Bola de Nieve singt live Be Careful, It’s My Heart im Hotel Internacional de Varadero auf Kuba, im November 1970. Das Lied komponierte Irving Berlin 1942 für den Bing Crosby-Film Holiday Inn.

Die Freundschaft von Ernest Hemingway mit dem kubanischen Musiker Bola de Nieve verrät einiges über den Wertekanon des Schriftstellers aus Chicago. Bola de Nieve, der eigentlich Ignacio Jacinto Villa Fernández heißt, ist ein auf der Insel bekannter Komponist, Pianist und Sänger. Er wird 1911 in Guanabacoa, im Osten von Havanna geboren. Den Spitznamen Bola de Nieve (Schneeball) verdankt er der Sängerin Rita Montaner, in Anspielung auf seine Körperfülle und ironisierend auf sein pechschwarzes Aussehen.

Mit Rita Montaner feiert Bola de Nieve in den 1930er Jahren erste Erfolge in Mexiko. Auf Kuba arbeitet er mit den Großen seines Landes zusammen, so mit  Ernesto Lecuona. In den USA sieht man ihn an der Seite von Teddy Wilson, Nat King Cole und Lena Horne. Nach der Revolution Fidel Castros im Januar 1959 geht er nicht ins Ausland, wie so viele Kollegen, sondern bleibt im Land, er sympathisiert mit dem Umsturz der Bärtigen.

Als Künstler ist er eine Ausnahmeerscheinung. Sein Auftreten gleicht einem heiteren Schauspiel am Piano. Bola de Nieve ist ein Entertainer an den Tasten, er singt Boleros, aber auch Ohrwürmer aus aller Herren Länder. Von Lima bis Buenos Aires, Villa Fernández wird in ganz Lateinamerika bejubelt. Selbst in Europa tritt er auf. Neben Spanisch knödelt er sich auf Englisch, Französisch, Italienisch, Katalanisch und Portugiesisch durch die Songs. 

Der beleibte Kubaner verfügt über eine markante Stimme, einen kräftigen Anschlag der Tastatur, über ein sicheres Rhythmusgefühl und ein gutes Timing. Bola de Nieve hat sich mit der Musik verheiratet und lebt mit ihr in einer Innigkeit voller Klaviertöne und Glockenklang, indem er den Reichtum des Himmels über seinen Kopf ausschüttet, freut sich der chilenische Dichter Pablo Neruda.

Sicherlich zählt er zu den Großen der lateinamerikanischen Musik. Bola de Nieve ist ein Wegbereiter des Afro-Cuban Jazz, Jahre bevor kubanische Migranten wie Machito und Mario Bauzá in New York afrikanische, karibische und europäische Traditionen zusammenführen. Mit Haut und Haaren geht Bola auf in seiner Kunst. Yo soy la canción; yo no canto canciones, ni las interpreto. Yo soy. So sieht er sich und sein Handwerk. Ich bin das Lied. Ich singe nicht, ich interpretiere nichts. Ich bin es

Ernest Hemingway besitzt viele kubanische Freunde auf der Insel, auf der er 21 Jahre gewohnt hat. Bola de Nieve gehört dazu. Der Schriftsteller aus den USA macht keinen Hehl daraus, wie sehr ihn die tropische Lebensweise prägt. Das Klima, die Küche, die Seelenruhe, die Musik. Im August 1956 feiert er im Biergarten der Cervecería Modelo in Cotorro, einem Vorort von Havanna, seine Verleihung des Nobelpreises. Es erscheinen zweihundert Gäste. Der Journalist Fernando Campoamor, der Bildhauer Juan José Sicre,  der Boxer Kid Tunero. Und Bola de Nieve. Man lässt den Nobelautor am laufenden Band hochleben, und es wird feuchtfröhlich einen draufgemacht.

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist HemBoladeNieve8.jpg

Ernest Hemingway feiert 1956 ausgelassen mit kubanischen Freunden. Rechts stehend im Foto: Bola de Nieve.

Seine Freundschaften pflegt der Schriftsteller, sie sind Ernest Hemingway wichtig. Meist sind es Kubaner oder Exil-Spanier, die zu seinem engen Bekanntenkreis zählen. Zu den eigenen Landsleuten hält er lieber Abstand. Bola de Nieve gehört nicht zum harten Freundeskern, doch man sieht sich und mag sich. Einmal besucht Bola de Nieve den berühmten Erzähler auf seiner Farm Finca Vigía in San Francisco de Paula, die für den US-Autor ein Ausweis tropischer Lebensfreude ist.

Die 1950er und 1960er Jahre sind keine einfache Zeit für schwarze Künstler auf dem amerikanischen Kontinent. In den USA dürfen bei Tourneen farbige Musiker nicht in den Hotels der weißen Bandmitglieder übernachten und es bedarf energischen Auftretens von weißen Stars wie Frank Sinatra oder Benny Goodman, solchen Herabwürdigungen ein Ende zu setzen. 

Gelegenheit zur Anfeindung finden sich auch auf Kuba genug. Bola de Nieve ist schwarz, schwul und für viele so was wie ein Bordellpianist. Doch seine Fans liegen ihm zu Füssen. Rassismus und Homophobie, offen oder versteckt, gibt es selbst im sozialistischen Kuba unter Fidel Castro, es ist nicht einfach. Ignacio bleibt persönlich von Verfolgung verschont, er hält seine sexuelle Orientierung diskret.

Keinen Deut schert sich Ernest Hemingway um gesellschaftliche Konventionen, Abgrenzungen sind seine Sache nicht. Ob arm oder reich, schwarz oder weiß, oder ob homosexuell oder hetero, es interessiert ihn nicht die Bohne. Freundschaft und Loyalität sind seine Werte und ein gutes Leben, dazu einen französischen Wein. Da kommt er mit seinen Freund Bola de Nieve schnell auf einen gemeinsamen Nenner.

Don Ernesto war ein großartiger Mensch, hat Bola de Nieve dem Journalisten Yuri Páporov im Gespräch anvertraut. Viele seiner guten Freunde waren schwarz. Für ihn war die Hautfarbe kein Anlass zur Ablehnung. In uns fließt das gleiche Blut, bei uns Kubanern möglicherweise etwas wilder, aber das ist kein Grund zur Diskriminierung. Hemingway achtete die Menschen wegen ihrer Persönlichkeit, nicht aufgrund von Rang oder Ausbildung. Vielleicht habe ich stärker als andere gefühlt, wie schnell so ein Menschenleben zu Ende geht. Ich habe geweint, und nicht wenig.

Im Jahr 1971 stirbt Ignacio Jacinto Villa Fernández in Mexiko Stadt, während einer Auslandstournee. Die letzten Monate geplagt von Arterienverkalkung, Diabetes, Asthma und den Folgen eines Herzinfarktes. Am Morgen des 2. Oktobers findet sein Freund Luis Medina ihn auf seinem Hotelzimmer, friedlich, stumm und tot. In Mexiko, wo die Erfolgsgeschichte des Bola de Nieve begann, verabschiedet er sich von dieser Welt. Der Schneeball hat aufgehört zu glänzen unter der Sonne der Karibik.

Loading