Best of all. Sein grandioses Poem ist am Hemingway Memorial in Ketchum, Idaho, verewigt. Foto: W. Stock, 2018.

Zwei Titanen der Literatur. Zwei Poeme. Die Gemeinsamkeiten sind verblüffend. Zunächst Wandrers Nachtlied aus der Feder von Johann Wolfgang von Goethe. 

Über allen Gipfeln
Ist Ruh‘,
In allen Wipfeln
Spürest Du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur! Balde
Ruhest du auch.

Dieses Gedicht hat Goethe am 6. September 1780 mit Bleistift geschrieben an die Holzwand einer Jagdhütte auf dem Kickelhahn, einem Berg bei Ilmenau in Thüringen. Ein Klassiker der europäischen Lyrik.

Dagegen, nein, vielmehr Hand in Hand, der Zwilling aus der neuen Welt. Best of all von Ernest Hemingway. Aus dem Jahr 1939.

Best of all he loved the fall
The leaves yellow on the cottonwoods
Leaves floating on the trout streams
And above the hills the high blue windless skies
…Now he will be a part of them forever

Als Bestes von allen liebte er den Herbst,
das gelbgefärbte Laub der Pappelbäume
Blätter, die auf den Forellenbächen treiben
Und über den Hügeln der hohe blaue windstille Himmel
…Jetzt wird er auf immer ein Teil von ihnen sein

Das gleiche Thema. Der Mensch und seine Vergänglichkeit. Bei Goethe wie auch bei Hemingway. Mit jeweils einem apodiktischen Ausklang. Verse, die an die Endlichkeit erinnern. Zugleich ein Poem über die Kraft der Natur. Philosophische Gedanke über die Stellung des Menschen im Kosmos. 

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist GoetheGedichte8-646x1024.jpg

In beiden Gedichten wird die Zwangsläufigkeit von Werden und Vergehen beschrieben. Die Vehemenz der Natur ist stärker als alles andere. Goethes Wanderer erreicht seinen Ruhepunkt. So wie alle Menschen sich der Natur zurückgeben müssen. Irgendwann. Warte nur! Balde ruhest du auch. Die gleiche Einsicht bei Hemingway. Jetzt wird er auf immer ein Teil von ihnen sein.

Wenn man beide Poeme aufmerksam liest, dann erkennt man, dass man die Botschaft des Mannes aus Chicago, Ernest Hemingway, und des Frankfurter Johann Wolfgang von Goethe übereinander legen kann. Aufbau, Tonalität und Botschaft ähneln sich.

Eine fast religiöse Demut nimmt man bei beiden Dichtern wahr. Eine Sehnsucht nach dem Absoluten ist hinter den Versen zu spüren, ein urwüchsiges Verlangen nach Erlösung. Die Natur hält sie bereit. So wird es kommen. Meisterlich. Besser geht es nicht. Hüben wie drüben.

Loading