieser Autoren in die Flammen geworfen. Am 17. Mai 1933 wurden Hunderte kritische Werke auf den lodernden Scheiterhaufen geschleudert. Romane und Erzählungen mit pazifistischem oder sozialistischem Inhalt. 

Ich spüre der Plakette von Ernest Hemingway nach. Dies gestaltet sich ein wenig mühselig, weil sich auf dem Vorhof Dutzende von Studenten und Studentinnen tummeln. Ich suche und suche, stets mit gesenktem Blick auf das Steinpflaster. An einer seitlichen Parkbank werde ich fündig und bitte die Studiosi höflich, ein wenig zur Seite zu treten.

Endlich habe ich ihn gefunden, den bärtigen Jahrhundert-Schriftsteller aus Chicago und deute auf die Gravur in der Bodenplatte. Dann zücke ich meine Kamera. Ratlose Gesichter um mich herum. Ernest Hemingway, brummele ich entschuldigend.

Kennen Sie Ernest Hemingway?, frage ich daraufhin launig. Betretenes Schweigen. Vor mir eine Gruppe von sechs, sieben Studentinnen. Schulterzucken und Verlegenheit. Hemingway, hake ich nach, wie ein Lehrer.

Als eine halbe Minute später immer noch keine Antwort kommt, bohre ich ein wenig. Sie haben doch alle Abitur, kitzele ich die Studentinnen. Ja, aber das ist schon lange her, antwortet eine vielleicht 20-Jährige lachend.

Ich nehme einen neuen Anlauf. Ernest Hemingway, Sie wissen doch, wer das gewesen ist. Nun blicke streng. Es liegt in der Luft, dass jetzt eine Rückmeldung kommen muss. Und die fröhliche Studentin quetscht aus sich heraus: War das

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Ernest Hemingway brennt auf dem Bonner Marktplatz

Das Alte Rathaus in Bonn hat schon wunderbare Momente erlebt, aber auch abscheuliche Dinge gesehen. Foto: W. Stock, 2024.

Bellum omnium pater. Der Krieg, so Heraklit um 500 vor Christus, ist der Vater aller Dinge. Zum Guten als auch zum Schlechten kann er die Welt verändern. Die einen macht er zum Sklaven, so meint der Aphorismus des griechischen Philosophen, die anderen zu freien Menschen. Ernest Hemingway hat den Kampf zwischen Knechtschaft und Freiheit erleben können, als er sich gegen Despoten wie Franco und Hitler aufgelehnt hat. Darüber schreibt er. Als Journalist und Buchautor.

In einem andern Land ist eine frühe Erzählung von ihm, die im Original unter dem Titel A Farewell to Arms 1929 bei Charles Scribner’s Sons in New York erschienen ist. Die deutsche Erstausgabe wird bei Rowohlt im Jahr 1930 verlegt. Hemingway lässt in diesem Roman seine eigenen traumatischen Erlebnisse als Sanitätsfahrer an der italienischen Front bei Fossalta di Piave im Ersten Weltkrieg einfließen.

Wer das Werk liest, der merkt rasch: Dieser Mann ist mit dem Säbelrasseln durch. Der amerikanische Sanitätsoffizier Leutnant Frederic Henry und die englische Krankenschwester Catherine Barkley können ihr kleines Glück während des Kriegs nicht festhalten. Zu groß sind die persönlichen Verluste, als dass man den Waffengang glorifizieren könnte. Verwundungen, Verletzungen, Krankheiten, Tod. Die militärische Schlacht ist das genaue Gegenteil von Liebe, die Hemingway in seinen Erzählungen meist als Kontrapunkt setzt.

Die Nationalsozialisten haben den Anti-Militarismus in Hemingways Prosa erkannt. Deshalb setzten die braunen Machthaber seinen Roman In einem andern Land im Jahr 1933 auf die Liste unliebsamer Bücher. Dieses Werk sei ein Anti-Kriegsroman, der das Heroische in den Dreck ziehe. Das ist zweifellos richtig analysiert. Der Krieg steht dem Glück des Menschen im Wege.

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Als Buchrücken ist Ernest Hemingway mit seinem Roman In einem andern Land ins Pflaster des Rathausplatzes eingelassen. Foto: W. Stock, 2024.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 sehen sich jüdische, pazifistische und andere oppositionelle Autoren verstärkter Verfolgung ausgesetzt. Es wird zu einem dunklen Kapitel deutscher Geistesgeschichte: An den Hochschulen organisiert im April das Hauptamt für Presse und Propaganda der Deutschen Studentenschaft vier Wochen lang eine reichsweite Aktion.

Zum Auftakt der Kampagne werden am 12. April 1933 die 12 Thesen wider den undeutschen Geist veröffentlicht. Schwarze Listen mit Autorennamen und Werken kursieren. Studenten und Bibliothekare werden unterdessen aufgefordert, die Buchregale ihrer Fakultäten von missliebiger Literatur zu säubern. Universitäts- und Institutsbibliotheken, öffentliche Büchereien und Buchhandlungen werden in diesem Sinne auch in Bonn durchsucht.

In der ehemaligen Bundeshauptstadt sind 60 Bronzebücher in das Kopfstein-Pflaster des Marktplatzes eingelassen. Die zweifingergroßen Buchrücken, mit Name des Autors und Romantitel, sind alle gut lesbar. Diese über den Platz verstreuten Lese-Zeichen bilden den Teil des Erinnerungsmals, das an die  Bücherverbrennung in der Rheinmetropole erinnert. Die zufällig verteilten Lese-Zeichen verdichten sich hin zur Treppe des Alten Rathauses, an der damals die Bücher in den Scheiterhaufen geschleudert wurden.

Insgesamt sind für das Frühjahr 1933 deutschlandweit mehr als 50 Bücherverbrennungen dokumentiert. Am Abend des 10. Mai finden solche Verbrennungen an 22 Hochschulorten statt, darunter auch jene vor dem Bonner Rathaus. Die Liste der verfemten Schriftsteller, deren Bücher verfeuert werden, umfasst etwa 450 Namen. Ein Anlass für zahlreiche Autoren, ins Exil zu gehen. Andere werden mit Publikationsverbot belegt, viele Geistesgrößen werden in Konzentrationslager gesteckt.

Ernest Hemingway weiß, dass Krieg und Diktatur Hand in Hand gehen. In all den kriegerischen Konflikten, die er

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Wer ist Zuckmayer? – Drei Hemingway-Freunde auf Sylt

Ein Thron vor weitem Meer. Der rheinhessische Dramatiker Carl Zuckmayer atmet tief die Nordsee-Luft. Foto: W. Stock, 2024.

Seit 2008 findet der Besucher auf Sylt einen Kunst- und Kulturpfad, mit dem das Dorf Kampen zahlreiche Kunstschaffende ehrt. Künstler, die in der einen oder anderen Weise in dem Friesenort gewirkt und gelebt haben. Denn die Kultur hat sich von Sylt inspirieren lassen, genauso wie die Kultur die Insel inspiriert hat. So lädt die facettenreiche Landschaft zwischen Dorf, Dünen und Nordsee ein zu einem anregenden Spaziergang von acht Kilometern.

Auf dem liebevoll angelegten Kulturpfad rund um das Dorf vermag man so auf den Spuren vergangener Tage zu wandeln. Es ist eine Vergangenheit mit Namen bekannter Maler, Schriftsteller und Verleger. Drei der 40 Gedenktafeln sind Künstlern gewidmet, deren Lebenslinien sich mit jenen des US-Schriftstellers Ernest Hemingway merkbar gekreuzt haben.

„Einen Tummelplatz der freien Geister“ nennt Ernst Rowohlt seinen Verlag. Einer seiner Spitzenautoren wird Ernest Hemingway – und er ist es noch heute, ein Jahrhundert später. Rowohlt, ein gebürtiger Bremer, reist 1927 zum ersten Mal nach Kampen und kommt bei seinen Besuchen in den Logierhäusern Klenderhof und Kliffende unter. „Mit seiner Urfröhlichkeit beherrschte er jeden Kreis“, so erinnerte sich seine Pensionswirtin an den erfolgreichen Buchverleger. 

Als er 1908 seinen ersten Verlag gründet, in Leipzig, da ist Rowohlt gerade 21 Jahre alt. In beiden Weltkriegen dient der Verleger als Soldat, wobei er zeitweilig ins Visier des Nazi-Regimes rückt: Mehrere seiner Autoren sind von den Bücherverbrennungen betroffen, so auch Hemingway. Zudem wird Rowohlt 1938 wegen „Tarnung jüdischer Schriftsteller“ aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen, was de facto einem Berufsverbot gleichkommt.

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Ernest Hemingways deutscher Verleger Ernst Rowohlt, unweit vom Hotel Rungholt, blickt über die Heide in den Norden der Insel. Foto: W. Stock, 2024.

Er geht ins Exil – Schweiz und Brasilien – und kehrt 1940 nach Deutschland zurück und wurschtelt sich durch die Kriegstage. Mit dem Ende der Nazi-Diktatur kommt auch Ernest Hemingway zurück als Autor zu seinem alten Verlagshaus. Der Verleger des Rowohlt-Verlags bleibt ein bunter Hund in der Buchbranche. Heute geht der Blick des großen Verlegers zur Lister Bucht. „Ich lese keine Bücher“, meint er flapsig, „ich rieche sie nur und verlasse mich auf mein Näschen.“

Wer ist Zuckmayer?, erwidert der Strandwärter auf meine Frage, wo Zuckmayer zu finden sei. Volkstümlicher Dramatiker mit Tiefgang. Es liegt mir als Replik auf der Zunge. Der Hauptmann von Köpenick. Des Teufels General. Doch dann halte ich meinen Mund und zeige bloß meine Kurkarte vor. Dabei hat Zuckmayer den besten Platz in Kampen. An der Sturmhaube, Rotes Kliff, mit Aussicht auf den Weststrand.

Der damals 30-jährige Autor Carl Zuckmayer bringt Ernest Hemingways Roman In einem andern Land in Deutschland auf die Bühne. Gustav Fröhlich, Käthe Dorsch, Paul Hörbiger und Brigitte Horney verkörpern die Protagonisten der Erzählung, die im Ersten Weltkrieg spielt. In Berlin feiert die Aufführung von KAT – in Anspielung auf die weibliche Protagonistin Catherine Barkley – am 1. September 1931 die Premiere. Ernest Hemingway reist eigens dafür in die deutsche Hauptstadt. Es wird ein Besuch, den man so schnell nicht vergessen wird.

In der Silvesternacht 1932, im Kampener Ferienhaus des Verlegers Peter Suhrkamp, greift Carl Zuckmayer zur Feder und bringt die Gedanken, die ihn am Jahresende umtreiben, zu Papier:

Es schläft das Meer, es ruht das Watt,
die Wildgans schläft von Muscheln satt,
der Wachs tropft von den Lichtern.
Wir trinken unsern Portwein still,
mag kommen, was da kommen will
– der Himmel helf‘ den Dichtern.

Doch der Himmel hilft nicht. Bei den Nationalsozialisten eckt der Jude Zuckmayer mit seiner pazifistischen Haltung an, die Werke des gebürtigen Rheinhessen werden im Jahr 1933 verboten. Carl Zuckmayer entscheidet sich für das Exil. Zunächst in Österreich, 1938 geht er in die Schweiz, ein Jahr später in die USA. Als er dort ankommt, unbekannt und ohne Arbeit, stellt Ernest Hemingway ihm ein Empfehlungsschreiben aus.

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Renée Sintenis Gedenktafel am Leuchtturm von Kampen. Mit ihrem freien Lebensstil passt die Künstlerin wunderbar zu Sylt. Foto: W. Stock, 2024.

Ganz vernarrt ist Ernest Hemingway in die Skulpturen der Renée Sintenis. Der US-Amerikaner erwirbt einige kleinformatige Plastiken der Künstlerin, die in Berlin residiert. „Der erste Eindruck von dir, 1924, ist immer geblieben: dein schmales, scheues, lächelndes Gesicht.“ So erinnert sich Clara Tiedemann, die Besitzerin der Pension Kliffende, an Renée Sintenis.

Ab den 1920er Jahren verbringt die Pferdenärrin regelmäßig die Sommerferien in Kampen, wo sie mit Vergnügen am Strand ausreitet. Mit ihrer mondänen Erscheinung ist Renée Sintenis ein Glanzpunkt der Berliner Szene, Joachim Ringelnatz und Rainer Maria Rilke zählen zu ihren Freunden. Im Jahr 1931 nimmt die Künstlerin an einer Gruppenausstellung im Museum of Modern Art in New York teil.

Ernest Hemingway, der mehrmals Berlin besucht hat, wird Sammler ihrer Werke, zu denen viele Tier- und Sportlerplastiken zählen. Die braunen Machthaber erzwingen den Austritt der Halbjüdin aus der Preußischen Akademie der Künste. Ihre Skulpturen werden von den Nazis als Entartete Kunst gelistet, aber sie erhält kein Ausstellungsverbot.

Nach dem Krieg wird Renée Sintenis 1955 als Professorin an die Berliner Akademie der Künste berufen, wo sie bis zu ihrem Tod lehrt. Das bekannteste Werk der Renée Sintenis, der Berliner Bär, wird seit 1951 als vergoldete oder versilberte Miniatur an die Preisträger des Filmfestes Berlinale verliehen. Ein sonniger Platz direkt am Kampener Leuchtturm erinnert an die große Künstlerin.

Berliner Bär
Westerland
Sylt
Hotel Miramar

Der Bär der Renée Sintenis vor dem Hotel Miramar in Westerland. Bis Berlin ist es weithin. Foto: W. Stock, 2024.

Ungeachtet aller Spuren der Weggenossen sollte eines noch erwähnt werden: Auf

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Ernest Hemingway, herzlichen Glückwunsch zum 125. Geburtstag!

Ernest Hemingway im April 1956 in Cabo Blanco. Foto: Modeste von Unruh. Archiv Dr. Stock (colorized).

Am 21. Juli 1899 wird er in Oak Park, einem biederen Vorort von Chicago, geboren. Zum 125. Geburtstag von Ernest Hemingway ein Blick auf das angespannte Verhältnis des amerikanischen Nobelpreisträgers zu den Deutschen

Von Wolfgang Stock

Er kann ein paar Brocken Deutsch, nichts Weltbewegendes, am liebsten Schimpfwörter wie Schieber und Schweinehund. Die Ausdrücke hat er bei seinen mehrmonatigen Winteraufenthalten im österreichischen Schruns aufgeschnappt und sie hier und da in seine Prosa eingebaut. Genau 291 deutsche Wörter und Begriffe findet man in Ernest Hemingways Werk. Ein wunderbarer Fundus, um Widerlinge zu beschreiben oder seiner Wut ein wenig Luft zu machen.

Der Amerikaner aus Chicago und das Land der Germanen – es ist sicherlich keine Liebe auf den ersten Blick, wie bei Spanien und Italien. Vielmehr gestaltet sich die Beziehung zwischen Ernest Hemingway und Deutschland so wechselhaft wie das Wetter im April. Kühl, manchmal stürmisch und dazwischen ein paar Sonnentage. Die Deutschen sind bei einer Allensbach-Umfrage gefragt worden, wer die zwei bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts seien. Am meisten genannt: Thomas Mann und Ernest Hemingway. Es gibt sie also, die Verehrung und Zuneigung der Deutschen zu dem bärtigen Autor, der am 21. Juli 1899 in einem Vorort von Chicago geboren wurde und der seit Juli 1961 auf dem Dorffriedhof von Ketchum in Idaho begraben liegt.

Trotz literarischer Bewunderung schlägt dem Nobelpreisträger von 1954 reichlich Ablehnung entgegen, in Deutschland polarisiert kein anderer Autor derart. Als Prototyp eines Egomanen und politisch Inkorrekten zieht Ernest Hemingway die Kritik an wie ein Magnet. Besonders an seinem Charakter wird kein gutes Haar gelassen, es geht weniger gegen das Werk. Der Stierkampf-Liebhaber sei ein eigensüchtiger Sprücheklopfer, ein Hallodri durch und durch, ein Macho aus der Mottenkiste, ein grausamer Tierquäler, ein Deutschland-Hasser obendrein.

Schauen wir uns die Sache von seiner Seite an. Zu Ende des Ersten Weltkriegs wird der Sanitätsfahrer Hemingway im italienischen Fossalta schwer verwundet, getroffen von österreichischen Granatsplittern. Im Frühjahr 1933 verbrennen die Nazis seine Bücher, er steht auf der Schwarzen Liste. Und im Zweiten Weltkrieg sieht er als Kriegsreporter das Grauen an der Front im Hürtgenwald bei Aachen. Auch persönlich setzten die Deutschen dem US-Schriftsteller zu. In den Vogesen wird im Oktober 1944 sein ältester Sohn Jack von der Wehrmacht festgenommen und ein halbes Jahr im Kriegsgefangenenlager Moosburg an der Isar inhaftiert. Alles keine gute Grundlage für überschäumende Sympathie.

Neugier ist immer da gewesen. Von Dezember 1921 bis zum März 1928 lebt Ernest Hemingway mit Ehefrau Hadley in Paris. Seinen Unterhalt bestreitet der Jungvermählte mit journalistischen Artikeln, er hat einen Vertrag mit der kanadischen Zeitung Toronto Star als Europa-Korrespondent. Von Paris aus bereist der junge Reporter den Kontinent, mehrmals erkundet er Deutschland. Dabei arbeitet sich der US-Amerikaner fleißig an Stereotypen über die Germanen ab. Wir sahen Mütter, die ihren rosigwangigen Kindern Bier aus großen Halbliterkrügen zu trinken gaben. In Bayern, so möchte man rasch anfügen, sind es Einliterkrüge!

Klamaukig gerät auch die Schilderung, wie Hemingway in Triberg von den Bürokraten in den Amtsstuben ein Angelschein verwehrt wird. Und er sich trotzdem auf den Weg macht zu seinem Forellenbach im Schwarzwald. Wir stellten fest, dass man selbst auf einem der wilderen und abgelegeneren Wege keine zwanzig Schritte gehen konnte, ohne auf sechs bis acht Deutsche zu stoßen, die mit rasierten Schädeln, nackten Knien, Hahnenfedern am Hut, Sauerkraut im Atem, Wanderlust im Blick und einer gegen ihre Beine klappernden Sammlung von Aluminiumgeschirr des Weges zogen.

Seine Leserschaft merkt, dieser junge Autor vermag pointiert zu schreiben, pflegt zugleich mit Vergnügen die Vorurteile. Gemahl speist zuerst, Weibchen kriegt die Krümel! heißt die Überschrift seiner launigen Reportage über eine Bahnfahrt von Frankfurt nach Köln. Besser als jede akademische Sozialstudie beleuchtet Hemingway, wie grobschlächtig sich deutsche Ehemänner gegenüber ihren Frauen benehmen. In seinen frühen Zeitungsartikeln mag er, dick aufzutragen. Das Publikum daheim wird seine Impressionen mit Kurzweil goutiert haben. 

Als ehrgeiziger Korrespondent nimmt der Amerikaner seine Profession ernst, ihn zeichnet ein enormer Arbeitseifer aus. Man mag es kaum glauben, bei seinem Lebenswandel. Obwohl er sich zahlreichen Verlockungen dahingibt, die auf einen kernigen Burschen am Wegesrand lauern, schreibt Ernest Hemingway emsig. Er recherchiert gründlich, baut Kontakte auf und geht textlich in die Details. Diese Disziplin sollte er bis zum Ende seines Lebens bewahren.

Die Kabinettstückchen aus Deutschland für den Toronto Star, allesamt aus dem Jahr 1922, sind aus einem weiteren Blickwinkel aufschlussreich. Denn sie zeigen eine stilistische Eigenart, die den 23-Jährigen schon damals auszeichnet. Auch wenn er manches überzeichnet, der junge Journalist entwickelt in seinen Texten eine

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Als Ernest Hemingway einmal mit der deutschen Bahn reiste

Ernest Hemingway Reportagen
Dateline: Toronto. Die gesammelten Berichte des jungen Reporters Ernest Hemingway für die kanadische Zeitung Toronto Star.

Nach gut drei Urlaubswochen im Schwarzwald begeben sich Ernest Hemingway und Ehefrau Hadley im August 1922 nach Frankfurt. Der junge Reporter aus den USA macht große Augen in Deutschland. Und bedient fleißig alle Klischees. Die Schraube dreht er bis zum Anschlag. Man sollte dabei nicht alles für bare Münze nehmen. Wir sahen Mütter, die ihren rosigwangigen Kindern Bier aus großen Halbliterkrügen zu trinken gaben. Solches schreibt er am 1. September 1922 im Toronto Star.

In der ersten Klasse fahren die beiden Amerikaner mit der Bahn in Richtung Mainz. Es ist der erste Besuch des jungen Mannes aus Chicago in Deutschland, Ernest fremdelt merklich mit Germany. Das ganze Land ächzt unter der Last des verlorenen Ersten Weltkrieges. Nichts klappt reibungslos, man verwaltet den Mangel und ist froh, wenn es einigermassen läuft. 

Auf dem Bahnsteig des Frankfurter Hauptbahnhofs erblickt Hemingway das ganze Elend. Die Bahn verliert Geld mit jeder Fahrt, und deshalb sieht man ein Minimum an Wagen und ein Maximum an Passagieren. Die Reisenden stehen in den Korridoren wie die Stifte in einer Box. Am Gleis wartet der Express nach Amsterdam, voll wie man sich nur vorstellen kann, aber irgendwie, auf den Fluren und Gängen, kommen alle Passagiere unter.

Der US-Amerikaner deutet die Ursache der Misere an. Die Reparationszahlungen machen es unmöglich to recover into a properous nation. Derart geknebelt sei eine Erholung zu einer Nation mit Wohlstand nicht möglich. Dazu kommen dann noch die Inflation, die sozialen Unruhen und die politischen Turbulenzen. Die Zugfahrt nutzt der junge Korrespondent für ein paar Charakterstudien. 

Ihm fällt einiges auf im Zusammenleben der Deutschen. Am meisten, dass viele Männer ihre Frauen schlecht behandeln. Der deutsche Mann entert als Erster das Zugabteil oder nimmt der Frau direkt einen Sitzplatz weg. Die Ehefrauen lassen die Herabsetzung mehr oder weniger über sich ergehen und schweigen. Ganz anders würde eine Französin in seiner Wahlheimat Paris reagieren, nämlich mit lautstarkem Protest.

Der deutsche Mann drängelt sich gerne vor, auf Kosten seiner Frau. Hubby Dines First, Wifie Gets Crumbs! Gemahl speist als erster, Frauchen kriegt die Krümel! So überschreibt Ernest Hemingway eine Reportage über Essgewohnheiten in der Bahn für den Toronto Daily Star, die am 30. September 1922 in der kanadischen Tageszeitung veröffentlicht wird.

Ernest beobachtet einen Mann, der zur Mittagszeit alleine in den Speisewagen geht. Anderthalb Stunden später kommt er, mit Bierfahne, zurück ins Abteil. In der Hand ein angeknabbertes Käsebrötchen für die Gemahlin, die sich gierig über das kleine Stück Brot hermacht. Die Familie hat gespeist, lautet Hemingways trockenes Fazit.

Doch dem US-Amerikaner ist klar, als Ausländer einer Siegermacht sollte er nicht all zu laut auftreten oder gar einen Streit anfangen. Düstere Gedanken schießen ihm durch den Kopf. Ein Land, das einen Walther Rathenau – den liberalen Reichsaußenminister, der im Juni 1922 von Rechtsradikalen ermordet wurde – tötet, würde nicht zögern, auch ihn ins Jenseits zu befördern.

Kein Wunder, dass Hemingway nicht so recht warm wird mit seinem Gastland. Über das deutsche Idyll macht er sich lustig:

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Auch in Köln wird Ernest Hemingway von den Nazis in die Flammen geschleudert

Vor der Hochschule in Köln sind Bodenplatten gegen den braunen Terror eingemeißelt. Nebst einer erklärenden Gedenktafel am Portal. Foto: W. Stock.

Am Rheinufer, am Platz vor dem Gebäude in der Claudiusstraße 1, findet vor der Universität im Frühjahr 1933 ein abscheuliches Ereignis statt. Wenige Monate nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten erlebt auch das liberale und lebensfrohe Köln das gleiche widerwärtige Schauspiel wie andere deutsche Universitätsstädte.

In Feuer und Rauch werden am 17. Mai 1933 die Werke von Schriftstellern verbrannt, deren Weltbild nicht in das Nazi-Dogma passt. Die Bücher von jüdischen, marxistischen und anderen politisch unliebsamen Autorinnen und Autoren werden öffentlich in einer hysterischen Zeremonie aufgerufen und unter dem Gejohle der Studenten in die Flammen geschmissen.

Organisiert wird die Kampagne unter der Bezeichnung Wider den undeutschen Geist vom Teilen der deutschen Studentenschaft. Öffentliche und akademische Bibliotheken sollen von zersetzendem Schrifttum gesäubert werden. Unter dem Jubel geifern sich Studenten, wissenschaftliches Personal und Professoren an dem Feuer-Spektakel.

In unserer Zeit residiert in der Claudiusstraße die Fachhochschule, Campus Südstadt. Auf dem Platz vor dem Haupteingang der ehemaligen Universität – dem heutigen Sitz der TH Köln Technology, Arts and Sciences – erinnert ein Mahnmal an die Bücherverbrennung durch die Nazis.  Im Jahr 2001 hat der Kölner Kunstkritiker Walter Vitt das Memorial konzipiert. Steinmetz-Lehrlinge des Berufskollegs Ulrepforte haben die Namen von 95 Autorinnen und Autoren, deren Werke 1933 symbolisch vernichtet wurden, in Bodenplatten aus Basalt eingemeißelt.

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Ernest Hemingway darf nicht fehlen, wenn es um die Gegner der Nationalsozialisten geht. Die Hemingway-Bodenplatte an der Hochschule zu Köln. Foto: W. Stock.

Die Liste der Autoren, die in Köln in die Flammen geworfen worden sind, ist lang. Schriftsteller, die zur Elite der Welt gehören, finden sich darunter: Bertolt Brecht, Erich Kästner, Egon Erwin Kisch, Heinrich Mann, Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky, Lion Feuchtwanger, Claire Goll, Maxim Gorki, Joachim Ringelnatz, Anna Seghers, Stefan Zweig, Franz Kafka, Robert Musil, Arthur Koestler, Oskar Maria Graf, B. Traven, Vicki Baum, Upton Sinclair, Arthur Schnitzler und Hannah Arendt. Und Ernest Hemingway.

Wenig überraschend, möchte man denken. Denn Ernest Hemingway ist den Nazis verhasst. Er, der in der Öffentlichkeit heute gerne als Bellizist gesehen wird, ist in Wirklichkeit ein Gegner des Krieges und der Gewalt. Seit seiner traumatischen Verletzung im Ersten Weltkrieg bei Fossalta ist er jemand, der sich in neben die Unterdrückten einreiht und als Anhänger unbedingter Freiheitsliebe laut aufschreit.

Im Spanischen Bürgerkrieg ist er engagierter Beobachter, mit Herz für die freie Republik. Im Zweiten Weltkrieg marschiert er ein als Korrespondent in das befreite Paris und erlebt dann das Grauen an der tiefblutigen Front des Hürtgenwaldes bei Aachen. Nein, für die Schlacht ist dieser Mann nicht gemacht, obwohl er sich in seinen Kneipenmonologen bisweilen so aufführt. Ernest Hemingway liebt die Freiheit und das Leben zu sehr, als dass er auf tyrannische Bauernfänger und despotische Schufte hereinfallen könnte.

Über das Bodendenkmal informiert eine von dem Kölner Bildhauer Heribert Calleen entworfene Tafel an der Gebäudewand der Hochschule. Das gesamte Mahnmal ist eine Abrechnung mit der braunen Willkür. Und es ist ein Plädoyer für das freie Denken. Zugleich zeigt das Monument aber auch, welche Stärke die Wörter und Ideen entfalten können. Dabei zeugt das Schauspiel der Bücherverbrennung vom wunden Punkt jeder Diktatur. Die Pompösität der Randale soll die Furcht des Despoten vor der Kraft des Wortes verdecken.

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