Auf Kuba pflegt Ernest Hemingway seine Freundschaften, sie sind ihm wichtig. Meist sind es Kubaner oder Exil-Spanier, die zu seinem engen Bekanntenkreis gehören, zu den eigenen Landsleuten hält er eher Abstand. Es ist schon erstaunlich wie mühelos der amerikanische Schriftsteller in seiner neuen Heimat aufgeht – über die Menschen. Der bekannte Musiker Bola de Nieve ist ein guter Freund, ebenso der kubanische Boxer Kid Tunero.
Mit dem schwarzen Boxkämpfer Evelio Celestino Mustelier, der unter dem Künstlernamen Kid Tunero auftritt, ist Ernest Hemingway besonders eng. Über die Jahre hinweg entwickelt sich zwischen dem Nobelpreisträger und dem Sportler eine große Vertrautheit. Ernest Hemingway lässt den wenig begüterten Kid Tunero und dessen Frau und die Kinder lange Zeit auf der Finca Vigía wohnen, als die Hemingways sich auf mehrmonatiger Europa-Reise befinden.
El Caballero del Ring, wie er im Volksmund anerkennend genannt wird, kommt aus ärmlichen Verhältnissen und steigt auf zum Idol auf der Karibikinsel. Ganz an die Spitze reicht es nicht, dem Kavalier des Boxrings fehlt in seinen Kämpfen die letzte Intensität und wohl auch der Killerinstinkt. Doch immerhin schiebt sich Kubas vielbejubelter Mittelgewicht-Champion bis auf den vierten Rang der Weltrangliste.
Ernest Hemingway, wenn er auf Kuba weilt, verpasst keinen Kampf seines Freundes. Kid Tunero gegen Joe Légon, der bärtige Autor schwärmt noch Jahre von diesem Fight. Kid Tunero ist für mich der kompletteste Athlet, den Kuba je hervorgebracht hat. Eines Tages werde ich dir sagen, warum. Wenn es noch Kavaliere auf Erden gibt, dann ist Tunero einer von ihnen. Geradlinig, wortkarg, unkompliziert. Er ist natürlich und einfach, wie das Brot, wie das Gold.
Evelio Celestino Mustelier wird am 19. Mai 1910 in Las Tunas, im Osten Kubas, geboren. Er kann nicht lange zur Schule gehen und arbeitet auf den Zuckerrohrplantagen, als man auf sein Boxtalent aufmerksam wird. Er siedelt dann nach Havanna über und versucht sich als Berufsboxer. Lew Burston wird sein Manager, er bekommt den letzten Schliff, und setzt sich an die boxende Spitze der Insel.
Im Jahr 1935 geht er nach Europa, der schlanke Boxer kämpft in Barcelona und Paris, später kommt er zurück nach Kuba und versucht auf der Insel, an alte Erfolge anzuknüpfen. Im Palacio de Deportes von Havanna beendet Kid Tunero 1948 seine Boxkarriere mit einem Kampf gegen Hankin Barrows. Für viele junge Kerle wird er Vorbild. Vor der Revolution bleibt das Boxen oft die einzige Möglichkeit für die mittellosen Jugendlichen aus ihrer sozialen Misere herauszukommen. Neben der Kriminalität.
Dass Boxen auf Kuba heute so populär ist, daran hat Kid Tunero seinen Anteil. Nach seiner aktiven Zeit arbeitet er auf Kuba als Trainer für den Nachwuchs. Später geht er wiederum nach Spanien, lässt sich in Barcelona nieder und trainiert unter anderen den kubanisch-spanischen Boxer José Legrá, der WBC-Weltmeister im Federgewicht wird.
Der katalanische Journalist Xavier Montanyà hat in seinem Buch Kid Tunero – El caballero del ring die Lebensstationen des Kid Tunero eindrucksvoll nachgezeichnet. Montanyà hat den Kubaner in Barcelona noch persönlich kennengelernt und beschreibt das turbulente Leben dieses Boxers mit all seinen Aufs und Abs.
Auch die letzten Jahre in Spanien, die nicht mehr schön waren. Kid Tunero, mittellos und ohne Wohnung, schläft in einer Abstellkammer des Club del Boxeo Siglo XX, in der Carrer Ferlandina im Barrio Chino von Barcelona, wo er als Assistenztrainer und Masseur arbeitet. Als der Boxklub schließt, besorgen ihm Freunde eine einfache Familienpension.
Am 9. Oktober 1992 findet man dort Kid Tunero leblos in seinem Bett, das Herz des Boxers hat aufgehört zu schlagen. Der Freund Ernest Hemingways stirbt in Barcelona – vergessen, verlassen und verarmt.
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